Antifa-Gruppen verweisen auf Netzwerk rechter Läden in Schöneweide
In Schöneweide im Bezirk Treptow-Köpenick gibt es ein ganzes Netzwerk von Läden, die von Vertretern der rechten Szene betrieben werden. Bisher weiß man: Die Kneipe »Zum Henker« in der Brückenstraße ist seit 2009 Berlins wichtigster Nazitreff. Letzten Sommer kam der von NPD-Landesvize Sebastian Schmidtke betriebene Laden »Hexogen«, der Schlagwerkzeuge, Pfefferspray, Campingausrüstungen sowie »Sicherheitsbedarf« wie spezielle Handschuhe und Stiefel im Angebot hat, hinzu. Doch das ist nicht alles.
Eine Broschüre der Antifa Recherche Berlin Südost, die Anfang Dezember veröffentlicht wurde, nennt mehrere weitere Läden. Der »Dark7side« in den Spreehöfen beispielsweise. Böhse-Onkelz-Partys werden hier sichtbar beworben. Metalbands spielen regelmäßig. Aus Sicht der Antifa steht das »Dark7side« für eine Verbindung von 90er-Jahre-Nazis und Rockergruppen. Maßgeblicher Protagonist soll Lars B. sein. Bis zum Verbot der rechtsextremen »Freiheitlichen Arbeiterpartei« 1995 war er Berliner Landeschef, später sang er bei den »White Aryan Rebels«. Die Band rief unter anderem zum Mord an Michel Friedmann und Alfred Biolek auf. Andere Nazigrößen aus den 90ern sollen sich der Antifabroschüre zufolge als Türsteher verdingen oder anderweitig dort untergekommen sein. Für »nd« war der Club für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Nur einen Steinwurf davon entfernt, in der Siemensstraße, betreibt Henryk W. zusammen mit seinem Bruder einen »sozialen Buchladen«. Fast jedes Buch hier ist gebraucht und für einen Euro zu haben. »Ich mache auch Haushaltsauflösungen. Daher bekomme ich meine Bücher«, sagt einer der Brüder. Die Ladeninhaber unterbrechen das Kundengespräch und eilen zum Radio. Dort laufen gerade die Nachrichten. Sie saugen die neuesten Meldungen zu den Ermittlungen um das Jenaer Neonazitrio in sich auf.
Eine Nazibuchhandlung ist der Laden nicht. Werke von jüdischen Emigranten wie Anna Seghers oder Sigmund Freud stehen im Regal neben russischsprachigen Autoren wie Lew Tolstoi oder Michail Scholochow. In dem Regal mit den vor 1945 verlegten Büchern steht keine »Kampfliteratur« sondern überwiegend Kitschromane.
In der rechten Szene Berlins ist Henryk W. kein Unbekannter. 1997 wurde er vom Berliner Landgericht zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er 1995 gemeinsam mit einem »Kameraden« den Treptower Jugendclub »Gerard Philippe« abbrannte. Auch weitere Straftaten wurden ihm zur Last gelegt. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe kam er bei der NPD unter.
Rechte und Rocker würden sich in Schöneweide zunehmend vermischen, schreibt die Antifa. Auch die lange verschwundenen »Vandalen« seien wieder im Straßenbild und in rechten Örtlichkeiten präsent. Laut Antifa kehren auch in der Kneipe »Zum Eisenbahner« nahe der Brückenstraße Rechte und Rocker ein. Eine Erfahrung der SPD im Wahlkampf scheint das zu bestätigen: Ihr Infostand am Bahnhof Schöneweide wurde von drei Neonazis angepöbelt, die aus dem »Henker« kamen - und sich kurz darauf Verstärkung aus dem »Eisenbahner« geholt hätten, berichtet die SPD.
Dass Schöneweide ein rechtsextremer Brennpunkt ist, bestätigt auch Verfassungsschutzsprecherin Isabell Kalbitzer. Im Gebiet um die Brückenstraße existierten »Wohn- und Trefforte zumeist subkultureller Berliner Rechtsextremisten«. Anders als die Antifa gibt man sich aber beim Verfassungsschutz der Hoffnung hin, dass dieses Phänomen vorübergehender Natur sein könnte. Die Mitarbeiter der Behörde beobachten einen Besucherrückgang im »Henker« und hoffen, dass das »Hexogen« wegen der anhängigen Räumungsklage des Vermieters beim Landgericht bald schließen wird.
Der LINKE-Politiker Gregor Gysi, der sein Wahlkreisbüro in der Brückenstraße hat, beschreibt Schöneweide als eine Gegend »mit vielen Ausgegrenzten, vielen Arbeitslosen, leider auch vielen Rechtsextremen«. Allein in diesem Jahr wurde die Scheibe seines Büros dreimal eingeworfen. Rechte Aufkleber und Schmierereien wie »NS jetzt« gab es an seiner Fassade wie an der von Nachbarn unzählige Male. »Das verringert aber nicht mein Engagement gegen Rechts, im Gegenteil.«
Besorgt über die Entwicklung ist auch Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD). Er beklagt, dass er sich über die von der Antifa thematisierten jüngsten Entwicklungen schlecht informiert fühle. »Ich habe Verfassungsschutz und Mobile Beratung gegen Rechts um Gespräche gebeten«, sagt er.
Ulf Bünermann von der Mobilen Beratung erklärt: »Sollten die Recherchen der Antifa so zutreffen, wäre es besorgniserregend. Das würde den Angstraum Schöneweide weiter verfestigen.«