Dies ist kein Vorwort

Dies ist kein Vorwort

Krise ist zu einem Alltagsbegriff geworden und der Angriff auf den Wert der Arbeitskraft zu einer alltäglichen Realität. Ein solcher Angriff war bereits im genetischen Code des Kapitalismus durch die Restrukturierung der 1970er und 1980er Jahre eingeschrieben, doch die Krise des restrukturierten Kapitalismus gab ihm einen enormen Schwung. Seien es Kämpfe der Lohnarbeiter, welche ängstlich fordern, solche bleiben zu dürfen, und Mobilisierungen der Rentner, um ihr Überleben zu verteidigen, der Ausbruch der Wut der „barbarischen Unterschicht“ in entwickelten Ländern, gewalttätige Ausschreitungen der Arbeiter in der südostasiatischen Weltfabrik oder der arabische Frühling und seine Folgen, es sind alles solide Beweise für die andauernde Konfliktualität der gesellschaftlichen Wirklichkeit, welche sogar die reuelosesten Propagandisten des Endes der Geschichte zwingt, ihr Repertoire zu erneuern. Zugegeben: Nicht alles ist perfekt. Doch es scheint auch gute Neuigkeiten zu geben: Niemand braucht sich darüber Sorgen zu machen, wohin diese Welt steuert, es ist eine Einbahnstrasse, die Fahrt geht einfach weiter. Einige Änderungen des verwaltenden Personals werden gnädig zugestanden, jene Leute, welche das Mantra der „Alternativlosigkeit“ wiederholen, können stets erneuert werden und sogar nach Sozialismus riechen. Selbstverständlich formulieren die Überbleibsel der einst optimistischen Bürgerbewegungen weiterhin „Vorschläge“ - die immer weniger weit reichen und zahmer werden –, sie bitten den Kapitalismus weiterhin darum, hier und dort ein bisschen nachzubessern, doch niemand scheint diese noblen Seelen ernst genug zu nehmen, denn sie verfügen über keinen gut platzierten Ansprechpartner mit einem offenen Ohr. Trotzdem gibt es immer noch Kämpfe, Ausbrüche, Ausschreitungen, welche daran erinnern, dass der Klassenkampf noch da und dass das Kapital, heute nicht weniger als gestern, ein „prozessierender Widerspruch“ ist. Hand in Hand mit diesem wird die kritische Theorie seines Niedergangs hervorgebracht: Wo Geschichte gemacht wird, wird auch Theorie gemacht.

 

Die Kommunisierung wird nicht mehr als exotisches Biest wahrgenommen und sie tendiert manchmal gar dazu, zu einem Modewort zu werden. Gegenwärtige Kämpfe illustrieren das Ende der klassischen Arbeiterbewegung, zusammen mit dem Ende ihrer Ambition, den vermeintlich von Natur aus guten Kern der Wirtschaft den gierigen kapitalistischen Raubtieren zu entreissen und selbst zu verwalten. Es ist fast offensichtlich, dass die Welt unserer Tage, sowohl deren Materie als auch deren Geist, die durch und für das Kapital hervorgebrachte Welt ist; dass somit Arbeiter und ihre Produkte nie existiert hätten, wenn sie nicht vom Kapital kreiert worden wären; dass die Forderungen der Arbeiter heutzutage asystemisch geworden sind, oder, in anderen Worten, zu einem Skandal ähnlich dem Hochverrat; dass Proletarier gezwungen sind, ihre Bedingung gegen das Kapital zu verteidigen, doch in diesem Kampf sind Aktionen, welche das Kapital verletzen auch Aktionen, welche dazu tendieren, die proletarische Bedingung in Frage zu stellen; dass Kommunismus nicht als zu realisierendes Programm konzipiert werden kann, sondern nur als historisches Produkt des Kampfes des Proletariats gegen das Kapital und, gleichzeitig, gegen seine eigene Klassenzugehörigkeit usw. All das kann ziemlich einfach aufgezeigt werden, fast schon beunruhigend einfach.

 

Logische Offensichtlichkeit ist nicht der Stoff, aus welchem die Wirklichkeit gemacht ist. Die extreme Segmentierung des Proletariats im restrukturierten Kapitalismus kann leicht die Unterscheidung zwischen jemandem und dem verwischen, wofür er kämpft, und es ist nur ein dürftiger Trost, dass am Ende zwingend der Sieg oder die Zerstörung des Kapitals stehen wird. Ausserdem gibt es keine zentrale Konfrontation zwischen Kapital und Arbeit mehr inmitten von prä- oder protokapitalistischen gesellschaftlichen Schichten, welche unter Umständen den einen oder den anderen Protagonisten unterstützen. Die Gesamtheit der Gesellschaft wurde vom Kapital übernommen und wird von ihm reproduziert und das bedeutet unter anderem, dass diverse Mittelschichten, von Lohnarbeit oder anderweitig lebend, zwingend direkt involviert sind. In der real globalisierten Welt des restrukturierten Kapitalismus ist die Vereinigung nur möglich durch die Konstruktion von Unterschieden, deren Wechselbeziehung dem gewünschten vereinigenden Resultat zuträglich ist – die Ziele werden angepasst oder neu gesetzt, wenn das tatsächliche Kräfteverhältnis Form annimmt. Die Zoneneinteilung der Regionen der Welt und innerhalb jeder Region und jedem Land scheint weit weniger stabil als das, was damals als gut arrangierte Fraktalisierung der Welt erschien, samt ihrem unvermeidlichen Klebstoff des Autoritarismus und der Metzelei. Im Kontext einer verlängerten Krise streben die Proletarier nach Überleben und diverse Mittelschichten danach, die Proletarisierung und die Marginalisierung zu vermeiden, während der vernichtende Kampf diverser Kapitale dazu tendiert, zwischen zwei „reinen“, doch gleich unmöglichen Resultaten unendlich zu zögern: die Aufrechterhaltung der unmittelbaren globalen Mobilität des Kapitals mit gleichzeitiger Verschiebung der massiven Entwertung, welche für jegliche Art von Neustart notwendig ist; der Rückfall in die warme Umarmung von Staaten oder Blöcken von Staaten, welche durch Kampfflugzeuge, Panzer, Geheimdienste und dem ganzen Krimskrams auf dem sich stets erneuernden Spiel der Aneignung des weltweit produzierten Mehrwerts lastet. Die „Normalität“ des restrukturierten Kapitalismus deutete auf eine ungehinderte globale Fluidität des Kapitals und auf eine repressive Verwaltung nationaler Räume durch Staaten hin, deren einziges wirklich nationales Element die Ideologie der Repression ihres inneren Feinds wäre. Seine Krise deutet auf eine praktische Schwierigkeit hin, solch ein prozessierendes Gleichgewicht zu erreichen: Grosse Massen, welche sowohl vom „entwickelten“ als auch vom „sich entwickelnden“ Kapitalismus als überschüssige Bevölkerungen hervorgebracht werden, zeigen keinen besonderen Enthusiasmus, von der Erdoberfläche durch eine Abwärtsspirale des Elends zu verschwinden, nur weil der Kapitalismus sie dazu verpflichtet; etliche Mittelschichten von Ägypten bis in die USA weigern sich, von den dominanten Kapitalen zerquetscht zu werden, sie nehmen sich manchmal gar die Strasse; und v.a. wird die Schwächung oder Abwesenheit von vermittelnden Mechanismen in proletarischen Kämpfen immer offensichtlicher und das einzige daraus entstehende Dilemma scheint jenes zwischen offener Konfrontation oder bedingungsloser Kapitulation zu sein.

 

Der Kern des kapitalistischen Kraftwerks ist die Ausbeutung einer Klasse durch eine andere und, innerhalb dieses Prozesses, deren Reproduktion als eine Klasse der Ausbeuter und einer Klasse der Ausgebeuteten und die Reproduktion der Gesamtheit der Gesellschaft des Kapitals. Jeder Kampfzyklus konstruiert den Inhalt der Revolution, welcher einer historisch hervorgebrachten Klassenkonfiguration entspricht, und auch der entsprechenden Konterrevolution. Eine siegreiche Konterrevolution am Ende eines Kampfzyklus ist gleichbedeutend mit einer Restrukturierung in Anbetracht eines neuen Akkumulationszyklus: Es gibt keine Zusammenstellung von „objektiven Bedingungen“, welche „reifen“ und ein Urteil sprechen, das nur ein bisschen auf die Formalität seiner Vollstreckung warten muss. Der Stoff, aus welcher die Wirklichkeit gemacht ist, ist der Klassenkampf, doch nicht in einer vermeintlich reinen Form: Falls irgendeine „Reinheit“ überhaupt existiert, wird sie historisch vom Klassenkampf hervorgebracht werden müssen, in einer Art und Weise, die einen Bruch mit der Routine des Zyklus der Reproduktion des Kapitals darstellt. Es gibt keine lineare Entwicklung von gegenwärtigen Kämpfen zur Revolution, doch gegenwärtige Kämpfe sind, trotz ihrer Grenzen und Unmöglichkeiten, der einzige Anker der Theorie der Kommunisierung. Die zweite Nummer von Sic richtet den Fokus klar auf eine kritische Auswertung von Kämpfen an verschiedenen geographischen Orten und mit verschiedenem Inhalt; eine Diskussion über kommunistische Massnahmen dient womöglich als theoretisches Gegengewicht; die Analyse des Konzepts der Konjunktur wird den notwendigen Sprung weg von der inneren Kette der Kausalität der Reproduktion des Kapitals thematisieren.

 

Sic ist ein internationales theoretisches Projekt, nicht eine homogene Gruppe. Meinungsverschiedenheiten sind willkommen und werden eifrig diskutiert: Sie sollten keine Überraschung darstellen. Eine gemeinsame Grundlage existiert allerdings und sie unterscheidet Sic von anderen Strömungen. Ein transhistorisches und teleologisches Verständnis des Klassenkampfes, welches jegliche Periodisierung seines Inhalts verweigert, ist hier nicht zu Hause; die Konzeption von immer wiederkehrenden proletarischen Angriffen, welche sich alle gleichen und zwischen welchen keine tatsächliche Geschichte steht, gehört jenen, welche bereit sind, den womöglich guten genau wie die anderen zu interpretieren, mit dem einzigen Unterschied, dass er erfolgreich statt erfolglos war; der „Vorschlag“ (an wen?) von Gesellschaftsmodellen, welche „besser“ seien als das existierende, ist nicht Teil unserer Sorgen; den Glauben an eine Abgrenzung und Ausbreitung kommunistischen Terrains, wie eine kommunistische Maus, welche in den kapitalistischen Käse hineintaucht und ihn allmählich wegfrisst, teilen wir nicht.

 

Davon abgesehen ist Sic ein offenes Projekt. Offenheit ist selbstverständlich kein Allheilmittel und hilfreiche gegenseitige Erklärung und Verständnis gehören nicht zu den Spezialitäten jener Gesellschaft, wovon wir alle Teil sind. Vor einigen Monaten entschieden die Mitglieder der französischen Theoriegruppe Théorie Communiste (TC), Sic zu verlassen. Diese Entwicklung war besonders wichtig, denn die theoretische Arbeit von TC war der Eckpunkt der Lancierung von Sic. Doch das Leben geht weiter und Probieren geht über Studieren: Die Fähigkeit von Sic, kreativ gemeinsam zu funktionieren und Theorie auszuarbeiten wird in Zukunft das einzige entscheidende Kriterium für das Projekt sein (natürlich abgesehen von allgemeinen Entwicklungen). Das Verlassen des Tischs bedeutet nicht, dass das Essen darauf nicht mehr geniessbar ist, und spricht auch niemanden von gegenwärtigen oder vergangenen Sünden frei. Da die Geschichte sich nicht darum kümmern wird, in der Angelegenheit irgendein Urteil zu sprechen, genügt es zu sagen, dass wir sowohl TC als auch Sic eine konstruktive Zukunft wünschen.

 

T.H.

 

Übersetzt aus dem Englischen von Kommunisierung.net

 

Quelle

 

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für die mühe die texte zu übersetzen, die ich sehr gehaltvoll finde. was mir aber häufiger auffällt, ist das in den texten häufig strukturen und personenzusammenhänge oder szenen angedeutet werden, die aber hier in doofland ja nicht bekannt sind, da es sich um französische szenen und englische handelt.

 

"...die Kommunisierung droht ein modewort zu werden..." wer verwendet sie denn als modewort und soll das bedeuten das die leute die das machen kommunisierung oder kommunismus meinen?

 

um die texte mit etwas mehr hintergrundwissen verfolgen zu können wäre eine einfache skizze sehr hilfreich. in ihr kann kurz beschrieben werden wer, was, wo macht.

 

trotzdem danke an die übersetzer_innen und die die projekte machen.

"im genetischen code des kapitalismus [...] eingeschrieben" is ja wohl einer der übelsten kacksätze die ich das missvergnügen hatte hier in letzter zeit zu lesen. geht mal bischen moderne genetik lernen bevor ihr euch zu so quatsch versteigt plz, k ?
so hört sich das eher nach sarrazingesülze an, und wenn ihr meint das krise und angriffe auf dass was wir ausgebeuteten so zu verkaufen haben zum kapitalismus gehören würd ich euch ja nichtmal widersprechen aber dann is der satz nich nur gruselig sondern auch falsch

Du musst auch versuchen die Metapher zu verstehen die da benutzt wird. Soll in dem Fall wohl heißen das die heutige Entwicklung (Krise, Angriff auf Wert der Arbeitskraft) bereits in den Weichenstellungen der 70er/80er Jahre angelegt wurde. Dass das nichts mit Biologie oder Genetik zu tun hat weißt du und alle anderen auch...

 

Genetischer Code des Kapitalismus ist hier eben: wenn du den Arbeitsmarkt globalisierst, dann wird sich letztlich jeder & jede der/die gezwungen ist Arbeitskraft zu verkaufen am günstigsten Konkurenten orientieren müssen. Das war denjenigen klar die die Weichen in die Richtung gestellt haben klar, hätte natürlich genauso selbst bürgerlichen Gewerkschaften klar sein müssen... aber das ist nen anderes Thema.

 

Du scheinst irgendwie eh ein anderes Problem zu haben, und das Wort "genetisch" löst schon irgendeinen Beißreflex aus... wie gesagt, ist nur eine Metapher, und auch du hast Gene... ist was normales, muss Mensch halt irgendwie mit umgehen lernen...

@danke: Danke für die positive Rückmeldung. Die ganzen Theoriedebatten seit 40 Jahren lassen sich leider nur schwer in einer "einfachen Skizze" zusammenfassen. Einige Präzisierungen zu den hier erwähnten Strömungen und/oder Theoretikern findet man hier und hier. Welche Zusammenhänge oder Szenen meinst Du dann genau?

 

Die Anspielung auf die "Kommunisierung als Modewort" betrifft v.a. den englischsprachigen Raum, wo die Kommunisierung immer häufiger in akademischen Zusammenhängen diskutiert wird. Die amerikanische Obsession für "French theory" führt dann auch häufig dazu, dass alles durcheinander gebracht und so dargestellt wird, als ob Alain Badiou, Tiqqun/das Unsichtbare Kommitee und Théorie communiste mehr oder weniger das gleiche sagen, was natürlich haarsträubend ist, wenn man die Diskussionen in Frankreich auch nur ein bisschen verfolgt. Die "Abgrenzung und Ausbreitung kommunistischen Terrains" ist z.B. eben genau ein Kritik der postmodernen Metaphysik von Tiqqun/Unsichtbares Kommitee. Sie benutzen zwar auch den Begriff "Kommunisierung", benutzen ihn aber im Sinne von kommunistischen Inseln innerhalb des Kapitalismus, während für Sic/TC/Dauvé/Astarian klar ist, dass es ohne Zerstörung der kapitalistischen Gesellschaft keinen Kommunismus geben kann.

 

@doofer Biologismus: Was ist denn genau Dein Problem mit dem Satz? Ist doch nur eine Metapher, wie sollte denn das Kapital als reale Abstraktion eine DNA haben? Was ist daran "Sarrazingesülze" (die Autoren des Texts haben übrigens vermutlich noch nie von ihm gehört)? Natürlich gehören Krisen und Angriffe auf den Wert der Lohnarbeit zum Kapitalismus. Was genau ist an dem Satz "gruselig" und "falsch"?

ich hab mehr ahnung von genen als von kommunistischer theorie, aber ich versuch mich ma an ner diskussion.
das dem kapitalismus aufjeden fall und ohne zumindest für mich erkennbares aber die maximale ausbeutung der menschlichen arbeitskraft innewohnt bestreite ich nich.
der genvergleich wird aber gerade deswegen problematisch, weil in genen zwar jede menge drinsteht aber ob sie letztendlich überhaupt ihre wirkung entfalten ist von anderen genen und deren zusammenspiel und umwelteinflüssen abhängig. von daher finde ich die metapher eher zu schwach weil sie eben nicht die ständige und unbedingte ausbeutung / angriffe auf die lebensverhältnisse der leute bedeutet wenn man mit den genen ein bisschen streng is ;)
und sarrzinmäßig eben genau deswegen weil hier anscheinend ohne vertiefte ahnung der biologischen zusammenhänge mit biologischen ausdrücken um sich geworfen wird, das schafft ein falsches bild davon wie gene funtkionieren und verleitet andere dazu ähnliche kurzschlüsse zu ziehen.

Ja da geht es schon los...

Das TC etwas älter ist, wußte ich auch schon, aber das es schon an die 40 Jahre sind wußte ich zb. nicht.

 

Die Frage nach den Szenen und Zusammenhängen wird ja in deinem 2. Absatz und den links etwas aufgeleuchtet, auch dafür ein danke (: