Im Januar erscheint eine neue Broschüre in der Reihe „Leipziger Zustände“, zusammengestellt vom Dokumentations-Projekt chronik.LE. Einen Text aus dem neuen Heft gibt es vorab bei leipzig.antifa.de: Der Artikel ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den so genannten Argumenten jenes rassistischen Protests, der sich ab Herbst 2013 – unter anderem mit Unterstützung der NPD – gegen einen geplanten Moscheebau im Leipziger Stadtteil Gohlis formiert hatte.
Die Geschehnisse beförderten eine erste Serie rassistischer Mobilisierungen, die noch von eher lokaler Bedeutung waren. Sie können jedoch inhaltlich und personell als Vorlauf dessen verstanden werden, was sich heute „Legida“ nennt und am 12. Januar mit einem rassistischen Aufmarsch durchs Leipziger Waldstraßenviertel ziehen will.
Der Diskurs gegen den Moscheebau
Die gängigen Argumente gegen den Moscheebau, wie die Bürgerinitiative „Gohlis sagt Nein“ und andere sie formulieren, sind mittlerweile oft gelesen und kein ausschließliches Phänomen der radikalen Rechten. Wie diese Argumente im Diskurs gegen den Moscheebau zu einer pauschalen Abwertung des Islam führen, wie damit ein antimuslimischer, kultureller Rassismus betrieben und das Bild eines „gefährlichen Fremden” geschaffen wird, welches das als liberal verstandene „Eigene” bedrohe, soll an dieser Stelle erläutert werden.
Das Argument des Stadtbilds
Auf der Seite von Leipzig steht auf heißt es: „Eine orientalische Moschee mit Kuppel und zwei 12 Meter hohen Minaretten würde das Stadtbild zerstören!“ Das Gohliser Stadtbild wird als von Gründerzeitarchitektur geprägt beschrieben, doch wird „Stadtbild“ hier nicht architektonisch, sondern kulturell verstanden. Es geht nicht um die Bewahrung des Stadtbildes als historisches, sondern als „westliches”. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn die Bürgerinitiative argumentiert, die neue katholische Probsteikirche am Wilhelm-Leuschner-Platz, die in einem auffälligen postmodernen Stil gebaut wird, störe nicht, „weil wir noch immer in einer abendländischen Kultur leben, in der Kirchen zum Stadtbild gehören“.
Im Gegensatz dazu wird die Moschee zum Symbol für „den Orient”, der als „fremder Kulturraum” imaginiert wird und als Abgrenzungsfolie für die „abendländische Kultur” dient. Mit dem Begriff „abendländische Kultur” sind dabei Assoziationen verbunden, wie christlich-jüdische Tradition, Aufklärung, Demokratie, Säkularismus, Liberalismus, Zivilisation und Fortschritt. Dies ist ein koloniales Deutungsmuster, das auf der Gegenseite dieser dualistischen Begriffe das Bild einer unaufgeklärten, diktatorischen, gewaltvollen, religiös determinierten, zurückgebliebenen/statischen und unzivilisierten „islamischen Welt” zeichnet.
Das Argument „Wir sind das Volk!“
Außerdem behauptet die Bürgerinitiative, die „Stadtoberen“ würden sich dem „Bürgerwillen” widersetzen, wenn sie den Moscheebau nicht verhindern. Damit wird der Moscheebau nicht als privates Bauvorhaben, sondern als eine Art kommunales Projekt dargestellt, welches lokalpolitisch verhandelt werden müsste. „Gohlis sagt Nein“ versteht sich dabei als Repräsentantin der Bürger_innen bzw. Anwohner_innen. Der Begriff „Bürgerwille” suggeriert darüber hinaus, es gebe einen einheitlichen Willen aller Bürger_innen – der gegen den Moscheebau sei. Dadurch werden die bauwilligen Muslim_innen der Ahmadiyya-Gemeinde sowie alle anderen Unterstützer_innen des Baus aus „den Bürgern” herausdefiniert.
Im Kontext des Vorwurfs an die politischen Entscheidungsträger_innen, den „Bürgerwillen” zu missachten, werden häufig auch Parallelen zur DDR-Diktatur gezogen. So kritisiert beispielsweise ein aufgebrachter Gohliser Bürger bei der Veranstaltung in der Michaeliskirche: „Mir kommt es so vor, als wär die Veranstaltung heute so wie ma‘s früher gemacht hat bei de Kommunisten.“ Die Konsequenz, die daraus von den Moscheebaugegner_innen gezogen wird, ist der Aufruf, wie 89 wieder auf die Straße zu gehen.
Immer wieder fällt der Slogan „Wir sind das Volk“. Damit wird eine historische Kontinuität konstruiert zwischen dem Widerstand gegen die DDR-Diktatur und dem gegen die „Islamisierung” – in deren Folge die populäre Parole folgendermaßen gedeutet wird: „[...] wir sind das Volk und wir bleiben das Volk, wir sind deutsch, deutsch un nochmal deutsch.“ Muslim_innen werden aus dem kollektiven Wir ausgegrenzt, wenn „deutsch” so als Gegensatz zu „islamisch” verstanden wird, oder wenn im Diskurs Anwohner_innen/Bürger_innen und Muslim_innen als Gegensatzpaar dargestellt werden, bei der die Zugehörigkeit zur einen Gruppe die Zugehörigkeit zur anderen auszuschließen scheint.
Das Argument der Überrepräsentation des Islam
Ein weiteres Argument lautet, es gebe bereits genug Moscheen in Leipzig. Unterschiede zwischen verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen werden dabei nicht beachtet. Außerdem ist die Bürgerinitiative der Meinung, „[f]ür die Religionsausübung der Leipziger Muslime reichen Privaträume und Gebetsteppiche – öffentliche Herrschaftssymbole wie Moscheen stören unser vertrautes Stadtbild und sind eine unnötige Provokation für alle Nicht-Muslime“.
Solange Muslim_innen also unsichtbar bleiben, wird ihnen zugestanden, ihre Religion (versteckt) zu praktizieren. Dieses minimale „Zugeständnis” ist auch nötig, damit sich die Initiative noch zur Religionsfreiheit bekennen und auf „demokratische Werte” berufen kann. Muslimische Menschen werden „im Westen” folglich nur geduldet, wenn sie sich entweder assimilieren (ihre Religion ablegen) oder unsichtbar sind.
Das Argument der „Islamisierung“
Die Auffassung der Moschee als Herrschaftssymbol und Provokation ist im Diskurs von „Gohlis sagt Nein“ sehr präsent. Die Bürgerinitiative ist der Meinung, dass „Moscheen außerhalb von islamischen Ländern, immer eine Demonstration der Macht des Islams“ seien, und außerdem der Missionierung dienten. Dahinter steht ein ethnopluralistisches Weltbild, in dem es auf der einen Seite „islamische Länder” gibt und auf der anderen Seite „nicht-islamische Länder”, in denen der Islam nicht zur dominanten „Kultur” gehört und dessen Einfluss zurückgewiesen werden muss. Der Islam wird hier als eine religiös-kulturell-politische Einheit verstanden und pauschal als eine politische Bewegung dargestellt, die die Expansion in nicht-islamische Länder und insbesondere die „Eroberung” Europas zum Ziel hat.
„Abendländische Kultur” und „islamische Kultur” gehören demnach nicht nur getrennt, sie befinden sich auch in einem Kampf um Einfluss und Unterwerfung – wobei „der Islam” eindeutig als der Aggressor dargestellt wird, der „den Westen” zwingt, sich zu verteidigen. Dabei wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, wonach Muslim_innen in Europa die Macht an sich reißen, muslimische Feiertage gesetzlich etablieren und eine „Scharia-Gesellschaft“ errichten wollten. In dieser Argumentation wird die Moschee immer nur in ihrer vermeintlichen Funktion gegenüber Nicht-Muslim_innen bzw. gegenüber „dem Westen” (Missionierung, Eroberung, Machtdemonstration) und nicht in ihrer Funktion als Gebetshaus der Ahmadis gesehen.
Das Argument des gewaltsamen Islams
„Der Islam” wird generell als militant, aggressiv und expansiv dargestellt. Auch andere Akteure gegen den Moscheebau verbreiten ein solches Islambild, so wird beispielsweise auf Politically Incorrect von einer „aggressiven und menschenverachtenden Religion und Ideologie“ gesprochen, die außerdem ein „diktatorisches und terroristisches Gesellschafts- und Staatsmodell“ beinhalte. „Unsere Demokratie” ist also nicht nur durch die Nichteinbeziehung „der Bürger” in die Entscheidung über den Moscheebau in Gohlis gefährdet, sondern durch „den Islam” selbst und die befürchtete „Islamisierung” Europas.
„Gohlis sagt Nein“ zufolge bedrohe „der Islam” Vielfalt, Geschlechtergleichheit und Gedankenfreiheit, die als grundlegende „abendländische Werte” verstanden werden, sowie „das Konzept der Freiheit selbst“. Widersprüche in dieser Konzeption des „Eigenen” zwischen dem „liberalen” Selbstbild und der Realität von beispielsweise Antisemitismus, Homophobie oder Sexismus können dadurch geglättet werden, indem solche diskriminierenden Einstellungen und Dominanzverhältnisse im „Eigenen” einfach ausgeblendet und bei „den Anderen” verortet werden.
Antimuslimischer Rassismus
Die beschriebenen Argumentationsmuster gegen den Moscheebau in Gohlis können eingeordnet werden als Teil eines neorassistischen Diskurses über kulturelle Differenz, in dem eine „westliche Kultur” von einer „islamischen Kultur” unterschieden wird und diese einander als unvereinbar und fremd gegenüber gestellt werden. „Kultur” wird hier als unveränderlich, essenzialistisch und homogen konzipiert, die Menschheit wird auf verschiedene „Kulturen” oder „Kulturkreise” aufgeteilt und diese Unterscheidung als quasi-natürliche Ordnung dargestellt.
Wechselseitige Beeinflussung von Judentum, Christentum und Islam, ihre kulturelle, geographische und philosophische Nähe und historische Verflochtenheit werden geleugnet und stattdessen wird die kulturelle Differenz betont. Angelika Magiros beschreibt diesen neuen, „kulturalistischen“ oder „differenzialistischen” Rassismus als „eine aktualisierte, postmoderne Ideologie der Fremdenfeindlichkeit in Europa [...], deren charakteristisches Merkmal in einer Ersetzung des klassischen, hierarchischen Rasse-Begriffs durch den der Kultur oder der Ethnie entsteht. Alle Kulturen seien gleich wertvoll, so die neue Diktion, allerdings dürften sich diese Kulturen nicht beliebig vermischen, vielmehr sei auf ihre Segregation und Rein-Haltung zu achten“.
„Der Islam” wird dabei zur Abgrenzungsfolie, vor der eine „westliche” Identität überhaupt greifbar wird. Er erscheint als etwas essenziell anderes, das außerdem im Vergleich zur „abendländischen Kultur” abgewertet wird, indem die „islamische Kultur” nicht nur als fremd, sondern auch als undemokratisch, gewaltvoll und gefährlich dargestellt wird. Die eigenen Aggressionen gegenüber „dem Islam” bzw. Muslim_innen und der „islamischen Kultur” zugeordneten Menschen können so als Verteidigung gedeutet und legitimiert werden.
Eine Chronik des Konflikts
- Nachdem Ende September 2013 eine Bauvoranfrage an die Stadtverwaltung übergeben wurde, veröffentlichte die Ahmadiyya-Gemeinde am 10. Oktober 2013 ihre Pläne, wonach die Brachfläche an der Ecke Georg-Schumann-Straße/Bleichertstraße in Leipzig-Gohlis für ein Gebetshaus mit Kuppel und Ziertürmchen für etwa 100 Gläubige genutzt werden soll.
- Es erfolgte umgehend ein großes Medienecho, und es dauerte keine Woche, bis am 17. Oktober ein Treff en von Moscheebaugegner_innen die Bürgerinitiative „Gohlis sagt Nein“ hervorbrachte, um noch am selben Tag über die neue Facebook-Seite einen „Protest aus der Mitte des Volkes heraus“ anzukündigen.
- Wenige Tage später machte die „Bürgerinitiative“ mit einer Onlinepetition auf sich aufmerksam, welche u.a. vom islamfeindlichen Internet-Blog Politically Incorrect beworben wurde. Gleichzeitig hat sich auch der CDU-Ortsverband Leipzig Nord eingeschaltet und sieht den „Bau einer Moschee im orientalischen Stil […] im Spannungsfeld zur baulichen und kulturellen Umgebung“.
- Am 2. November mischte sich die NPD in das Geschehen und veranstaltete vor dem Baugrundstück unter dem Motto „Schöner leben ohne Moscheen“ eine Kundgebung, welche vielfachen Gegenprotest auf den Plan rief.
- Um den Konflikt zu versachlichen, über das Bauvorhaben aufzuklären und zu diskutieren, lud die Stadt Leipzig am 7. November zu einem Bürgerforum in die Michaeliskirche ein, auf deren Podium u.a. der Oberbürgermeister Burkhard Jung und der Bundesvorsitzende der Ahmadiyya Muslim Jamaat und gleichzeitiger Moschee-Bauherr Abdullah Uwe Wagishauser saßen. Doch die mit mehr als 550 Personen recht gut besuchte Veranstaltung entlud sich mehrmals in wütenden, lautstarken Wortmeldungen.
- Noch weiter verschärfte sich der Konflikt, als Unbekannte etwa eine Woche später in einer nächtlichen Aktion auf dem Baugrundstück eine Mülltonne entzündeten und fünf Schweineköpfe auf Pfähle spießten.
- Auf die Seite der Ahmadiyya-Gemeinde stellte sich hingegen die Initiative Dialoge für Gohlis, welche am 7. Februar 2014 die Unterschriften der Petition „Leipzig sagt Ja!“ an den Oberbürgermeister übergab, in welcher die Religionsfreiheit und damit das Recht auf eine Moschee verteidigt wurde.
- Spätestens nachdem sich die Bürgerinitiative „Gohlis sagt Nein“ im Februar 2014 an einer Demonstration des Bündnisses „Leipzig steht auf“ unter dem Motto „Leipzig steht auf – gegen Minderheiten-Politik im Rathaus“ beteiligte, welche sich gegen den Bau eines offenen Vollzugs für Sexualstraftäter in Leipzig-Reudnitz, eine Asylbewerber_innen-Unterkunft in Leipzig-Schönefeld und eben auch den Moscheebau in Leipzig-Gohlis richtete, auf welcher auch der NPD-Funktionär Maik Scheffler einen Redebeitrag hielt, war erkenntlich, dass das bürgerliche Image der Initiative nur Fassade ist.
- Mit der Unterschriftenübergabe ihrer Petition am 16. April im Leipziger Rathaus gab es dann keine Zweifel mehr: Alexander Kurth, Stadtratskandidat für die NPD im damaligen Wahlkampf, fungierte als Überbringer, begleitet von mehreren NPD-Anhängern, welche ein Banner mit der Aufschrift „Mein Leipzig lob ich mir, ohne Minarett!“ samt NPD-Logo entrollten.
- Die Bauvoranfrage der Ahmadiyya-Gemeinde wurde inzwischen von der Stadt genehmigt, wie Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau am 4. September 2014 bekannt gab. Die Ahmadiyya-Gemeinde plant nun einen Architekturwettbewerb, in dessen Folge im Frühjahr 2015 der konkrete Bauantrag eingereicht werden soll. Die Baugenehmigung kann es dann frühestens im Sommer 2015 geben.
Frühere Broschüren
Zurückliegende Ausgaben der „Leipziger Zustände“ erschienen Mai 2009, November 2010 und Dezember 2012. Zudem erschien im September 2012 eine Sonderausgabe für den Landkreis Nordsachsen.
Übrigens…
Die Agitation gegen den Moscheebau in Leipzig hat sich eine Partei zueigen gemacht: Die Alternative für Deutschland (AfD).
Sie forderte in ihrem Wahlprogramm zur sächsischen Landtagswahl einen
„Volksentscheid“ gegen „Großmoscheen“ – oder was immer sie unter beidem
versteht. Nicht verwunderlich ist, dass mehrere AfD-Politiker „Legida“
unterstützen.
Legida der Versuch
stinkende braune Scheiße zu verpacken; doch läßt sich der Geruch auch mit Gegenwind nicht verstecken !