// Beim Onlinehändler Amazon in Brieselang sind 1000 Menschen zum Jahresende ihren Job los – ihre Verträge werden nicht verlängert. //
Amazon stellt sich gern als High-Tech-Weihnachtsmann dar: Wünsche werden per Knopfdruck erfüllt. Doch für manche Beschäftigte erinnert der Onlinehändler eher an einen Krampus – eine vorweihnachtliche Schreckgestalt aus der Alpenregion. Nach den anstrengenden Wochen des Weihnachtsgeschäfts wartete auf viele Angestellte eine böse Überraschung. "Eine Kündigung" sagt ein Arbeiter, als er am 29. Dezember zum Versandzentrum im brandenburgischen Brieselang fährt. Tatsächlich war Montag für ihn, wie für die meisten seiner KollegInnen, der letzte Arbeitstag.
Rechtlich gesehen wird niemand gekündigt. Von den rund 1.500 Beschäftigten im Versandzentrum vor den Toren Berlins hat nur ein Sechstel einen unbefristeten Vertrag. Zum Jahresende liefen alle anderen Verträge aus. Erst am 22. Dezember erfuhren Beschäftigte, die seit 2013 im Werk sind, ob sie weiter arbeiten dürfen. Später hinzugekommene MitarbeiterInnen blieben gar bis zum 29. Dezember im Ungewissen.
Gerade mal 35 der bisher Befristeten bekommen einen unbefristeten Vertrag. 165 werden für sechs Monate weiter befristet eingestellt. 127 KollegInnen dürfen noch einen Monat weiter arbeiten. Und über 1.000 haben ab Januar keinen Job mehr. Die Stimmung sei schlecht, "auch unter den Amazon-loyalen Mitarbeitern mit unbefristeten Verträgen", sagt ein Arbeiter, der bis Ende Juni verlängert wurde. "Sogar mein Manager hat sich negativ geäußert."
Gegenüber dem Betriebsrat gab es "Andeutungen wie: der Standort sei knapp an der Schließung vorbeigeschrammt", wie es in einem Flugblatt der ver.di-Betriebsgruppe heißt. Das könnte die Befristungen auf sechs Monate erklären. Ein Amazon-Sprecher wollte die Andeutungen nicht kommentieren. Ihm liege keine Bestätigung der Vorkommnisse vor, hieß es. Ver.di hat noch eine andere Erklärung: "Amazon will weiterhin durch einseitiges Diktat von Arbeits- und Entlohnungsbedingungen und eine ausufernde Befristungspraxis Druck auf die Beschäftigten ausüben" sagt ver.di-Vorstand Stefanie Nutzenberger.
Auch der Betriebsrat – der erst im Juni gewählt worden war – ist von den Befristungen betroffen. Ver.di hatte damals überraschend sechs von 13 Sitzen bekommen. "Das ist ein starker Angriff auf uns alle!" heißt es im Flugblatt der Betriebsgruppe. Drei Mitglieder haben befristete Verträge und sollen nur noch bis Ende Januar bleiben. Der Amazon-Sprecher sagte, "bei der (Nicht-)Verlängerung sowie ggf. bei der Entfristung von Arbeitsverträgen ist es jedoch grundsätzlich unerheblich, ob ein/e Mitarbeiter/in Mitglied des Betriebsrats ist oder nicht".
Die GewerkschafterInnen sehen einen klaren Zusammenhang zu den Streiks, mit denen ver.di seit Mai 2013 für einen Tarifvertrag kämpft. "An anderen Standorten in Deutschland streiken unsere Kolleginnen und Kollegen schon seit 1,5 Jahren für einen Tarifvertrag" heißt es im Flugblatt. Die Geschäftsleitung will verhindern, dass ein solcher Prozess auch in Brieselang beginnt." Vor Weihnachten hatten die Streiks einen neuen Höhepunkt erreicht, mit bis zu 2.700 Streikenden an sechs der acht Amazon-Standorte. Brieselang war jedoch aufgrund der hohen Zahl der Befristeten nicht zum Ausstand aufgerufen.
Auch an anderen Amazon-Standorten verlieren viele Menschen ihren Job: Laut Gewerkschaftsangaben müssen von 550 Beschäftigten in Rheinberg in Nordrhein-Westfalen rund 370 zum Jahresende gehen. Auch hier sollen nur 30 entfristet werden, während etwa 150 für sechs weitere Monate angestellt werden.
In Brieselang will die Gewerkschaft diese Praxis nicht hinnehmen. "Gegen Befristungen! Wir bleiben alle!", steht auf einem Transparent, das am 29. Dezember vor dem Eingang des Werkes hochgehalten wird. Ein Dutzend Aktivisten vom Amazon-Solikreis Berlin waren angereist, um Kollegen zur Betriebsversammlung am Dienstag einzuladen. Auch diejenigen, die keine Verlängerung bekamen, sind formell bis zum 31. Dezember Betriebsangehörige und können damit an der Versammlung teilnehmen. Dort sollte die Antwort auf die Befristungen diskutiert werden.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
eine kürzere Version des Artikels erschien im Neuen Deutschland am 31.12.