[NMS] Im freien Fall - Der Zustand der lokalen Naziszene

Die SA Faldera in Krügers Garten

18 Jahre lang existierte mit dem "Club 88" gegenüber der Grundschule in Gadeland ein Treffpunkt für Nazis aus ganz Nordeuropa, den Peter Borchert zur "national befreiten Zone" erklärt hatte und der wegen der erfolglosen Schließung durch die Stadt als "The very last resort" vermarktet wurde. Die Antifa-Kampagne "Club 88 schließen" hatte jedes Jahr anlässlich des Jubiläums des Nazitreffpunkts in Neumünster-Gadeland Flyer verteilt, Demonstrationen angemeldet, Konzerte veranstaltet, usw. "DIY - In die antifaschistische Offensive gehen" hat im März 2013 erneut die Betreiberin Christiane Dolscheid, die z.B. versuchte, sich in Elternvertretungen wählen zu lassen, geoutet, auch ihr Partner Frank Rieckmann, Zweiter Vorsitzender des "Athletik Klub Ultra", wurde durch einen Artikel in der "Jüdischen Allgemeinen" bekannter, als es ihm lieb war. Zuletzt war im Rahmen der Kampagne "An die Substanz", die es sich zum Ziel gesetzt hat, rechte Infrastrukturen in Schleswig-Holstein trockenzulegen, ein detaillierter Hintergrundartikel erschienen, eine antifaschistische Kaffeefahrt zum "Club 88" konnte nur von der Polizei gestoppt werden. Dennoch schien der "Club 88", der finanziell zwar stark angeschlagen war, nicht totzukriegen - Anfang des Jahres 2014 dann das: Der weiße Schriftzug am bunkerähnlichen Gebäude in der Kummerfelder Straße wurde schwarz übergemalt, selbst an Wochenenden blieben die dicken Stahltüren zu, schnell machten in antifaschistischen Kreisen Gerüchte die Runde. Christiane Dolscheid habe bereits Anfang des Jahres dem Vermieter des "Club 88" den Schlüssel in den Briefkasten geworfen, ihre Kneipe geschlossen. Anfang April bestätigte dann die Stadt, dass das Gewerbe "von Amts wegen" abgemeldet worden sei. Auch wenn Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld, die die AntifaschistInnen zu diesem Erfolg beglückwünschte, auf die "starke Opposition" hinwies, die zur Schließung beigetragen habe, betonte das "Bündnis gegen Rechts", das Ende des "Club 88" sei auch Zeichen der "zunehmenden Schwächung der Naziszene". In diesem Artikel wollen wir diese in Bezug auf die Szene in Neumünster genauer unter die Lupe nehmen.
 
"Club 88"


Christiane Dolscheid, "ursprünglich [...] nur die Freundin des inzwischen [...] inhaftierten Peter Borchert", führte dann aber "die Geschäfte der kleinen Kneipe allein" (Andrea Röpke: Braune Kameradschaften, S.100) - und wurde zum Idol der Szene. Sie verfügte über gute Kontakte zu den Freien Kameradschaften, z.B. zum ehemaligen "Hamburger Sturm". Thorben Kai Klebe aus Hamburg-Bramfeld, der bis dessen Verbot im neonazistischen Musiknetzwerk "Blood & Honour" aktiv war, danach vor allem im Kontext des Rostocker Naziladens "East-Coast-Corner" oder als Kandidat der Hamburger NPD von sich Reden machte, sei hier ebenso als Beispiel angeführt wie Steffen Holthusen, der schon Anfang der 2000er mit den "Combat 18"-Aktivisten Clemens Otto und Peter Borchert auf einem Aufmarsch in Neumünster ein Transparent mit einem Davidstern und der Aufschrift "Nazi", das also die versuchte Schließung des "Club 88" mit der Judenverfolgung gleichsetzte, entrollte, 2002 mit Jens Lütke und Peter Borchert in einer Mannschaft am Holstenköstenlauf teilnahm und dessen Name zuletzt 2013 im Zuge der Polizeirazzia beim "Stammtisch Hamburg", den er maßgeblich organisiert hatte, durch alternative Medien geisterte. Dolscheid schwärmte in einem Interview von der "Vernetzung der nationalen Kräfte, was insbesondere im Norden auch viel dem Club zu verdanken ist" (Andrea Röpke: Braune Kameradschaften, S.100) - was sie damit meinte, kam erst im Zuge der NSU-Ermittlungen ans Licht: Ihr Name stand auf der NSU-UnterstützerInnenliste, bekannt ist ebenfalls, dass Holger G. und einer der "Uwes" am vom "Club 88" organisierten "Whitelaw"-Konzert besuchten, das von der Polizei aufgelöst wurde.
Bei einer Veranstaltung in Neumünster wies Andreas Speit unlängst darauf hin, dass der Wegzug von Kadern die lokale Naziszene irreparabel schädigen könne, wohingegen das Vorhandensein von Szenetreffpunkten immer eine Hintertür offen lasse, um die Naziaktivitäten in der Gegend wieder aufleben zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist die Schließung des "Club 88", in dem eher unorganisierte Kräfte an extrem rechte Strukturen wie die Kameradschaften oder die NPD, in der Christiane Dolscheid seit 2009 Mitglied ist, herangeführt wurden, umso bedeutsamer - "The very last resort is gone" betitelte die Autonome Antifa-Koordination Kiel einen ihrer Artikel.

"SA Faldera"


Auch einen anderen Nazitreffpunkt in Neumünster scheint es nicht mehr zu geben: Die Gartenparzelle von Andreas Krüger am Ende der Falderastraße. In der Laube, über der die Reichskriegsfahne wehte, hatte sich die selbst ernannte "Sturmabteilung Ortsgruppe Faldera", zu der auch Nazis wie Björn Callsen, Rene Martens, Martin Hoffmann, Philipp Wedemeyer oder Christopher Delfs, die ihre öffentlichen Aktivitäten in der letzten Zeit deutlich reduziert, sich ideologisch aber nicht vom Nationalsozialismus abgewandt haben, gehören, zum Feiern mit Bier, Grillwurst und Rechtsrock getroffen. Dass sie nach wie vor gefährlich sind, bewiesen sie am 01. Mai 2012, als sie aus Andreas Krügers Gartenparzelle heraus Jagd auf GegendemonstrantInnen machten und einige von ihnen verletzten. Viele dieser "Freien Kräfte", denen die NPD zu handzahm ist, kennen sich z.B. aus der extrem rechten Kampfsportschule "Athletik Klub Ultra", wo sie u.a. bei Tim Bartling, der zum Gründungsumfeld des "Club 88" gehört, oder bei Frank Rieckmann trainieren. Der aus Wasbek stammende Björn Callsen, der wie einige andere Nazis beim SG Padenstedt Fußball spielt, war schon in den 90ern auf Nazidemos in Hamburg, Lübeck etc. unterwegs. Der aus Neumünster-Faldera stammende Rene Martens gehört zum Umfeld der "Titanic" und war an einigen Übergriffen auf BesucherInnen des alternativen Jugendzentrums "AJZ" beteiligt. Martin Hoffmann, der ein paar Häuser neben Björn Callsen groß geworden ist, gehörte zur von Alexander Hardt angeführten "AG Neumünster", die mit Gewalt gegen Andersdenkende von sich Reden machte. Der ebenfalls aus Faldera stammende Philipp Wedemeyer gehörte zum Umfeld der inzwischen aufgelösten, von Nazis unterwanderten Ultra-Gruppe "Schwalefront" und pflegt inzwischen Kontakte zur "Weiße Wölfe Terrorcrew". Christopher Delfs alias "Chris Nix", der aus Hamburg nach gezogen ist, versuchte sich in den letzten Jahren mehrfach erfolglos als Anti-Antifa-Aktivist. Andreas Krüger selbst, der bei der Baufirma "Max Huss" arbeitet, vor ein paar Jahren den Bandidos-Supportern "Contras" beitrat und sich 2010 am versuchten Rudolf Hess-Gedenkmarsch in Neumünster beteiligte, wird nicht nur wegen seiner Haarfarbe "Feuerteufel" genannt. So mutet es schon ironisch an, dass der Treffpunkt der "SA Faldera" einem Brand zum Opfer gefallen ist. Wie es angesichts dieser Nachrichten mit der von Dolscheid so angepriesenen Vernetzung weitergeht, bleibt abzuwarten. Viele AntifaschistInnen befürchten, dass die Bedeutung der Kneipe "Titanic", in der auch die "SA Faldera" regelmäßig anzutreffen ist, in Zukunft noch steigen wird.

"Titanic"


Die extrem rechten Verstrickungen der Kneipe werden im Artikel "Nazi business as usual" der Kampagne "An die Substanz" detailliert beschrieben, auch die vom "Bündnis gegen Rechts" herausgegebene Recherche-Broschüre "Braune Fallen" widmet ihr viele Seiten. Die "Titanic" dient als Bindeglied zwischen "Freien Kräften" und der NPD, dessen Landesvorsitz sich auch schon in den Räumlichkeiten in der Wippendorfstraße getroffen hat. Wirt Horst Micheel, seit 2006 NPD-Mitglied, war zudem im NPD-Kreisverband seit 2012 für den Kontakt zu den "Freien Kräften" zuständig. Die rechten Umtriebe von Horst und Pascal Micheel, aber z.B. auch die des bei DHL angestellten "Titanic"-Stammgasts Wolfgang "Wolle" Endler, der NS-verherrlichende Werbung auf Facebook verbreitet, haben dafür gesorgt, dass in der jüngeren Vergangenheit einige Bands und MusikerInnen ihre Auftritte in der "Titanic" absagten, so dass die Micheels wieder einmal wenig glaubhaft versuchen, einfach alles zu leugnen bzw. alle anderslautenden Berichte als "Hetze" zu diffamieren. Während weiterhin Proch und CO. in der Titanic ein- und ausgehen, hängte das "Titanic"-Team Zettel mit orthographisch hanebüchenen Sätzen wie "Ab sofort, distanziert sich die Titanic NMS von jeglicher Art von Gruppierungen oder Politischen Anhänger!" in die Fenster. So richtig rund läuft es aber momentan auch nicht: Nach wie vor gibt es Spannungen zwischen Horst Micheel, der zunehmend versucht, mediale Aufmerksamkeit zu vermeiden, und der Partei, die ihm bei der letzten Kommunalwahl trotz seiner Bedenken zur Kandidatur drängten. Die Presse fokussierte damals, aber auch nach der Schließung des "Club 88" erneut seine Kneipe, was ihm gar nicht ins Konzept passt.
 
"NPD Kreisverband"


Bei ihren Infotischen tragen die AktivistInnen der Neumünsteraner NPD gerne Eselsmasken, in der Adventszeit schicken sie ihren Ratsherrn Mark Proch als Weihnachtsmann los, im Wahlkampf laden sie Comics mit sprechenden Tieren auf ihrer Homepage hoch... Die extrem rechte Partei versteckt sich gerne hinter Bildern und Symbolen, um von ihrer menschenverachtenden Ideologie abzulenken.
Gleichzeitig setzt die NPD, die alle anderen Parteien gerne als "Lügner" abstempelt, aber auch Bilder manipulativ ein, z.B. wenn es darum geht vorzugaukeln, dass das Interesse an der Partei rapide zunehmen würde. Damit - so die Hoffnung - könnten sie über den Niedergang der extrem rechten Szene hinwegtäuschen und ihr menschenverachtendes Weltbild kaschieren.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das dachte sich auch der Kreisverband Segeberg-Neumünster der extrem rechten NPD. Den schlecht geschriebenen "Artikeln" auf der Homepage oder auf der Facebook-Seite werden deshalb regelmäßig Photos an die Seite gestellt, die unterstreichen sollen, wie groß das Interesse an den Infotischen der Partei im Kreisgebiet angeblich ist. Dumm nur: Die vermeintlichen PassantInnen stellen sich bei näherem Hinsehen als NPD-AktivistInnen heraus. Auf dem Photo aus Kaltenkirchen, wo die NPD im Januar 2014 ihre Propaganda loszuwerden versuchte, steht u.a. kein geringerer als Mark Proch vor dem Infotisch und unterhält sich mit Alexander Meeder, Alexander Nissen und Björn Schubert. Zwar steht Proch mit dem Rücken zur Kamera, ist aber dennoch unschwer zu erkennen. Gleiches Spiel mit dem Bild von November 2013 aus Bad Segeberg: Während Alexander Meeder stur hinterm Infotisch steht und Däumchen dreht, betrachtet ein interessierter Bürger das ausgelegte Material - bei dieser Person handelt es sich um Karl Johannsen, Kandidat der NPD im Wahlkreis 8 (Segeberg - Stormarn Mitte) bei der letzten Bundestagswahl. Bereits im Dezember 2012 titelte das Infoarchiv Norderstedt über die Berichterstattung der Nazis: "NPD feiert menschenleeren Infotisch". Im Artikel verweist das Infoarchiv auf die offensichtlich überzogene Behauptung, die NPD hätte "viele Flugblätter" verteilt und "viele tiefschürfende Gespräche" geführt, und schreibt ironisch zu dem Photo, das den Infotisch auf dem nahezu leeren Rathausmarkt zeigt: "Die NPD nimmt ein Bad in der Menge..."

Dafür, dass die NPD in Neumünster trotz ihres erstmaligen Einzugs in die Ratsversammlung nicht floriert, wie es die Photos und die Übertreibungen in den "Artikeln" suggerieren, sondern sich im Gegenteil im freien Fall befindet, gibt es mehrere Indizien.
Im Jahr 2011 schrieb der Kreisverband auf seiner Homepage, es gehe darum, den "Altparteien" zu zeigen, "wie man Einigkeit und Stärke praktiziert". Auf twitter wirbt die NPD Segeberg-Neumünster mit dem Slogan "da, wo starke Herzen sind". Derzeit dominieren parteinintern aber eher Zwist und gebrochene Herzen. Auf ihrem meinvz-Profil bezeichnete Sonja Proch, Schatzmeisterin des Kreisverbands, dem Tag der Heirat mit Mark Michael Proch als glücklichsten Tag ihres Lebens - jetzt gab der Ratsherr der Partei die Trennung bekannt. Nicht nur, dass dies wie so oft nicht zur offiziellen Linie der Partei, die gerne Joachim Gauck als "Ehebrecher" beschimpft und deren Jugendorganisation JN mit Slogans wie "Identität - Familie ist Revolution" wirbt: Das Ehepaar Proch hatte bisher in ihrem Umfeld Mitglieder rekrutiert, den Kreisverband zusammengehalten und in der Stadt an der Schwale auch geführt - Mark als Ratsherr, Sonja als Kassenwartin. Die geborene Sonja Regner hat im Zuge der Trennung aber auch bekannt gegeben, alle Kontakte zur Partei abzubrechen, so dass im Kreisverband in kurzer Zeit zum zweiten Mal die Kassenwartin wegfällt (im Zuge der Kampagne "DIY- In die antifaschistische Offensive gehen" hatte bereits Katharina Schubert die Partei verlassen). Der in Leezen wohnende Wolfgang Schimmel, der sich in der Bundes-NPD um die Finanzen kümmert, hatte im Juni 2013 in der "Arbeitshilfe für Schatzmeister", die er Sonja Proch zur Verfügung gestellt hatte, explizit auf ihre Verantwortung hingewiesen, weil es bei Problemen mit der Buchhaltung teuer werden kann für die NPD: "Die NPD kann nur dann korrekt an den Bundestag melden, wenn alle Untergliederungen ihre Einnahmen, Ausgaben, Vermögen und Schulden rechtzeitig und korrekt der Parteizentrale gemeldet haben." Da stehen Schimmel, der die Schrift selbst herausgegeben hat, wohl einige arbeitsreiche Wochen bevor, um Herr über das Chaos zu werden und so zu vermeiden, dass die NPD erneut hohe Strafen zahlen muss. Ob Sonja Proch ihre Ankündigung, den Kontakt zur Partei abzubrechen, in die Tat auch umsetzt, bleibt abzuwarten - immerhin sind neben ihrem Ex-Mann auch zwei ihrer Brüder in der NPD aktiv, deren Mitglieder sich bisweilen ausgerechnet in ihrer Lieblingskneipe, der "Titanic", treffen.
Ablenken sollen die biederen Infotische, die vermeintlich lustigen Tiermasken usw. aber auch vom wahren Gesicht der Partei. Neben antiziganistischen ("Geld für Oma...") und rassistischen Wahlplakaten sind es vor allem von Äußerungen des Kreisvorsitzenden Daniel Nordhorn, die eine deutliche Sprache sprechen. Der NS-Nostalgiker, der eine Hakenkreuzflagge in seiner Wohnung hängen hat, postete im Dezember 2012 "verrecke, Du J****schwein!", wünschte sich im Februar 2013 den Tod durch Erhängen für Femen-Aktivistinnen und beglückwünschte im Juni französische Nazis zu einem Mord an einem Antifaschisten. Aber auch hinter den "harmlosen" Eselsmasken steckt mehr als vielleicht auf den ersten Blick zu vermuten, bezieht sich die NPD damit doch direkt auf eine Aktion der "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" um Michael Kühnen, die 1978 in Hamburg mit Eselsmasken und Schildern mit der Aufschrift „Ich Esel glaube immer noch, dass in deutschen KZ Juden vergast wurden“ auftraten. Diese Anlehnung an die Leugnung des Holocaust ist ebenso demaskierend wie der Hintergrund des von der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten herausgegebenen Comics "Enten gegen Hühner", zu dem der NPD-Kreisverband Segeberg-Neumünster am 27.10.2013 schrieb, er sei "aktueller als je zuvor". Obgleich als "witzig" und als Anlehnung an Donald Duck beworben, bedient der Comic so manches rassistisches Klischee und bezieht sich in Wirklichkeit auf "The Fable of the Ducks & Hens", das 1996 das gleichnamige Gedicht des "American Hitler" George Lincoln Rockwell, Gründer und lange Zeit auch Führer der "American Nazi Party", bebilderte.

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Thorben Kai Klebe wird meines Wissens nach ohne "h" geschrieben und ohne "i", aber dafür mit "y", also "Torben Kay Klebe", oder irre ich mich da? Wurde in anderen Artikeln aber auch schön öfters mal falsch gemacht.

Ansonsten sehr schöner und gut recherchierter Artikel! Vielen Dank dafür!