[LE] Eine misslungene DNA-Abnahme

still not loving dna-entnahme

Am 09. Juni 2015 durchsuchten Beamte der Leipziger Polizei Wohnräume in einer Leipziger WG. Sie hofften dort Hinweise auf eine mögliche Beteiligung eines WG-Bewohners in Bezug auf die Spontandemonstration in der Innenstadt am 05. Juni zu finden. Konkret waren sie auf der Suche nach sogenannten Krähenfüßen, Farbbeuteln, und dergleichen mehr. Fündig wurden sie nicht, stattdessen nahmen sie frustriert belanglosen Krempel mit, Feuerzeugbenzin, eine Zeitschrift, ein paar Videocassetten einer völlig veralteten Digitalkamera, sowie, wen überrascht es, einen Computer.

 

Neben dem Durchsuchungsbeschluss brachten die Beamten noch einen weiteren mit: Den Beschluss, dass dem Beschuldigten sofort eine DNA-Probe zu entnehmen sei. Wohl zum Ärger der Polizei befand sich der Genosse jedoch nicht zu Hause – die Entnahme der DNA-Probe fiel ins Wasser. Daran hat sich, soweit wir wissen, nichts geändert.

Das vordergründige Motiv der Polizei ist schnell zusammengefasst: Der technische Dienst der Polizei hatte nach der Spontandemonstration ein Potpourri aus Abfall, herumliegenden Steinen und Ähnlichem sicher gestellt – eben allem, was sich im Umkreis des Bundesverwaltungsgerichts, gegen das wohl ein paar Farbbeutel und Steine geflogen waren, aufsammeln ließ. Damit sollte Souveränität und Einsatzstärke gezeigt werden. Die Aufmerksamkeit der Medien war ebenso groß wie die Aufregung in der Politik, es mussten schnellstmöglich Taten folgen: Auch wenn die Polizei bereits in anderem Zusammenhang ehrlich erläuterte, dass an derlei aufgelesenem Schrott so gut wie nie brauchbare Beweise zu sichern seien, wurde nun im Rahmen der eilends eingerichteten Soko „Johannapark“ Aktionismus vorgegaukelt: Das Gerümpel würde ins Labor geschickt, damit dort Spuren gesichert werden könnten. Und als weitere, öffentlich leicht präsentierbare Maßnahmen, fokussierte man sich eilends auf die einzige Person, deren Personalien man festgestellt hatte: Hausdurchsuchung, DNA-Beschluss. [1]


Soweit, so trivial. Die Polizei war schon immer dafür bekannt, im Auge der Öffentlichkeit Betriebsamkeit zu suggerieren. Doch mag es auf der lokalen Ebene nur das Bemühen eines gestressten Polizeipräsidenten Merbitz sein, sich in der Öffentlichkeit als Mann der Tat zu inszenieren, geht es doch bei den anhaltenden und zunehmenden DNA-Abnahmen um weitaus mehr.


Die Datenbank des BKA

Vielleicht mag jemand Naives annehmen, bei der Erhebung der DNA-Daten ginge es vor allem um die Aufklärung einer konkreten Straftat: Dass die Daten nur zum Abgleich mit einem gesicherten Beweismittel dienen, und wenn sie hierfür nicht mehr gebraucht auch wieder gelöscht würden. Bei einer Reihe massenhafter DNA-Erhebungen zum Aufklären von besonders schweren Straftaten, wie etwa bei den Ermittlungen wegen eines Mordes 2010 in Gütersloh, wurde das so auch immer wieder öffentlich seitens der ermittelnden Polizei versprochen. Eine Abgabe der Daten sei bedenkenlos, sie würden einzig mit der Täterspur verglichen und dann wieder vernichtet. Dem ist nicht so.
Sämtliche DNA-Daten, die gesammelt werden, finden ihren Weg in die DNA-Datenbank des BKA. Gesammelt sind dort mittlerweile über eine Million DNA-Profile, monatlich kommen knapp 9000 Datensätze hinzu. Und diese Daten werden nicht mehr gelöscht. Das BKA wird nicht müde zu betonen, dass es sich hierbei um eine Datenbank für „Schwerverbrecher“ handelt. Das ist schlichtweg gelogen. Lediglich ein Drittel der Datensätze beziehen sich auf Verbrechen wie „Körperverletzung“, „Straftaten gegen das Leben“ und „Sexualdelikte“. Der Rest ist ein Sammelsurium aus „Ladendiebstählen“, „Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz“, „Beleidigungen“(!) oder „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Die größte Trefferquote beim DNA-Abgleich hat das BKA darüber hinaus auch nicht bei sogenannten schweren Straftaten zu verzeichnen, sondern bei Diebstählen. Gerade in Bezug auf schwere Straftaten wie Mord fehlt es an Erfolgen durch die DNA-Ermittlungen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es bei der Errichtung der DNA-Datenbank um etwas anderes geht.

Die DNA-Datenbank der EU

Nicht nur in Deutschland werden DNA-Datensätze von Personen gesammelt und zentral gespeichert. Alle Mitgliedstaaten der EU führen ähnliche Projekte zur genetischen Erfassung ihrer Bürger_innen durch und sind dabei untereinander vernetzt. Spitzenreiter im europäischen Vergleich ist Großbritannien, wo circa 8% der Bevölkerung genetisch erfasst ist, auf Platz zwei folgt Frankreich mit 3,8%, in beiden Fällen Tendenz steigend. Weder der Zugriff, noch die Beschaffung weiterer Datensätze sind national begrenzt. Der internationale Austausch sowie die Hilfe bei der Beschaffung von Datensätzen wird im Vertrag von Prüm aus dem Jahre 2005 geregelt. Galt dieser zu Anfang nur für eine überschaubare Anzahl von Ländern innerhalb der EU, wurde er durch inhaltlich sehr ähnliche EU-Ratsbeschlüsse 2008 zu geltendem Recht innerhalb der gesamten EU. Das bedeutet, dass sich die Länder dabei unterstützen, von ins Visier geratenen Personen international DNA-Daten zu beschaffen, sowie auch, dass sie untereinander Daten beliebig austauschen können. Wer also in Frankreich seine DNA abgeben musste, kann davon ausgehen, dass die herumgetragene Getränkeflasche, die später jemand bei einer Demo in Großbritannien auf die Polizei wirft, auf ihn zurückgeführt werden wird, über alle Landesgrenzen hinweg. Auch hier drängt sich die Frage auf, ob es tatsächlich nur um die Verfolgung „schwerster Kriminalität“ geht, oder ob die präventive Verhinderung von Widerstand im Zentrum der Initiative steht.


Die kommende Aufstandsbekämpfung

 

Die Folgen der Krise, welche die öffentliche Debatten um Gegenwart und Zukunft der Staaten Europas bestimmen, sind in vielen Ländern sichtbarer geworden als jemals zuvor. Die Folgen, das sind Verarmung, Krankheit, Isolation, Hoffnungslosigkeit – der Verfall bürgerlicher Glücks- Sicherheitsversprechen. Das, was der bürgerliche Kapitalismus im Namen der Vernunft ohnehin in aller Welt anrichtet, entsteht unaufhaltsam auch dort, wo es produziert wird.

Was zu erwarten war und trotz allem seinen Schrecken nicht verliert: Das Zutagetreten der negativen Kehrseite der bürgerlichen Gesellschaft führt gerade nicht zu einer neuen Bereitschaft zur Solidarität, zu Mitgefühl und Reflexion, sondern zur Maximierung der Konkurrenz, welche die Vorstellung eines geeinten Europas zum alten Hut gemacht hat. Darüber hinaus transformieren sich bürgerliche Werte: Immer sichtbarer kommt es zu einem Erstarken nationalistischen, rassistischen und chauvinistischen Gedankenwelten.

Demgegenüber erscheinen wir und unsere Kämpfe ein wenig kläglich und unscheinbar. Weder tragen wir erkennbar zum Verfall der Festung Europas bei, noch können wir deren wahnwitziges Aufrüsten weg von der ideellen Festung hin zu einer tatsächlichen verlangsamen. Faschistische und reaktionäre Kräfte verfolgen wir all zu oft nur mit einem entsetzten aber stummen Blick, ohne ihnen spürbar und gerade im Alltag etwas entgegen setzen zu können, um nur einen von vielen Bereichen zu erwähnen, in denen wir angesichts bedrohlicher Entwicklungen nicht gerade an Boden zu gewinnen scheinen.

Doch ist dies nur die halbe Wahrheit. Auf der anderen Seite wird an immer mehr Orten ein unversöhnlicher Widerstand nicht nur gegen einzelne Auswüchse der herrschenden Politik, sondern gegen die politische Herrschaft insgesamt sichtbar. Europäische Metropolen sind so heftig wie lange nicht von politischen Auseinandersetzungen erschüttert, wie zuletzt am 1. Mai in Mailand, oder kurz zuvor bei der EZB Eröffnung in Frankfurt. Der aufständische Widerstand scheint ein neues Selbstbewusstsein zu finden, die Wut über die Auswirkungen der Krise bricht sich auch in immer neuen, linksradikalen Riots bahn und daneben manchmal unscheinbar und jenseits des vordergründigen Krawalls ein neues Erstarken der Basisarbeit, ein Zusammenfinden vormals getrennter Bewegungen und Kämpfe. Dabei kommt es auch zu neuen Allianzen, Bündnissen und Verschwörungen über die Landesgrenzen hinweg – eine dringliche Antwort auf nationale und konservative Hetze. Und auch wenn es sich oft nach einem „noch zu wenig, zu klein, zu schwach“ anfühlen mag, auch wir bekommen etwas mehr Luft zum Atmen, auch wir kommen voran – und wären schon längst viel weiter, wenn uns unsere Feinde nicht immer wieder angreifen, infiltrieren, sabotieren würden.


Denn es wäre naiv zu glauben, dass die Staaten demgegenüber keine Maßnahmen ergreifen würden, um sich auf eine zukünftige Zunahme von Auseinandersetzungen auf vielerlei Ebenen vorzubereiten. Auf der Gegenseite wird bereits seit längerem die Aufstandsbekämpfung organisiert, ganz unabhängig davon, von wem sie ausgehen.

Ein wichtiges Papier, um die Pläne der kommenden Aufstandsbekämpfung zu verstehen, ist der Bericht der Nato Research and Technology Organisation, „Urban Operations in the Year 2020“. Hierzu analysierten die Genoss_innen des WarStartsHere-Camps in der Altmark treffend:

>>Der Bericht geht davon aus, dass im Jahr 2020 die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten leben wird und davon wiederum die Mehrheit in relativ beschissenen Verhältnissen. Daraus könnten „Spannungen entstehen, die möglicherweise zu Aufständen, zivilen Unruhen und Bedrohungen für die Sicherheit führen, die die Intervention der örtlichen Behörden notwendig machen.“

 

Solche Aufstände und zivile Unruhen erwartet der Bericht auch in Europa. Die „USECT“-Strategie (Abk. Understand, Shape, Engage, Consolidate, Transition) soll einerseits verhindern, dass es soweit kommt und andererseits die Armeen befähigen, einen „asymmetrischen Krieg“, das heisst, einen „Krieg vierter Generation“ zu führen und zu gewinnen. Dieser Forschungsbericht der Nato von 2003 hat auch die offizielle Strategie der Nato beeinflusst. 2010 erschien das Strategiepapier „Active Engagement, Modern Defensive“, an dem seit 1991 gearbeitet wird. Das aktuelle Strategiepapier enthält drei Kernpunkte zur Wahrung der Sicherheit des Nato-Territoriums und ihrer Bevölkerungen. Neben kollektiver Verteidigung und kooperativer Sicherheit wird ein Krisenmanagement empfohlen (oder vorgegeben), das vor, während und nach Konflikten mit politischen und militärischen Mitteln Sicherheit herstellen soll. Das heisst, der Forschungsbericht „2020“ hat Eingang gefunden in die offizielle Strategie der Nato. Denn was anderes als Aufstandsbekämpfung will eine Forderung, Krisen zu verhindern, oder zu verwalten und danach zu stabilisieren? Gemäss dem 2020-Bericht gehen die Kriegsstrategen also davon aus, dass Aufstandsbekämpfung zur relevanten Strategie auch und insbesondere in Europa werden wird.<<

 

Angesichts zunehmender Schwierigkeiten gegenüber der bisher unkomplizierten Regierbarkeit greifen die Staaten immer mehr auf neue Technologien der Überwachung und Kontrolle zurück. Mit umfangreichen digitalen Angriffen auf die Privatsphäre und internationalen Aufstandsbekämpfungsübungen und einer ultimativen Erfassung seiner Bürger_innen via biometrischer Daten und eben auch dem Anlegen der internationalen DNA-Datenbank nehmen sich die Staaten mächtige Werkzeuge in die Hand, um (potentielle) Aufständische bereits im Vorfeld, spätestens jedoch im Nachhinein zu ermitteln und Dingfest zu machen.

 

Unsere Solidarität gegen ihre Repression

In Anbetracht solch düsterer Aussichten finden wir es gut, dass die Polizei dem Genossen bisher nicht habhaft werden konnte. Wir wünschen uns, dass es ihnen auch weiterhin nicht gelingen wird. Für uns ist klar: Je mehr Leute sich den Zugriffen des Staates entziehen, sich ihnen widersetzen oder sie verweigern, desto schwieriger ist es für staatliche Organe, diese Maßnahmen umzusetzen. Der Kampf gegen den Raub unserer eigenen Daten ist somit auch immer ein Kampf gegen die Preisgabe von persönlichen Daten überhaupt. In diesem Kampf werden noch viele Schlachten zu schlagen sein!

Auf einem bei der Spontandemonstration am 05. Juni in Leipzig mitgeführten Transparent war zu lesen: „Der Aufstand wird kommen“. Sie wissen es, wir wissen es. Bis dahin gilt: Keinen Meter zurück!

Zeigen wir Polizei, Gerichten und Staatsanwaltschaften, was wir von ihnen und ihrer Verteidigung dieses Scheißsystems halten – Nichts!

Solidarität mit allen, die sich den Angriffen von Polizei und Justizentziehen entziehen, widersetzen, entgegen stellen!

Dem Genossen viel Glück und Kraft! Auf das sie deine DNA NIEMALS bekommen werden!

 


 

[1] In diesem Zusammenhang möchten wir die Gefahr dieser Ermittlungsmethode ausdrücklich betonen. Denn es ist leider so: Während die meisten Genoss_innen verstanden haben, dass es nötig ist Handschuhe zu tragen um Fingerabdrücke zu vermeiden, gibt es keine vergleichbar standardisierte Praxis in Bezug auf DNA-Spuren, vielleicht auch, weil es nahezu unmöglich scheint, keine DNA zu hinterlassen (Speichelreste, Schuppen, Hautpartikel, Haare,...). Nicht zuletzt deswegen ist die Polizei dazu übergegangen, auch nach Demonstrationen und Aktionen Kleidungsstücke einzusammeln. Trotz allem sollten wir alles tun, um diese Spuren zu reduzieren. In bekannten linksradikalen Blättchen und im Netz finden sich jede Menge Informationen und Tipps dazu, zb auch bei der Roten Hilfe

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"„Der Aufstand wird kommen“. Sie wissen es, wir wissen es. Bis dahin gilt: Keinen Meter zurück!"

 

Wenn solche Durchhalteparolen in Ostfrontmanier rausgekloppt werden kann es leider nicht gut stehen für die Bewegung. 

Dogmatisches Parolengedresche hilft den Leuten nämlich kein Stück weiter! Während ihr vom Aufstand, der Revolution oder sonstigen Ersatzreligionen vor euch hin träumt, gibt es im Alltag wichtige politische Arbeit für linksradikale Projekte und Refugees zu erledigen.

 

Radikalität bedeutet konkrete Politik und Praxis im hier und jetzt.

 

Nicht Aufstand, Kommunismus oder anarchistische Weltrevolutionen am St. Nimmerleinstag.

 

Dem Gesuchten viel Glück und Solidarität!

Der Artikel ist erstmal ganz gut! Der zitierte Satz stieß mir aufgrund des etwas inhaltslehren Patos auch übel auf, auch wenn ich denke, dass es bei einer Verschärfung der Zustände durchaus zu Unruhen kommen könnte. Du Unterstellst den Menschen allerdings ein Geträume von Revolution obwohl die Menschen ja offensichtlich aktiv sind... wo ist das also Geträume? und was stellst du dir als konkrete politische Arbeit vor? Sozialarbeit und Urbangardening? ;-)

Ich versteh nicht, wie sich dein Vorredner nur an diesem einen Satz aufhängen konnte. Wenn Leute einen Schritt nach vorne machen, was ja in Leipzig der Fall ist, dann wollen sie nicht zurück und stattdessen der Repression trotzen. Das finde ich gut, weswegen ich den Pathos nicht als inhaltsleer empfinde. Er hat ja dort einen Inhalt. Bei mir hier im Umfeld geht nichts, wenn hier wer so rumlabert, ok, dann ist es inhaltlsleer. Aber nicht überall ist das so. Ich freue mich, dass die Bullen bsiehr ins Leere gelaufen sind, vielleicht klappt es ja weiter so.

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Dieser Blog versucht sich in einer Sammlung der Ereignisse rund um die Krawalle des 05. Juni. Ziel ist es,  Übersicht zum laufenden Verfahren zu geben und eine Plattfom zu Hintergründen und Debatten zu schaffen.

 

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