Stimmung bei PEGIDA-Märschen wird aggressiver

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Zum ersten Mal im neuen Jahr versammelten sich im Stadtzentrum von Dresden wieder mehrere tausend Menschen, um damit erneut ein Zeichen gegen eine vermeintliche Islamisierung Deutschlands zu setzen. Nach einer Pause in der letzten Woche des Jahres zogen die nach Polizeiangaben etwa 18.000 Menschen der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes von der Cockerwiese, unweit der an diesem Abend unbeleuchteten Gläsernen Manufaktur am Straßburger Platz, am Stadion vorbei bis zum Lennéplatz. Von dort ging es anschließend über die Park- und die Blüherstraße wieder zurück zum Ausgangspunkt der Demonstration.

 

Nicht nur das verregnete Wetter, sondern vor allem auch die von den Verantwortlichen gewählte Route durch menschenleere Straßen dürften dazu beigetragen haben, dass am Ende des Spaziergangs die Situation kurz davor war, zu eskalieren. Erst der Polizei und den Ordnern gelang es schließlich die etwa 200, teilweise vermummten, jungen Männer aus dem Hooliganspektrum daran zu hindern in Richtung der Gegendemonstration durchzubrechen.

 

Ob es tatsächlich die von der Polizei medial verbreiteten 18.000 oder doch nur rund 13.000 Menschen waren, spielt für die Betrachtung keine Rolle. Fest steht, in keiner anderen deutschen Stadt schafft es eine islamfeindliche Bewegung, auch nur ansatzweise, das Zahlenniveau von Dresden zu erreichen. Fest steht aber auch, dass den Fahnen und Autokennzeichen nach zu urteilen, die Zahl der aus dem gesamten Bundesgebiet zugereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum ersten Mal stagniert haben dürfte.

 

Prominentester Sprecher an diesem Abend war der ehemalige Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Udo Ulfkotte, welcher bereits am 22. Dezember auf der BOGIDA-Demonstration in Bonn einen ersten Auftritt als Redner hatte. Ulfkotte gilt nach der Veröffentlichung seines, im berüchtigten Kopp Verlag herausgegebenen, Buches: “Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken” als neuer Shootingstar in der Verschwörungsszene.

 

Im ersten von drei geplanten Büchern zum Thema Medienmanipulation schildert er anhand eigener Erfahrungen Aspekte der Medienwelt, in der journalistische Arbeit gekauft und letztendlich beeinflusst werden, indem beispielsweise Agenturmeldungen ohne eigene Recherche übernommen und bestimmte Inhalte erst gar nicht thematisiert werden. Wasser für die Mühlen derer, die auch an diesem Montag wieder zu tausenden aus ganz Deutschland angereist waren und auf mitgebrachten Plakaten gegen Linke, den Islam und das Establishment wetterten. Dazu passte es dann auch, dass aus den Reihen der Versammlung immer wieder Pressevertreterinnen und Pressevertreter beleidigt und angegangen wurden.

 

Ein, wenn auch nur kleines, Novum stellte das Redeangebot an Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) dar, den die Mitveranstalterin Kathrin Oertel dazu aufrief, “zeitnah” auf einer der nächsten Veranstaltungen von PEGIDA zu sprechen.

 

Die Reaktion von Tillich erfolgte prompt. In deutlichen Worten erteilte der sächsische Ministerpräsident der Idee eine Absage: “Das Angebot aber von einer Bühne zu sprechen, von der die Kanzlerin und andere Politiker mehrfach unsachlich beschimpft und gegen Ausländer gehetzt wurde, lehne ich ab. Ich werde den Bürgerinnen und Bürgern konkrete Angebote für einen Dialog über ihre Sorgen und Nöte unterbreiten. Bisher hat PEGIDA kein Problem gelöst oder zu einer Lösung beigetragen. Vielmehr schaden die Demonstrationen dem Land und der Stadt Dresden, denn sie vermitteln der Weltöffentlichkeit ein Bild, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Das Bild passt nicht zur Mehrheitsmeinung der Sachsen. Die übergroße Mehrheit kümmert sich um den Zusammenhalt in der Gesellschaft und trägt dazu bei, dass Sachsen allen Menschen eine gute Heimat ist.” So blieb es letztlich bei den mittlerweile üblich gewordenen montäglichen Rundumschlägen gegen Medien und verbalen Attacken auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

 

Das sollte jedoch nicht der einzige Vorfall an diesem Tag bleiben. So schafften es parallel zur PEGIDA-Veranstaltung insgesamt 18 Personen der auch in der sächischen Landeshauptstadt ansässigen neurechten “Identitären Bewegung” Fotos von sich mit Fahnen und Transparenten im und vor dem Gebäude des Sächsischen Landtag zu knipsen.

 

Erst nach mehreren Aufforderungen durch das ebenfalls anwesende Sicherheitspersonal verließ die Gruppe das Gebäude und wurde im Anschluss an die Aktion von der Polizei festgehalten und kontrolliert. Am Tag darauf erstattete der Präsident des Landtags, Matthias Rößler (CDU), bei der Dresdner Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Hausfriedensbruch gegen die Gruppe. Der Ort dürfte nicht zufällig ausgewählt worden sein, denn schließlich hat die Landtagsfraktion der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) die Mitglieder von PEGIDA für heute zu einem gemeinsamen Gespräch in die Räumlichkeiten des Landtags eingeladen.

 

Unterdessen mehren sich Stimmen aus der Politik, die dazu aufrufen, sich klar von PEGIDA zu distanzieren. Unlängst hatte sich die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer jährlichen Neujahrsansprache an die Bevölkerung gewandt und daran appelliert, nicht denen zu folgen, die zu solchen Protesten aufrufen. “Zu oft”, so die Kanzlerin, “sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen”. “Heute rufen manche montags wieder ‘Wir sind das Volk’. Aber tatsächlich meinen Sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen Eurer Hautfarbe oder Eurer Religion”.

 

Erst gestern hatten rund 80 Prominente aus Kultur, Politik, Wirtschaft und Sport in der BILD-Zeitung Flagge für ein weltoffenes und tolerantes Deutschland gezeigt. Dass dies jedoch in einer Zeitung geschieht, welche mit ihrer stellenweise offenen rassistischen Hetze und ihren verbreiteten Lügen auch einen großen Teil zum Erfolg von PEGIDA beigetragen haben dürfte, zeigt, welchen medialen und tagespolitischen Stellenwert PEGIDA mittlerweile erreicht hat. Standpunkte, die noch vor wenigen Wochen Bestandteil des medialen und politischen Alltags im Land waren, sind angesichts des weltweiten Medieninteresses an dieser neuen Bewegung plötzlich nicht mehr relevant.

 

Jetzt, wo in der Öffentlichkeit vertretene islamfeindliche Positionen auch in zunehmenden Maße international wahrgenommen und Deutschlands guter Ruf als Gastgeber gefährdet ist, folgen beinahe täglich Stellungnahmen von Verteterinnen und Vertretern nahezu aller politischer Parteien. Was allerdings fehlt, ist ein Ohr für diejenigen, die unter dem ressentimentgeladenen Klima besonders zu leiden haben.

 

“[Es brauche] etlichen Mut auf die Pegida-Demonstration zu gehen und vor Tausenden sehr aufgebrachten Leuten zu sprechen. Wenn aber ein Ministerpräsident ein Volksführer sein wolle, dann habe er an dieser Stelle die Aufgabe vor jenem Teil des Volkes zu treten, der wünscht, dass er spreche.” Politikprofessor Werner Patzelt (CDU) im MDR

 

Zeitgleich zu PEGIDA hatten am frühen Montagabend in Dresdens Innenstadt mehrere Gegenveranstaltungen stattgefunden. An einer Spontankundgebung vor der Centrum-Galerie auf der Prager Straße beteiligten sich etwa 400 Menschen und zeigten sich solidarisch mit den Betroffenen der rassistisch motivierten Übergriffe vom 22. Dezember.

 

Zur selben Zeit hatten sich auf dem Postplatz etwa 3.500 Menschen zu einem als Neujahrsputz angemeldeten Konzert der Bands Banda Comunale und Yellow Umbrella versammelt (Fotos). Nach dem Ende der Kundgebung auf der Prager Straße zogen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer angeführt vom Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König bis zum Postplatz und danach zusammen weiter in Richtung Straßburger Platz, wo nach dem Ende der PEGIDA-Veranstaltung der Ort symbolisch gereinigt werden sollte.

 

Ein zuvor von mehreren Seiten kritisierter Versuch, mit Teilen von PEGIDA ins Gespräch zu kommen, scheiterte am Montag wie so oft in diesen Tagen, an der fehlenden Gesprächsbereitschaft. Den von Vertreterinnen und Vertretern des lokalen Islamischen Zentrums sowie SPD, Linken und den Grünen angebotenen Dialog am Rande der PEGIDA-Auftaktveranstaltung nahmen lediglich zehn Personen wahr. Einen direkteren Draht suchte derweil Dresdens Vorzeigepolitikprofessor Werner Patzelt, der im Rahmen einer eigenen soziologischen Feldforschung auf den Spuren von PEGIDA unterwegs war und seine Forderung nach einem Dialog erneuerte.

 

Ganz anders und doch so sächsisch typisch sieht das Verhalten der Stadt aus. Auf dem Neujahrsempfang des Energieversorgers DREWAG im Kraftwerk Mitte kündigte Dresdens noch bis Februar regierende Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) gemeinsam mit Ministerpräsident Tillich für das kommende Wochenende ein machtvolles und sichtbares Zeichen gegen Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit an.

 

Alle Dresdnerinnen und Dresdner werden dazu aufgerufen, sich am Samstag ab 15 Uhr vor der Dresdner Frauenkirche einzufinden, um damit nicht nur Weltoffenheit, sondern auch Gesprächsbereitschaft und Verständnis für die Sorgen und Ängste der Bevölkerung zu signalisieren. Das Ziel der Kundgebung unter der Losung “Wir sind eine Stadt, ein Land, ein Volk“ soll es sein, Bürgerdialoge in Gang zu setzen.

 

Ein Motto also, von dem sich auch die Anhängerschaft von PEGIDA angesprochen fühlen dürfte. Einer erster Schritt in diese Richtung sind von der sächsischen Landesregierung eingerichtete Diskussionsforen, an denen nach den Vorstellungen von Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) in Zukunft auch Ministerpräsident Tillich und Innenminister Markus Ulbig (CDU) beteiligen werden. Ganz soweit sollte die ausgelobte Distanzierung von PEGIDA dann wohl doch nicht gehen.

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