Infoveranstaltung mit Ercan Ayboğa (Amed/ Diyarbakir) und Michael Knapp (Berlin), Aktivisten in der kurdischen Bewegung und Mitautoren von „Revolution in Rojava. Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Krieg und Embargo“
Diese Infoveranstaltung möchte über die Situation in Nordkurdistan und der Türkei aufklären und Zusammenhänge zwischen der dortigen Situation und der Situation der kurdischen Bewegung in Rojava/ Nordsyrien aufzeigen, die mittlerweile auch vom türkischen Militär angegriffen wird. Dabei soll es nicht nur um den Krieg, die Morde und die Repression gehen, sondern auch um die Selbstverwaltung der Bevölkerung und die Idee des demokratischen Konföderalismus sowie der demokratischen Autonomie: Welche Perspektive hat das Projekt einer basisdemokratischen, sozialen, feministischen und pluralen Gesellschaft unter solchen Umständen? Was wurde schon erreicht, was ist noch angestrebt, was hat der Krieg zerstört?
Welche Rolle spielen die EU und die deutsche Regierung in diesem Konflikt, und was können wir als solidarische Linke in Deutschland tun?
Nachdem es bis zum Herbst 2014 noch so aussah, als sei zum ersten Mal seit langer Zeit ein Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung möglich, machte Staatspräsident Erdoğan nach dem Stimmverlust seiner Partei und dem Einzug des linken, ökologischen, feministischen und pro-kurdischen Parteienbündnis HDP bei den Parlamentswahlen im Juni und November 2015 klar, was er wirklich von der kurdischen Bewegung und der Linken allgemein hält: für ihn sind sie schlicht alle „Terroristen“.
„Erdogan strebt die Errichtung einer Diktatur an, und sein letztes Hindernis ist der kurdische Widerstand. Deshalb geht er mit solcher Härte gegen ihn vor.“
Duygu Yildiz, Journalistin, z.Z. in Nordkurdistan, März 2016
Auf die Nichtanerkennung der Wahlen vom 07.06.2015 durch die AKP, bei der diese ihre absolute Mehrheit verlor und die HDP aus dem Stand 13,1% erlangte, reagierten mehrere kurdische Gemeinden im Südosten der Türkei mit der Ausrufung ihrer demokratischen Selbstverwaltung durch ihre Volksversammlungen.
„Keiner der offiziellen Beamten des Staates kann uns regieren. Wir, das Volk, werden auf der Basis der Selbstverwaltung ein demokratisches Leben aufbauen (…). Wir werden uns selbst und unsere Stadt regieren.“
Demokratische Stadtversammlung Colemêrg (Hakkâri), Pressekonferenz zum Aufbau der Selbstverwaltung, August 2015
Der türkische Staat reagierte darauf mit der Versendung von Militär und paramilitärischen Polizeieinheiten in die kurdischen Gebiete, massiver Repression gegen linke und prokurdische Aktivist_innen, Journalist_innen und Politiker_innen sowie der Verhängung von Ausgangssperren in mehreren kurdischen Städten. Die neugegründeten YPS (zivile Selbstverteidigungseinheiten), die sich v.a. aus der kurdischen Jugend rekrutieren, versuchten und versuchen, ihre Städte und Viertel gegen die türkische Polizei und das Militär mit Barrikaden und leichten Waffen zu verteidigen. Die staatlichen Kräfte reagieren darauf mit öffentlichen Hinrichtungen, Artilleriebeschuss auf Familienhäuser sowie Infanterie und Scharfschützen gegen kurdische Kämpfer_innen und Zivilist_innen gleichermaßen und bedienen sich in ihrem Kampf gegen die kurdische Bevölkerung islamistischer und faschistischer Gruppen.
„Je mehr ihr zum IS werdet, desto mehr werden wir zu Kobanê!“
Slogan in den belagerten Städten und Vierteln Nordkurdistans
Währenddessen zahlt die EU auf Betreiben Deutschlands Milliarden an die AKP-Regierung, die im Gegenzug die Abwehr von Geflüchteten übernehmen soll, erklärt die Türkei zum „sicheren Drittstaat“ und liefert nach wie vor fleißig Waffen an ein Land, dessen Regime Krieg gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung führt.
„Und heute werden Kinder, Frauen, Alte in den Straßen Kurdistans ermordet. Die Selbstverteidigung der Menschen, die legitim ist, wird als Terrorismus diffamiert.(…) Die Menschen und die Öffentlichkeit der Türkei und der ganzen Welt dürfen diese barbarischen Angriffe nicht stillschweigend hinnehmen.“
Erklärung der YPS, Dezember 2015
Veranstaltungsort: Berlin, Mehringhof, Gneisenaustraße 2a