"Kein Mensch ist illegal" steht auf einem weißen Transparent im Gewerkschaftshaus am Berliner Wittenbergplatz. Direkt daneben ist das rote Logo des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Denn 30 Flüchtlinge zusammen mit UnterstützerInnen besetzen das Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes am Wittenbergplatz am Donnerstagnachmittag. Schnell beginnt eine Verhandlungsrunde zwischen den Flüchtlingen und den GewerkschaftsfunktionärInnen, die in fünf Sprachen gleichzeitig übersetzt wird: Deutsch, Englisch, Französisch, Persisch und Türkisch.
Die Asylsuchenden verlangen, dass sich der DGB für ihre Rechte – vor allem für ihr Recht, legal in Deutschland zu arbeiten – einsetzt. Vor Monaten waren sie schon beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg, wurden dort aber an andere Stellen verwiesen. "Wer ist für unsere Situation überhaupt verantwortlich?" fragte ein Refugee sichtlich frustriert. Der DGB solle den Kontakt zu zuständigen PolitikerInnen vermitteln.
"Seit zwei Jahren kämpfen wir auf der Straße und erleben viel Polizeigewalt" sagt Turgay Ulu, ein Flüchtling aus der Türkei. "Wir haben Kontakt zur Kampagne gegen Zwangsräumungen oder zum Schulstreik-Bündnis, aber bisher haben die Gewerkschaften kein Interesse gezeigt." Dabei seien die Geflüchteten selbst Teil der ArbeiterInnenklasse, nämlich der unterste Teil, so Ulu, der als Journalist arbeitet und aufgrund politischer Verfolgung aus der Türkei fliehen musste. "Wir brauchen hier 1.000 Proletarier."
"Wir sind der Überzeugung, dass legal angestellte Beschäftigte und Geflüchtete gemeinsam für ihre Interessen kämpfen können", heißt es in einer Solidaritätserklärung, die bereits einzelne GewerkschafterInnen unterschrieben haben. Sie fordern die Aufnahme von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus als Gewerkschaftsmitglieder sowie politische Unterstützung des DGB für die Forderungen. In Hamburg sind bereits etwa 300 Geflüchtete in die Gewerkschaft ver.di eingetreten, was zu heftigen Spannungen führte.
Die Gruppe Refugee Struggle for Freedom hatte schon im Sommer den Berliner Fernsehturm besetzt und einen Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor durchgeführt, der allerdings nach einem Tag von der Polizei geräumt wurde. "In diesem Land haben wir keine Rechte", so ein Geflüchteter. "Sie erlauben es uns nicht mal, uns umzubringen."
Die Verantwortlichen des DGB sicherten den Flüchtlingen zu, dass sie die Polizei nicht rufen würden. Nach zwei Stunden erscheinen BeamtInnen dann doch unaufgefordert und bleiben erst mal draußen. Die Verhandlungen am Donnerstag dauerten bis 22 Uhr. Der DGB wollte die Geflüchteten in der Turnhalle eines Jugendzentrums unterbringen, da das Gewerkschaftshaus nicht über Duschen und Betten verfügt. "Dies ist eine Lounge und kein Schlafraum" sagte Pressesprecher Dieter Pienkny.
Doch die Gruppe wollte an einem Ort bleiben, wo sie politischen Druck ausüben kann. So verbrachten 30 Personen die Nacht in der gewerkschaftlichen "Lounge". Der DGB hatte Pizza für alle bestellt, dazu kommentierte ein Flüchtlingsaktivist: "Danke, aber Sie verstehen nicht ganz: Wir brauchen keine Pizzen, wir brauchen Papiere!"
Am Freitag um 15 Uhr beginnt eine Pressekonferenz unter "ungewöhnlichen Umständen", so Pressesprecher Pienkny. Die DGB-Vorsitzende Zinke stellt die Beratungsangebote für MigrantInnen im Gewerkschaftshaus vor: Dort befinden sich Beratungsstellen für MigrantInnen, für entsendete Beschäftigte (z.B. Pflegekräfte aus dem Spanischen Staat) und gegen Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung. In insgesamt 12 Sprachen wird Hilfe angeboten.
In Form von Mitgliedsausweisen soll es jedoch keine Hilfe geben. "Das ist zur Zeit nicht möglich" erklärt Zinke klipp und klar. Sie will aber selbst keine Verantwortung dafür übernehmen und verweist auf die Mitgliedsgewerkschaften des DGBs.
Anschließend berichtete ein Flüchtling aus Pakistan über die Verzweiflung, wenn man als AsylbewerberIn nicht arbeiten, studieren oder sich frei bewegen darf. "Viele Geflüchtete verlieren den Verstand" erzählt er, und in Asylheimen kommt es regelmäßig zu Selbstmorden. Besonders Menschen mit dunkler Hautfarbe in Deutschland sind tagtäglich rassistischen Kontrollen und polizeilicher Gewalt ausgesetzt.
Die Geflüchteten verlangen nicht nur Treffen mit dem Innenminister und der Sozialministerin, sondern auch mit den acht deutschen Einzelgewerkschaften. Bisher hatte der DGB noch keine Stellungnahme über die Refugee-Bewegung abgegeben. Die Geflüchteten drücken umgekehrt ihre Solidarität mit den Streiks bei Amazon und die Proteste gegen Entlassungen bei Osram aus.
Auch die Bundestagsabgeordnete Azize Tank von der Linkspartei sagte Unterstützung zu. Sie hat die Idee einer Demonstration von DGB, Linkspartei und anderen Organisationen positiv aufgenommen, doch betont, dass dazu eine breite Mobilisierung notwendig wäre.
Am Sonntag Abend blieben die Geflüchteten im DGB-Haus. Der DGB sagte inzwischen zu, seine Mitgliedsgewerkschaften schriftlich zur Aufnahme von Geflüchteten zu befragen. Eine ähnliche Aktion gab es in München im September letzten Jahres, als Refugees Zuflucht vor Polizeiübergriffen im dortigen DGB-Haus suchten. 12 Tage dauerte die Aktion damals.
"Für eine Antwort der Arbeiter*innen! // Gewerkschaften müssen den Kampf aufnehmen! // Die Arbeiter*innenklasse hat keine Grenzen!" steht auf einem roten Transparent marxistischen Unigruppierung "Waffen der Kritik", das im Fenster hängt. Diese Aktion könnte ein Startschuss dafür sein, dass sich die Organisationen der ArbeiterInnen stärker engagieren.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
eine kürzere Version dieses Artikels erschien im Neuen Deutschland am 27.09.
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