Wie steht es um die rechtsextreme Szene in Sachsen?

Rechtsextreme Parolen vor der Asylbewerberunterkunft in Freital und nun auch noch ein mutmaßlich rechtsextrem motivierter Anschlag auf eine noch unbewohnte Asylunterkunft in Meißen: Wie steht es um die rechtsextreme Szene in Sachsen? Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen kennt die militanten Neonazis und erklärt, wie die Szene tickt.

 

Die "Initiative Heimatschutz" hat im Internet immer wieder Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Was ist das für eine Gruppe?


Die "Initiative Heimatschutz" ist eine relativ neue, rechtsextreme Gruppe, die seit März 2015 auf Facebook aktiv ist und in der Vergangenheit hauptsächlich virtuell in Erscheinung getreten ist. Der Name erinnert an die "Kameradschaft Thüringer Heimatschutz", in der die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds zu Hause waren. Und in dieser Gruppierung tummeln sich die Neonazis aus der Region, auch der NPD-Kreischef Mirko Beier ist da dabei.

 

Gibt es in der rechtsextremen Szene in Sachsen Gruppen mit einer gewissen Halbwertzeit?


Neben der NPD gibt es eine ganze Reihe von Gruppen in Sachsen, allerdings sortiert sich die Szene gerade neu. Es gibt zum Beispiel die Partei "Der dritte Weg" oder die Partei "Die Rechte", die jetzt gerade versuchen, in Sachsen schlagkräftige Landesverbände aufzubauen. Diese beiden Parteien sind auf jeden Fall noch radikaler als die NPD und sammeln jede Menge Kameradschaftsumfeld. Ich denke, von den beiden Gruppen wird man in nächster Zeit noch was hören. Welche sich letztlich durchsetzt, lässt sich noch nicht genau sagen, weil da gerade ein großes Gerangel stattfindet.

 

Wie steht es um die NPD in Sachsen? In ihrer Studie sprechen Sie von einem "desolaten Zustand" - inwiefern?


Die NPD ist in einem Zustand, der ist so schlecht wie seit 15 Jahren nicht mehr in Sachsen. Wichtige Kader sind ausgetreten. Und der Verlust des Landtagsmandats hat die NPD in Sachsen härter getroffen, als wir es vermutet haben. Die Parteistrukturen sind erodiert und es finden jede Menge Flügelkämpfe statt. Man muss erstmal abwarten, ob sich die NPD davon in den nächsten Jahren erholen wird.

 

Auch rechtsextreme Parteien brauchen eine gewisse Infrastruktur im Hintergrund. Die Rechtsextremen sollen in Sachsen etliche Immobilien besitzen. Welche Funktion haben solche Zentralen?


Die Immobilien sind wahnsinnig wichtig für die Szene, um Räume zu haben, wo man sich treffen kann, wo man Strategien besprechen kann, wo man Dinge planen kann, wo man Transparente lagern kann und die nötigen Dinge, die man braucht, um Aktionen durchzuführen. Diese Orte können auch dazu dienen, dass sich die Szene schnell wieder reaktivieren kann. Wir haben in Sachsen mindestens zehn Immobilien bzw. Räume, die in Besitz oder in Pacht durch organisierte Neonazis sind. Ohne diese Immobilien wäre die Szene sehr viel schwächer aufgestellt.

 

Und wie ist es mit Devotionalien, Musikalien, Publikationen und all dem, mit dem man in der rechtsextremen Szene Geld verdienen kann?  


Sachsen ist der Dreh- und Angelpunkt der neonazistischen Musik- und Vertriebsszene in Deutschland. Die wichtigsten Label sind in Sachsen zu Hause. Das heißt, dieser Soundtrack zu Hass und Gewalt führt dazu, dass dann auch Heime angegriffen werden. Dieser Soundtrack wird in Sachsen produziert und vertrieben. Das heißt, das sind Geld und Arbeitsplätze für die Neonazi-Szene. Außerdem werden junge Menschen vor allem über diese Musik und die Subkultur an die Neonazi-Szene herangeführt. Das ist nicht neu, aber es hat sich auch nicht geändert. Vielmehr wurde die rechtsextreme Musik-Szene in Sachsen in den letzten Jahren noch ausgebaut.

 

Wie groß sind die Schnittmengen zwischen den Pegida- und Legida-Bewegungen und Neonazis im Freistaat tatsächlich?


Große Schnittmengen gibt es bei dem Thema "Flucht und Asyl". Pegida hat in öffentlichen Verlautbarungen immer wieder gesagt, dass man Kriegsflüchtlinge zwar aufnehmen möchte und eine Unterscheidung vornimmt. Tatsächlich ist es aber so,  dass gerade Gruppen wie die "Initiative Heimatschutz", die eindeutig rassistisch aufgestellt sind und vielleicht sogar vor Gewalt nicht zurückschrecken, auch regelmäßig an Pegida-Demonstrationen teilgenommen haben. Unserer Einschätzung nach sind vor allem bei den großen Pegida-Demonstrationen bis zu einer vierstelligen Zahl organisierte Neonazis mitgelaufen. Damit ist Pegida dafür verantwortlich, dass die Parolen, die dort auf die Straße getragen werden, letztlich die Brandbeschleuniger sind, für das was Neonazis dann im Land ausführen.

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"Rechtsextremismus in Sachsen" – Eine aktuelle Bilanz

 

Zusammengenommen erreichten die Parteien AfD, NPD und andere rechte Gruppen im Durchschnitt etwa 15 Prozent der gültigen Stimmen bei den Wahlen im Jahr 2014 in Sachsen. Das Bundesland Sachsen wird zudem nicht nur durch Pegida überregional wahrgenommen. Seit mehr als 200 Verhandlungstagen wird in München gegen die überlebende Haupttäterin der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) der Prozess geführt. Der überwiegende Teil der Zeugen stammt aus Sachsen oder war zwischen 1998 und 2011 in Sachsen aktiv. Eine besondere Rolle bei der Unterstützung des NSU spielte dabei die sächsische Sektion des Blood & Honour-Netzwerks.

Darüber hinaus finden in Sachsen die mit Abstand meisten Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen statt. Statistisch gesehen, gab es 2014 bundesweit täglich eine Kundgebung oder Demonstration gegen die Unterbringung Asylsuchender. In Sachsen fanden pro Woche durchschnittlich zwei dieser Veranstaltungen statt. 2015 hat die Häufigkeit dieser Proteste in Sachsen noch einmal deutlich zugenommen.
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Quelle: Kulturbüro Sachen e.V.