Was kann die heutige Mieter_innenbewegung von den Hausbesetzer_innen lernen?

Squat

„Dieses Haus ist besetzt“ steht auf dem Transparent, das die   Senior_innen in der Stillen Straße in Pankow entrollten. Die Frauen und Männer zwischen 65 und 90 Jahren hatten mehrere Wochen ihren Seniorentreffpunkt, der geschlossen werden sollte, besetzt. In der nächsten Szene sieht man einige der Senior_innen am Transparent auf einer Mieter_innendemo im Jahr 2013. Neben ihnen fährt Kalle aus der Palisadenstraße in seinen Rollstuhl mit. Auch dort haben sich Senior_innen erfolgreich gegen eine massive Mieterhöhung in ihren Seniorenwohnungen gewehrt. Sei brauchten ihre Wohnungen  nicht mehr besetzen, haben aber erfolgreich damit gedroht.

 

Mit diesen Szenen aus dem Film Mietrebellen, einer Dokumentation der Berliner Mieter_innenbewegung der letzten Zeit, beginnt eine Diskussionsveranstaltung, die unter der Frage stand "Was kann die Mieter_innenbewegung von den Hausbesetzer_innen lernen?"  Zum Roten Abend der Internationalen Kommunist_innen waren Armin Kuhn und Grischa Dallmer eingeladen. Dallmer ist war an der Herstellung des Films  Mietrebellen beteiligt und hat im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ auch Kontakt zum transnationalen Mieter_innenwiderstand.

 

Armin Kuhn ist in der Stadtpolitischen Bewegung aktiv und  hat kürzlich   im Dampfbootverlag das Buch Vom Häuserkampf zur neoliberalen Stadt“ herausgegeben, in dem er die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zwei Berliner Besetzungbewegungen untersucht. Gemeint sind die Besetzungen ende der späten  70er Jahren in vielen Westberliner Stadtteilen und den Besetzungen, die seit Herbst 1989 in Ostberlin bis zum kurzen Sommer der Anarchie 1990 getätigt wurden. Auf kulturellem Gebiet  gab es viele Gemeinsamkeiten. Viele der Protagonist_innen der ersten Bewegung beteiligten sich in unterschiedlicher Weise an der zweiten  Besetzungswelle. Doch  Kuhn verweilt eben nicht beim Subkulturellen, was die Stärke    seines Buchs ist. Er benennt die Unterschiede, die wahrscheinlich viele der Protagonist_innen damals nicht wahrhaben wollten.

 

Nach Kuhn liegt der größte Unterschied liegt in dem Zeitpunkt, zu dem  beiden Bewegungen  auftraten. Die Besetzungsbewegung der 1980er sei  ein Kind der städtischen Krise gewesen. In den wenigen Monaten, in denen massenhaft Häuser besetzt wurden, wurde klar, dass es mit der Flächensanierung und mit der Vision von einer zentralstaatlich gesteuerten, funktionalen und autogerecht durchgeplanten Stadt so nicht weitergehen kann. Es war eine Übergangssituation, in der alles möglich schien und vieles auch möglich war. Die Besetzungsbewegungen haben ihren Teil dazu beigetragen, mit der behutsamen Stadterneuerung ein progressives städtisches Leitbild, soziale Ausgleichsmechanismen und Beteiligungsmöglichkeiten durchzusetzen. Anfang der 1990er Jahre sei    diese Überganssituation längst vorbei gewesen. Die Weichen in Richtung einer wettbewerbsorientierten, auf wirtschaftliches Wachstum, internationale Konkurrenzfähigkeit und Privatinitiative waren bereits gestellt. Das Leitbild einer neoliberalen Stadt hatte sich durchgesetzt, auch wenn die Institutionen der behutsamen Stadterneuerung noch eine Weile vor den übelsten Auswirkungen geschützt haben. Nun könnte mensch einwenden, dass im  Herbst  1989 durchaus noch eine andere Richtung hätte eingeschlagen werden können, wenn die sozialen Bewegungen im Westen  sich ein Beispiel aus dem linken Flügel der DDR-Opposition genommen hätte und ebenfalls Verfassungsschutzämter und Villen   der Herrschenden besetzt hätten. Dass das so utopisch nicht war, zeigte sich daran, dass es 1988 in Westberlin noch eine massenhafte Beteiligung an den Anti-IWF-Protesten gegeben hat. Auch damals gab es eine erste Kooperation mit der linken DDR-Opposition.

 

Neoliberaler Drive in der Besetzungsbewegung

 

Kuhn widmete sich auch der Frage, ob er nicht mit der behutsamen Stadtsanierung etc. gerade die Folgen der Besetzungsbewegung als Erfolg bezeichnet, die damals vom radikalen Flügel dieser Bewegung als Vereinnahmungsversuche heftig abgelehnt worden waren. Kuhn sieht die Kritik berechtigt, weil eben die damalige Bewegung mehr als nur schöner Wohnen    wollte. Doch im historischen Rückblick gelte es auch, die ungeliebten Folgen zu würdigen. Und da gibt sich Kuhn überzeugt, dass die Aufwertung Berlins ohne die Besetzungsbewegung viel schneller vorangegangen wäre. Auch die Frage, in welcher Weise ausgerechnet die systemoppositionelle Besetzer_innenbewegung  mit zum  Neoliberalismus beigetragen hat, beantwortet Kuhn sehr differenziert. Es war ausgerechnet die vehemente Ablehnung des alten Modell Deutschlands sozialdemokratischer Prägung, die die Besetzer_innenbewegung nicht nur in Berlin  prägte, die schließlich den neoliberalen Drive verursachte. Es ging um Ablehnung von Staatsknete, die Vorstellung alles selbst machen zu wollen, die schon Anfang der 80er Jahre ein Flügel der Berliner Union um den damaligen Sozialsenator Ulf Fink lobte. Die Hausbesetzer_innen würden nicht den Sozialstaat anrufen, sondern gemeinsam anpacken, wenn es gelte die Häuser winterfest zu machen und das Dach neu zu decken, entdeckte er die Vorzüge der neuen Bewegung. Die andere Seite des CDU-Senats war die repressive Lummer-Politik, der mit massivem Polizeiaufgebot viele Häuser räumen ließ. Bad Boy Lummer und der Integrator Fink konnten unter der Oberaufsicht des  damaligen Regierenden Bürgermeister Weizsäcker  die Besetzungsbewegung für  die neue Form der Herrschaft nutzen. Es gab übrigens in Teilen der radikalen Linken schon Anfang der 80er Jahre die Warnung, dass der Fink-Flügel der Union für die Besetzungsbewegung der gefährlichere Gegner sei als der Lummer-Flügel, gegen den mensch schließlich gut Gegenwehr mobilisieren   könne.

 

Besetzung als Kampf um einen Mietvertrag


Die heutige Mieter_innenbewegung blicke nach Spanien als nach Berlin vor 30 Jahren, wenn sie an Hausbesetzungen denkt, erklärte Grischa Dallmer. Er meint damit die Bewegung der Hypothekenbetroffenen in Spanien, die sich nicht nur oft erfolgreich gegen Zwangsräumungen wenden, sondern auch Häuser besetzten, die im Besitz der Banken sind. Sie fordern dort dann von den Banken einen Mietvertrag zu sozialverträglichen Preisen. Dallmer erklärte den Kontext, in dem diese Forderungen    möglich sind. Die Hypothekenbetroffenen hatten Wohnungen gekauft und konnten durch die Krise bedingt die Hypotheken nicht zurückzahlen. Die Banken betrieben dann die Räumung der Wohnungen und die Mieter_innen blieben noch auf den alten Schulden sitzen. Mit der Forderung nach einem Mietvertrag verabschieden sich die Aktivist_innen auch von der Ideologie der Eigentümergesellschaft, die noch ein Erbe des Frano-Regimes ist, das aus den Proletarier_innen Kleineigentümer_innen machen wollte.   Gleichzeitig sind die Banken ebenfalls krisenbedingt in den Besitz vieler Hauskomplexe gelangt, die bezugsfertig sind aber leer  stehen, weil niemand Geld hat sie zu mieten. Zurzeit wird für diese Häuser Geld für die Bewachung und die Aufrechterhaltung  bestimmter  Instandhaltungsmaßnahmen ausgegeben. Damit macht Dallmer auch klar,  dass Besetzungen bestimmte Bedingungen brauchen, eben beispielsweise einen großen Leerstand an Häusern, die besetzt werden können.  Dallmer betonte, dass die Mieter_innenbewegung von den Besetzungsbewegungen durchaus lernen kann, wie mensch offensiv etwas durchsetzt und dabei auch  kreativ neue Aktionsformen anwendet. 


Aus dem Publikum meldeten sich auch ehemalige Aktivist_innen der Besetzer_innenbewegung zu Wort, die teilweise kritischer mit ihren alten Genoss_innen als die Referenten waren. So meinte ein Mann, die Besetzer_inennbewegung hätte an der heutigen Mieter_innenbewegung lernen können, wie mensch es versteht, auch die Menschen im Stadtteil, die nicht Punkmusik hören,  erreicht. Der Hintergrund seiner  Kritik, war der, dass die Besetzungsbewegung  oft mehr Wert darauf legte, mit Menschen des  gleichen Musikmusikgeschmacks und der gleichen Kultur näher standen, als einkommensschwache  Menschen, die aus ihren Wohnungen geräumt wurden, weil sie die Miete nicht zahlen konnten. Die soziale Frage sei für die Hausbesetzungsbewegung mehrheitlich kein Thema gewesen, lautete die Kritik, die von mehreren Teilnehmer_innen der Veranstaltung geteilt wurde. Vom Podium wurde diese berechtigte Kritik noch mal in den historischen  Kontext gestellt. Weil eben viele junge Leute in den frühen 80er gegen den spätfordistischen Sozialstaat und seinen Verriegelungen aufstanden, wurden Menschen, die schlicht soziale Rechte wie eine bezahlbare Miete einforderten, vorschnell als Spießer_innen abgetan und ihre Kämpfe nicht    für unterstützenswert gehalten.  Die  noch in den 90er Jahren zu hörende Parole „Mietvertrag  ins Klo – Häuser besetzen sowie“ drückt diese  Haltung aus. Bei einer solchen Einstellung  engagiert mensch sich natürlich kaum gegen Mieterhöhungen. Diese Haltung führte auch  dazu, dass einst besetzte, längst legalisierte Häuser weiter unter dem Label besetzte Häuser firmierten. Wenn es wie in der  Liebigstraße 14 zu einer Räumung kommt, wurde dieser Konflikt als Besetzer_innen-  und nicht als Mietenkampf gelabelt, was sachlich richtig gewesen wäre und auch die Verbindung zu anderen ebenfalls von Räumungen bedrohten Mieter_innen erleichtert hätte. Mehrere Veranstaltungsteilnehmer_innen erklärten aber, es werde auch in Zukunft  Besetzungen geben, doch  die werden nicht mehr das subkulturelle Ambiente  der alten Besetzungsbewegungen haben. 


Die Einschätzung, dass Besetzungen eher dort erfolgreich sein werden, wo Mieter_innen sich gegen ihre Vertreibung wehren, scheint sich ganz aktuell zu bestätigen.  

 

Warum nicht heute wieder Häuser besetzen?

 

Derzeit wird in der Berliner Mieter_innenbewegung  über neue Besetzer_innen diskutiert. Aufgerufen wird zu einer öffentlichen Massenbesetzung in der Beermannstraße 20 und 22 in Berlin-Treptow, die dem Autobahnbau weichen sollen. Mehrere Mieter_innen haben sich trotz Drohungen der Zwangsanweisung, was nichts anderes als eine Entrechtung der Mieter_innen bedeutet,  bisher nicht vertreiben lassen. Mehrere würden schlicht keine Wohnungen zu Mietpreisen finden,   die sich leisten können. „Wir lassen die Mieter_innen nicht allein“, sagten sich Aktivist_innen  der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappelh, die mit der Umweltorganisation Robin Wood dafür gesorgt haben, dass die Mieter_innen der Beermannstraße eben doch noch nicht bürokratisch abgewickelt wurden, wie es sich die Berliner Senatsstellen erhofft hatten. Schließlich  ist der Wowereit-Nachfolger Müller dafür verantwortlich, dass noch im Jahr 2014 Mieter_innen und eine komplette Gartenanlage verschwinden soll, damit ein ökologisch unsinniger Autobahnbau durchgesetzt werden kann, der vor einigen Jahren selbst in der SPD nur   mit einem Machtwort von Wowereit durchgesetzt werden konnte. Auch jenseits der Beermannstraße wird in der Mieter_innenbewegung über Besetzungen diskutiert. So kann   Kuhns Buch die  theoretische Grundlage liefern für Menschen, die unter den heutigen Bedingungen eine alte Aktionsform für sich wieder entdeckt.   Die Veranstaltung war ein Versuch, die Diskussion dazu in Gang zu setzen. Viele weitere werden folgen, warum in einen besetzen Haus in der Beermannstraße oder anderswo?

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das stimmt so nicht, dass die l14, sich selbst als besetztes haus gelabelt hat. vielmehr musste die l14 viel arbeit gegen diese labelung (die ja nicht stimmte) aufbringen. dass das dann vier jahre später immer noch hier steht, zeigt aber, dass die arbeit nicht immer erfolgreich war.

auch hat die l14 in ihren Flugblättern durchaus versucht, die MieterInnenperpektive einfließen zu lassen. aber flugblätter und öffentliche wahrnehmung sind eben oft zwei verschiedene paar schuhe.

 

wer nachlesen will, möge hier ein bisschen suchen:

http://liebig14.blogsport.de/

Als alter 80er-Westberlin-Besetzer kann ich in der Analyse vieles wiederfinden, dem ich zustimme. Eines möchte ich aber geraderücken: Der Vergleich der gesellschaftlichen Situation in Westberlin beim IWF-Kongress 1988 mit der DDR 1989 ist vollkommen abwegig. Als wir seinerzeit über utopische Pläne diskutierten, wie in Westberlin die Verhältnisse zum Kippen zu bringen sein könnten, war uns vollkommen klar, dass es dazu absehbar keine reale Möglichkeit gab. Die Proteste gegen den IWF wurden von derselben "kleinen radikalen Minderheit" von ein paar tausend Linken getragen wie immer und hatten nicht einmal die gesellschaftliche Breite und Mobilisierungskraft der Gipfelproteste der letzten 15 Jahre. Sie waren vor allem ein sehr effektives Medienspektakel!

Zur geplanten Änderung des Gesetzes über Vermögensanlagen (Vermögensanlagengesetz - VermAnlG) insbes. § 2b

Mit den geplanten Gesetzänderungen zum Kleinanlegerschutz bedroht die Bundesregierung die Existenzgrundlage von vielen solidarisch wirtschaftenden Initiativen wie selbstverwalteten Wohnprojekten, Bürgerenergieprojekten, freien Schulen und Quartiersläden. Um zu verhindern, dass viele selbstorganisierte Bürgerprojekte mit sozialer Zielsetzung, die teilweise seit Jahrzehnten solide wirtschaften, zum sinnlosen Kollateralschaden einer nicht ausgereiften Gesetzinitiative werden, bitten wir Sie, diese Petition zu unterschreiben.

 

https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-sinnvolle-ausnahmen-vom...