Geschichte des NSU-Terrors
Aus der Haft schreibt der Göppinger Neonazi Larrass an seine braunen Kameraden: Er und sein Brieffreund Gerlach bauten rechte Netzwerke auf, die bereit seien, „den Abzug durchzuziehen“ – er ist 2003 fest entschlossen, Polizisten zu ermorden – auch in Baden-Württemberg.
Von Franz Feyder und Sven Ullenbruch
Stuttgart/München - Die abgefangenen Briefe sorgten für sorgenvolle Gesichter bei den Polizisten des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamts. Dass der Schreiber in wenigen Wochen sogar aus dem Gefängnis in Frankenthal entlassen werden sollte, bereitete ihnen Kopfzerbrechen. Denn Alexander Larrass hatte angekündigt, Polizisten zu ermorden – zwei in Göppingen, einen verdeckten Ermittler in München. Zudem plante er den Mord an zwei frühere Freunden.
Er habe, schrieb der inhaftierte Göppinger Neonazi anderen einsitzenden Kameraden, ein Netzwerk von insgesamt vier Personen aufgebaut, zu dem er selbst gehöre. „Körperlich und geistig hoch belastbare Kameraden, die extrem hart zupacken können/müssen und sich nicht davor scheuen, den Weg von Blut, Schweiß und Tränen zu gehen.“ Er brauche „Männer mit Eiern wie Kokosnüsse“, die sich auch nicht davor scheuen, „Blut zu lassen und Blut fließen zu lassen“. Man müsse Kameraden finden, die bereit seien, den Abzug durchzuziehen. Ein Kamerad habe solche Leute gefunden: der 2003 ebenfalls im Gefängnis sitzende Thomas Gerlach.
Der saß am vergangenen Donnerstag wieder vor Gericht im NSU-Prozess in München. Diesmal als Zeuge im Prozess gegen die mutmaßliche Neonaziterroristin Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten. Der Generalbundesanwalt Harald Range wirft der 38-Jährigen vor, zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet zu haben. Es war schon der zweite Tag, an dem Gerlach den Richtern Rede und Antwort stehen soll. Der 35 Jahre alte Dachdecker sollte dazu aussagen, wie er zu Zschäpe und ihren wahrscheinlichen Unterstützern steht. Vor allem aber wollte Richter Manfred Götzl von dem gelernten Maurer wissen, was es mit der rechtsradikalen Gruppe der Hammerskins auf sich hat.
Das ist eine 1986 in den USA gegründete, international agierende Nazi-Organisation. Analysten des Bundeskriminalamts stellen in vertraulichen Dokument fest, die Hammerskins arbeiteten mit einem „internen Regelwerk“, das „für alle Mitglieder verpflichtend ist“ und das man sich von den Rockergruppierungen abgeschaut habe. Dazu gehört auch absolute Verschwiegenheit. Gerlach, so legen es viele Ermittlungsakten nahe, die den Stuttgarter Nachrichten vorliegen, soll ein Hammerskin sein. Er soll die Sektion Sachsen/Westsachsen sogar geführt haben.
Mit einer Skizze verdeutlichen Polizisten des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz , wer im Januar 2003 als gefährdet gilt, wenn der Göppinger Neonazi Alexander Larrass aus der Haft entlassen wird. Der Häftling gilt nach einem Dokument des portugiesischen Geheimdienstes als Waffenbeschaffer für die Nazi-Szene.
Seit Jahren pflegt er intensive Kontakte ins europäische Ausland. Der portugiesische Inlandsnachrichtendienst SIRP informierte 2006 das Bundesamt für Verfassungsschutz, Gerlach sei für Waffenlieferungen an die Hammerskins in ihrem Heimatland verantwortlich. Die Kameraden auf der Iberischen Halbinsel hätten sich besonders für Schalldämpfer interessiert. Die habe ein alter Bekannter Gerlachs in der Schweiz besorgt: Alexander Larrass.
Der reiste in der Tat nach seiner Haftentlassung im Jahr 2003 in die Schweiz. Dort versuchte er, Waffenteile zu erwerben. Schon im Gefängnis hatte er in seinen Briefen geprahlt, es sei wieder möglich, „Arbeitsgeräte“ bei den Eidgenossen zu besorgen. So eine „Schaufel“ solle bis zu 880 Franken (724 Euro) kosten.
Die 29 Ermittler, Staatsanwälte und Psychologen, die sich am 8. Januar 2003 im Mainzer Landeskriminalamt zur Krisensitzung wegen der bevorstehenden Haftentlassung Larrass’ trafen, waren alarmiert. „Arbeitsgeräte“ und „Schaufel“ waren – sind die Fahnder überzeugt – Tarnnamen für Waffen. Die beobachteten, wie Larrass, kaum aus dem Gefängnis entlassen, wieder Gleichgesinnte um sich scharte. Als die Gruppe anfing, sich „militärisch-technisches Material“ zu besorgen, platzte einem Staatsanwalt der Bundesanwaltschaft der Kragen: Er leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Göppinger Neonazi und seine Bekannten ein – diesmal wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Larrass schreckte das nicht: Vereinfacht durch seinen italienischen Vater nahm er dessen Staatsangehörigkeit an und nannte sich fortan Rotelli. 2004 versuchte er vergeblich in die Schweiz einzureisen. Mit den bei ihm gefundenen 1875 Euro, versuchte er die Behörden zu beschwichtigen, wolle er Snowboards kaufen. Dabei hatte Larrass schon Ende der 1990er Jahre eine Vorliebe für Waffengeschäfte entwickelt.
Bayrische Verfassungsschützer gaben im Dezember 2000 Ermittlern den Hinweis, Larrass habe sich mit dem Neonazi Anton Pfahler im Gefängnis verabredet, einen Verdeckten Ermittler der Bayern zu ermorden. Der Fahnder hatte zwei Jahr zuvor ermittelt, dass Pfahler und Larrass scharfe Waffen organisiert und an Gleichgesinnte verkauft hatten.
Bei einer Razzia fanden Polizisten ein ganzes Arsenal an Maschinenpistolen und Handgranaten. Pfahler war zudem Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann. Ein Mitglied dieser rechten Terrorgruppe hatte im September 1980 auf dem Münchener Oktoberfest eine Bombe gezündet. 13 Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt. Zwar konnte bis heute nie bewiesen werden, dass ein anderer Wehrsportler oder Gruppenchef Karl-Heinz Hoffmann an dem Attentat beteiligt waren. Allerdings bezweifeln selbst Ermittler, dass Gundolf Köhle den Anschlag alleine beging.
Larrass passte in ein solches Profil voller Gewalt gut hinein: Mit 17 war er 1993 von einem Schweizer Internat geflogen, weil er rechtsradikale Tendenzen zeigte. In Göppingen sammelte er andere Neonazis um sich und gründete die „Aktion Sauberes Deutschland“, deren „Ortsgruppenführer“ er wurde. Bundesweit hatte sich diese Gruppe um den Nazi Ernst Tag formiert, um eine „politische Elite zu schaffen, die die weißen Menschen Europas wachrütteln und ihre bevorstehende Vernichtung durch den Zionismus und Kommunismus verhindern soll“.
Larrass beließ es nicht bei der Propaganda. Im November 1994 schändete er mit zwei Kumpanen in Jebenhausen bei Göppingen den jüdischen Friedhof. Wenig später schoss er einem Menschen mit einer Gaspistole ins Gesicht. Nach dem aufgeflogenen Waffenhandel verurteilte ihn ein Richter des Landgerichts Ingolstadt zu einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten.
Die 29-köpfige Runde, die im Januar 2003 beim Landeskriminalamt (LKA) in Mainz zusammensaß und sich mit diesen Erkenntnissen beschäftigte, wusste nicht, dass der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu diesem Zeitpunkt mutmaßlich schon fünf Menschen ermordet hatte – mit einer in der Schweiz gekauften Ceska 83 mit Schalldämpfer. Sie kannten auch noch nicht das Bekennervideo, in dem sich der NSU als „Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte“ feiert. Und sie wussten auch noch nicht, dass in Heilbronn eine Polizistin erschossen werden sollte. Eine Repräsentantin eines Berufs, der für Larrass den Erzfeind darstellt, weil er durch Polizisten daran gehindert wird, seine Ideologie umzusetzen: „Ein Präsident eines LfV (Landesamts für Verfassungsschutz, die Red.) oder eines LKAs darf künftig nichts anderes mehr zu tun haben, als von einer Trauerfeier oder Beerdigung zur anderen zu hetzen“, kündigt Larrass schon 2001 an.
Zu der Zeit wollen er und Thomas Gerlach bereits Kumpane um sich geschart haben, die bereit sind, den Abzug durchzuziehen und Blut fließen zu lassen.
Alexander Larrass
heißt inzwischen Alexander Rotelli.
Rotelli
Der neue Name Rotelli steht ja auch im Artikel.