In der mitlerweile 5. Sonderausgabe unserer kleinen Zeitschrift dreht sich dieses Mal alles um den 1. Mai. Es dürfte wenige Tage geben, die auf eine so bewegte Geschichte zurückblicken können: 1886 begründet durch den Haymarket Riot, das tragische Ende des Kampfes zehntausender Arbeiter*innen für den 8-Stundentag im amerikanischen Chicago. Nach brutalen Polizeiübergriffen auf die Streikenden explodierte am Tag darauf inmitten einer Protestkundgebung eine Bombe, woraufhin heftige Gefechte zwischen Arbeiter*innen und der Polizei ausbrachen. Die Bilanz waren über zwei Dutzend Tote, hunderte Verletzte und acht inhaftierte Anarchisten, die als Verantwortliche ausgemacht wurden. Vier von ihnen wurden kurz darauf hingerichtet.
1889 wurde der 1. Mai im Gedenken an Haymarket als Internationaler Kampftag der Arbeiter*innen ausgerufen, im Jahr darauf fanden erstmalig weltweite Massenstreiks und -demonstrationen statt. 1933 erfolgte die erste Zäsur, als die Nationalsozialisten den 1. Mai zum "Feiertag der nationalen Arbeit" erklärten, um am Tag darauf alle Gewerkschaften zu verbieten und die Gewerkschaftshäuser zu stürmen. Nach 1945 verlor der 1. Mai - nun offiziell "Tag der Arbeit" über die Jahrzehnte immer weiter an seiner ursprünglichen Radikalität. Zwar wurde in den 1980er Jahren, durch die Etablierung verschiedener revolutionärer 1. Mai-Demos, versucht dieser Entwicklung entgegen zu wirken, aber dennoch setzten sich zwei Arten der Begehung des Tages durch: Der Großteil der Bevölkerung genießt den - seit 1933 - gesetzlichen Feiertag auf Maifesten und bierseligen Bollerwagen-Ausflügen und die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften betteln in ebenso bierseliger Runde rituell um ein bisschen mehr Gerechtigkeit.
Neben dieser Entwicklung ist der 1. Mai aber gleichzeitig auch Thema jährlich wiederkehrender Debatten innerhalb der linksradikalen und anarchistischen Bewegung, über Sinn und Zweck des Traditionstages. In vielen Städten beteiligen sich linksradikale Strukturen als antikapitalistische Blöcke an den DGB-Demos oder betreiben Infostände auf deren Festen. Andere bleiben diesen Veranstaltungen von vornherein fern, entweder aus Ablehnung gegenüber dem reformistischen Gewerkschafts- und Parteienklüngel, oder aufgrund einer allgemeinen Kritik am Konzept des 1. Mai.
Auch innerhalb unserer Redaktion gehen die Meinungen dabei auseinander, weswegen wir an dieser Stelle auch keine endgültige Position pro oder contra einnehmen wollen und es darüber hinaus auch nicht die Intention dieses Artikels ist. Aber wir fänden eine Diskussion darüber spannend, nicht nur speziell über Sinn und Zweck des 1. Mai, sondern über das Verhältnis einer linksradikalen / anarchistischen Bewegung gegenüber solchen „Traditionstagen“, von denen es in der deutschsprachigen Demonstrationskultur nun doch einige gibt. Als Stichworte seien exemplarisch genannt: Revolutionärer 1. Mai, die Silvio Meier oder die Liebknecht-Luxemburg-Demo in Berlin; das Schanzenfest in Hamburg oder die NATO-Sicherheitskonferenz in München. Gerne bieten wir als Zeitschrift dafür ein Forum und mit Sicherheit würde sich der eine oder die andere aus unserem Zusammenhang an einer solchen Debatte beteiligen.
Aber nun zu Sinn und Zweck dieses Artikels. Unabhängig der
erwähnten Debatte beobachten wir in den letzten Jahren eine
wachsende Unzufriedenheit an vielen Orten gegenüber der
ritualisierten Praxen und stellen erfreut fest, das gerade aus
anarchistischen Kreisen vielerorts der starke Wunsch aufkommt, eigene
Inhalte und Konzepte wieder stärker in den Fokus der Begehung dieses
Tages rücken, oder zumindest diese zur Diskussion zu stellen. So
finden in diesem Jahr so viele explizit anarchistische
Demonstrationen, Straßenfeste oder Blöcke statt, wie schon einige
Zeit nicht mehr.
Aus diesem Grund haben wir uns als Redaktionskollektiv
entschieden, diesen Prozess mit einer eigenen Sonderausgabe zu
unterstützen. Dabei war es uns wichtig, die Entwicklung in den
verschiedenen Teilen des deutschsprachigen Raumes zu betonen und sie
mit einander in Beziehung zu setzen. Neben einem obligatorischen Text
über die Geschichte des Tages aus anarchistischer Perspektive,
findet ihr deshalb Beiträge von Gruppen und Bündnissen, die lokal
anarchistische Demos und Straßenfeste organisieren, oder sich
zumindest als eigener Block an spektrenübergreifenden
Demonstrationen beteiligen. In diesen Beiträgen geht es jedoch
weitestgehend nicht um deren eigene Position gegenüber dem 1. Mai,
sondern vielmehr um eine kleine Übersicht welche Kämpfe sich gerade
in ihrer Stadt oder Region abspielen, weswegen sie – unter anderem
– an diesem Tag auf die Straße gehen. Wir erhoffen uns neben einem
gegenseitigen Austausch auch konkret das Bewusstsein der jeweils
lokalen Leser*innen dafür zu sensibilisieren, dass sie in diesem
Moment nicht die einzigen sind, die als anarchistische Demo oder
Block für ein Ende der Gesamtscheiße und die befreite Gesellschaft
demonstrieren.
Wie jede Sonderausgabe, wird auch diese in einer großen Auflage gedruckt und auf den Demos und Straßenfesten in Berlin, Bonn, Freiburg, Dresden und Stuttgart verteilt werden. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen, egal ob auf einer der genannten Demonstrationen oder weit ab davon vor dem heimischen PC. Zum Schluss möchten wir betonen, dass die aufgezählten Demonstrationen natürlich bei weitem nicht die ganze anarchistische Beteiligung an diesem Tag darstellen und es darüber hinaus viele anarchistische Gruppen, Strukturen und Individuen gibt, die sich in verschiedenen Formen an lokalen Veranstaltungen beteiligen. Die Auswahl resultiert aus dem guten Kontakt in die jeweiligen Städte. Bei entsprechender Resonanz können wir uns eine Wiederholung für das kommende Jahr gut vorstellen, dann auch gerne mit vielen weiteren Beiträgen.
Dennoch wollen wir euch die Details der Veranstaltungen in den fünf
Städten nicht vor enthalten, schließlich erwarten euch sympathische
Menschen und guter Lesestoff, wenn's mal wieder länger dauert.
Berlin
13:00 Uhr: Verschiedene anarchistische Infostände vor und neben der NewYorck (Bethanien-Südflügel, Mariannenplatz 2a, Kreuzberg)
17:00 Uhr: Unangemeldete Demo unter dem Motto „Schnauze voll: Verdrängung stoppen – Zwangsumzüge verhindern! Miet-Streik jetzt!“ (Mariannenplatz – Feuerwehrbrunnen, Kreuzberg)
18:00 Uhr: Revolutionäre 1. Mai Demo mit libertärem Block (Spreewaldplatz, Kreuzberg)
Bonn
14:00 Uhr: Libertär-Anarchistische Demonstration (Kaiserplatz)
16:00 Uhr: Straßenfest (Frankenbad)
Organisiert vom Bündnis Bonn Libertär
Dresden
12:00 Uhr: Demonstration „Wir kriegen nur wofür kämpfen! Organisiert Schule, Betrieb und Kiez!“ (Theaterplatz)
Organisiert vom Allgemeinen Syndikat Dresden / Libertäres Netzwerk Dresden
Freiburg
12:30 Uhr: Unangemeldete Demo „Nieder mit der Arbeit. Gegen Staat, Nation und Kapital“ (Stühlinger Kirchplatz/Wannerstr.)
14:00 Uhr: Unangemeldetes Straßenfest „Im Grün“
Organisiert vom anarchistischen Vorbereitungsbündnis
Stuttgart
11:30 Uhr: Libertärer Block in der Revolutionären 1. Mai Demo (Schlossplatz)
Organisiert vom Libertären Bündnis Ludwigsburg und der FAU Stuttgart
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