Im August 2013 haben wir gemeinsam mit anderen Gruppen und Organisationen den Aufruf „Naziterror und Rassismus bekämpfen! Verfassungsschutz auflösen!“ veröffentlicht und damit eine Kampagne gestartet, die mit der Demonstration in Schwäbisch Hall am 16.November 2013 zunächst beendet wurde.
Das Ziel der Kampagne war es, die Verstrickungen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) mit den Geheimdiensten und der baden-württembergischen Naziszene und den staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus als Hintergrund des jahrelangen faschistischen Terrors zu thematisieren.
Die Grundlage dafür war ein produktiver Austausch von AntifaschistInnen aus Schwäbisch Hall und aus Heilbronn im Vorfeld und eine Diskussion darüber, wie die verschiedenen regionalen Bestandteile des „NSU-Komplexes“, also z.B. der Polizistinnenmord in Heilbronn und der Haller Ableger des „Ku-Klux-Klan“ (KKK), gemeinsam behandelt werden könnten.
Letztlich ist es der Kampagne gelungen, mit einer ganzen Palette an Aktionen und Veranstaltungen das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen und das Stillschweigen, das bisher in Baden-Württemberg größtenteils zum „NSU“ herrschte, zumindest stellenweise zu durchbrechen.
Wir wollen die Kampagne in diesem Text noch einmal kurz aus unserer Sicht zusammenfassen und kritisch beleuchten und wir freuen uns über weitere Diskussionsbeiträge und Verbesserungsvorschläge.
Mobilisierung
Ab August 2013 wurde mit einem Bündnis-Aufruf zu den Aktionen im Rahmen der Kampagne mobilisiert. Dem Text war deutlich anzumerken, dass versucht wurde, möglichst viele politische Spektren anzusprechen und deren Vorstellungen miteinzubeziehen, ohne dabei auf zentrale inhaltliche Forderungen wie z.B. nach der Auflösung des „Verfassungsschutzes“ zu verzichten. Wir finden diese Herangehensweise grundsätzlich richtig und sehen dies auch dadurch bestätigt, dass sich in den darauf folgenden Monaten über 70 Gruppen und Organisationen und verschiedene Einzelpersonen dem Aufruf anschlossen.
Zu den UnterzeichnerInnen gehörten nahezu alle relevanten Antifa-Gruppen aus Baden-Württemberg, mehrere migrantische Organisationen, verschiedene Parteien und Teile der Gewerkschaften.
Präsent war die Kampagne durch Flyer, Plakate, verschiedene Aufkleber und einen eigenen Blog.
Hinzu kamen Mobilisierungsveranstaltungen in Heidelberg, Mannheim, Freiburg, Schwäbisch Hall und Heilbronn, die nicht nur für die Kampagne warben, sondern in denen auch versucht wurde, einen Überblick über den „NSU-Komplex“ und seine gesellschaftliche Bedeutung zu geben.
Ab Oktober begleiteten antifaschistische AktivistInnen die Kampagne mit zahlreichen kleineren Spontandemonstrationen, Flashmobs, Infoständen und Kundgebungen u.a. in Heilbronn, Schwäbisch Hall, in Öhringen, Freiburg, Stuttgart und in Stuttgart-Bad Cannstatt vor dem Landesamt für Verfassungsschutz. Ergänzend hinzu kamen Transparent-Aktionen und die Präsenz auf den Aktionen gegen die Einheitsfeiern in Stuttgart am 3.Oktober und gegen den Naziaufmarsch in Göppingen am 12.Oktober.
In Gailenkirchen bei Schwäbisch Hall outeten Antifas den aktuellen „Ku-Klux-Klan“- Chef Dietmar Braunfels.
Das „Offene antifaschistische Treffen Freiburg und Region“ rief mit einem eigenen Aufruf zur Beteiligung an der Kampagne auf und die Organisierte Linke Heilbronn (OL) veröffentlichte eine ausführliche Broschüre zum Thema.
Unsere Einschätzung ist, dass in der Kampagne das Repertoire der Mobilisierungsmethoden gut ausgeschöpft wurde. Es ist natürlich immer auch noch mehr möglich.
Inhaltliche Veranstaltungen
Neben den im Fokus der Mobilisierung stehenden Demonstrationen waren auch inhaltliche Veranstaltungen ein wichtiger Bestandteil der Kampagne.
Zum einen waren dies zwei Vortrags- und Diskussionsabende in Heilbronn und Schwäbisch Hall mit Thomas Wüppesahl, dem Bundessprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten e.V.
Mit mehr als 60 TeilnehmerInnen in Schwäbisch Hall und über 70 TeilnehmerInnen in Heilbronn waren beide Veranstaltungen sehr gut besucht. Thomas Wüppesahl berichtete detailreich über das Innenleben der Polizei- und Sicherheitsapparate, über rassistische Tendenzen und den Korpsgeist in der Polizei und ließ nicht viel Gutes am staatlichen Umgang mit dem sogenannten NSU und der Aufklärung über dessen Netzwerk.
Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Dr. Rolf Gössner, der bei einer zweiten inhaltlichen Veranstaltung in Heilbronn zu Gast war, nahm in seinem Vortrag vor allem die deutschen Geheimdienste auseinander. Er schilderte, wie der „Verfassungsschutz“ seit Jahren und Jahrzehnten mit seinem „V-Leute-System“ in Nazi- Strukturen wirkt und diese mit aufbaut. Im Fall des faschistischen Netzwerks NSU war der Geheimdienst durch mehrere solcher „V-Leute“ in der unmittelbaren Nähe der „untergetauchten“ Nazis. Auch an dieser Veranstaltung im „Sozialen Zentrum Käthe“ nahmen über 60 Menschen teil.
Die Verknüpfung der aktivistischen Kampagnen-Praxis mit inhaltlichen Veranstaltungen ist unserer Meinung nach ein guter Weg, um eine oberflächliche und phrasenhafte Mobilisierung zu vermeiden und auch Menschen, die sich bisher noch nicht tief in das Thema eingearbeitet haben, zu informieren.
Der Zeitrahmen der Kampagne hätte allerdings unseres Erachtens noch für weitere Veranstaltungen Platz gehabt. Es wurde sich sehr auf den eigentlichen „NSU-Komplex“ und die Verstrickung mit den Geheimdiensten konzentriert, anstatt auch den staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus bzw. den Hintergrund und die Entstehung rassistischer Ideologie in einer eigenen Veranstaltung zu thematisieren.
Überregionale Demonstration in Heilbronn
Die überregionale Demonstration in Heilbronn am 2.November 2013 war eindeutig ein Schwerpunkt der Kampagne.
Knapp 500 Menschen beteiligten sich daran.
Das ist eine passable Anzahl, z.B. kamen bei einer ähnlich ausgerichteten und breit aufgestellten Demonstration in Göttingen wenig später eben so viele Leute zusammen. Trotzdem waren wir und andere Gruppen aus dem Vorbereitungskreis nach der monatelangen lebendigen Mobilisierung auch etwas ernüchtert.
Offensichtlich ist es nicht wirklich gelungen, in den verschiedenen Spektren die Notwendigkeit einer starken gemeinsamen Demonstration zum zweiten Jahrestag der NSU- Selbstenttarnung zu vermitteln.
Das gilt für alle Spektren, auch wenn die antifaschistischen Gruppen auf der Demonstration sicherlich am stärksten vertreten waren.
Generell scheint das Interesse am Thema NSU und vor allem die Handlungsbereitschaft auch in der (radikalen) Linken eher abzunehmen oder auf einem niedrigen Niveau zu stagnieren. Nach wenigen großen Mobilisierungen u.a. zum Beginn des NSU-Prozesses in München kehrte vielerorts schnell wieder Schweigen ein.
Die Ursachen dafür könnten vielfältig sein: die Zusammenhänge sind komplex und schwer zu durchschauen, Staatsapparat und Geheimdienste sind mächtige Gegner, Verschwörungstheorien machen die Runde und der Bezug zum eigenen Alltag ist weniger deutlich als beim Naziaufmarsch nebenan oder im Kampf um die eigenen Freiräume. Weitere sachdienliche Hinweise und Erklärungsansätze nehmen wir gerne entgegen.
Jenseits dieser quantitativen Betrachtungsweise war die Demonstration allerdings in mehrfacher Hinsicht erfolgreich. Durch viele Transparente und Schilder, durchgehende Sprechchöre und Lautsprecherdurchsagen und eine offene aber gut strukturierte Aufstellung hatte sie eine starke politische Aussenwirkung.
Der Antifa-Block war wie von uns angekündigt laut und kämpferisch ohne martialisch, selbstdarstellerisch oder abschreckend zu wirken und wurde auch von anderen BündnispartnerInnen positiv wahr genommen.
Die Bandbreite der aufrufenden Gruppen spiegelte sich nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Demonstrationszug und in den verschiedenen Redebeiträgen wider.
Nicht zuletzt ist es dem Vorbereitungskreis auch gelungen, durch das öffentliche Vertreten des „Demokonzepts“, offensive Forderungen an die Polizei und durch klare interne Absprachen eine Demonstration durch die Heilbronner Innenstadt ohne größere polizeiliche Behinderungen durchzusetzen.
Anders als bei vergangenen Demonstrationen in Heilbronn hielt sich die mit über 400 BeamtInnen anwesende Polizei abgesehen von anfänglichen Provokationsversuchen weitgehend von der Demo fern.
Trotzdem wurden TeilnehmerInnen bei der Anreise behindert und ohne Anlass abgefilmt und fotografiert. Weder damit noch mit den immer umfangreicher werdenden Auflagenbescheiden der Stadtverwaltung dürfen wir uns abfinden.
Demonstration in Schwäbisch Hall
Überraschend stark war die regional ausgerichtete Kampagnen-Demonstration am 16.November 2013 im benachbarten Schwäbisch Hall, an der sich über 300 Menschen beteiligten.
Auch hier konnte die konstruktive Zusammenarbeit verschiedener Gruppen und Organisationen umgesetzt und ein offener und gleichzeitig gut aufgestellter Demonstrationszug gebildet werden. Dieser zog auf einer recht unkonventionellen Route quer durch die gesamte historische Innenstadt und konnte damit und durch verschiedene Redebeiträge eine große Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
AntifaschistInnen konnten außerdem vor und nach der angemeldeten Aktion spontan durch die Stadt demonstrieren. Zu Behinderungen und Einschüchterungsversuchen gegen Antifas bei der Anreise nach Schwäbisch Hall durch BFE- Trupps war es allerdings bereits an den Bahnhöfen in Stuttgart und Heilbronn gekommen.
Anders als in Heilbronn, wo es bereits im Januar 2012 eine größere Demonstration unter dem Motto „Kein Platz für Rassismus“ gegeben hatte, war in Schwäbisch Hall das Bedürfnis unserer Meinung nach spürbar groß, sich zum NSU-Terror und zum lokalen „Ku-Klux-Klan“ zu positionieren. Auch der DGB und die IG Metall in Schwäbisch Hall hatten zur Beteiligung an der Aktion aufgerufen und sich an der Durchführung beteiligt.
Ausblick
Die Kampagne „Naziterror und Rassismus bekämpfen! Verfassungsschutz auflösen!“ war ein Versuch, in einem koordinierten Rahmen auf die schleppende Aufklärung über das faschistische Netzwerk NSU und dessen gesellschaftliche Hintergründe zu reagieren. Dieser Versuch ist vorerst beendet und Beratungen, wie es nun weitergehen kann und soll, stehen noch aus.
Für uns steht fest, dass trotz vieler Schwierigkeiten gerade in Baden-Württemberg alle antifaschistischen Kräfte weiter in der Pflicht sind, zum „Komplex NSU“ zu arbeiten und das Feld nicht JournalistInnen und bürgerlichen PolitikerInnen zu überlassen.
Diese Arbeit kann vielseitig aussehen. Es geht dabei um selbstständige Recherchen oder darum, Rechercheergebnisse in die Praxis umzusetzen und faschistische Strukturen zu stören und anzugreifen.
Es geht auch darum, Öffentlichkeit herzustellen und gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen die Risse und Widersprüche zu nutzen und zu vertiefen, die sich in der Darstellung des NSU durch die Behörden immer wieder ergeben wie bspw. aktuell im Fall des Nazi- „Verfassungsschützers“ Andreas Temme oder beim „Selbstmord“ von Florian Heilig in Stuttgart. Und es geht darum, den Versuch des Staates, die Geschichte des jahrelangen faschistischen Terrors anhand des Prozesses in München und der Person Beate Zschäpe abzuwickeln, zu verhindern.
Schließlich ist es außerdem auch die Aufgabe aller aktiven AntifaschistInnen, die Diskussionen um die Ursachen von Rassismus und Faschismus mitzugestalten.
Wir gehen davon aus, dass diese Aufgaben effektiver bewältigt werden können, wenn wir organisiert und kollektiv vorgehen. Deshalb halten wir den Aufbau gut verankerter lokaler Strukturen und die Zusammenarbeit mit anderen Spektren ebenso für notwendig wie eine überregionale antifaschistische Vernetzung.
Antifaschistische Aktion Heilbronn | www.antifa-heilbronn
Schöne, realistische und kritische Nachbereitung!
Genau so sollten antifaschistische Demonstrationen in Zukunft öfters ablaufen, um (interessierte) Passant*innen nicht abzuschrecken, Menschen zu erreichen und dem Klischee der sogenannten "vermummten Linksextremisten" entgegenzuwirken!