Antifaschismus als Feindbild

koenig

Rezension – Der Dresdner Prozess gegen Lothar König soll fortgesetzt werden. Seine VerteidigerInnen haben derweil eine brillante Zwischenbilanz vorgelegt. Sie zeigt, was politische Justiz heute bedeutet. Kurt Tucholsky ließ zeitlebens kein gutes Haar an der deutschen Justiz: Es gibt, wie er aus eigener Erfahrung wusste, „keinen unpolitischen Strafprozeß“, weil doch „der Staat immer Sieger bleibt.“ Die immer ungerechten Kollektivurteilte konterte Tucholsky mit einer schneidenden Kritik am autoritären Richterstand als Ganzem – eine notwendige Kritik, die an Aktualität nichts eingebüßt hat: „Juristen und Strafjustiz zeichnen sich gemeinhin nicht dadurch aus, dass sie sich mit Grundrechten – noch dazu auf dem Gebiet der Meinungs- und Versammlungsfreiheit – besonders gut auskennen. Das ist in Dresden nicht anders als in anderen Gerichten der Republik.“  

Zu dem Schluss kommen Johannes Eisenberg und Lea Voigt, die AnwältInnen des Jenaer Stadtjugendpfarrers Lothar König.

 

Der Fall König


König ist angeklagt in Dresden wegen „schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs“. Er soll am 19. Februar 2011 aus einem Lautsprecherwagen heraus andere Menschen aufgefordert haben, „Bullen“ mit Steinen „einzudecken“. Lothar König hat das nie gesagt. Die bloße Tatsache, dass der Prozess vor dem Dresdner Amtsgericht dennoch fortgesetzt werden soll, obwohl der zentrale Tatvorwurf als widerlegt gelten darf, zeigt, warum König überhaupt vor Gericht gezerrt wurde: Er ist Antifaschist. Und er erlebt nun, dass man schon gar nicht als Antifaschist mit einen unpolitischen Strafprozess zu rechnen hat.

 

Über diesen Prozess haben seine Verteidiger eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt. Sie zeigt die Logik des Verfahrens, das darauf ausgelegt ist, dass „etwas hängen bleiben“ soll. Selbst wenn das voraussetzt, „dass der Verteidigung entlastendes Material systematisch vorenthalten“ wird und Beweismittel „verfälscht“ werden.


Infos zum Buch

  • Johannes Eisenberg/Lea Voigt/Manuel Vogel (Hg.) (2014): Antifaschismus als Feindbild. Der Prozess gegen den Pfarrer Lothar König. Hamburg: Laika Verlag. – 304 Seiten inkl. Video-DVD, 21 Euro.

 

Im Namen des Freistaats Sachsen


Natürlich ist das in jeder Hinsicht ein parteiisches Buch. Doch die Fakten geben der Darstellung recht: Geschrieben wurde es, nachdem das Gericht im vergangenen Sommer nicht mehr anders konnte, als das Verfahren nach sieben Verhandlungstagen auszusetzen. Es waren 200 Stunden Videomaterial der Polizei „aufgetaucht“, das den Akten nicht beilag, aber den Angeklagten rundweg entlasten könnte. Die Anklage der Staatsanwaltschaft fußte lediglich auf kurzen Zusammenschnitten, die das Gegenteil suggerieren sollten.

 

Das gelang zunächst sehr effektvoll, denn um König zum Mittäter einer „vermummten“, „linksautonomen“, „gewaltbereiten“ und „schwarz gekleideten“ Menge zu stempeln, wurde das selektiv zusammengeschusterte Filmmaterial mit einem Sepia-Filter versehen – das sieht dann gleich viel dramatischer und „linksautonomer“ aus.

 

Die Verteidiger sprechen von einer „Fälscherwerkstatt“, sie werfen Polizei und Justiz ein „Komplott“ vor. Das Verfahren sei einer der „Kulminationspunkte in den Auseinandersetzungen zwischen Anti-Nazi-Demonstranten und Versammlungs- und Strafverfolgungsbehörden in Dresden“. Passend dazu wird der Amtsrichter Hlavka zitiert: Die Verhinderung des Naziaufmarsches in Dresden 2011 habe „für erhebliche Unruhe in der Bevölkerung gesorgt“ und dem Freistaat Sachsen „politischen und wirtschaftlichen Schaden zugefügt“. Man muss annehmen, dass solche Menschen umgekehrt im Nicht-Verhindern von Naziaufmärschen einen politischen und wirtschaftlichen Nutzen sehen.

 

Man weiß gar nicht, was unerträglicher ist: Dass deutsche Richter so etwas denken. Oder dass ausgeschlossen scheint, dass sie sich für diesen gefährlichen Unfug je selbst verantworten müssen. Königs Verteidiger fordern nun einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

 

Vorläufig müssen sie sich weiter mit dem eigenen Fall befassen: Pünktlich zum Erscheinen des Buches ließ ein Gerichtssprecher durchblicken, dass die Verhandlung – wider Erwarten – fortgesetzt werden soll. Das verheißt nach den bisherigen Erfahrungen nichts Gutes. Eisenberg und Voigt schildern nämlich minutiös und quellenreich den bisherigen Gang der so genannten „Ermittlungen“: Ihr Mandant erfuhr im August 2011 von den Vorwürfen, als sächsische Polizeibeamte seine Wohn- und Arbeitsräume durchsuchten – angeordnet durch Richter Hlavka, der übrigens auch die zehntausendfache Erhebung von Telekommunikationsdaten am 19. Februar 2011 erlaubt hatte; und der mittlerweile den Antifaschisten Tim H. zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilte, weil der über Megaphon den Satz „Kommt nach vorne!“ gerufen haben soll.

 

Manipulierte und unterschlagene Beweise

 

Im Falle König gab es unvollständige Akten, eine „lose Blattsammlung“ und geheime Dokumentenberge, die nur durch Zufall von der engagierten Verteidigung aufgetan wurden. Es gab abgesprochene und unzutreffende Aussagen von Polizeibeamten, ein unterlassenes Zwischenverfahren und völlig ignoriertes Entlastungsmaterial. Das ist umgekehrt belastend für die Polizeibeamten selbst; beispielsweise belegt ein vom Dach des berühmt gewordenen „Lauti“ aus aufgezeichnetes Video, wie brutal und enthemmt Polizisten gegen DemonstrantInnen vorgegangen sind – die dem Buch beigelegte Video-DVD spricht Bände.

 

Die AutorInnen sind sich sicher, dass die Vielzahl so genannter „Pannen“ nicht mehr mit Zufällen zu erklären ist, sondern nur mit dem „Belastungseifer bei den Strafverfolgungsbehörden gegenüber Leuten wie Lothar König. Demonstranten sind das Feindbild, werden bereits sprachlich im Jargon von Staatsanwaltschaft und Polizei abgewertet.“

 

Am Beispiel Dresden wird dargelegt, was das konkret für Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit bedeutet: AntifaschistInnen müssen sich im Zweifel vorhalten lassen, sich in einer „Aufenthaltsverbotszone“ bewegt zu haben. Auch wenn es die nachweislich ebenso wenig gab wie einen Anlass für das unerhörte Ausmaß an Überwachung, das der ganzen Republik als „Handygate“ bekannt geworden ist. Das Ende der Verfolgungsexzesse ist längst nicht in Sicht; jüngst wurde bekannt, dass ein weiterer Dresden-Protestierer angeklagt werden soll – wegen versuchten Totschlags. Auch wenn nichts dran ist, soll eben doch „etwas hängen bleiben“.

 

Die Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel schildern im Buch, wie derart in Sachsen das „Verfahren als Strafe“ zum erprobten Kampfmittel von Polizei und Justiz geworden ist. Dem Rest der Republik ist das als „sächsische Demokratie“ bekannt geworden. Durch die Lektüre des Buches wird zusätzlich bekannt, wie sehr die Ankläger selbst bereits verloren haben.

 

AntifaschistInnen sollten, nein, sie müssen dieses Buch lesen, gerade jetzt! Sie sollten den Fall Lothar König – der das Glück hat, viele teils prominente UnterstützerInnen auf seiner Seite zu wissen – nicht als Einzelfall verstehen. Sondern als das Symptom, auf das Tucholsky 1921 reimte:

Justitia! Ich wein bitterlich:
Du gehst auf einen langen _______________


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Das einem Pfarrer solche Aufmerksamkeit zu Teil wird, liegt doch in der Logik dieser Gesellschaft. Religion ist Teil des Entfremdungsverhältnisses im Kapitalismus. Deshalb erscheint es doch seltsam, weshalb in Teilen der antifaschistischen Linken ein Pfarrer zum politischen Bezugspunkt wird und ein solches Buch gar in einem linken Verlag erscheinen darf. Hier sind die Fronten weithin ungeklärt. Kirche und Religion sind nicht emanzipatorisch. Dies sollten sich Antifaschisten in Erinnerung rufen.

"Und nun gar das ganze sozialistische Ideal: nichts als ein tölpelhaftes Mißverständnis jenes christlichen Moral-Ideals".

Grundsätzlich Pflichte ich deine Ansichten zu Religion als solcher bei. Was aber nicht heißt, dass es nicht innerhalb, sagen wir mal - nicht so doller - Gesellschaftlicher Subräume auch Strömungen - oder Menschen -  mit emanzipatorischer Zielsetzung geben kann. Ich kenn Lothar König nicht, und kann auch nichts über seine Motivation sagen. Aber sein Engeagement verdient Beachtung und Solidarität. Warum "ein solches Buch" nicht in einem linken Verlag erscheinen sollen darf, erschließt sich mir nicht.

ja ... sieht schon nach Schikane.  Sowas trifft allerdings nicht nur Antifaschisten sondern auch normale Bürger ...

 

Jeder Beamtenstaat stöchert halt gern im Trüben.  Andererseit kann auch Frust im Spiel sein. Irgendwie ist man es leid, die Scheißhausparolen von Rechten und Linken zu hören. Für Polisten ist das auch frustrierend dazwischen zu hängen.  Na ja ..

 

So wies aussieht, blamiert sich die Staatsanwaltschaft beim Prozess ja bis auf die Knochen, da die Beweislage mehr als dünn ist und da funktioniert das Rechtssystem dann schon.  Ärgerlich für mich als Steuerzahler sind die Kosten für Nüsse ... ;-)