Star-Regisseur meets Möchte-Gern-Polit-Regisseure

Star-Regisseur meets Möchte-Gern-Polit-Regisseure

In Berlin fand heute Vormittag um 10 h – als Dreingabe zum Berlinale Programm – im Haus der Demokratie eine Veranstaltung mit dem Regisseur Ken Loach (u.a. Land and Freedom über den spanischen BürgerInnenkrieg 1936-39 und Bread and Roses über prekär Beschäftigte Hispanics in Los Angelos) und dessen bevorzugten Drehbuchautor Paul Laverty statt. Thema der Veranstaltung war der aktuelle Versuch, im Vereinigten Königreich eine Organisation Left Unity (Linke Einheit) aufzubauen. Eingeladen wurden die beiden älteren Herren von einigen ebenfalls schon grauhaarigen Herren, die in der Berliner Politszene gerne das wären, was Ken Loach in Bezug auf seine Filme ist: Regisseure. Sie versuchen in Berlin unter dem Namen Neue Antikapitalistische Organisation (NAO) etwas Ähnliches wie Loach und andere in UK: eine Organisation aufzubauen.

 

Freilich haben die Berliner Möchte-Gern-Polit-Regisseure das Problem, dass der politischen Raum, der in UK links von der neoliberalen Labour Party organisationspolitisch zurzeit unbesetzt ist, in Deutschland parlamentarisch schon von der Linkspartei und außerparlamentarisch von der Interventionistischen Linken (IL) besetzt ist. Deshalb versuchen sie von Zeit zu Zeit, ihr Projekt durch das Einfliegen trotzkistischer Politprominenz aufzupeppen. Und Stars sieht nicht nur das Berlinale-Publikuum gerne; Stars sieht auch die Berliner linke und halb-linke Szene gerne, weshalb es bei diesen Promi-Veranstaltungen regelmäßig voll ist – nur bleibt kein nachhaltiger Effekt zurück. Denn derartige Promi-Veranstaltungen lassen keinen Raum für das, was TrotzkistInnen manchmal beschwören: nämlich für die Selbsttätigkeit der politisch bewussten Menschen, die sie aber in Wirklichkeit nur zum Material für ihre verschiedenen mal „entristischen“ (existierende Organisationen unterwandernden), mal organisationsgründenden Manöver machen.

 

Der Leninismus ist Schuld!

 

Während sich die meisten TrotzkistInnen als LeninistInnen verstehen (ob zu Recht oder zu Unrecht soll an dieser Stelle dahinstehen), schob Loach heute Vormittag die Schuld daran, dass es mit der Linken in UK bisher nicht so richtig vorangegangenen sei, den verschiedenen „leninistischen“ Gruppen, die nicht eingesehen hätten, dass sie sich auflösen und ihre Zeitungen einstellen müssten, zu. – Dies war die Botschaft seines Überblicks über die Geschichte der britischen Linken seit dem Thatcher-Wahlsieg 1979 (und Martin Mitterhauser von der deutschen  Schwesterorganisation einer dieser britischen Gruppen übersetzt alldies brav). Hoffnungsvolle Ansätze, wie die Socialist Alliance vor einigen Jahren, seien zum einen deshalb gescheitert, weil sich die verschiedenen Gruppen mit ihren verschiedenen Zeitungen weiterhin Konkurrenz gemacht hätten; zum anderen wegen ihrer sozialistischen Klassenrhetorik, die die Leute abschrecke. Das solle jetzt bei Left Unity anders werden: zum einen sind dort Individuen Mitglieder und zum anderen sollten dort nicht nur die mit der „korrekten“ sozialistisch-antikapitalistischen Linie mitmachen, sondern AktivistInnen aus Initiativen und Bewegungen; auch die, die im Supermarkt etwas mehr Essen kaufen, als sie selber brauchen, um es den Armen zu spenden.

Bei der Diskussion am heutigen Vormittag warfen denn auch Mitglieder der in der Linkspartei aktiven Sozialistischen Alternative (SAV) die Frage auf, wie denn Left Unity zur deutschen Linkspartei stehe. In der Tat existiert in der BRD in Form der Linkspartei bereits eine Kraft, die es mit der sozialistisch-antikapitalistischen Linie nicht so genau nimmt, aber dennoch irgendwie links von der neoliberalen SPD steht.

Ken Loach antwortete darauf, dass er die deutsche Linkspartei nicht so genau kenne, dass sich aber das, was er gelesen habe, gut anhöre, auch wenn es sein könne, dass es weniger gute Dinge gibt, von denen er nichts wisse. Aber als generelle Orientierung wolle er empfehlen, möglichst lange in solchen Formationen zu bleiben und sie erst zu verlassen, wenn sie endgültig verloren seien. Denn wenn derartige Formationen an die Regierung kämen, dann könne es immer noch zu Lernprozessen (Desillusionierungen) bei den Mitgliedern kommen. Deshalb sei es wichtig, mit den Mitgliedern in Kontakt zu bleiben und nicht vorzeitig auszutreten.

 

Ein bezeichnender Umgang mit der Wahrheit!

 

Micha Prütz machte daraus im Anschluss an die Veranstaltung in seiner Facebook-„Chronik“: „Ken Loach hat deutliche und sympathische Worte über die Notwendigkeit einer neuen antikapitalistischen Organisation gefunden.“ – In Wirklichkeit hat Loach direkt zur NAO gar nichts gesagt und indirekt, wie ausgeführt, für die deutsche Situation eher für eine Mitarbeit in der Linkspartei plädiert.

Darauf wurde Micha Prütz bei Facebook auch von Sascha Stanicic (SAV) aufmerksam gemacht (1). Daraufhin lenkte Prütz halb ein: „Stimmt in die taktischen deutschen Fragen hat er sich nicht eingemischt. Aber es i[st] kein Zufall, das Loach gerade gestern ein Werbevideo für die NPA veröffentlicht hat.“ – Nun also nicht die deutsche NAO, sondern die französische NPA…

Die Wirklichkeit und die eigenen vorhergehenden Worte werden so zurecht gebogen, wie’s in den je aktuellen, eigenen „taktischen deutschen“ Kram passt.

 

Ein nicht-leninistischer Organisationsfetischismus

 

Irgendjemand (von Left Unity oder von den NAO-Leuten) sagte heute: „Aber das Wichtigste ist Organisierung.“ Das ist einerseits so wahr wie banal, aber andererseits auch eine höchst voraussetzungsvolle (und bei Berücksichtigung dieser Voraussetzungen gar nicht mehr so banale) These. Sicherlich: Organisierung erleichtert, etwas durchzusetzen. Selbst für die Durchsetzung der bescheidensten reformerischen Ziele ist es hilfreich, in einer Gewerkschaft oder einer Mietervereinigungen oder zumindest einer Basisinitiative organisiert zu sein.

Allerdings hatte Ken Loach heute kein Argument dafür angeführt, warum es darüber hinaus sinnvoll ist, sich auch übergreifend politisch zu organisieren. Dafür wäre es freilich notwendig sich, mit den organisierungsfeindlichen Vorstellungen des mainstreams in sozialen Bewegungen und Protestszenen, wie Occupy, argumentativ auseinanderzusetzen, statt bloß mit Floskeln, wie, „Wenn wir alle in einer Mannschaft spielen, sind wir nicht zu stoppen“ (Ken Loach), um sie zu buhlen.

Über den spezifischen Nutzen und die spezifische Funktion politischer Organisierung zu sprechen, heißt freilich, nicht mehr einfach nur „alle Menschen mit gutem Willen“ einzusammeln, sondern heißt darüber zu sprechen, welche politischen Ziele durchgesetzt werden sollen (Wäre Anti-Neoliberalismus schon genug oder soll es Antikapitalismus sein? Und was meinen die Begriffe Kapitalismus und Antikapitalismus genau? [2]), und: Mit welchen Strategien und Taktiken soll diese Durchsetzung erfolgen?

Denn, wie der Titel einer kleinen Broschüre der Internationalen Kommunist_innen, die bei der Veranstaltung verteilt wurde, lautet: Es reicht nicht, nur irgendetwas zu tun, sondern das, was getan wird, sollte auch Hand und Fuß (und Kopf) haben.

 

Und politische Organisierung ist nicht deshalb wichtig, weil es dann möglich ist, Sonnenschirme am Straßenrand aufzustellen und Kugelschreiben mit Organisations-Logo zu verteilen, sondern um spezifische Inhalte mit spezifischen Strategien und Taktiken durchzusetzen.

Diejenigen, die versuchen wollen, die Zersplitterung der Linken auf die heute bei der Veranstaltung mehrfach beschworenen tausenden von Gruppen und Grüppchen zu überwinden, müssten über einen inhaltlichen und strategischen Vorschlag verfügen, der die inhaltlichen und strategischen Widersprüche, wegen der diese tausenden von Gruppen und Grüppchen existieren, überwindet.

 

Den NAO-Gründer*innen ist zugute zuhalten, dass sie mit ihrem „Manifest“ (3) einen Versuch vorgelegt haben, die von ihnen vertretenen Inhalte und Strategien vorzustellen. Zu bezweifeln ist aber, dass dieses Manifest mehr trägt, als die Gründung der tausendundersten Kleinstgruppe. Denn schon bevor die NAO ihr Manifest vorlegte, legte die Antikapitalistische Linke in der Linkspartei ihre Neugründungserklärung (4) vor, und die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) und die mit ihr international verbündeten Gruppen legten ebenfalls ein Manifest (5) vor; und dem Vernehmen nach ist für demnächst auch mit einem längeren programmatischen Text der Interventionistischen Linken (IL) zurechnen. Deren größte Gruppe, Avanti, hatte schon vor Jahren ein ausführliches Grundsatzpapier vorgelegt (6).

 

Diejenigen, die alldiese Texte lesen, und die politische Praxis dieser verschiedenen Gruppen vergleichen, werden zweifelsohne feststellen, dass sich linke Einheit mit dem voluntaristischen Appell, alle mögen doch bitte in einer „Mannschaft“ (so wurde bei der Veranstaltung Ken Loachs englisches Wort „team“ übersetzt) spielen, nicht herstellen lassen wird. Eine MANNschaft im wörtlichen Sinne war die heutige Veranstaltung aber auf alle Fälle: Auf dem Podium saßen zwei Männer als Referenten und zwei Männer als Moderatoren – da kann es schon fast als Subversion des Geschlechterverhältnisses gelten, dass die Übersetzungsarbeit nicht auf eine Frau abgeschoben wurde, sondern auch das Übersetzen an einem Mann hängen blieb.

 

Und da für die MANNschaft nach dem Spiel vor dem Spiel ist, werden wir in spätestens drei Monaten sicherlich erfahren, dass der nächste trotzkistische Promi nach Berlin eingefolgen wird, und vielleicht hat sich ja bis dahin sogar die tausendundzweite linke Kleinstgruppe gegründet…

 

(1) „Ich habe Ken Loach in Bezug auf Deutschland so verstanden, dass er sich kein abschließendes Urteil erlauben will, aber nach seinem Kenntnisstand DIE LINKE eine gute Sache ist und dass SozialistInnen so lange in breiten linken Formationen bleiben sollten, wie es möglich ist, diese zu beeinflussen. Die deutlichen Worte für die NaO in Deutschland habe ich nicht gehört – man sollte nicht vergessen, dass es auf der politischen Ebene einen wesentlichen Unterschied zwischen Großbritannien und Deutschland gibt: Großbritannien hat keine Partei links von der Sozialdemokratie, die von Millionen gewählt wird, im Parlament sitzt und zehntausende Mitglieder hat. Daher stellt sich die Frage ‚linker Einheit’ dort anders. Wir müssen ja in bezug auf DIE LINKE nicht einer meinung sein, aber Ken Loach jetzt für Euer kleines NaO-Projekt zu vereinnahmen ist ein wenig frech ....“

 

(2) Nicht NAO, sondern NOA: Nahezu ohne Antikapitalismus; http://scharf-links.de/266.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=41424&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=96b44c87f0

 

(3) http://www.nao-prozess.de/blog/manifest-fuer-eine-neue-antikapitalistische-organisation/

 

(4) http://www.antikapitalistische-linke.de/serveDocument.php?id=130&file=2/0/ef0.doc

 

(5) http://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

 

(6) http://www.avanti-projekt.de/sites/default/files/Avanti%20Grundsatzpapier%202004.pdf

 

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[B] Veranstaltung mit Ken Loach

https://linksunten.indymedia.org/de/node/106225

Der pdf-link zu "Kapitalismus abschaffen - geht das demokratisch":

http://theoriealspraxis.blogsport.de/2013/09/23/kapitalismus-abschaffen-...

 

Weitere Berichte:

Brauchen Linke eine zweite Linkspartei?

http://de.indymedia.org/2014/02/352387.shtml

 

Ken Loach zu Gast im Haus der Demokratie

Der Filmemacher und Aktivist will angesichts der Krise die Organisation der radikalen Linken in Europa vorantreiben

 

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/ken-loach-bei-nao.html

 

Eine unbeantwortete Frage:

 

"Warum sind die Leute aus diesen Organisationen raus und in die Grünen hinein oder in die politische Inaktivität gegangen?
Warum ist denn aus der WASG nicht das geworden, was Ihr Euch vorgestellt hattet?! Weil Klaus Ernst ein ‚Verräter’ war? Warum hatte denn weder das Netzwerk Linke Opposition (NLO) noch die Sozialistische Kooperation (SoKo), die am NaO-Prozeß beteiligt ist, Attraktivität für diejenigen, die von der WASG nicht zur Linkspartei gegangen sind, oder die Linkspartei enttäuscht wieder verlassen haben oder nie Illusionen in WASG und Linkspartei hatten?!
Was hätte denn eine NaO beim gegenwärtigen Stand zu bieten, das qualitativ über die gemeinsamen Mängel alldieser Organisierungsansätze hinausgeht?!
Was wäre denn das Merkmal einer NaO, die in nächster Zeit gegründet würde, das diese im Vergleich mit den heutigen Organisierungsalternativen Linkspartei, IL, UG-Bündnis, 3A-Bündnis, MLPD, DKP und den Organisierungsbemühungen der Gruppe Revolutionäre Perspektive Berlin und deren Bündnispartnerinnen (vgl. 1, 2 und 3) so sehr viel attraktiver machen würde – sodaß die Leute, die diese Organisierungsangebote verschmähen, bei einer NaO zugreifen würden?!"(*)

http://www.nao-prozess.de/blog/dann-doch-lieber-il-eine-antwort-an-micha-pruetz/

1. „Aber das Wichtigste ist Organisierung“

 

http://neoprene.blogsport.de/2014/02/15/aber-das-wichtigste-ist-organisi...

 

 

2. NAO Berlin von "ca. 40" Leuten gegründet

 

http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/02/15/was-ist-wahr/#comment-17973

 

 

3. Die InterKomm-Bilanz des NaO-Prozesses bei der Linken Zeitung gespiegelt

 

http://www.linkezeitung.de/index.php?option=com_content&view=article&id=...

 

 

4. Zu (Einigungsbemühungen in) der britischen Linken


a) Shortcuts Lead Nowhere: A critical appraisal of the Anticapitalist Initiative

 

http://www.bolshevik.org/statements/ibt_20121209_aci_shortcuts.html

 

b) Ist die Verteidigung des Niqab eine Aufgabe für Linke?

 

http://www.trend.infopartisan.net/trd1013/t451013.html

 

c) Die ‚Socialist Workers Party’ im Dienste von ‘Takfiris’

http://www.trend.infopartisan.net/trd0613/t460613.html

 

 

5. Ein älterer Text bei linksunten zum Thema "NAO"


Suicidal Tendencies im NaO-Prozess

 

https://linksunten.indymedia.org/node/92188