In diesem Beitrag werden Einblicke in das Innere der Volksrepubliken« dargeboten und so lohnt sich ein gründliches Vorwort, in dem es primär um die Frage einer politisch wirksamen Aktualisierung des Begriffes »historische Verantwortung« gehen wird.
Das Thema »Ukraine« ist für die deutsche Linke nicht nur allgemein verwirrend, sondern womögich inzwischen einfach unangenehm. Im schlimmsten Fall wird dieses Thema irgendwann zu einem »schlechten Objekt«, das niemand mehr berühren wird.
Mit der letzteren Vermutung kann ich mich zwar täuschen, aber vielleicht setzt sich langsam unter den deutschen Linken tatsächlich ein Verständnis dafür durch, was man im Fall der Ukraine gemacht hat. Jedenfalls wäre es sehr wichtig, dass man aus der ganzen Geschichte Konsequenzen zieht, und die unangenehmen Sachen nicht einfach verschiebt und »vergisst«. Es kann nur durch eine sehr persönliche »ukrainische« Perspektive des Autors bedingt werden, doch ich kann es wirklich schwer vorstellen, wie »nach der Ukraine« sich alles beim alten lassen lässt.
Zunächst muss ich erklären, warum ich mir im Fall der Ukraine immer wieder die Rede von einem kollektiven Subjekt namens »deutsche Linke« erlaube. Einige besonders harsche Positionen zur Ukraine aus dem »antiimperialistischen« Spektrum werden von der Mehrheit »deutscher Linken« vermutlich nicht akzeptiert. Es lässt sich auch nicht sagen, dass Antiimperialist*innen selbst mit der Reichweite ihrer Stellungnahmen wirklich zufrieden sind. Wenn man aber auf die Gesamtheit der »linken« Aktivitäten im Zusammenhang mit der Ukraine einen Rückblick wirft, kommt man trotzdem zu einem sehr unschönen Bild.
Bereits hunderte Autor*innen aus dem linken Spektrum veröffentlichten Beiträge, in welchen Maidan-Proteste als »faschistischer Putsch« diffammiert und die russische Invasion in die Ukraine implizit oder auch ganz offen gerechtfertigt wurde. Wie sich der Konsens verortete, merkt man schon daran, dass selbst in der Jungle World nachzulesen ist, dass »die Krim so russisch, wie Niedersachsen deutsch [ist]«.(1) Die Autor*innen, die solche Positionen offen und konsequent von innen kritisieren, gehören zu einer Minderheit. (Bemerkenswerterweise handelt es sich dabei überdurchschnittlich oft um Menschen, die selber aus Osteuropa stammen oder durch Studium, Erlernen der Sprache, längere Aufenthalte oder sonstige »persönliche« Umstände an die Ukraine gebunden sind.)
Es gab dutzende linke Demos gegen einen eingebildeten NATO-Eingriff in die Ukraine, doch man hörte von keiner einzigen linken Demonstration gegen die wirkliche russische Invasion. Die Abgeordneten der Linkspartei« setzten sich mit Leib und Seele dafür ein, um die Krim-Annexion zu legitimieren.(2) Auf den prorussisch-antisemitischen »Mahnwachen für den Frieden« stellten die Wähler*innen derselben Partei auch die größte Fraktion unter den Teilnehmer*innen.(3) Im Zusammenhang mit der Ukraine spendeten dutzende linke Zusammenhänge bereits »eine fünfstellige Summe«, die nun wirklich keinem guten Zweck dient.(4) Soweit man es übersehen kann, ging aber aus dem linken Spektrum noch keine einzige sinnvolle Initiative hervor, um den Abertausenden von Menschen auf irgendeine sinnvolle Weise zu helfen, die durch den Krieg betroffen sind.(5)
Die Begriffe Antifaschismus« und »Antiimperialismus« sind in diesem Zusammenhang dermaßen missbraucht worden, dass es sich fragt, ob sie noch zu gebrauchen sind.
Indem man die politischen Kämpfe (oder die ganzen Gemeinschaften, die sie austragen) wiederholt und massiv als »faschistisch« abstempelt, die es nicht sind, missbraucht man den Antifaschismus-Begriff auf eine der beschämendsten Weisen. Im Kontext eines Informationskrieges, der einen wirklichen Krieg begleitet, grenzt dieser Missbrauch an Verbrechen. Wie und warum es ausgerechnet innerhalb der deutschen Linken zu einer solchen Reaktion kam, ist eine eigene Geschichte, die gleichzeitig eine sehr deutsche und eine sehr linke Seiten hat, und an einer anderen Stelle gründlich behandelt wird.(6) Es sei hier nur angemerkt, dass die Auslassung der Beteiligung ukrainischer Nationalisten am Holocaust in den Narrativen, die in der ukrainischen Mehrheitsgesellschaft beliebt sind, genau so symptomatisch ist, wie die Auslassung des bewaffneten Kampfes derselben Nationalisten gegen die deutschen Besatzer in den Darstellungen deutscher linken Autor*innen. In den beiden Fällen wissen die Menschen sehr oft wirklich nicht, dass sie sich beschnittener dafür aber stark instrumentalisierter Versionen bedienen, können aber damit schlecht umgehen, wenn sie mit den ergänzten Versionen konfrontiert werden.
Solange der Antifaschismus-Begriff auf einer falschen Konzipierung des historischen Kapitals Russlands fusst, birgt er in sich weiter eine Gefahr der Rechtfertigung des russischen Militarismus. Es ist leicht zu bejahen, dass die UdSSR nicht nur aus der Russischen Republik bestand, oder dass die Ukraine nicht ein Teil von Russland ist. Viel schwerer ist es zu merken, wie eine unbewusste Identifizierung von Sowjetunion mit Russland unsere Vorstellungen dennoch durchdringt, und die veralteten kognitiven Karten upzudaten. Im politischen Kontext vom heuitigen Osteuropa ist man geradezu verpflichtet nachzuvollziehen, dass das Nazi-Deutschland nicht ein weiter undifferenziertes »Russland« überfiel, sondern eine ganze Reihe von Ländern, die sogar grössere Verluste als Russland trugen und dennoch einen wesentlichen Beitrag zum Sieg über den Faschismus zu leisten vermochten. Allein die Anzahl der Ukrainer*innen, die in den Reihen der Roten Armee fielen, ist höher, als die gesamten Verluste von französischen, britischen und amerikanischen Soldaten.(7) Es ist davon auszugehen, dass wenn für diese Umstände mehr Bewußtsein gäbe, wäre auch vieles davon ungeschehen, was im Namen des Antifaschismus in Deutschland innerhalb dieses Jahres gesagt und gemacht wurde.
Es ist leicht, die Nationalismen von »kleinen«, »geschichtslosen« Völkern anzuprangern, die ohnehin auffällig sind. Viel schwerer ist es zu merken, wenn ihre Verwerfung nicht aus einer antinationalen sondern aus einer nicht als solcher markierten dafür aber viel stärkerer Position von »großen«, »historischen« Völkern gemacht wird.(8) Aus diesem Grund ist es auch verführerisch sie für die unangenehmen Sachen verantwortlich zu machen. Für manche ist es der Zusammenbruch der UdSSR und die damit verbundenen »linken Ressentiments«. Wirklich schlimm wird das Fehlen der Reflexion dann, wenn der »außenpolitische Antifaschismus« zu einer spezifisch national-deutschen Geschichtsrelativierung beiträgt.
Um nicht missverstanden zu werden muss ich klar machen, wofür und wogegen ich bin. Ich bin für eine ehrliche und gründliche Auseinandersetzung mit dem ukrainischen historischen Nationalismus sowie mit den problematischen Seiten seiner Rezeption in der heutigen ukrainischen Gesellschaft. Es ist primär eine dringende Aufgabe der ukrainischen Gesellschaft selbst, doch auch die deutschen Autor*innen, die darüber schreiben, sollten sich damit mindestens auf eine elementare Weise auseinandersetzen. Wer schon schreiben wagt, muss auch lesen können. Sie können mir Intelektualismus oder Expertentum vorwerfen, aber einen anderen Weg gibt es hier nicht. Und damit meine ich nicht jahrelange Mühen, dicke Bücher und Erlernen von schwierigen Sprachen. Es würde auch reichen, wenn man zwei oder drei Wochen der Lektüre von wissenschaftlichen Artikeln von John-Paul Himka, Gzhegozh Motyka, Timothy Snyder, Marko Carynnyk oder Karel Berkhoff widmen würde. Sie sind meistens auf Englisch geschrieben und sind auch Online zugänglich.
Was dagegen nicht geht, ist eine metonymische Verunreinigung, in der die ganze Breite der ukrainischen Politik auf »Nationalismus« oder gar »Faschismus« reduziert wird, sobald sie als nicht loyal zu Russland eingestuft wird. Dieses propagandistische Muster ist noch zu Stalins Zeiten angelegt und lässt sich auch heute ohne Unterschied auf Vergangenheit und Gegenwart anwenden. Das Problem ist nicht nur, dass es mit der faktischen Sachenlage sehr oft schwer zu vereinbaren ist, sondern schlicht und einfach, dass es nichts zum Verständnis beibringt. Was macht es für einen Unterschied, dass Swoboda die beiden Wahlen seit dem Maidan verlor und jetzt an der Regierung sowie Gebeietsverwaltungen nicht mehr beteiligt ist, wenn man irgendwie »weiß«, dass alle ukrainische Parteien nationalistisch sind? All die wichtigen Fragen nach der Beteiligung von Extremrechten an den Maidan-Protesten erübrigen sich im voraus, wenn man sowieso sicher ist, dass die letzteren nichts weiteres als ein »faschistischer Putsch« waren. Die in der Vorstellung gezogene Frontlinien werden so augenscheinlich, dass man vor lauten Faschisten keine Faschisten mehr sieht.
Wenn man in diesen verführerischen Sog geriet, verwischen sich die Grenzen zwischen den sachlichen brauchbaren Analysen und der von Ustimmigkeiten strotzenden Propaganda in der Tat mit einer bewundertswerten Leichtigkeit. Die Geschichte der Darstellung von Radykal’na Partija ist gerade ein gutes Beispiel dafür. Obwohl die Partei des Populisten Oleh Ljaschko schon im letzten Parlament vertreten war, promovierte er in die Rolle des »Extremrechten« erst im Frühling dieses Jahres, als es klar wurde, dass die Wahlergebnisse für Swoboda und den Rechten Sektor im Mai schlecht ausfallen würden. Einige dürfen zwar getrost sein, mit Ljaschko einen in der Ukraine populären Nationalisten doch zu haben; die Frage ist nur, auf welche Kosten es erreicht wurde.
Sehr bezeichnend ist der Verlauf einer anderen Darstellung. Vielleicht haben es einige bereits vergessen, aber seinerzeit spielte der Antisemitismus-Vorwurf eine ganz prominente Rolle bei der Diffammierung von Maidan-Protesten. Nicht dass es gar keinen Antisemitismus in der Ukraine gibt, es ist bloß interessant zu klären, warum seine alarmierende Darstellung seit Mai fast spurlos verschwand und sein vermeintlicher Anstieg samt der gefährdeten jüdischen Bevölkerung niemanden mehr zu besorgen scheint. Während die russischen Staatsmedien im Mai auf den »jüdischen Oligarchen Kolomojski« umstiegen,(9) arteten die montagigen Wahnmachen in der BRD so aus, dass selbst die »Linkspartei« sich — genau am Tag nach der ukrainischen Präsidentenwahl — von ihnen distanzieren musste.(10) Ein bisschen mehr Reflexion darüber, wie das Ganze zusammenhängt, sowie darüber, in welchem Land 2014 nicht eingebildete sondern die echten antisemitischen Mobilisierungen zustandekamen und was es mit der Linken hierzulande zu tun hat, wäre nun wirklich gut angebracht. Sich des weiteren zu fragen, wo genau 2014 rassistische Ausschreitungen und Mobilisierungen stattfinden, könnte in diesem Kontext auch für mehr Klarheit und Verantwortung sorgen.
Genauso wichtig ist eine ehrliche und konsequente Auseinandersetzung mit Nationalismen in der heutigen Ukraine (die Nachricht mag für einige überraschend sein, aber dort gibt es wirklich nicht nur einen Nationalismus). Das betrift die linken Aktivist*innen und Autor*innen in Deutschland nicht weniger als die ukrainische Gesellschaft selbst. Die Auslassungen und Verniedlichungen, die vermeintlich einem guten Zweck dienen, gehen hier nicht. Und was überhaupt nicht geht, das sind offensichtliche Lügen.
Trotz mehrfachen Verwarnungen, dass die Inhalte, die durch russische Staatsmedien verbreitet werden, unbedingt nachgeprüft werden müssen, stößt man in der deutschen linken Presse auch heute noch auf die Behauptung, dass die russische Sprache in der Ukraine verboten ist.(11) 12) Dabei ist nicht mal das umstrittene Sprachgesetz von Janukowitsch aufgehoben und die gesetzlich garantierten sowie realen Rechte der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine sind ungefähr tausend mal besser gesichert, als die Rechte der russischsprachigen Minderheit in Deutschland. Während die zweitgrösste Einwanderergruppe in der ganzen Bundesrepublik nur ein paar zweisprachigen Grundschulen zur Verfügung hat, lag bis zuletzt in der ach so nationalistischen Ukraine der Anteil von Schüler*innen, die auf Russisch unterichtet werden, höher als der Anteil ethnischer Russ*innen an der Bevölkerung.(13) Nach wie vor liegt der Anteil von russischsprachigen Printmedien an der ukrainischen Gesamtauflage am höchsten und die Mehrheit von Büchern im Angebot der ukrainischen Buchläden sind auf Russisch.(14) Wenn ein ukrainischer Bürger sich an einen Beamten auf Russisch wendet, erhält er in der überwiegenden Mehrheit der Fälle auch die Antwort auf Russisch.(15) Die unterschiedlichen sozio-linguistische Experimente stimmen sogar darin überein, dass die russische Sprache in der Ukraine einen sozial höheren Status besitzt.(16) Wer darauf spekulieren würde, dass die umrissene Situation jetzt gefährdet ist, sollte vielleicht auch zeigen, wie viele russische Schulen und Zeitungen seit Maidan dicht gemacht wurden oder sonstige belegbare Nachweise liefern. Nicht dass in der Sprachpolitik der unabhängigen Ukraine alles in Ordnung wäre oder dass das Land ein Paradies für das Zusammenleben aller Menschen darstellte, bloß die wirkliche Situation unterscheidet sich so sehr von dreisesten Propagandalügen, dass einem nur noch Haare vor Entsetzen sträuben.
Eine erschöpfende Darstellung der sprachlichen Situation in der Ukraine würde den Rahmen dieses Beitrags weitaus sprengen und sei für eine andere Stelle ersparrt. Es sei hiermit nur zum wiederholten mal vor der gefährlichen Verwechslung von sprachlichen Praktiken und politischen Identitäten in der heutigen Ukraine gewarnt. Warum scheut sich der heutige ukrainische Präsident nicht des öffentlichen Gebrauchs der russischen Sprache, während der Innenminister in der Öffentlichkeit nur Russisch spricht? Für einige verstopften Ohre mag es unglaublich klingen, doch der Gebrauch vom Russischen in den ehemaligen Sowjetrepubliken bedeutet noch nicht eine »prorussische« Loyalität und schon gar nicht ein unstillbares Begehren, von Russland »heimgeholt« zu werden.
Oder auch an einem anderen Beispiel erklärt: Die Unterstützung der ukrainischen Unabhängigkeit erreichte vor kurzem ihren historischen Maximum und zwar in erster Linie dank dem Südosten des Landes.(17) Dieses überwiegend russischsprachige Region stellt auch die Mehrheit der freiwilligen Bataillons(18) und trägt höchst wahrscheinlich — vom Donbass abgesehen — auch die grössten Verluste in diesem Krieg.(19) Einige werden darin vielleicht einen weiteren Nachweis der Verbreitung des ukrainischen Nationalismus erkennen. Doch wie wäre es damit, dass die Mehrheit russischsprachiger Ukrainer*innen mehr Angst vor russischen Panzern als vor ukrainischen Nationalisten haben? Dass sie einfach keine Lust auf Putin, »Neurussland«, »Volksrepubliken« aber auch kein Problem mit der Zugehörigkeit zur Ukraine haben? In der Tat sprechen viele Indizien dafür, dass die Menschen im ukrainischen Südosten sich durch eine eventuelle russische Invasion mehr bedroht fühlen als ihre westukrainische Mitbürger*innen.(20)
Im Rahmen eines Inkymedia-Artikels lässt sich nicht mehr so viel über die infationären Gebrauchsweisen des Antiimperialismus-Begriffes ausführen. Ich glaube, das Schlimmste bestand dabei sogar nicht in einem ausgeprägten Hang zur Verschwörungstheorien, in welchen westliche Drahtzieher hinter allem stehen, was in der Ukraine passierte, sondern in der damit einhergehenden verächtlichen Einstellung zu den »Einheimischen«. Die Ukraine samt ihrer Bevölkerung kommt in das »antiimperialistische« Weltbild nämlich nur als Objekt geopolitischer Spiele. Es sind die Großmächte, die über ihre Köpfe hinweg über ihr Los entscheiden. Und wenn die Einheimischen doch irgendetwas entscheiden (natürlich etwas »falsches«), so lässt es sich nur durch eine von außen kommende Manipulation erklären. Mehr Spielraum lässt dieses Interpretationsrahmen wirklich nicht und es steckt auch nicht wesentlich mehr dahinter. Die ganze »antiimperialistische« Empörung kommt nur daher, weil in dieser Sichtweise die Ukraine als ein gesetzmäßiges Einflussbereich Russlands demselben auf eine tückische Weise weggenommen wurde. Daher auch umso mehr Verachtung den Einheimischen gegenüber, die anstatt in der Rolle von Statisten im Hintergrund weiter dankbar zu bleiben, sich durch die CIA und das Weltkapital manipulieren ließen und den heiligen Geist der UdSSR schwer geschändet haben.
Ich kenne mich nicht genügend mit der neuesten Geschichte der deutschen Linken aus und will somit keine falschen Verallgemeinerungen machen, aber es ist gut möglich, dass der neueste deutsche »Antiimperialismus« und Antifaschismus noch nie auf einen so verkehrten Weg gerieten. Das Regime, auf dessen Seite man sich schlug, ist nicht nur autoritär, konservativ und nationalistisch, sondern es setzt auch seine territoriale Ansprüche durch Kriege und Annexionen durch. In den letzten 23 Jahren führte Russland mehr Invasionen in die Nachbarnländer durch, als die UdSSR in den 46 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg.(21) Die sowjetischen Invasionen weckten bei einigen guten Menschen vielleicht die Hoffnung auf eine »Systemwende« (ohnehin eine problematische Einstellung, beachtet man, dass den 14 Millionen in Afghanistan lebenden Menschen die sowjeitische Besatzung zwischen 800.000 und 1,5 Millionen ziviler Todesopfer kostete). Aber was bringen mit sich die russischen Invasionen? Der in Bezug auf die Entwicklungen im Westen ausgearbeitete Begriff Neoliberalismus lässt sich auf die Entwicklungen in Osteuropa vielleicht tatsächlich nicht probremlos anwenden.(22) Jedenfalls wie sollte Russland überhaupt jemanden vor Neoliberalismus retten, während Sozialstaatabbau dort im Vergleich mit der Ukraine wesentlich weiter reichte, die Kluft zwischen den Reichen und Armen grösser ist, und die Gewerkschaften de facto kriminalisiert sind?
Wie kann man einem der grössten von lebenden Kriegsverbrecher überhaupt noch irgendwelche Friedensabsichte andichten? Der Tschetschenien-Krieg war nicht nur der brutalste Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrien,(23) sondern war auch rassistisch gefärbt und trug wohl am meisten zur Verbreitung des Neonazismus in Russland bei. Niergendwo in Europa ist der letztere so tödlich, wie in Russland. Während die »russischfreundlichen« Linken die Gefahren des ukrainischen Faschismus heraufbeschwören, liegt schon seit Jahren die Opferzahlen der rassistischen Morde in Russland dutzendfach höher, als in der Ukraine (die unterschiedlichen Einwohnerzahlen miteinbereichnet).(24) Das Land, wo seit den letzten zehn Jahren über ein dutzend Antifaschist*innen durch Nazis ermordert wurden und kein Jahr ohne rassistische Pogrome vergeht, heißt wiederum nicht Ukraine sondern Russland.
Während einige befürchten, dass an der Stelle des demollierten Lenin-Denkmals in Kyiv ein Denkmal für Nazi-Kollaborateure errichtet wird, dient eine sonderbare Gedächtnistafel in Moskau schon seit langer Zeit als eine Wallfartsort für die russischen Extremrechten. Die Tafel trägt die Namen von Wehrmacht-General Krasnow, SS-Generalmajor Kononow, SS-Gruppenführer Schkuro und übrigen hochrangigen russischen Kollaborateuren.(25) Warum ist diese auch heute noch — dem Aufblühen des offiziösen »Antifaschismus« zum Trotz — nicht abgerissen? Die Antwort lässt sich an einem anderen Beispiel aus der neuen russischen Gedächtnispolitik erklären. Der schrecklichste Schauplatz des Holocaust auf dem russischen Boden heißt Zmijevskaja Balka und befindet sich in der Nähe von Rostow am Don. Die Gedenkstätte wurde dort schon zu Sowjetzeiten errichtet, doch die Erwähnung, dass die Opfer nicht einfach »Sowjetbürger« sondern darüber hinaus Juden waren, durfte erst 2004 auf die Gedächtnistafel. Im Zuge des Aufwärmens vom stalinistischen Gedankengut und der Erhebung des »Großen Vaterländischen Krieges« zum wichtigsten Nationalmythos wurde 2011 diese Erwähnung wieder gelöscht. Laut der neuen Inschrift handelt es sich bloß um »um friedliche Bewohner vom Rostow am Don und sowjetische Kriegsgefangene«.(26)
Im Unterschied zum Zweiten Weltkrieg fängt der Große Vaterländische Krieg aus »verständlichen« Gründen erst 1941 an und hat im heutigen Russland eine noch deutlichere ethnische Rollenverteilung als in der sowjeitischen Version, die bei all ihren großrussischen Untertönen und Auslassungen über das Los von »Verrätervölkern« deutlich mehr auf Integration ausgerichtet war. Die Geschichten mit den beiden Gedächtnistafel hängen mit der Neukonzipierung des Nationalmythos unmittelbar zusammen. Wenn das russische Volk die größten Opfer im Kampf gegen Hitler-Faschismus aufbringen sollte, findet der Holocaust im Rahmen dieses Narrativs keinen eigenen Platz mehr. Wenn die »Verräter« nur in der Gestalt von anderen Nationalitäten auftreten dürfen, werden die eigenen Kollaborateure samt ihren heutigen Verehrn nicht mehr wahrgenommen. Man braucht sich nicht in die historischen Studien zu vertiefen,(27) um nachzuvollziehen, dass die Darstellung im russischen offiziellen Diskurs in erster Linie durch außenpolitischen Bedürfnisse bedingt ist. Es reicht zu schauen, wie oft beispielsweise die Wortverbindung »georgische Faschisten« im russischen Internet vorkommt. Dazu liefert die Suchmaschine rund 405.000 Erwähnungen beziehungsweise fast die Hälfte davon, was auf die Wortverbindung »deutsche Faschisten« zufällt. Soweit man es übersehen kann, wurden die »georgischen Faschisten« erst 2008 geboren und waren auch nicht besonders langlebig.
Die Verbreitung der nationalistischen Tendenzen in der heutigen Ukraine ist kritikwürdig; die Teilnahme von Extremrechten an den Maidan-Protesten, der ukrainischen Übergangsregierung und an den Kriegshandlungen auf der ukrainischen Seite soll kein Tabu sondern es muss ein Thema sein, mit dem man sich endlich mal ernsthaft auseinandersetzt. Die Voraussetzung dafür sind genaue Kenntnisse sowie ausdrückliche Disqualifizierung aller Behauptungen, die schlicht und einfach falsch sind. Außer Beschäftigung mit der Ukraine selbst könnten auch vergleichende Berichte mehr Klarheit hierüber schaffen.(28) Die Verweise auf Russland in diesem Bericht dürfen nicht als ein Rechtfertigungsversuch umgedeutet werden und es geht überhaupt nicht sie als ein Ausdruck einer vermeintlichen »Russophobie« abzustempeln. Angesichts der geschaffenen Tatsachen soll Russland mindestens genau so präzise wie die Ukraine behandelt werden. Die angeblichen linken »Russlandversteher«, die gleichzeitig russische Teilnahme am laufenden Krieg bestreiten und Russland dennoch einen Sieg wünschen, wünschen Russland in Wirklichkeit nichts Gutes. Unabhängig davon, wieviel ukrainisches Territorium Russland an sich noch zu reißen vermag, verspricht dieser Krieg Russland überhaupt nichts Gutes. Weder in der kurzfristigen noch in der langfristigen Perspektive; weder für die gesamte Gesellschaft noch für den tollen Putin. Alle absehbaren Folgen sind nur noch grauenhaft und man sieht keinen einzigen Anhaltspunkt für irgendeinen vorstellbaren »Gewinn«.
Die Richtung, in die russische Gesellschaft schon seit fünfzehn Jahre gelenkt wurde, ist an sich schon ein riesiger Verlust. Mit ihrem Kriege treibeinden Национальный Лидер gerät sie auf immer gefährlichere Bahnen. Die Gesellschaft, deкen Präsident höchste Popularität ausgerechnet dann genießt, wenn ihr Land wieder jemanden überfällt,(29) die seit Jahren mehrheitlich überzeugt ist, dass es für Russland »natürlich« sei »in Form des Imperiums zu existieren« aber gleichzeitig auch daran glaubt, dass »Russland für Russen« sein muss(30) —, diese Gesellschaft hat nichts anderes als ein massives Problem.
Wenn wir schon bei der Kritik von Nationalismen in Osteuropa angelangt sind, dann lasst uns wenigsten fair und konsequent sein! Gerade im Kontext des andauernden Krieges ist es nun wirklich heuchlerisch, die Zunahme der antirussischen Stimmungen in der Ukraine zu betonen (die seit Krim-Annexion tatsächlich zunahmen) und dabei zu verschweigen, dass antiukrainische Stimmungen in der russischen Gesellschaft schon seit 2004, als es mit der Konstruktion des Feindbildes Ukraine losging, deutlich höher liegen.(31) Wenn jemand sich vorstellt, dass es dem heutigen Russland die ehrenwerte Aufgabe zufällt, die UdSSR zu rekonstruieren oder sonst was schönes in den Nachbarnländern anzurichten, der muss auch erklären, warum ausgerechnet die ehemaligen Sowjetrepubliken schon seit gutem Jahrzehnt von drei bis vier von fünf feindlichsten Staaten in Augen von Russ*innen ausmachen (mit der Ukraine gegenwärtig auf Platz zwei nach den USA).(32) Einige werden darin einen weiteren Nachweis davon sehen, wie toll in Russland alle mögliche Nationalismen bekämpft werden, aber die Tatsache, dass die millionenköpfige ukrainische Minderheit in Russland nicht mal eine einzige Schule zur Verfügung hat und eine einzige ukrainische Bibliothek einer wahren Hetzkampagne und sogar einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt war, spricht schon Bänder davon, wie es in Wirklichkeit um den »Internationalismus« und Minderheitsrechten im heutigen Russland stheht.
Russland bekämpft Nationalismen? Vielleicht deswegen werden Krimtataren auf der Halbinsel seit März entführt und ermordet.(33) Anscheinend wegen des Wunsches, Nationalismen möglichst effektiv zu bekämpfen, wurde auch Sergej Aksjonow zum Regierungschef der Krim erwählt, der laut Mustafa Dzhemilew seinerzeit an den antitarischen Pogromen höchstpersönlich teilnahm.(34) Vielleicht ist das Ganze sogar noch »antifaschistisch« —, letztendlich wurde die Krim auch in ihrer ethnischen Zusammensetzung endlich mal wirklich »so russisch«, als das ganze krimtatarische »Verrätervolk« genau vor siebzig Jahren einer mörderischen Deportation ausgesetzt wurde.
Hiermit will ich kein böses »Wesen« von Russ*innen suggerieren. Das letztere gibt es genau so wenig, wie die geheimnissvolle »russische Seele« oder ein angeblich unausrotbarer faschistischer Kern in der Psyche von Menschen aus Deutschland. Noch vor zwanzig Jahren lagen beispielsweise die imperial-nationalistischen Stimmungen in der russischen Gesellschaft sogar geringer als die in der ukrainischen Gesellschaft.(35) Die Glorifizierung von Stalin und die Zunahme von pro-diktatorischen Stimmungen in Russland sind wiederum Phänomene, die noch in den 1990ern in diesem Umfang nicht bekannt waren.(36) Die antimilitaristische Stimmungen in der russischen Gesellschaft waren damals sogar so stark, dass der erste Tschetschenienkrieg durch den Rückzug der russischen Truppen und ein Friedensabkommen beendet werden musste. Die Veränderungen des letzten Jahrzehntes haben eindeutig mehr mit der Staatspolitik und der medialen Beeinflussung als mit der »Volksseele« oder sonstigen wissenschaftlich unfassbaren Konstanten zu tun. Worum es sich jetzt handelt, ist das Ergebnis einer sehr ungücklichen historischen Entwicklung, die hoffentlich nicht mehr lange anhält. Gerade wegen meiner »persönlichen« ukrainischen Perspektive kann ich nur noch wenige Sachen so sehr wünschen, als dass Russland aus diesem Wahnsinn möglichst bald rauskommt und zwar ohne sich selbst und dem Rest der Welt dabei ernsthaft zu schaden.
Um zu der Hauptfrage dieses Vorwortes zurückzukommen, sei hier ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung angeführt. »Kyrylo, du magst vielleicht auch Recht haben, aber du musst auch begreifen, dass die RH in Deutschland eine Menge wichtiger Sachen macht«, — diesem Einwand bin ich tatsächlich schon einige Male begegnet. In vielen Hinsichten stimmt auch diese Aussage. Nur dass dabei etwas ganz wichtiges fehlt, was von vielen Menschen in der BRD nicht begriffen wird.
Dieses Jahr erlebte die Ukraine ein Niveau von Gewalt, das weder meine Generation noch die von meinen Eltern jemals kannte. Es gab Tage, an welchen jeweils mehr Menschen ermordert wurden, als die gesamte Opferzahl der Polizei- und rassistischer Gewalt in der BRD seit dem Zweiten Weltkrieg. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber bei mir vergeht dann jeder Spass und jedes Verständnis den ansonsten guten Leuten gegenüber, die in Bezug auf die Ukraine offensichtlich falsche Entscheidungen getroffen haben. Dass ich dabei aufgrund meiner Herkunft und damit zusammenhängenden »biographischen« Umständen persönlich betroffen bin, ändert an dieser Tatsache nichts.
Es geht nicht nur um die berüchtigte Spendenkampagnie sondern auch um eine Menge anderer Tätigkeiten, die im Kontext des Informationskrieges genauso nicht unschuldig waren. Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass »ihr Blut an euren Händen habt« oder in sonstige diffammierend-viktimisierende Redeweisen zurückzufallen, aber ein ganz kleines Stück Verantwortung dafür, was im Donbass passiert, trägt jede*r, der durch den gemeinsamen Nenner betroffen ist. Letzen Endes geht es bei der »kollektiven Verantwortung«, auf die hier appelliert wird, in erster Linie tatsächlich um die Verantwortung für den Namen »Linke« und erst daraus resultieren weitere konkrete Dinge.
Angesichts der rassistischen Mobilisierungen in der BRD, haben die Antifaschist*innen im Augenblick tatsächlich mit dringenderen Angelegenheiten zu schaffen. Hoffentlich werden die letzteren erfolgreich abgewehrt und die Mehrheitsgesellschaft besinnt sich zumindest in dem Maße, dass die offensichtlichen Rassist*innen in die Marginalität zurückgedrängt werden. Spätestens dann sollte man über die eigene »kollektive« Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine reflektieren. Diese war so symptomatisch, dass sie nur als eine tolle Chance begriffen werden kann —, eine Chance für eine konsequente Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft.
1Immerhin gut, dass eine komplette Liste von »so russischen« Gebieten ausserhalb der Russischen Föderation nicht gleich beigelegt wurde (http://jungle-world.com/artikel/2014/25/50070.html).
2http://anton-shekhovtsov.blogspot.com/2014/03/pro-russian-extremists-observe.html
342,6% laut einer Studie der TU Berlin. Die AfD-Wähler*innen stellten dagegen nur 12,8% der Teilnehmer*innen dar. Zumindest nach diesem Kriterium war dieses Querfrontphänomen ehe rot« als braun«. (Occupy Frieden: Eine Befragung von Teilnehmer/innen der „Montagsmahnwachen für den Frieden“, S. 19).
4Die Einzelheiten seien an dieser Stelle ausgelassen. Dazu bald eine gemeinsame Erklärung ukrainischer linken Zusammenhänge.
5Es ist nicht als ein rhetorischer Einwand gemeint. Die Umstände von den Flüchtlingen aus dem Donbass sind wirklich schlimm und die Ukraine ist nicht weit. Nur ein einziges der möglichen Beispiele: Indem man ein gewisses Minimum organisatorischer Anstrengungen in Kauf nimmt, ein paar hundert Euro zusammentreibt, ein Auto vollpackt und in die Ukraine fährt, würde man vielen Leuten helfen können. Aber so etwas ist anscheinend nicht wirklich revolutionär, oder genauer gesagt langweilig, bürgerlich und höchst unromantisch.
6Es ist sehr wahrscheinlich, dass zumindest unter den westeuropäischen Linken der Faschismusvorwurf an Maidan-Proteste und die neue ukrainische Regierung niergendwo so stark als in der BRD ausgeprägt war. Selbstverständlich kann ich keinen weltweiten Vergleich liefern und beschränke mich nur auf die Reaktionen auf Maidan unter den polnischen und israelischen Linken, d.h. auf ein Vergleich mit den Ländern, die nicht nur ein nahes Verhältnis zur Ukraine sondern aus historischen Gründen auch besondere Probleme mit dem ukrainischen Nationalismus haben (http://www.unrast-verlag.de/vorankuendigungen/wem-gehoert-maidan-detail).
7In Europa während des Zweiten Weltkrieges (http://www.istpravda.com.ua/columns/2014/05/23/142887/). Die riesige Anzahl der Ermordeten ist natürlich kein Anlass für Nationalstolz und darf nicht zur Behauptung irgendwelcher besonderen Rechte der in der Ukraine lebenden Menschen missbraucht werden. Auch wenn kein einziger Ukrainer damals gegen die Nazis gekämpft hätte, wäre es immer noch kein Grund zur Rechtfertigung der heutigen russischen Invasion. Ein konsequenter Antifaschismus (und Antiimperialismus) braucht kein historisches Kapital von keiner Nation und zwar unabhängig davon, ob das letztere »falsch« oder »richtig« konzipiert wird. Eine Beachtung dessen, wie es gemacht und gebraucht wird, ist dagegen sehr wichtig. Eine besondere Empfindlichkeit für die Geschichte und dafür, wie sie unsere Welt bedingt, ist hier geradezu unumgänglich.
8Wie Roman Rosdolsky in seinem Buch Friedrich Engels und das Problem der geschichtslosen Völkern zeigte, handelt es sich dabei um ein sehr altes und schwerwiegendes Problem der europäischen Linken. Die Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine beweist noch mal, dass dieses Problem kaum bewältigt ist.
9http://echo.msk.ru/blog/varfolomeev/1347418-echo/
10http://www.die-linke.de/partei/organe/parteivorstand/parteivorstand-2014-2016/beschluesse/fuer-frieden-und-deeskalation-in-der-ukraine/
11In einem im Oktober in der Graswurtzelrevolution veröffentlichten Interview wird die Abschaffung eines ukrainisches Gesetzes aufgefordert, das die russische Sprache verbietet (leider wird dabei nicht erklärt, wie ein nichtexestierendes Gesetz abgeschaft werden kann, http://www.linksnet.de/de/artikel/31933). In einem Artikel im Freitag verbreitet ein angeblicher Kenner der Ukraine neben den kruden abwertenden Klichees über Westukrainer*innen sogar die Vorstellung, dass die russische Sprache in der Ukraine irgendwie schon die ganze Zeit verboten war (»Immerhin hat die Welt mehrere Schlägereien im ukrainischen Parlament, der „Rada“, miterlebt, und immer ging es um die Verschärfung der Verbietung der russischen Sprache.« https://www.freitag.de/autoren/vit-jasch/russischsprachige-minderheit-in...).
12Ist nur ein Beispiel. Gerade noch wurde bei Linksunten ein Artikel gepostet, in dem es neben anderen kleinen und großen Verdrehungen und Lügen steht, die ukrainische Politikerin Timoschenko »bekundete am liebsten die gesamte russischsprachige Bevölkerung ausrotten zu wollen« (https://linksunten.indymedia.org/de/node/128272). Schon eine ziemlich heftige Aussage, nicht wahr? Das Problem ist nur das es eine Lüge ist, die das gesamte ukrainische Politiklandschaft in einem vollkommen verkehrten Licht darstellt.
13http://mon.gov.ua/ua/activity/education/56/694/zagalni-vidomosti/
14Державна служба статистики, Статистичний щорічник України за 2013 рік. Київ 2014, С. 453.
15Вишняк, Олександр. Мовна ситуація та статус мов в Україні: Динаміка, проблеми, перспективи. Київ 2009, С. 140
16Eine gute Zusammenfassung auf Englisch findet man in den Einganzskapiteln von Michael Mosers Buch Language Policy and Discourse on Languages in Ukraine under President Viktor Yanukovych.
17http://www.pravda.com.ua/news/2014/08/23/7035616/
18http://uk.m.wikipedia.org/wiki/Батальйони_територіальної_оборони_України
http://uk.m.wikipedia.org/wiki/Спецпідрозділи_охорони_громадського_порядку_в_Україні
19http://uk.m.wikipedia.org/wiki/Втрати_силових_структур_внаслідок_російського_вторгнення_в_Україну_(2014)
20Soweit man es abschätzen kann, fand die Mehrheit der Proteste gegen die Rekrutierung in die ukrainische Armee sowie für die Ablösung der zu lange kämfpenden Einheiten in der Westukraine statt. Die Initiativen zur Versorgung und Unterstützung der ukrainischen Armee sind mehrheitlich im Zentrum und Südosten des Landes verortet. Die einfachste Erklärung dieser Diskrepanz ist darin zu suchen, dass die westukrainischen Gebeiete durch das Projekt »Neurussland« nicht beansprucht sind. Die Bevölkerung des ukrainischen Südosten ist dagegen ziemlich im Klaren, wie die Karte von »Neurussland« aussehen wird. Dazu beachte man auch, dass die meisten Bombenanschläge auch im Südosten des Landes stattfinden (allein vier in Charkiw in diesem Monat) und dass die Menschen dort auch im Klaren sind, dass obwohl die Anhänger von »Neurussland« überall in der Ukraine eine absolute Minderheit darstellen, es ist trotzdem leichter in Charkiw, Dnipropetrows'k oder Odessa passende Kader für die eventuellen »Vollksrepubliken« zu finden, als in einer beliebigen westukrainischen Stadt.
21Auf vier sowjetische militärische Interventionen im Ausland zwischen 1945 und 1991 fallen fünf russische Interventionen zwischen 1991 und 2014 (Moldowa 1992, Georgien (Südosetien) 1991-92, Georgien (Abchasien) 1992-93, Georgien 2008, die Ukraine 2014). Obwohl Tschetschenien erst im 19. Jahrhundert erobert wurde und ungefähr so russisch, wie Marokko deutsch ist, gehört es aus der Sicht des internationalen Rechts zu Russland; die beiden Tschetschenienkriege werden somit hier nicht mitgezählt.
22Горбач, Денис. Про три світи, змагання жертв і політекономію«. Спільне, №7 2014.
23Die gesamte Opferzahl von allen Jugoslawienkriegen zwischen 1991 und 2000 liegt geringer als die gesamte Opferzahl der beiden Tschetschenien Kriege zwischen 1994 und 2002. Man muß auch beachten, dass zum Anfang der Kriegshandlungen allein die Bevölkerung von Bosnien-Herzegowina drei mal größer als die Bevölkerung von Tschetschenien war. Wenn man sich an die Angaben von UN, Amnesty International und Human Rights Watch orientieren würde, so erkennt man auch, dass im Unterschied zum für Zivilisten verlustreichsten der Jugoslawienkriege (in Bosnien-Herzegowina 1992-95) bei den beiden Tschetschenien Kriege es sich jeweils in erster Linie um Verluste nicht unter den Kombatanten, sonern unter der Zivilbevölkerung handelte.
242006-2013 verzeichneten die russischen Menschenrechtler 446 Todesopfer der rassistisch oder neonazistisch motivierten Gewalt in Russland, in der Ukraine wurden im gleichen Zeitraum dreizehn rassistisch motivierte Morde registriert (http://www.sova-center.ru/racism-xenophobia/publications/ unter Ежегодные Доклады; http://www.eajc.org/page451).
25http://scepsis.net/library/id_1400.html
26Будницький, Олег. »Особливості Голокосту на території Росії«. In: Сучасні Дискусії про Другу світову війну, Львів 2013.
27Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was von solchen Studien zu halten ist. Nicht deswegen, weil sie historisch bzw. faktisch gesehen etwas Falsches behaupten. Wie in jede wissenschaftliche Studie können da alle möglichen Fehler einschleichen, aber das ist nicht der Grund. Ein Zweifel kommt hauptsächlich daher, weil ein »Kollaborateure-Wettbewerf«, zu dem sie beitragen können, noch schlimmer ausarten kann, als eine competitive victimhood. In die Zahlen, mit welchen einige dann so leicht hantieren können, kommt nämlich die Komplexität der konkreten historischen Situation und die Unterschiedlichkeit der Kontexte leider nicht mit (es gab wirklich ein gewaltiger Unterschied zwischen dem besetzten Frankreich und dem besetzten Belarus; zwischen einem belgischen Dorf und einem Konzentrationslager für sowjeitische Kriegsgefangene; zwischen dem Strafmaß für diejenigen, die Juden versteckten, im besetzten Holland und im besetzten Polen). Jedenfalls bestätigen die genauen Berechnungen von durchschnittlichen Kolaborateuren-Raten nicht die gängigen Vorurteile. Auch diejenigen nicht, die durch russische Staatspropagande verbreitet werden. (Siehe: Bilinsky, Y. »Methodological Problems and Philosophical Issues in the Study of Jewish-Ukrainian Relations During the Second World War«, In: Ukrainian-Jewish Relations in Historical Perspective. Edmonton, 1990).
28Wie war die Dynamik der rassistisch motivierten Gewalt in der Ukraine im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern in den lezten zehn Jahren? Wie sieht die Vertretung von ukrainischen extremnationalistischen Parteien im Parlament im Vergleich aus? Wie groß war die Beteiligung der ukrainischen Nationalisten an der Übergangsregierung im Vergleich mit fast dutzend anderen europäischen Ländern, wo extremrechte Parteien in den letzten zwanzig Jahren auch an den Regierungen beteiligt waren? Wie restextrem ist Swoboda im Vergleich mit Front National oder Jobbik? Wie steht es genau um den Atisemitismus und Migrantenphobie in der heutigen Ukraine? Wie sah die Beteiligung von konservativen Kräften am Maidan im Vergleich mit der konservativen Beteiligung am Arabischen Frühling aus? Wie viele antisemitische und rassistische Mobilisierungen fanden 2014 in der Ukraine im Vergleich mit der BRD statt? Usw., usf.
29http://nr2.com.ua/News/world_and_russia/Reyting-Putina-dostig-ocherednogo-maksimuma-v-Rossii-GRAFIK-77574.html
30Грицак, Ярослав. Страсті за націоналізмом: Стара історія на новий лад. Київ 2011, С. 309.
31http://www.levada.ru/03-10-2014/rossiisko-ukrainskie-otnosheniya-v-zerkale-ukrainskogo-krizisa
32http://www.levada.ru/05-06-2014/otnoshenie-rossiyan-k-drugim-stranam
33http://www.hrw.org/reports/2014/11/17/rights-retreat-0
34http://www.echo.msk.ru/programs/beseda/1277744-echo/
35Грицак, Ярослав. Страсті за націоналізмом: Стара історія на новий лад. Київ 2011, С. 51.
36Allein zwischen 2007 und 2011 hat sich die positive Einstellung zu Stalin beinahe verdoppelt, laut Umfragen gehört er immer wieder zu den populärsten russischen Politikern des 20. Jahrhunderts (http://wciom.ru/index.php?id=459&uid=111561; http://www.interfax.ru/russia/308106).
...
Ich habe nicht alles gelesen, sondern nur immer wieder einige Absätze. Diese waren recht interessant. Danke.
Es gibt nur eine deutsche Linke...
Anmerkung zum zweiten Absatz des Artikels von Kyrylo Tkachenko: Auch wenn für einige (Teile der) "deutsche(n) Linke(n) das Thema Ukraine "allgemein verwirrend" und/oder inzwischen "unangenehm" ist, ist Deine Verallgemeinerung "die deutsche Linke" schlichtweg nicht zulässig. Als ob wir uns hier alle miteinander grün wären und auf Linie?! Bullshit, es hat innerhalb der heterogenen Linken in Deutschland (und das ist der Unterschied zu "die deutsche Linke") seit etwa Januar 2014 unterschiedlichste Diskussionen, Debatten, Kontroversen und Meinungsverschiedenheiten gegeben, die nicht nur anhand der Trennlinien "Autoritäre Linke" ("Stalinos, ML-er, Anti-Imps, Mitglieder der Partei Die Linke, Sowjetnostalgiker, Russland- und Putinversteher", etc.) vs. "Libertäre Linke" ("Anarchisten, Kiever Junta-Freunde, etc.") statt gefunden haben. Zudem ist linksunten auch nur eine Plattform von vielen, auf denen sich inhaltlich u.a. zum Thema Ukraine ausgetauscht wurde. Mal abgesehen von irgendwelchen Internetforen fanden/finden diese Debatten zum Glück immer auch im real life, außerhalb des Internets statt. Von daher sollte man sich nicht anmaßen, über den angeblichen Gemütszustand (von "allgemein verwirrend" bis hin zu "unangenehm") der "deutschen Linken" im Allgemeinen zu spekulieren, auch wenn gerade hier auf dieser Website (vor allem in den Kommentaren aber auch in einzelnen Artikeln) in den Kommentarspalten viel Bullshit zum Thema Ukraine geschrieben wurde.
Propaganda-Artikel
Ja schon schlimm diese "deutsche Linke", dass sie noch immer nicht bereit ist (zumindest noch der größere Teil von ihr), sich mit dem Nazi-Regime in Kiew und seinen faschistischen Todesschwadronen zu solidarisieren.
Gathmann im Einstein-Forum
Für alle die was gegen einseitige Darstellungen haben oder sie sich bewusst zu Gemüte führen wollen: Der selbsternannte Russlandversteher und teilweise kremlfinanzierte Journalist Moritz Gathmann tritt am 15.12.2014 im Einstein-Forum in Potsdam auf. http://www.einsteinforum.de/index.php?id=1484