Italia: Atenco ist ein Referenzpunkt der sozialen Kämpfe in Mexiko. Atenco hat gezeigt, dass durch sozialen Protest und durch soziale Mobilisierung Dinge erreicht werden können. Die Stadt San Salvador Atenco ist sehr nah an Mexiko-City. Die Ländereien in Atenco wurden vom Staat enteignet um einen Flughafen zu bauen. Der Staat wollte aber nur sehr wenig für die fruchtbaren Böden bezahlen. Also haben sich die Leute organisiert um ihre Ländereien zu verteidigen. Dieser Mobilisierungsprozess war sehr interessant. Einige Monate später haben sie es dann wirklich geschafft die Enteignungsdekrete rückgängig zu machen. Die Maschinen der Flughafenfirma waren bereits angerückt aber die Bevölkerung hat das Megaprojekt verhindern könnnen. Fünf Jahre später, also 2006, besuchte die Karawane der "Otra Campana" die AktivistInnen in San Salvador Atenco. Die Menschen die sich seit 2001 in der "Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra" haben sich immer solidarisch gezeigt mit sozialen Kämpfen in ihrer Umgebung. So kam es, dass die FPDT einie Bauern und BlumenverkäuferInnen in Texcoco unterstützten, die sich gegen ihre Vertreibung durch die Polizei wehrten. Diesen relativ harmlosen Protest nahm die Polizei als Vorwand um mit massiver Polizeigewallt gegen die AktivistInnen vorzugehen. Die mit der Karawane bereits nach Mexiko Stadt weitergezogenen AktivistInnen kamen zahlreich nach Texcoco und blockierten die Zugangsstraßen um die Freilassung der zahlreichen Gefangenen zu fordern. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den AktivistInnen. Die Bundespolizei und die lokalen Polizeibehörden hatten die AktivistInnen praktisch festgesetzt. Ich glaube das kaum jemand von uns, die wir in diesen Blockaden saßen wirklich wusste was genau vor sich geht. Niemand hat aber mit diese Hölle gerechnet die uns bevorstand. In der Nacht auf den 3 Mai waren ungefähr einhundert AktivistInnen im Gefängnis gelandet - wir hatten keine Nahmen von ihnen - wir hatten gar nichts. Jaqueline: Es ist sehr Schade, das Mexiko eine so große Geschichte von Repression und Autoritarismus aufzuweisen hat. 2006 ging es unter präsident Vicente Fox richtig los. Zuerst die Repression in San Salvador de Atenco und dann die blutige Niederschlagung des Aufstands in Oaxaca. In dieser Zeit beginnt sich die Menschenrechtslage in Mexiko enorm zu verschlechtern. Das alles geht einher mit einer Militarisierung der Gesellschaft als offizielle Antwort auf den Anstieg der organisierten Kriminalität - zahlreichen Angriffen auf MenschrechtsaktivistInnen und soziale Bewegungen sowie einer Trägheit und Ignoranz der staatlichen Verfolgungsbehörden. Das sieht alles noch viel schlimmer aus wenn wir von der Straflosigkeit in Mexiko reden - das rechtssystem in Mexiko reagiert nicht auf Anzeigen aber ist sehr schnell dabei die Menschen einzusperren die sich organisieren und die Straftaten zur Anzeige bringen. Italia: Während den Auseinandersetzungen ist ein Kind umgebracht worden. Zusammen mit einige Genossen sind wir losgezogen um diesen Fall zu untersuchen. Die Medien hatten nämlich behauptet, dass das Kind von der lokalen Bevölkerung umgebracht worden wäre - nach unseren Informationen ist es aber von Polizisten getötet worden. Am morgen des 4. Mai kam es dann zu einem Polizeieinsatz bei dem praktisch ein ganzer Stadteil eingeschlossen wurde und alle die sich dort befanden wurden festgenommen. Die Polizei ist einfach ohne Durchsuchungsbefehl in Häuser eingedrungen und haben alle rausgeholt diesie finden konnten. Jaqueline: An diesem Morgen wurden 207 Personen auf illegale Weise festgenommen - unter ihnen mindestens 47 Frauen. Von diesen Frauen erstattet später mehr als die Hälfte Anzeige wegen sexueller Gewalt. Italia: Ich bin eine von elf Frauen, die Anzeige vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof gestellt hat. Ich bin in San Salvador Atenco zusammen mit 49 Frauen festgenommen und während der Haft sexuell gefoltert worden. Mit einigen dieser Frauen haben wir nun angefangen über den kollektiven Umgang mit diese Folterungen zu sprechen. Wir tun das um die Prozesse der Organisation nicht zu gefährden - dann würde der Staat nämlich genau das erreichen was er mit diesen Misshandlungen bezweckt. Wir wollen weitermachen. Jaqueline: Die schwersten Vergewaltigungen finden bei der Überführung der Gefangenen statt. Bei normalen Umständen hätte der Transport etwa zwei Stunden gehen sollen - an diesem Tag waren die Frauen fünf Stunden unterwegs. In diese Polizeioperation waren alle drei Ebenen der mexikanischen Polizei involviert - also Bundes-Landes und Gemeindepolizei. Das bedeutet das diese Aktion mit der Übereinstimmung auf allen politischen Ebenen durchgeführt wurde. Das schlimmste daran ist, dass diejenigen die diesen Polizeieinsatz damals zu verantworten hatten heute noch im Amt sind oder sogar befördert wurden. Edouardo medina Mora zum Beispiel war damals im Polizeiapparat tätig - wurde später zum Generalbevollmächtigen der Republik und ist heute mexikanischer Botschafter im Vereinigten Köigreich. Unterm Strich gab es kein juristischen Nachspiel dieses Einsatzes. Einige Polizisten wurden wegen kleiner Vergehen angezeigt. So wurde ihnen zum Beispiel Amsmissbrauch vorgeworfen wo die Anklage eigentlich hätte Folter und Vergewaltigung hätte sein müssen. Selbst diese schwachen Vorwürfe wurden am Ende alle fallengelassen. In diesem Prozess gab es keine unabhängige Ermittlung. Diejenigen, die die ganze Operation damals geleitet haben sollten später die Aufklärung vorantreiben. Natürlich hat sich niemand von denen selbst belastet und wollte auch keinen der Kollegen anschwärzen. Es gibt in der Praxis einen Pakt der Straflosigkeit der Polizisten beschützt die Befehle brutal und ohne Rücksicht auf die Menschenrechte durchführen. In diesem Rahmen sehen wir die Klage vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof als einen Weg an um weiterhin Druck auf die mexikanische Regierung auszuüben. Zum einen wollen wir das die Ermittlungen in Mexiko endlich ordentlich durchgeführt werden und zum anderen wollen wir eine Verurteilung und internationale Sanktionen erreichen. Dieser Prozess zieht sich schon lange hin. Der mexikanische Staat hat bisher alles getan um die Aufarbeitung der Ereignisse zu unterbinden. Fristen wurden nicht eingehalten, diplomatischer Druck wurde ausgeübt, Anfragen nicht oder mit Lügen beantwortet. Der mexikanische Staat hat versucht unsere Anschuldigungen zu diskreditieren und wollte uns dazu zwingen einen neuen Bericht einzureichen. Wir fordern das der Fall nun endlich ordentlich von der Kommission verhandelt wird und das der mexikansiche Staat seine Verantwortung anerkennt. Italia: Die staatliche Repression der sich die sozialen Bewegungen gegenüber sehen ist sehr groß. Das bedeutet aber auch, dass wenn man es von der anderen Seite aus betrachtet, eine Menge sozialer Bewegungen im Land gibt die sich organisieren. Es sind massive Enteignungsprozesse durch transnationale Unternehmen im Gange aber die Menschen organisieren sich um ihr Wasser, ihr Land und ihre Bäume zu beschützen. Die Repression ist sehr stark aber es gibt auch eine sehr starke Bewegung die sich gegen die herrschenden Verhältnisse auflehnt. Jaqueline: Ich glaube das die sozialen Bewegungen, MenschenrechtsbeobachterInnen und Journalisten schon durch eine ganze Serie von etapen gegangen sind. Anfangs wurden wir als Guerillakämpfer bezeichnet, dann nannten sie uns einfach Kriminelle und heute sind wir für sie Teil des organisierten Verbrechens bzw. der Drogenmafia. Es sieht so aus als ob die Strategie des Staates schon immer gewesen ist die sozialen Kämpfe zu diskreditieren und in eine Ecke mit geächteten Gruppen zu stellen. Das ist ein falsches Dilema zwischen Sicherheit und Freiheit. Der Staat sagt: "Okay - wir sind gerade in einer schwierigen Situation. Ja, es gibt Menschenrechtsverletzungen aber alles nur, um die nationale Sicherheit aufrecht zu erhalten. Wir müssen eure bürgerlichen Freiheiten einschränken um euch zu beschützen." Das wichtige hier und heute ist es unseren Genossen und Genossinnen außerhalb Mexikos unsere Situation zu erklären und gemeinsam an einer Veränderung der Situation zu arbeiten.