Schon im Vorhinein schien es kein gewöhnliches Spiel zu werden. Nicht nur für die AnhängerInnen beider Vereine, sondern auch für Vereinsfunktionäre, KommunalpolitikerInnen und die Polizei war dieser Spieltag von großer Bedeutung. Hier ein kleiner Bericht, der sich auf AugenzeugInnen-Berichten stützt. Ergänzungen sind sehr erwünscht.
Der Karlsruher SC hegt eine traditionelle Feindschaft mit dem VFB Stuttgart, dessen Fans wiederum sind eng mit denen des SSV Reutlingen verbandelt. Also riefen nicht nur reutlinger Fans, Ultras und Hools dazu auf, den SSV Reutlingen zu unterstützen, sondern auch eine ganze Reihe stuttgarter. Besonders in den Hooligan-Szenen wurde dieses Spiel bereits im Vorfeld als „Großkampftag“ gegen Fans des KSC angekündigt.
Nicht verwunderlich, dass davon auch die Sicherheitsbehörden Wind bekamen. So waren an diesem Samstag nach Presseberichten über 1.000 BeamtInnen im Einsatz, um sogenannte „Problemfans“ beider Lager zu trennen. Vorsorglich wurden auch Stadtverbote ausgesprochen1.
Tatsächlich kam es zu keinen größeren Auseinandersetzungen2. Wegen Streitigkeiten mit dem Verein bzw. Repressionen boykottierte die organisierte Fanszene Reutlingens das Spiel3. Als Treffpunkt wurde der Parkplatz des „Sportpark“ ausgegeben, dort trafen sich vor dem Spiel zahlreiche Menschen und währenddessen diejenigen, die das Spiel boykottierten. Nicht nur das Umfeld der organisierten Fanszene, auch „normale“ StadiongängerInnen waren hier anzutreffen. Auffällig war eine größere Anzahl Neonazis und erkennbar rechter Hooligans und auch der Umgang mit diesen. Übergriffe wurden nicht beobachtet, jedoch herrschte eine bedrohliche Atmosphäre gegenüber nicht-rechten bzw. vermeintlich linken Personen. Die Übergänge zwischen Ultras und Hooligans waren fließend, dies äußerte sich durch die direkte räumliche Nähe beider Gruppierungen sowie vielen persönlichen Kontakten, wobei dort stets ein ungezwungener bis freundschaftlicher Umgang vorherrschte.
Dieser Umgang mit den Neonazis und rechten Hools, der zwischen Ignoranz und Wegsehen bis hin zu wohlwollender „wir unterstützen den selben Verein“ Akzeptanz reichte, wirft Fragen auf.
Fragen nach dem Ausmaß der Beteiligung und Duldung von Neonazis und anderen (extrem) Rechten in den verschiedenen reutlinger und stuttgarter Fanszenen. Fragen nach dem Umgang der organisierten Fans, des Vereins und der Öffentlichkeit mit eindeutigen Neonazis. Und auch Fragen nach der politischen Dimension eines Fußballspiels und dem agieren der verschiedenen Fangruppen.
Denn Fußball ist eben nicht Fußball nur in Abgrenzung zu dem was für Politik gehalten wird. Und Politik ist nicht Politik ausschließlich außerhalb alltäglicher Vorgänge und rein auf Parlamentarismus beschränkt. Und es ist keineswegs so dass diese Sphären getrennt voneinander existieren würden. Vielmehr zeigen sich in Stadien gesellschaftliche und politische Prozesse und Verhältnisse. Gleichzeitig wird durch den Umgang miteinander und mit den Vereinen, der Öffentlichkeit und den Behörden ganz praktisch Politik gemacht.
Wenn im Stadion Neonazis wortlos – oder schlimmer, wohlwollend – geduldet werden, ist das ein politischer Ausdruck. Einer, der menschenverachtendes Denken und Handeln gutheißt und somit unterstützt.
Fußball ist für alle da und mit Nazis geht das nicht!
Doch jetzt ganz konkret. Welche Nazis waren vor Ort und wie war der Umgang mit diesen?
Zunächst die reutlinger Hooligan-Gruppierung und deren Umfeld die auf dem Parkplatz des „Sportpark“ erkannt wurden:
Als bekannte Neonazis wären hier Jens und Sascha Andre Obenhack zu nennen, wobei letzterer mehrfach durch Übergriffe auf vermeintliche Linke auffiel. Sascha pflegte auch lange Zeit beste Kontakte zum bekannten reutlinger Neonazi-Funktionär Andreas Rossiar, als dieser die bei Fußballfans und Neonazis sehr beliebte Kneipe „zum alten Rappen“ in Reutlingen betrieb.
Rossiar zählt mittlerweile ca. 20 Verurteilungen wegen seiner neonazistischen Betätigung und Gewalttaten, keine davon brachte ihn bisher hinter Gittern.
Jens möchte gern ein richtiger Schläger sein, steht aber meist im Schatten der etablierten Hooligans und wird von diesen eher belächelt. Ein Rechter ist er dennoch.
Auch der Sohn Andreas Rossiar's, Roderich „Rodi“ Rossiar, kann zu diesem Umfeld gezählt werden. Zwar behauptet Rodi vehement mit seinem Vater gebrochen und mit Politik nichts am Hut zu haben, gleichzeitig ist er immer wieder im Umfeld rechter und neonazistischer Akteure und Gruppierungen anzutreffen. Beispielsweise begleitete er eine Gruppe Nazis aus Reutlingen und der Region am 1. Mai 2011 zu deren Abfahrt zum Naziaufmarsch nach Heilbronn.
Ebenfalls waren Florian Rudi und Andreas Löwe anwesend. Während Rudi in der Vergangenhiet durch Übergriffe auf Punks auffiel, ist Andreas Löwe ein lupenreiner Neonazi. Andreas Löwe betrieb gemeinsam mit Andreas Rossiar die Kneipe „zum alten Rappen“ bis zum Eigentümerwechsel.
Eine spezielle Rolle scheint hier Patrick Starke einzunehmen. Ob diese Rolle tatsächlich als Scharnierfunktion zwischen sonst nicht miteinander in Verbindung stehenden Personen und Gruppen bezeichnet werden kann, ist fraglich. Fest steht dass Starke ein glühender Linkenhasser und mittlerweile eher ein rechter Hooligan ist. Starke lässt es sich auch nicht nehmen, in links-alternativen Räumen zu pöbeln und die MitarbeiterInnen zu bedrohen. Auch wurden bereits Ermittlungen gegen ihn geführt weil er (gemeinsam mit Rudi Löwe) auf Übergriffe gegen Punks beteiligt gewesen war. Gleichzeitig hat Starke seine Wurzeln in der reutlinger Ultra-Szene und scheint in der Vergangenheit einen nicht unerheblichen rechts-politischen Einfluss auf einzelne Personen gehabt zu haben.
Zwar ist zu besagtem Hooligan-Umfeld auch Simon Riehle zu zählen, jedoch war dieser am Samstag mit anderen Leuten anzutreffen. Simon Riehle gilt seit Jahren als JN und NPD Aktivist, auch bei Veranstaltungen regionaler Nazigruppen wie dem „Deutschen Kreis von 1973“ ist er zugegen. Auch Riehle fiel in der Vergangenheit mehrfach durch Übergriffe auf Linke auf.
Weitere vier Personen waren mit Simon Riehle gemeinsam im Stadion. Einer dieser Personen war „Wolfi“, der ebenfalls 2011 regionale Nazis zum Zug nach Heilbronn begleitete. Damals war er mit Rodi gemeinsam am Bahnhof.
Auch Kosta Gavrinidis, ein weiterer reutlinger JN/NPD Aktivist, zählte zu dieser Gruppe.
Überraschend war die Anwesenheit Steffen Hammer's. Der umtriebige Neonazi, Rechtsanwalt und Nazimusiker war zuletzt in die Schlagzeilen geraten, weil seine mittlerweile aufgelöste Band „Noie Werte“ einen Soundtrack zum NSU-Bekennervideo lieferte. Auch verteidigt Steffen Hammer regelmäßig andere Neonazis vor Gericht, z.B. während des großen Prozesses gegen Rädelsführer der mittlerweile verbotenen „Autonomen Nationalisten Göppingen“ (ANGP) in Stuttgart.
Hammer scheint an diesem Tag nicht in eine größere Gruppe eingebunden gewesen zu sein, hatte jedoch Kontakt mit sehr vielen anwesenden Personen und hat sich mit allen gut verstanden.
Auch die stuttgarter Neonazi-Hooligan-Gruppierung „Neckar-Fils Stuttgart“(NF) war hier mit 20 bis 30 Personen anzutreffen. Zunächst wurde Frank Bopp identifiziert, dieser gilt als einer der Köpfe der rechten Hooligan-Truppe4,5. Bereits in den 90er Jahren waren diese als neonazistische Schläger bekannt. Das NF-Logo weist starke Ähnlichkeiten mit dem der verbotenen „Nationalistischen Front“ auf. Der frühere NF-Treffpunkt „Kolbstuben“ war ein Knotenpunkt verschiedenster neonazistischer Aktivitäten des süddeutschen Raumes, inkl. Konzerten der britischen Nazi-Ikone Ian Stuart Donaldson6. Frank Bopp soll auch am Aufbau der rechten, vereinsübergreifenden Hooligan-Struktur „GnuHoonters“ führend beteiligt gewesen sein7. Diese gilt als Vorläuferorganisation der mittlerweile medienbekannten rechten „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) Netzwerkes. Ebenfalls scheint Bopp maßgeblich am stuttgarter PEGIDA-Ableger bzw. deren Nachfolge-Gruppe „Infidels“ beteiligt zu sein.
Eine Gruppe von 4 bis 5 Rechten bzw. Neonazis aus dem Örtchen Gniebel und Umgebung waren ebenfalls anzutreffen.
Abgerundet wurde diese Szenerie von allgegenwärtigem Grauzone-Publikum. Dieses versteht sich selbst als unpolitisch und stellt sich nach Außen so dar, vertritt faktisch jedoch klar reaktionäre und konservative Wertevorstellungen.
So ergab sich ein Bild einer unschönen Melange aus organisierten Ultras, völlig unpolitischen StadiongängerInnen, eindeutigen Neonazis und jeder Menge „Freiwild“- und „KategorieC“-Fans. Alles unter der Prämisse des scheinbar unpolitischen Sportvergnügens.
Wie oben beschrieben ist das eine falsche Verkürzung, denn wo Neonazis akzeptiert werden und sich wohl fühlen können, entsteht ein Angstraum für alle, die nicht in das beschränkte Weltbild der MenschenhasserInnen passen.
Am Rande sei bemerkt, dass für den SSV ein Refugee, Francis Ubabuike, spielt, der erst seit paar Monaten in Deutschland ist und nur durch hohen organisatorischen Aufwand seitens des Vereins überhaupt spielen darf. Auch für Menschen wie diesen stellen Nazis eine potentiell lebenbedrohliche Gefährdung dar. Hier ist mit der Verein gefordert, klare Position zu beziehen und Neonazis ein Absage zu erteilen!
Um es noch einmal deutlich zu sagen:
Fußball ist für alle da und mit Nazis geht das nicht!
2 http://www.gea.de/region+reutlingen/reutlingen/keine+ausschreitungen+beim+dfb+pokalspiel.4377191.htm
3 vgl. http://www.szene-e.de
4 https://linksunten.indymedia.org/de/node/36800
5 https://linksunten.indymedia.org/en/node/66936
6 https://linksunten.indymedia.org/de/node/83278
7 https://www.antifainfoblatt.de/artikel/%E2%80%9Epatriotisches-menschenmaterial%E2%80%9C
weitere teilnehmer
hier haben wir auch noch einige HOGESA-Leute, darunter auch marc hoppe, aus karlsruhe auf dem weg nach reutlingen.
Wo ist Marc Hoppe?
Welcher ist Marc Hoppe?
Zweiter von links:
Christian Zauner (Chris Müller bei Facebook)
Dritter von links:
Marco Sidor (Erwin Kern bei Facebook)
Mitte, ohne Tattoos:
Henner (Henner Karlsruhe bei Facebook)
Vorne, mit grüner Mütze:
Sascha Roth (Sascha Youdontknow Kransyy bei Facebook)
Marc Hoppe
...ist die Person, die rechts das Transpi hält (mit Hut).
Aber
geht der Hammer nicht regelmäßig zu den Spielen der Kickers? Dann sollte ers mit dem VFB und Reutlingen ja nicht so dicke haben.
Solidarische Kritik
Ihr schreibt ja richtig "Vielmehr zeigen sich in Stadien gesellschaftliche und politische Prozesse und Verhältnisse." Also zeigt es auch einiges über uns Linke selbst! Euer Artikel kann aus meiner Sicht vor allem Anlass von schonungsloser Selbskritik sein. Sowie Initialzündung Wege zum finden es zukünftig besser zu machen um mit dem genannten Problem umgehen zu können.
"Fußballfans gegen Nazis" und den Augenzeuginnen empfehle ich den Austausch über die praktische Herangehensweise mit anderen Fußballfans gegen Nazis.
Eure Strategie erst mal alle anzupissen und hoffen damit etwas zu erreichen ist aus meiner Sicht wenig aussichsreich. Grandiose Mißerfolge in Aachen, Braunschweig und Bremen haben die dortigen Fußballfans auch zu Änderung des Kurses veranlasst.
Sofern Theorie dazu interessant ist, gibt es den neuen Tatort Stadon Schmöker http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node/681
Was die Rechechetechnik und Aufbereitung von Halbwissen, Spekulation und verwendbaren Infos anbelangt wäre vielleicht ein Kursus bei der Autonomen Antifa aus Freiburg hilfreich. Ansonsten noch viel Erfolg ihr habt anscheinend noch viel zu tun.