Freiburgs Knast vor Gericht

Knast

Sicherlich ist es nicht widerspruchsfrei, als Anarchist die Gerichte eines Staates zu bemühen, um so gegen Maßnahmen einer Knastleitung vorzugehen. Trotzdem greife ich seit dem 08. Juli 2013 zu diesem Mittel und möchte einige der zurzeit knapp 30 Gerichtsverfahren vorstellen.

 

Kurze Einführung in „Strafvollzugsrecht“

Im Gegensatz zu anderen Staaten ist – zumindest in der Theorie – der Rechtsschutz in Deutschland für Gefangene recht ausgefeilt. Sie können alle Maßnahmen der Vollzugsanstalten (für die forensischen Psychiatrien gilt das gleichermaßen) vor den bei den Landgerichten gebildeten Strafvollstreckungskammern anfechten. Bescheidet das Gericht den Antrag abschlägig, kann Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt werden; wobei dort nur eine Prüfung auf Rechtsfehler stattfindet (vergleichbar mit der Revision in Strafsachen). Anschließend kann mensch auch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Die Erfolgsquoten allerdings, und hier kommen wir zur Praxis, der klagenden Gefangenen, Sicherungsverwahrten und InsassInnen der Psychiatrien sind denkbar gering, was sicherlich nicht daran liegt, dass ihre Klagen unberechtigt wären. Allerdings gelten bei Gerichten die Strafvollstreckungskammern oftmals als „Abschiebebahnhof“ für sonst nicht einsetzbare RichterInnen oder als Durchgangsstation für BerufsanfängerInnen. Zudem sind die dort tätigen RichterInnen meist noch in „normalen“ Strafkammern tätig. Beispielsweise ist Richterin M. vom LG Freiburg nur mit einem Stellenanteil von 0,25 ihrer Arbeitskraft in der StVK tätig und ansonsten in einer Strafkammer, die Strafprozesse verhandelt. Das führt dann dazu, dass Gefangene, die sich vor Gericht wehren, Monate oder Jahre auf Antwort warten (müssen) und deshalb oft vorher aufgeben. Kürzlich obsiegte der Mitverwahrte K. in einem Verfahren, welches er 2010 anstrengte: die JVA Freiburg hatte ihm seinerzeit aus seiner Sicht unberechtigt Taschengeld verweigert. Fast auf den Tag genau drei Jahre, nachdem er deswegen an das Gericht schrieb, kam der Beschluss, mit welchem das Taschengeld-Verbot für rechtswidrig erklärt wurde.

Daneben bieten die einschlägigen Gesetze (Bundes-Strafvollzugsgesetz, die entsprechenden Ländergesetze, wie auch die Gesetze zur Sicherungsverwahrung) den Anstalten so viele Spielräume, denn in der Regel sind nur die Pflichten der InsassInnen verbindlich ausgestaltet, deren Rechte jedoch weitestgehend in das Ermessen der Bediensteten gestellt, dass schon hieran viele der Anträge vor Gericht scheitern (müssen). Im Zweifelsfall wird die Kammer des Gerichts zu Gunsten der Haftanstalt oder psychiatrischen Anstalt entscheiden.

In der Literatur wird von einer „Erfolgsquote“ der Gefangenen vor Gericht von unter 10% ausgegangen.


Einzelfälle am Beispiel der JVA Freiburg (Sicherungsverwahrung)


a.) Hofgang


Das (baden-württembergische) Justizvollzugsgesetzbuch-5, welches den Vollzug der Sicherungsverwahrung regelt, schreibt vor, dass die Verwahrten sich tagsüber frei bewegen dürfen innerhalb der SV-Anstalt, inklusive des Hofes. Einzige Ausnahmen: wenn es die Sicherheit erfordert, oder schädlicher Einfluss auf andere Verwahrte zu besorgen ist, kann dieses Recht beschränkt werden. In der Praxis der JVA wird aus der Ausnahme die Regel. Wochenends kann man nur 3 ½ Stunden in den Hof (und das auch nur zu speziell festgesetzten Zeiten) und werktags weniger als 6 Stunden; wobei man in den Abendstunden gar nicht raus gelassen wird, in den Hochsicherheits-Hof.

Wer möchte, kann die Argumentation der Anstalt im Original nachlesen (PDF-Datei im Anhang).

In anderen SV-Anstalten Deutschlands ist die freie Bewegungsmöglichkeit überhaupt kein Problem; hier in Freiburg wehrt sich die Anstalt mit Verve dagegen. Sie behauptet, bei freier Bewegung innerhalb der JVA und des Hofes könnten andere Verwahrte „drangsaliert“ oder geschädigt werden. Und in den Abendstunden sei gar eine Flucht möglich, da man nicht mehr zweifelsfrei erkennen könne, wer zu fliehen versuche. Hier mag es interessant sein, die Originalverfügung von Oberregierungsrat R. selbst nachzulesen (in o.g. PDF-Datei, dort S. 18), der noch erwähnenswert findet, dass „in der Nacht alle Katzen grau“ wären.

Aus Verwahrtensicht ist besonders ärgerlich, dass die Anstalt mit der Wahrheit zumindest kreativ umgeht, das Wort „Lüge“ will ich mal vermeiden. Denn zum einen ist in der Nacht (und die beginnt hier schon um 18 Uhr) der Hof taghell erleuchtet von zig Scheinwerfern; das ist in jeder JVA üblich. Zum anderen sind es gerade die SV-Stationen in einer Haftanstalt, wo im Vergleich zu anderen Haftarten am wenigsten passiert.

In den Schriftsätzen der JVA ist im Übrigen die Kameraüberwachung prominent erwähnt: das gesamte Gelände, mit Ausnahme der Zellen, ist vollständig kameraüberwacht, keinen Millimeter lässt man unbeobachtet. Vor Einbau dieses Orwell’schen Überwachungssystems hieß es, sobald es eingebaut sei, werde man die vier SV-Stationen und den Hof öffnen, um so die gesetzlich vorgesehene freie Bewegungsmöglichkeit einzuführen. Das erwähnen noch heute die Beamten, wenn man sie darauf anspricht – aber daraus wurde dann nichts.

Es blieb bei der Kleingruppen-Isolation von jeweils maximal 15-16 Verwahrten.


b.) Ausführung in die Innenstadt


Verwahrten stehen pro Jahr (mindestens) vier Ausführungen zu; d.h. man verlässt, meist gefesselt, mit zwei Wärtern die Anstalt für einige Stunden. Manche besuchen ihre Familienangehörigen, so sie noch Kontakt haben, oder fahren in einen Streichel-Zoo oder zu sonstigen Ausflugszielen in der Umgebung. Ich wollte jedoch in die Innenstadt, um z.B. einkaufen zu gehen oder einfach nur zu schauen, was sich dort verändert hat, da ich hier einige Jahre gelebt habe.

Gegenüber der StVK lehnte Oberregierungsrat R. mit Stellungnahme vom 23.08.2013 Derartiges strikt ab und trug im Wesentlichen vor: der Antragsteller „hat derzeit keine Entlassungsperspektive. Er hat sich auch nicht von seinen Straftaten vor oder während des laufenden Vollzugs distanziert. Bis heute lehnte er therapeutische Behandlungsangebote ab.“

Ferner würde ich „jede Kooperation ab(lehnen)“ und im Übrigen „verfügt (er) über keine tragfähigen sozialen Bindungen, die geeignet wären ihn von einer Flucht bzw. von weiteren Straftaten abzuhalten“. Zudem bestehe ein „Unterstützerumfeld“. Als Beispiel führt man an, ich würde „mit Hilfe von unbekannten Dritten die Homepage „www.freedom-for-thomas.de“ als Sprachrohr nutzen“, auf der ich meine „tendenziösen Berichte über den Vollzugsalltag usw. einem anonymen Publikum zur Lektüre“ anböte.

Angesichts der „jahrelangen Medienarbeit“ (des Antragstellers) habe er „ein gläubiges Publikum gefunden. Die Antragsgegnerin muß daher befürchten, daß sich aus dem Kreis dieser Leser Personen berufen fühlen, anläßlich einer Ausführung in die Innenstadt vollzugsfeindliche Handlungen bis hin zu einer Befreiungsaktion vorzunehmen.“


c.) Diverses


Neben solchen, doch besonders wichtigen Punkten gibt es auch Verfahren, die eher Randbereiche betreffen.

Zu nennen wäre der Kauf von Mehl: die Anstalt schreibt vor, man dürfe nur 2 kg Mehl pro Monat bestellen. Als ich das Gericht einschaltete, erhöhte man die zulässige Menge auf 4 kg im Monat. Der Schriftsatz der JVA vom 06.09.2013 ist als Teil der PDF-Datei abrufbar und zeigt die Argumentations- und Denkweise des Anstaltsvertreters auf. Soweit ich geltend machte, ich würde u.a. deshalb mehr Mehl benötigen, weil ich für meine BesucherInnen Brote backe, qualifizierte Oberregierungsrat R. dies als mein „Privatvergnügen“ ab.

Des Weiteren beschäftigt sich das Gericht mit der Frage, ob mir eine Bekannte Vorhänge zusenden darf, wie es um das Sportangebot für die SV bestellt ist, ob einem Verwahrten Wannenbäder zustehen (in der Anstaltsbadewanne). Aber auch, ob auf die TV-Bedürfnisse der Verwahrten Rücksicht zu nehmen ist: lobenswerterweise engagiert sich die Anstalt, glaubt man den offiziellen Beteuerungen (es gibt Verwahrte, die jedoch behaupten, es gebe genügend Vollzugsbeamte mit „rechter“ Gesinnung), im Kampf gegen Rassismus und Nationalismus, weshalb in der Strafanstalt rund 20 Sender aus aller Welt, insbesondere der Türkei, Kosovo, Arabien eingespeist werden, aber genauso im SV-Bereich, wo der Anteil dieser Verwahrten entweder bei Null liegt, oder allenfalls mal ein oder zwei Migranten einsitzen (während der Migrantenanteil im Strafbau bei 50% und höher liegt).

Jedoch auf die andere Struktur in der SV Rücksicht zu nehmen und hier andere Sender einzuspeisen (z.B. Bildungskanäle wie Bayern-Alpha oder öffentlich-rechtliche Sender wie ARD-tagesschau), dies verweigert die Anstalt.

Auch hier sei auf die PDF-Datei verwiesen (ab S. 19 Unterlagen zu „c.) Divereses“).

Und so reiht sich ein Antrag an den Nächsten.


Bewertung und Einordnung


Wie eingangs erwähnt, ist es ein Widerspruch in sich, einerseits diesen Staat und seine Organe abzulehnen, andererseits jedoch vor dessen Gerichte zu ziehen und damit zumindest implizit dessen Existenzberechtigung anzuerkennen. Mit diesem Widerspruch muss man wohl leben, auch wenn er Bauchgrimmen verursacht, denn aktuell gibt es keinen anderen Weg die Lebensbedingungen zu verändern. Zumindest besteht eine kleine Chance, dass Gerichte die Kritik teilen und damit dann nicht nur meine Haftbedingungen sich ändern, sondern auch die der mitbetroffenen, knapp 60 Verwahrten hier in Freiburg.

Vielleicht kann so auch geholfen werden, Inhaftierten Geld zu sparen; denn erst nachdem ich bei Gericht Klage einreichte gegen die aus meiner Sicht zu hohen Beteiligungen der Verwahrten an den Stromkosten, kam ans Licht, dass die Anstalt, und dies offenbar seit Jahren, unrechtmäßig den Inhaftierten Gelder für Spielekonsolen abbucht, so dass diese nun Anspruch auf Rückerstattung haben (was in der JVA Bruchsal schon vor längerem praktiziert wurde).

Von diesen Einzelbeispielen abgesehen, geht es doch darum, zu verdeutlichen, Gefängnisse sind nekrophile Orte, Orte, an welchen seelisch deformierte Menschen leben und arbeiten. Erich Fromm, ein großer Sozialphilosoph und Psychoanalytiker, definierte die Nekrophilie als die Liebe zu allem, was tot ist und nicht wächst, zu allem Unorganischen, Dinghaften und Mechanischen. Er setzte ihr die Biophilie entgegen, die Liebe zu allem Lebendigen und zum Leben.
Zur Nekrophilie zählte Fromm auch, wenn auf bürokratische Weise Menschen behandelt werden, als ob es sich um tote Gegenstände handelt.

Liest man sich die Schreiben der Vollzugsanstalt Freiburg durch, stößt man auf Hinweise der Nekrophilie im Fromm‘schen Sinne, auf Einstellungen von Vollzugsbeamten, die lieber Altes bestätigen, anstatt Neues aufzubauen, denen die Sicherheit lieber ist als das Abenteuer, die mehr die Teile im Auge haben als das Ganze, die Menschen auf bürokratische Weise behandeln, als ob es sich um tote Gegenstände handelte (vgl. Erich Fromm, „Anatomie der menschlichen Destruktivität“, S. 331).

Dass Sicherungsverwahrte oder Gefangene überhaupt, an Orten wie diesen eine leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen entwickeln können sollen, das erscheint kaum möglich. Knäste sind Orte des Verfalls, daran können auch Anträge an ein Gericht nichts ändern.

Wohl eher unabsichtlich legen jedoch gerade solche Verfügungen und Schriftsätze der Haftanstalten, ob nun in Freiburg oder andernorts, den nekrophilen Charakter ihrer Institutionen offen (und bestätigen damit die These, dass ein großer Teil der Sicherungsverwahrten damit zu rechnen haben wird, hinter Gittern sterben zu müssen, vgl. „80 Jahre Sicherungsverwahrung“ https://linksunten/indymedia.org/de/node/98982 ).


Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV-Abtl.)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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