Diese Frauen und Männer stecken hinter dem Pegida-Aufstieg

Erstveröffentlicht: 
23.10.2015

Schon wieder debattiert ganz Deutschland über „Pegida“, die in Dresden nach einer Flaute nun wieder Zehntausende auf die Straße gegen das „Asylchaos“ bringt. Doch wer verbirgt sich hinter der verschworenen Protestbewegung?

 

Berlin. Über diese Durchschnittstypen aus Sachsen redet ganz Deutschland seit nun schon einem Jahr. Der Bundesinnenminister bezeichnet sie als „harte Rechtsextremisten“, die Polizeigewerkschaften fordern ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz, gegen ihre Mitläufer und Gastredner ermittelt die Staatsanwaltschaft. Und doch bringen die Köpfe der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) seit einem Jahr Zehntausende Menschen auf die Straßen von Dresden, um gegen „Asylchaos“, Zuwanderung und Muslime zu protestieren. Dabei fing alles als kleiner virtueller Stammtisch bei Facebook an – mit einer Clique einfacher Leute aus Dresden und vor allem dem Umland der Hauptstadt Sachsens. Wir stellen die fünf wichtigsten Köpfe hinter Pegida vor:

Erfinder und Anführer: Lutz Bachmann, 42

Er ist der Initiator und das Gesicht von Pegida: Lutz Bachmann. Der Chef einer Ein-Mann-Werbeagentur, der heute im 3000-Einwohner-Dorf Kesselsdorf bei Dresden lebt, wird am 10. Oktober 2014 in Dresden Zeuge einer Soli-Kundgebung für den Kampf der kurdischen Partei PKK gegen die IS-Dschihadisten. Es regt ihn auf, dass nun „Glaubenskriege auf deutschem Boden“ ausgetragen werden: Anfang Oktober gab es Straßenschlachten zwischen Kurden und Islamisten in Celle und Hamburg. Er will etwas tun, und da fällt ihm zuerst Facebook ein. Bachmann hatte schon während des Elbe-Hochwassers 2013 das soziale Netzwerk virtuos genutzt und mit mehreren Facebook-Gruppen ein Fluthilfezentrum organisiert und Hilfsgüter und Spenden gesammelt.

 

Dafür bekam er im Namen des Ministerpräsidenten sogar den Fluthelferorden. Also will er nun auch seinen Protest gegen „die fortschreitende Islamisierung unseres Landes“ im Internet organisieren: Am Tag nach der Dresdner Kurden-Demo legt er bei Facebook eine geschlossene Gruppe an: „Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Er lädt nur seinen engsten Freundeskreis ein; Leute aus der Dresdner Partyszene und Fans von Sportvereinen – allerdings sind darunter auch Leute mit Kontakten zu Hooligans und ins Rotlichtmilieu. Denn Lutz Bachmann, in der Kleinstadt Coswig bei Dresden als Sohn eines Fleischers aufgewachsen, war nach seinem Abitur und der Kochlehre selbst auf die schiefe Bahn geraten, wurde 1998 wegen 16-fachen Einbruchs mit Diebstahl zu fast vier Jahren Haft verurteilt, floh nach Südafrika, taucht unter, wird aber schließlich abgeschoben und muss 14 Monate in Haft.

 

2010 folgte die nächste Verurteilung: zwei Jahre auf Bewährung wegen Drogenhandels. Bei Facebook regt er nun an, Demonstrationen gegen die Islamisierung zu starten – aber unter der Selbstbezeichnung „Patriot“, damit gegen die geplante erste Demo nicht die „Nazikeule“ geschwungen werden könne. Ansonsten ist er weniger zimperlich: In seinen öffentlichen Facebook-Kommentaren nennt er Flüchtlinge „Dreckspack“ und „Viehzeug“, als die Pegida-Demos immer größer werden, postet er: „Deutschland erwacht, wir werden jeden Tag mehr!“ Ähnlich klingen seine Reden, die er bei Pegida hält. Bis heute.

Der Scharfmacher: Siegfried Däbritz, 40

Pegida wäre heute nicht, was es ist, wenn nicht Siegfried Däbritz schnell zu Bachmanns Facebook-Gruppe gefunden hätte. Der Motorrad-Fan ist mit Bachmann schon länger befreundet, hat aber auch Erfahrungen in der ehrenamtlichen Kommunalpolitik, wollte es 2009 seinem Vater gleichtun und für die FDP in den Stadtrat vom sächsischen Meißen einziehen. Laut Dresdner Staatsanwaltschaft hat er ebenfalls bereits ein „abgeschlossenes Strafverfahren“ hinter sich. Als Security-Unternehmer pflegt Däbritz Kontakte zur Türsteher- und Hooliganszene, der er selbst nahesteht. Auch politisch gibt er sich von Anfang weit rechts der Mitte: Seit langem verfolgt Däbritz zum Beispiel die Meldungen der islamfeindlichen Website „Politically Incorrect“, dient sich deren Machern als „Spürnase“ an, die auf Nachrichten über die Verderbtheit der Muslime in Deutschland und der Welt hinweist.

 

In Bachmanns Facebook-Gruppe will er nun den Widerstand gegen „Political Correctness“ und die „ständige Beschimpfung als Nazis“ organisieren und bezieht sich dabei als erster auf die Parole „Wir sind das Volk“ von den Montagsdemonstrationen 1989 in der DDR. Als einige Teilnehmer vorschlagen, das „friedliebend“ im Gruppen-Namen durch „national“ zu ersetzen, warnt er, man dürfe kein Sammelbecken für „rechte Spinner, Neonazis und dergleichen“ werden. Als die Clique am 20. Oktober 2014 in Dresden erstmals demonstriert, ist Däbritz dabei. Es kommen rund 900 Leute – wie unter den Gründern viele Handwerker, Fußballfans, Auto- und Motorradfreaks, Friseurinnen, aber auch Mitläufer aus der Nazi-Szene und AfDler. Sechs Tage später besucht er die islamfeindliche Hooligan-Demo „HoGeSa“ in Köln, beschäftigt sich online mit neurechten Gruppen wie der „Identitären Bewegung“ und „German Defence League“.

 

Besonders begeistert ist er über eine Lesung, die er im November 2014 besucht: Akif Pirinçci stellt in Dresden sein Buch „Deutschland von Sinnen“ vor, in dem er gegen Muslime, Homosexuelle und die vermeintliche verlogene „Toleranz-Republik“ hetzt. Die Lesung gibt Pegida neuen Schub – viele Zuhörer lassen sich für die nächste Demo gewinnen. Heute ist Däbritz der Chef der Ordner von Pegida – die meisten stammen aus dem Hool-Milieu.

Christdemokrat und Schläger: Thomas Tallacker, 47

Wie Däbritz war auch der zweite Meißner unter den Pegida-Gründern, Thomas Tallacker, schon vorher politisch aktiv: Der Innenausstatter saß für die CDU im Stadtrat. Wegen seiner verächtlichen und rassistischen Internet-Postings über Muslime, Kurden, Türken und Asylbewerber drängt ihn die CDU-Meißen aber im Sommer 2013, sein Stadtratsmandat niederzulegen und leitet ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein. Es ruht seit einem schweren Motorradunfall Tallackers. Kurz zuvor hatte der bis dahin unbescholtene Sachse mit zwei anderen Bauhandwerkern aus Meißen den Generalunternehmer mehrerer Bauprojekte verprügelt, für den sie gearbeitet hatten und der ihnen noch Geld schuldete. Als Tallacker zu einer Geldstrafe verurteilt wird, ist er schon bei Pegida aktiv.

 

Mit seinem Freund Siegfried Däbritz hatte er sich für Thilo Sarrazin begeistert, beide sind in kleinen Verhältnissen in der DDR groß geworden, beide stiegen nach 1989 bei bürgerlichen Parteien ein, beide gelten in Meißen als angesehene Mittelständler. Noch ein Jahr vor Pegida-Start setzte er sich mit der Initiative „Buntes Meißen“ noch gegen Rassismus ein. Im Internet gerät er jedoch in fremdenfeindliche Gruppen, im Freundeskreis wohl auch; nach dem Rauswurf aus dem Stadtrat radikalisiert er sich. Bachmann, mit dem er als einziges Pegida-Gründungsmitglied nicht schon befreundet war, geht ihm dann aber doch zu weit: Als der Ende Januar 2015 nach ausländerfeindlichen Facebook-Kommentaren wegen Volksverhetzung angezeigt wird, tritt Tallacker vier weiteren Ur-Pegidas aus dem Vereinsvorstand aus.

Die Abtrünnige: Kathrin Oertel, 37

Kathrin Oertel ging wie Lutz Bachmann in Coswig zur Schule – bis zum Bruch mit Bachmann war die Wirtschaftsberaterin und dreifache Mutter das bürgerliche, zahmere Gesicht Pegidas. Sie sprach für Pegida im TV-Studio von Günther Jauch und gab im Januar mit Bachmann die erste und einzige Pressekonferenz für die Gruppe. Oertel und einige Gleichgesinnte im „Orga-Team“ wollten Pegida offenbar zur bürgerlichen Mitte öffnen. Sie war auch die Kontaktfrau zur damaligen Co-AfD-Bundeschefin Frauke Petry, die die Pegida-Gründer zu einem Treffen in die sächsische Landtagsfraktion einlud. Petry rät Pegida auch dazu, Bachmann von der Vereinsspitze zu entfernen, als er als Kleinkrimineller enttarnt und wegen Volksverhetzung angezeigt ist.

 

Nach einem internen Streit darüber verlässt Kathrin Oertel mit fünf weiteren Mitgründern Pegida und gründet mit ihnen den neuen Verein „Direkte Demokratie für Europa“ (DDfE), der moderater sein will. Vorsitzende ist Oertel, die sich wenig später in einem Facebook-Video von der bisherigen Pegida-Hetze distanziert. Sie entschuldige sich bei „allen Migranten und vor allem bei den Muslimen, die hier in unserem Land friedlich leben, integriert, und unsere Gesetze und unsere Kultur achten“. Sie fühle sich „ein Stück weit mitverantwortlich für die ganze Hetzkampagne, die hier losgetreten worden ist“. Von Anfang an kommen nur wenige Hundert Menschen zu den DDfE-Demos. Inzwischen ist der Verein in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Die Lautsprecherin: Tatjana Festerling

Im Zuge des Vereinsumbaus verzeichnet Pegida Ende Februar einen folgenreichen Neuzugang: Neu aufgenommen wird das ehemalige AfD-Mitglied Tatjana Festerling aus Hamburg, die dort nach Streit über ihr Lob für islamfeindliche Hooligans ausgetreten war. Künftig steigt sie zur umjubelten Pegida-Stammrednerin in Dresden auf: Sie fordert eine neue Mauer, lobt die gewalttätige Hooligan-Demo von Köln und schimpft auf linke Gutmenschen. Schnell gehört sie zu den engsten Vertrauten von Pegida-Gründer Lutz Bachmann. Bei der AfD hatte Festerling keine größere Rolle gespielt.

 

In Hamburg war sie stellvertretende Marketing-Verantwortliche und wurde als Bezirkskandidatin aufgestellt. Bundesweite Aufmerksamkeit erregte sie erst, als sie die rechte Demo der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) in Köln besucht und trotz der dortigen Angriffe auf die Polizei und Auftritte von Rechtsextremen gelobt hatte. In einem Text für eine rechtspopulistische Website schrieb Festerling damals: „Ich ziehe meinen Hut vor den Hools“, und : „HoGeSa – bitte weitermachen!“ Nach einem Streit über den Text wollte der AfD-Landesverband Festerling aus der Partei ausschließen, woraufhin sie selbst austrat.

 

Seitdem sprach sie immer wieder bei Pegida-Demos in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Hoyerswerda als Rednerin. Anfang März sagte Festerling in ihrer Dresdner Pegida-Rede, die linken Gutmenschen sollten doch im Westen ihre Gesinnungsdiktatur errichten mit „gendergerechten Enthauptungen“ und „Kondomabrollwettbewerben“ in den Kitas. Die guten Deutschen bleiben dann im Osten, wo es so „geborgen und vertrauensvoll“ sei. Im Juni tritt sie für Pegida bei der Wahl zum Dresdner Oberbürgermeister an – und holt fast zehn Prozent.

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900 bei der ersten Demo? Über die erste Demo hatte doch fast niemand berichtet, außer Antifa-nahen Leuten, eben weil es so klein und unbedeutend war.