Nach dem Opec-Prozess stehen mehr als hundert Leute vor dem Landgericht, trinken singend Sekt und pöbeln Fotografen an. Suder fühlt sich sichtlich wohl.
Am Ende singt der Gefangenenchor dann doch noch, und es wird ein rauschendes Fest. „Freiheit für Sonja“ hatten sie gefordert, Freiheit für Sonja haben sie gekriegt. Sonja Suder, 80 Jahre, steht vor dem Gericht, das Sektglas in der einen, die Zigarette in der anderen Hand. Ihr 72-jähriger Lebensgefährte Christian Gauger ist bei ihr, ihre Anwälte und mehr als 100 Sympathisanten. Die älteren Semester üben sich in Ausdruckstanz, die jüngeren geben ihr beschränktes Repertoire an Kraftausdrücken an Fotografen, Passanten und Justizwachtmeister weiter. Alle sind glücklich.
Perlender Schaumwein
Etwa eine Stunde zuvor hatte das Landgericht unter dem Vorsitz von Bärbel Stock Suder verurteilt. Es ist das Ende eines 14-monatigen Prozesses, der quälende Formen angenommen hatte. Vor der Urteilsbegründung las Stock noch einmal sämtlichen Beteiligten die Leviten: Angefangen von den Ermittlern des BKA über die Nebenklage bis hin zu Suders Verteidigern, denen sie „niveaulose Art“ und sinnlose Anträge, die „mehr für die Unterhaltung des Publikums“ gedacht gewesen seien, vorwarf. Zum Publikum selbst äußerte sie sich auch, und man kann wohl sagen, dass Stock nicht alleine steht mit der Einschätzung, dass es sich dabei um das unerbaulichste handelte, das die Frankfurter Gerichtsbarkeit seit langer Zeit erdulden musste.
Eines muss man den Prozessbesuchern an diesem Tag lassen: Sie haben Mumm. Nicht im Sinne von Mut, aber im Sinne eines perlenden Schaumweins, der vor der Tür des Landgerichts das Warten auf die Heldin versüßt. Eine Frau hat eine Geige mitgebracht. Sie ist keine Virtuosin, aber man kann die Grundmelodie von „Bella Ciao“ erkennen, dem alten italienischen Partisanenhauer aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein paar von den Alten können noch den Text. „Oh Partisan, bring mich fort, denn ich fürchte bald zu sterben“, heißt es in dem Lied.
Kusshändchen von Suder
Sonja Suder hingegen macht den Eindruck, als könne sie es hier ewig aushalten. Sie wirft Kusshändchen in die Menge. Die Sympathisanten verhüllen sie mit mitgebrachten Transparenten. „Das ist ein privater Moment“, werden die Fotografen angeherrscht, die sich aus dem Blickwinkel der selbsternannten Beschützer streng nach Geschlecht in „Votzen“ und „Naziärsche“ aufteilen lassen. „Wenn das die Intellektuellen dieser Republik sein sollen, dann kann ich nur mit Heine sprechen: ,Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht...‘“ hatte Stock zuvor noch im Gerichtssaal dem Publikum die Leviten gelesen. Wobei es ein Rätsel ist, wie die Vorsitzende Richterin auf den Gedanken kam, dass sich Intellektuelle in den Zuschauersaal verirrt haben könnten. Dort befanden sich am Dienstag ausschließlich Sympathisanten und Journalisten. Und an den Tagen zuvor: gar niemand.
Bitteres Unrecht wird an diesem Tag nur einer getan: der Piaf, deren unsterbliches „Non, je ne regrette rien“ von den Sympathisanten auf das Disharmonischste verhunzt wird. „Nein, ich bereue nichts“ – es scheint das Motto zu sein, unter das Suder, ihr Freund Gauger Gauger und deren Anhängerschaft den kompletten Prozess gestellt haben. Nach einer guten halben Stunde Pöbeln, Saufen und Singen verlagert sich die Fete in Richtung Anlagenring. Es wird ganz still rund ums Gericht. Fast meint man, ein Aufatmen zu hören.
Verurteilte 80-Jährige
Was bleibt, ist die nackte Tatsache, dass soeben eine nicht vorbestrafte 80-Jährige wegen der Beteiligung an mehr oder weniger erfolgreichen Brandanschlägen, bei denen niemand verletzt wurde, die dreieinhalb Jahrzehnte zurückliegen und die ohne den juristischen Kniff der Verjährungsunterbrechung längst passé wären, zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden ist. Da kann sich jeder selbst ein Urteil bilden. Ohne Ansehen der Person fällt das leichter.