Donnerstagabend, 4.12.2014: Ein Polizist erschießt in Husum einen Migranten. Keine 12 Stunden später kann der Flensburger Oberstaatsanwalt Otto Gosch der Presse mitteilen: "Im Moment gehen wir zwingend von einer Notwehrsituation aus“. Hier zeigt sich ein häufig vorkommendes Bild. Noch bevor eine seriöse Untersuchung Ergebnisse zu einer polizeilichen Gewaltanwendung geliefert haben könnte, stellt eine Staatsanwaltschaft bereits öffentlich klar, dass das Handeln der Polizei „zwingend“ Notwehr und damit absolut rechtskonform gewesen sein muss. Eine Kontrolle der Exekutive sähe anders aus.
Selbst wenn wie im aktuellen Husumer Fall die Sache eindeutig erscheint, sollte die Geschwindigkeit der oberstaatsanwaltschaftlichen Festlegung überraschen. Es gibt genug Grund, genauer hinzuschauen. Landauf landab sind in den letzten Jahren Fälle massiver Polizeigewalt bekannt geworden, bei denen für die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft von Anfang an feststand, dass das polizeiliche Handeln rechtskonform gewesen sein muss.
Polizeiliche Schüsse sind immer Notwehr
In Regensburg etwa erschossen 2009 Beamte den Kunststudenten Tennesse Eisenberg. Angeblich hatte der an Depression leidende junge Mann die Beamten in einem Hausflur mit einem Messer angegriffen. Obwohl der von 16 Kugeln zersiebte junge Mann laut Obduktionsergebnis auch von hinten getroffen wurde, war für die Staatsanwaltschaft sofort klar, dass es sich um eine „Notwehr- oder Nothilfesituation“ gehandelt haben müsse.
In Berlin nahe des Alexandersplatzes erschoss die Polizei 2013 einen geistig verwirrten nackten Mann im Neptun-Brunnen. Video-Material des skurrilen Vorfalls auf Youtube zeigt völlig überforderte Polizisten. Trotzdem war für die Berliner Staatsanwaltschaft klar, dass es sich um Notwehr gehandelt haben müsse.
Detaillierte Berichte von Polizeigewalt
Noch schlimmer ist die Lage bei nichttödlicher Polizeigewalt. Durch die geringere mediale Aufmerksamkeit ist hier die Verschleierung noch einfacher. Das Problem grassiert anderslautenden Kommentaren der Polizeigewerkschaften zum Trotz derart, dass sogar schon die ZEIT sich 2013 mittels eines Themenschwerpunktes der Problematik annahm.
http://www.zeit.de/2013/07/Polizeigewalt-Beispiele
Auch die Menschenrechts-Organisation Amnesty International beklagt Jahr zu Jahr Fälle von Polizeigewalt in Deutschland. 2010 machte die NGO sogar mit einer detaillierten Studie auf die strukturellen Mängel bei der Aufklärung aufmerksam. http://www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/Polizeiberich...
Persilschein-Staatsanwaltschaft Flensburg
Die Staatsanwaltschaft Flensburg schützt regelmäßig die Polizei vor Konsequenzen. Der dortige Staatsanwalt Joachim Berns muss sich z.B. regelmäßig als „Folter-Berns“ verunglimpfen lassen. Hintergrund ist ein 2004 durch Recherchen des Spiegels bekannt gewordenes Verfahren gegen zwei Sylter Polizisten. Diese hatten Verdächtige im Verhör misshandelt, getreten und rassistisch beschimpft, um eine Aussage zu möglichen Komplizen zu erzwingen. Eine geringe Schuld, fand Berns, und stellte das Verfahren ein.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-22955259.html
Kriminalisierung der Betroffenen
2009 schlagen wiederum auf Sylt Beamte einen Schwarzen bewusstlos. „Schauspielerei“ befinden die sie. Um ihre Tat zu verschleiern behaupten die Beamten, der Betroffene hätte sich gegen ihre Massnahmen gewehrt. Das Verfahren gegen die Beamten stellt die Staatsanwaltschaft Flensburg ein. Stattdessen landet der Betroffene wegen Widerstand vor Gericht. Aufgrund des hohen öffentlichen Drucks endet der Prozess 2010 am Amtsgericht Niebüll mit einen Freispruch.
http://www.gegenwind.info/261/einfache-gewalt.html
Einstellung mit Tricks
2011 ließ sich die Schleswiger Polizei anlässlich eines Gerichtsprozess gegen eine Antimilitaristin dazu hinreißen, mit dem Schlagstock auf Prozessbesuchende loszugehen. Obwohl die Aktenvermerke der Beamten keinerlei Zweifel am rechtswidrigen Gewalteinsatz der Beamten lassen, stellte der Flensburger Staatsanwalt Lars Truknus das Verfahren gegen die Beamten mit dubiosen Begründungen ein.
https://linksunten.indymedia.org/de/node/80481
Wer kontrolliert die Kontrolleure?
Die schöne Regelmäßigkeit der Beispiele zeigt, dass es illusorisch ist, anzunehmen, dass die Judikative die Exekutive irgendwie wirksam kontrollieren könnte. Auch klassische linke Vorschläge wie die Kennzeichnungspflicht und unabhängige Ermittlungsdezernate können keine Abhilfe bei Polizeigewalt schaffen. In den hier aufgezeigten Regionen Fällen sind die Namen der kritisierten staatlich bezahlten Gewalttäter alle bekannt. Und auch die Darstellungen in den Ermittlungsakten lassen keinerlei Zweifel an den Tatbeständen aufkommen. Sie zeigen, dass Staatsanwaltschaften im demokratischen Rechtsstaat regelmäßig die Rolle zufällt, polizeiliches Handeln diskursiv zu legitimieren. Auch die Demokratie kommt wie jedes andere Herrschaftssystem nicht ohne staatlich bezahlte Gewalttäter aus, die im Zweifelsfalle die zum Mehrheitswillen erklärten Interessen der jeweiligen Eliten gegen Widerstände durchsetzen.
Die Stärke des demokratischen Regimes
Hier zeigt sich die besondere Stärke des demokratischen Regimes. Es stützt sich genauso auf Gewalt wie andere Herrschaft auch, aber die der demokratischen Herrschaft unterworfenen reden sich alle gegenseitig ein, dass das nicht so sei. So erklärt sich, warum Staatsanwaltschaften weniger aufklären, als vielmehr vernebeln. Wahrscheinlich muss keiner der am Nikolaustag an den tödlichen Schüssen beteiligten Beamten eine ernsthafte Untersuchung fürchten. Herr Gosch und sein Team werden sich darum schon kümmern.
Medien zum Vorfall in Husum
http://www.shz.de/lokales/husumer-nachrichten/husum-polizist-erschiesst-messerstecher-id8375486.html
http://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Husum-Schuesse-auf-Angreifer-wohl-aus-Notwehr,polizei2834.html
http://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/deutschland-welt-vermischtes_artikel,-Polizist-erschiesst-Mann-in-Husum-_arid,1006488.html
Demokratie heißt auch nur ein Gefühl von Gerechtigkeit
Einflußnahme, Sicherheit, Teilhabe, Selbstbestimmung......
Solche Fälle sind doch nur vereinzelte kollateralschäden & basieren auf selektiver Wahrnehmung der Öffentlichkeit, werden quasi hochstilisiert.
Jedes System muß Opfer bringen & das sind ja nur die die ins Auge stechen - Behördentote gibts nicht nur bei der Pozeiarbeit.
Bürokratieopfer zählt keiner.....
So subtil wie hier Menschen aus dem Leben gedrängt werden im Namen des Volkes........
Jeder Staat auf seine Art. Es hat auch einen Grund wenn Diktatoren auf merkelsche Menschenrechtsforderungen mit einem Lächeln reagieren..............
berliner kontext: übertragbar?
https://www.youtube.com/watch?v=uyUviYv_PJk
Doku über einige Menschen die von der Berliner Polizei erschossen wurden.