Interview zur Studentenbewegung und Protesten in Mexiko

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Eine Genossin des REBELL Wiesbaden befindet sich gerade in Mexiko und konnte ein Interview führen. Ihr Bericht:

Nach der Revolution in Mexiko wurden autonome Bildungsinstitutionen gebildet. Das Instituto Politécnico Nacional (IPN) wurde 1936 mit dem Ziel gegründet Ingenieure und technisches Personal für die Stärkung der nationalen Industrie des Staates auszubilden. Im Zuge eines neoliberalen Plans, vorangetrieben von den kapitalistischen Interessen und deren Agenten wie die Weltbank, führt Enrique Peña Nieto mehrerer strukturelle Reformen aus. Die Bildungsreformen greifen die Autonomität der Bildungsinstitutionen an, da sie den Unternehmen mehr Kontrolle über die Ausbildungsinhalte geben. Seit Ende September dieses Jahres protestierten Schüler der IPN gegen die vom Staat geplanten Änderungen. Ein Student der IPN beantwortet uns einige Fragen:

 

  • Worauf zielen die Reformen des Staates bezüglich der IPN und welche Konsequenzen hätte ihre Realisierung?

Die insgesamt elf strukturellen Reformen der Bundesregierung, darunter die Bildungsreform, sind neoliberale Kürzungen, die in diesem speziellen Fall versuchen, die Schulsatzung des IPN zu ändern: So soll die Semesteranzahl, die notwendig ist, um einen gewissen akademischen Grad zu erreichen, verkürzt werden. Lehrstoff mit fundamentaler Bedeutung für einen Studiengang soll entfernt oder verändert werden. Es soll nicht in mehr Forschung investiert werden und die Ingenieurswissenschaften beispielsweise sollen technifiziert werden. All das mit dem Ziel, die Professionalität des Instituts zu verringern, um auf diese Weise die interne Schulordnung mit den Entwicklungsplänen und den Plänen der Bildungsreform der Bundesregierung abzustimmen. Die Studenten werden dadurch in Zukunft zu treuen Angestellten und gut ausgebildeten Technikern im Dienst ausländischer Unternehmer. Ist die Energiereform einmal durchgesetzt, um ein Beispiel zu nennen, würde das Land für die Bedienung oder Ausbeutung von Kohlenwasserstoffen keine Entwicklung von mexikanischen Wissenschaftlern und Fachkräften mehr brauchen. Denn diese würde oder wird in erster Linie von nationalen und ausländischen Privatunternehmen geführt werden. Dadurch wirken sich strukturelle Reformen auf negative Weise auf die öffentliche Bildung aus, um somit die Bedürfnisse des großen Kapitals zu befriedigen.

 

  • Wer waren/ sind die Gruppen, die an den Protesten teilnahmen bzw. diese unterstützen oder mit ihnen sympathisieren?

Eigentlich gibt es keine Gruppe, die auf formale Weise an den Protesten der Studentenbewegung teilgenommen hätte. Sagen wir, sie ist „rein“ geblieben. Es gab keine politischen Parteien, Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen dahinter. Diese verhielten sich in erster Linie wie Beobachter, obwohl einige regierungsaffine Medien behauptet haben, hinter den Studenten würden politische Parteien die Bewegung finanzieren, was sie als „Einfluss externer Faktoren“ bezeichnen. So ist es nicht. Das ist völlig falsch und dient nur dazu die Studenten zu diskreditieren. Auf solidarische Weise, aber ohne formelle Beteiligung, haben Studenten aus verschiedenen Fakultäten der Universitäten wie die UNAM, UAM und UACM und Gewerkschaften die Bewegung unterstützt. Es ist zwingend notwendig, dass die Schüler oder ihre Bewegungen Allianzen bilden, um das Regime zu konfrontieren, so wie die Studenten aus Ayotzinapa, Guerrero, die unterstützt werden müssen und diese wiederum müssen sich mit Studenten des IPN vereinen. Denn ihr Kampf ist derselbe mit einem gemeinsamen Feind.

 

  • Wie wurden die Proteste organisiert und durchgeführt?

Die Proteste wurden in der Generaldirektion der IPN in Zacatenco ausgeführt, in dem Moment, in dem bekannt gegeben wurde, dass die Änderungen der internen Schulsatzung genehmigt wurden, die 2015 in Kraft treten würden - eine Genehmigung, die auf „demokratische“ Weise durch Beamte und die Studentenvertretung erstreckt wurde. Daraufhin vergrößerte sich die Anzahl an Studenten auf ein Ausmaß, das wichtig war, um den Stillstand und die Schließung von Einrichtungen diverser Fakultäten und Oberstufen vorzunehmen. Als Autoritäten die Bewegung in Verruf brachten, entstand eine heftigere Reaktion, woraufhin ein Megaaufmarsch ausgerufen wurde, der in der Regierungskanzlei enden sollte. Die Organisierung war schnell und zeigte die Befähigung der Reaktion der Studentengemeinschaft, die lokale Versammlungen und später eine polytechnische Generalversammlungen bildeten. In jeder Fakultät wurden Entscheidungen getroffen und die Repräsentanten jeder Versammlung teilten wiederum ihre Schlussfolgerungen der Generalversammlung mit. Die Proteste auf den Straßen machten die Studenten nur mit ihrem Studentenausweis in der Hand, um zu zeigen, dass sie selbst geltende Studenten sind und den Porros (von der Regierung bezahlte Studenten) den Zutritt zu verhindern. Vorab wurde bestimmt, keine Graffitis an Wände zu malen, nicht gewalttätig auf Provokationen zu reagieren und über soziale Netzwerke über die Charakteristika der Bewegung zu informieren.

 

  • Wie bewerten Sie die Maßnahmen der Regierung und der Armee?

 

Die Regierung hat eine betrügerische Haltung in diesem Konflikt eingenommen, ein modus operandi, der von dem Regime schon bekannt ist; in welchem sie ihr Fürwort gaben, alles zu bewilligen, was in dem 10-Punkte-Forderungskatalog gefordert wurde, den die polytechnische Generalversammlung dem Regierungsminister übergeben hat. Aber das sind keine konkreten Antworten. Eines der Punkte ist z.B. 8 % des BIP der öffentlichen Bildung und 2 % des BIP der Wissenschaft und Technologie zuzusprechen; die Regierung erklärte nur, sie würde das Budget erhöhen, sagte aber nicht wie viel und wie. Der Staat hat den Konflikt unmittelbar gelöst, damit die öffentliche Meinung ein gutes Bild von der Regierung hat, statt konkrete Lösungen zu bieten oder eine Strategie zu erstellen, um die Punkte der Forderungskatalogs zu erfüllen. Konkret sind die Lösungen oder Vorschläge mehr als alles andere vieldeutig gewesen. Auf der anderen Seite hat die Armee bis jetzt eine geringe Präsenz gehabt. In Einer Ausgabe des Nachrichtensenders MVS mit Carmen Aristegui wurde eine Oberstufenschülerin interviewt. Sie merkte an, dass Teile der Armee die Studenten am Rand des Zuges schikanierten. Im Bundesstaat Guerrero wurden jedoch Schüler der normales rurales (Schulen zur Ausbildung von Lehrern auf dem Land) von der Ortspolizei brutal unterdrückt. Es gibt und es wird einen systematischen Angriff der föderalen Mächte des Staats gegen die Studenten geben, wie etwa vorbeugende Aktionen der Regierung, um die Studentenbewegung zu beenden.

 

  • Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dieser Reaktion und der Ermordung von Studenten in Iguala, Guerrero?

Es gibt keine direkte Verbindung zwischen den Aktionen mit geringer Intensität gegen die Studenten der IPN und den Studenten der normales rurales. Aber es existiert allgemein ein systematischer Angriff auf die Jugend, die politischen Aktivismus zeigt und auf diese Weise zu Gegnern der Regierung wird. Denn ihre Forderungen richten sich gegen die Interessen des Staats und des großen Kapitals oder gegen seine neoliberalen Aktivitäten. Deshalb übt die Regierung auf globale Weise Unterdrückung, Einschüchterung und Terror unter der Bevölkerung in Handlungen wie die in Ayotzinapa aus, einer Art abschreckende Lektion mit dem Ziel den Aktivismus der Studenten zu verringern; die Brutalität mit der die Morde in Iguala, Guerrero ausgeführt wurden spricht dafür, dass der Staat eine Bewegung niederschlagen möchte, die eine gegen sie gerichtete soziale Explosion, infolge der Unzufriedenheit der Bevölkerung über all die Jahre, auslösen könnte. In der Form, dass aufstandsbekämpfende Milizen und ihre Polizei Jahrzehnte lang bis heute Handlungen der systematischen Unterdrückung gegen die ländlichen Schulen – die schon in der Zeit von Gustavo Díaz Ordaz (Ex-Präsident von Mexiko) und Elba Esther Gordillo (Ex-Führer der nationalen Bildungsgewerkschaft SNTE) als „Samenstätten von Guerillakämpfern“ bezeichneten wurden. Diese Angriffe sind keine isolierten Fälle von ungehorsamen Polizisten und Soldaten oder Drogenkartellen, die sich um Territorium streiten. Es ist ganz klar ein Staatsverbrechen, ein Verbrechen, das die Menschheit verletzt, insbesondere gegen die jungen Studenten, die zur Bauern- und Arbeiterklasse gehören.

 

  • Welche Reaktionen sollten die Studenten des IPN auf die Studentenmorde zeigen?

Die Reaktionen sollten in Bezug auf Äußerungen in ihren Protesten zugunsten der Studenten von Ayotzinapa eine Unterstützung sein. Die Kooperation mit den ländlichen Schulen und weiteren Universitäten und Bildungsinstitutionen sollten aufrecht erhalten werden, um eine Front zu organisieren, die friedliche Proteste einleitet, die anfänglich mit Slogans und Märschen ihre Position fest vor den vorgefallenen Ereignissen etablieren soll; sollte der Staats weiterhin versagen, müssen IPN gemeinsam mit allen Studenten, Lehrämtern, Gewerkschaften und der Öffentlichkeit die Aktionen generell radikalisieren. Man sollte auch einen Nationalstreik in Erwägung zu ziehen, um das System zu stürzen. Reagiert die Regierung mit Repression, so müsste leider ein bewaffneter Aufstand erreicht werden.

 

rebellwiesbaden.bplaced.de

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Da müssen bei der MLPD doch bestimmt alle Alarmglocken geleutet haben, als sie diesen Satz verfasst haben:

 

Reagiert die Regierung mit Repression, so müsste leider ein bewaffneter Aufstand erreicht werden.

 

Zum Glück rechtzeitig mit "leider" ergänzt, sonst wäre das ja doch etwas zu konkret, nicht?

Auch gut ist der Abschnitt, in dem klar wird, dass diese IPN mit den wirklichen Protesten ua. in Iguala oder Chilpancingo, überhaupt nichts zu tun haben.