[Thiazi-Prozess] 1. Verhandlungstag

Thiazi-Pressegruppe

Am 14. Juni 2012 wurde das zu dem Zeitpunkt bedeutendste deutschsprachige Neonazi-Forum auf Betreiben der Staatsanwaltschaft Rostock vom Netz genommen: thiazi.net. In insgesamt elf Bundesländern fanden damals Razzien statt, 24 Objekte wurden vom BKA durchsucht, gegen 26 Beschuldigte im Alter zwischen 22 und 64 Jahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

 

Am Freitag, 28. November 2014, fand nun der erste von zunächst 32 angesetzten Prozesstagen am Landgericht Rostock statt. Auf der Anklagebank die vermutlichen Köpfe von «Thiazi», der 33-jährige Klaus Werner Ruthenberg aus Barth (Mecklenburg-Vorpommern) und die 32-jährige Daniela Wagner aus Untereisesheim (Baden-Württemberg), außerdem die ebenfalls zur „Belegschaft“ gehörenden Dominik Schuster, 33 Jahre, aus Karlsruhe, und der 28-jährige Denny Stetefeld aus Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt). Die Anklage lautet auf "mitgliedschaftliche Beteiligung in einer kriminellen Vereinigung" (§129 Abs. 1 Var.2 StGB) und "Volksverhetzung" in mehreren hundert Fällen. Allein das Verlesen der Anklageschrift wird aller Voraussicht nach mindestens die ersten vier bis fünf Prozesstage in Anspruch nehmen, die Ermittlungakten umfassen mehr als 67.000 Seiten.

 

 Die Struktur von «Thiazi»


Mit Stand Januar 2012 verfügte «Thiazi» über mehr als 30.000 registrierte NutzerInnen, 600 Themen mit über 1.5 Millionen Beiträgen und mehr als 2.000 Liedtexte und Tonträger. Ziel des Forums sei es gewesen, „auf unbestimmte Zeit, ohne Kontrolle durch (Sicherheits-)Behörden, Liedtexte und anderweitige Inhalte, die volksverhetzend sind, zu gewalttätigen Übergriffen aufstacheln, andere Gruppen als minderwertige Hassobjekte darstellen, den Nationalsozialismus zu leugnen, relativieren oder verherrlichen“, zugänglich zu machen. Den vier Angeklagten wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, die Inhalte, sofern sie sie nicht selbst veröffentlichten, zumindest geduldet oder doch wenigstens nicht gelöscht zu haben, wozu sie als BetreuerInnen die notwendigen Rechte hatten, obwohl sie um den (strafrechtlich relevanten) Inhalt wussten. Vielmehr sei es ihnen sogar darum gegangen, volksverhetzende Inhalte einer breiten Masse zur Verfügung zu stellen und gerade Jugendlichen den Einstieg in die Naziszene zu erleichtern, zumal wesentliche Teile des Forums auch ohne Registrierung zugänglich waren. Dies sei wesentlicher Gegenstand des Tatplans gewesen. Klaus Werner Ruthenberg und Daniela Wagner hätten dabei als RädelsführerInnen agiert.

«Thiazi» bestand im Wesentlichen aus 3 Bereichen: dem öffentlich zugänglichen Forum, in dem vor allem im Unterbereich Geschichte volksverhetzende Inhalte zu finden waren, zweitens dem nicht öffentlich zugänglichen „Nationalsozialisten Privatforum“ (NSPF), in dem lediglich registrierte NutzerInnen Leserecht hatten und Schreibrecht nur nach Freischaltung der „Belegschaft“ von «Thiazi» gewährt wurde, wozu u.a. die Anerkennung des NSDAP-Parteiprogramms verpflichtend war und die dann erkennbar an einem Hakenkreuz unter ihrem Nickname waren, und drittens dem Archiv, in dem u.a. mindestens 1380 Tonträger zum Download oder mit einem Download-Link bereitstanden.

 

 Organisationsstruktur

 

Die Organisationsstruktur war hierachisch und konspirativ aufgebaut; die MitarbeiterInnen von thiazi.net organisierten sich in der sogenannten „Belegschaft“, in der einzelne Mitglieder bestimmte Aufgaben und Funktionen innehatten. Als oberstes Gremium agierte die Führungsspitze, die sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Rostock selbst als „Regierung“ bezeichnete. Ihr gehörten im Wesentlichen zwei Personen an: Klaus Werner Ruthenberg (alias «WPMP3») und Daniela Wagner (alias «Fjörgyn»). Klaus Werner Ruthenberg besaß dabei als „Verwalter“ des Forums die größte Machtfülle. Alle MitarbeiterInnen verpflichteten sich laut Anklage freiwillig, den sogenannten „Chefentscheidungen“ von Klaus Werner Ruthenberg Folge zu leisten und diese als höchste Instanz anzuerkennen. Daniela Wagner besaß als technische Adminstratorin eine im Gegensatz zu Klaus Werner Ruthenberg zwar leicht eingeschränkte, aber dennoch umfangreiche Machtposition. Sie gewährleistete den Serverbetrieb und übernahm die technische Ausgestaltung der Internetpräsenz.
Die übrigen MitarbeiterInnen gliederten sich im Wesentlichen in ArchivarInnen, NSPF-BetreuerInnen, HändlerInnen (Musik- bzw. dortiger Downloadbereich) und allgemeine (Bereichs-)BetreuerInnen. Zu diesen gehörten auch die beiden anderen Angeklagten, Dominik Schuster und Denny Stetefeld sollen dabei vor allem für den Upload der indizierten Nazimusik verantwortlich gewesen sein. Dominik Schuster nannte sich auf thiazi.net zunächst „Dom“, änderte sein Pseudonym nach den ersten Outings von ModeratorInnen aber in «Heinfred» bzw. «Betreuer 4». Denny Stetefeld war vor allem als Archivar im Musikbereich tätig, auf «Thiazi» nannte er sich erst «Puper», später «Systemkritiker» und war als «Betreuer 11» geführt.

 

 Finanzierung


Finanziert wurde das Forum durch Spenden, Fördermitgliedschaften und Werbeschaltungen. Die durch «Thiazi» erzielten Werbeeinnahmen durch Bannerwerbung wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft Rostock vollständig auf das Paypal-Konto von Klaus Werner Ruthenberg überwiesen. Für die Spenden der NutzerInnen wurde aus Repressionsgründen ein Konto außerhalb Deutschlands benötigt. Im Juni 2009 fand sich schließlich ein solches Konto in Großbritannien: Reinhard Damberger (alias «Weddigen») aus Chichester in West Sussex im Süden Englands stellte es zur Verfügung. In der Anklageschrift gegen thiazi.net wurde der „gesondert verfolgte Reinhard Damberger“ namentlich erwähnt. Dieser habe als „Organisator“ die finanziellen Belange des Internetforums sowie die Verwaltung von „Spendengeldern“ abgedeckt.

 


 

 Der 1. Verhandlungstag

 

Freitag, 28.11.2014, 10.15 Uhr, der Prozess sollte eigentlich bereits seit 45 Minuten laufen, erscheint auch endlich die vierte Angeklagte im Landgericht Rostock: Vollvermummt, mit einem Tuch über Mund und Nase und einer Jacke über den Kopf gezogen, nimmt Daniela Wagner neben ihrem Rechtsanwalt Melsheimer auf der Anklagebank Platz. Sie reist mit dem Zug an und will die Nacht vor dem Prozess nicht in Rostock verbringen, ihretwegen werden auch alle kommenden Prozesstermine von 09.30 auf 10.15 Uhr verschoben. Die Hausdurchsuchung im Juni 2012 war für ihre NachbarInnen ein Schock: Die Hausfrau und Mutter wurde zwar als „unfreundlich“ beschrieben, sei jedoch – ebenso wie Klaus Werner Ruthenberg – nie als Neonazistin aufgefallen. Als einzige der Angeklagten vermeidet sie konsequent den Blick zum Publikum und versucht sich bestmöglich gegen Fotoaufnahmen zu wehren. Ihr Anwalt versucht später erfolglos, einen richterlichen Beschluss zu erwirken, Fotoaufnahmen außerhalb des Zuschauerbereichs zu untersagen.
Die anderen Angeklagten wirken im Gegensatz dazu wesentlich entspannter, vor Prozessbeginn unterhalten sie sich mit ihren Anwälten auf dem Flur und treffen auch keine besonderen Maßnahmen, um sich gegen Fotoaufnahmen zu schützen. Klaus Werner Ruthenberg, der bis zur Hausdurchsuchung in einer Kindertagesstätte in Barth als Erzieher arbeitete, wird von den Rechtsanwälten Junge und Held vertreten. Dominik Schuster, in Begleitung von Rechtsanwalt Schroth, scheint gesundheitlich angeschlagen zu sein. Von ihm ist bekannt, dass er Kontakte zu anderen Nazis aus Karlsruhe und Umgebung pflegt und in einer Naziband mit anderen Aktiven von «Thiazi» spielte. Denny Stetefeld wirkt nervöser als die übrigen Angeklagten, er wird von Rechtsanwalt Zuberbier vertreten.

853 Seiten umfasst die Anklageschrift, etwa 340 müssen vorgelesen werden, mindestens vier bis fünf Tage wird dies in Anspruch nehmen. Bevor es an diesem ersten Prozesstag jedoch dazu kommen kann, stellt Rechtsanwalt Zuberbier bereits den ersten Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung. Die Nicht-Gewährung ausreichender Mittel für Kopierkosten und anderer Gebühren würde eine ordnungsgemäße Verteidigung verunmöglichen, eine Vertretung ohne Stattgeben einer Pauschgebühr sei einem Pflichtverteidiger nicht zuzumuten und würde dem Grundsatz eines fairen Verfahrens zuwiderlaufen. Darüber hinaus ließe die „Verbissenheit“ der Staatsanwaltschaft in den Ermittlungen darauf schließen, dass nicht nur rein juristische, sondern auch allgemeinpolitische Ziele verfolgt würden. Die übrigen Verteidiger schließen sich dem Antrag vollinhaltlich an. Die Staatsanwaltschaft weist die Vorwürfe zurück und vermutet in dem Antrag eine Verzögerungstaktik. Nach einer kurzen Unterbrechung verkündet Richter Goebels die Entscheidung: Eine Aussetzung sei nur in schweren Ausnahmefällen möglich und dies sei hier nicht der Fall. Die Aussage, die Verteidigung würde leiden, sofern die Kosten nicht bewilligt würden, entspräche einer Ankündigung eines Verstoßes gegen die Verteidigungs- bzw. Berufspflicht; die ordnungsgemäße Verteidigung sei nicht faktisch unmöglich, sondern beruhe allein auf wirtschftlichen Gründen. Eine Aussetzung käme zudem einem Abbruch der Hauptverhandlung gleich, was dem Interesse eines zugügigen Verfahrens entgegenstünde.

Dass Richter Goebels offensichtlich kein Interesse an Geplänkel hat, wird auch deutlich, als Rechtsanwalt Melsheimer erwirken möchte, dass außerhalb des Zuschauerbereichs keine Aufnahmen seiner Mandantin gefertigt werden dürfen, die Bilder zumindest aber zu verpixeln seien. In den kommenden Pausen könne Daniela Wagner nicht einmal auf Toilette gehen, ohne Gefahr zu laufen, abgelichtet zu werden. Der Richter entgegnet, dass er außerhalb des Gerichtssaals keine Verfügungsgewalt hätte, zudem hätte sich Daniela Wagner durch ihre Taten selbst in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gebracht.

Das Verlesen der ersten Seiten der Anklageschrift nimmt den restlichen Prozesstag in Anspruch. Im Fokus dieses ersten Teils steht der Umstand, dass die Angeklagten – gemäß ihres zuvor gefassten Tatplans – Schriften und digitale Datenspeicher öffentlich zugänglich gemacht haben sollen, die den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen – und zwar in sämtlichen Variationen: von der Beschimpfung und Verächtlichmachung verschiedener Gruppen, über die Aufstachelung zum Hass gegen diese, die Aufforderung zu Gewalttaten, und die Billigung, Verharmlosung oder Leugnung des Nationalsozialismus und des Holocausts. Zur Beweisführung ziehen die beiden Staatsanwältinnen im Forum hochgeladene Liedtexte von Bands wie «Arisches Blut», «Division Germania» oder «Hitler's Harfen» heran; sie zitieren aus Songs wie «Judenfreie Heimat» und «Jag den Kanak». An einigen Punkten scheint es Denny Stetefeld zu viel zu werden, bei besonders bestialischen Textstellen schüttelt er ungläubig den Kopf. Die übrigen Angeklagten zeigen keinerlei Reaktion.

Nach mehr als 80 ganz oder teilweise vorgelesenen Liedtexten beendet Richter Goebels den ersten Verhandlungstag um 15.10 Uhr. Der nächste Prozesstermin ist für Donnerstag, den 18.12.2014 angesetzt. Dort wird die Staatsanwaltschaft das Verlesen der Anklageschrift fortsetzen.

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Für den Bericht! 

gibt es denn überhaupt eine rechtliche grundlage dafür quasie vermummt bei gericht zu erscheinen?

...und wenn ja, warum ist das nicht gängige praxis bei allen linken verfahren um sich beispielsweise vor geifernden bildhetzern oder nazis zu schützen?

Danke für die Berichterstattung.