Die neurechte Sommerlektüre liest sich, wie Alexander Gaulands Sakkos aussehen.
In der Welt von Rolf Peter Sieferle steht der Deutsche im Zentrum der Geschichte. Er ist die Vergleichsgröße, um den sie alle kreisen: Julius Caesar, Dschingis Khan, Mao Tse-Tung, Fidel Castro. Und, ja, auch mal Adolf Hitler. Aber schließlich hätten auch Caesar und Castro für politische Zwecke gemordet. Was sind da schon zwölf schlechte Jahre? Hitler sei "ein unzeitgemäßer Bösewicht" gewesen, ein Einzeltäter an der Spitze eines Volks, das Opfer der Umstände wurde. Schwamm drüber, so Sieferles Deutung: Als wäre ein Genozid eine Delle, die man ins Auto fährt, weil man beim Ausparken nicht aufgepasst hat – dafür können ja die Beifahrer nichts .
Mit dieser und anderen verblendeten Thesen landete Finis Germania im Juni auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Vor einer Woche entschied Spiegel-Chef Klaus Brinkbäumer, das Buch von der Liste zu streichen, und nun streiten Journalisten und rechte Blogger: Ist es richtig, ein Buch, das "rechtsradikal, antisemitisch und geschichtsrevisionistisch" sein soll, von der Bestsellerliste zu entfernen? Über das, was eigentlich drin steht, wird dabei kaum diskutiert. Deshalb haben wir uns durch das Buch gequält.
Sieferle erzählt zu Beginn eine kleine Geschichte von Fritz und Iwan, Prototypen des Weltkriegs-Deutschen und -Russen, die bis heute von Landser-Heftchen am Kiosk benutzt werden. Die Geschichte geht so:
"Fritz hat dem Iwan zehn Äpfel gestohlen, Iwan dem Fritz aber nur vier Äpfel. Nun kommt ein Aufrechner und sagt, man müsste eigentlich von den zehn Äpfel, die Fritz gestohlen hat, die vier von Iwan gestohlenen abziehen. Als Fazit hätte Fritz sechs Äpfel gestohlen."
Fritz steht in dieser Rechnung als Alleinschuldiger da – und so sei das auch mit dem Gedenken an den Holocaust. Die ganze Welt habe in der Vergangenheit schreckliche Verbrechen begangen – aber allein Deutschland dafür bestraft. So sieht es Sieferle, der einst geschätzte Umwelthistoriker. Bis vor wenigen Jahren beriet er sogar noch die Bundesregierung zur Energiewende. 2016 beging er im Alter von 67 Jahren Suizid. Zwei Jahre zuvor hatten ihm seine Ärzte eine Krebsdiagnose gestellt. Seitdem, so berichten es Freunde in der FAZ, sei er verändert gewesen. Aus einem humorvollen Beobachter wurde ein Verbitterter. Er schottete sich ab und schrieb erstmals Bücher mit politischen Botschaften, in denen er den schwächelnden Nationalstaat Deutschland beklagt. Im Nachwort heißt es, die letzte Änderungen an Finis Germania habe Sieferle im April 2015 vorgenommen.
Das Buch erscheint bei Antaios, dem Hausverlag der Neuen Rechten. Der Herausgeber Götz Kubitschek schreibt für die Junge Freiheit und die Sezession, unterstützt AfD-Hardliner Björn Höcke und soll am Gründungsmanifest der Identitären Bewegung mitgewirkt haben. Kubitschek leitet einen Verlag, der sich darauf spezialisiert hat, rechte Propaganda zu verbreiten, ohne dabei so plump zu wirken wie die NPD oder Bands aus der Rechtsrock-Szene.
Vielmehr bedienen erzkonservative Intellektuelle – oder Menschen, die sich dafür halten, weil sie ihrem Buch lateinische Titel geben – das Bedürfnis vieler Deutscher, sich neu zu ihrem Land zu positionieren; nämlich positiver. Es ist in den vergangenen Jahren zu einer Art Trend geworden: das salonfähige neurechte Buch. 2010 kauften eineinhalb Millionen Menschen Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab, vier Jahre später war Akif Pirinccis Deutschland von Sinnen ein Besteller. Und nun also, 2017, Finis Germania.
Dieses Buch zu lesen, heißt sich zu quälen. Die Lektüre fühlt sich an, wie Alexander Gaulands Sakko aussieht: großonkelig, elitär und kleinkariert. In Finis Germania blickt Sieferle in die Vergangenheit, um das Deutschland der Gegenwart zu erklären. Sieferle schreibt, dass es Völker gebe, "an denen die Geschichte abperlt wie Wasser von einem gut gefetteten Stiefel". Und es gibt die Deutschen, die armen Deutschen, die mit Holocaust zu leben hätten. Für immer. Das Gedenken daran trage "Züge einer Staatsreligion", dessen erstes Gebot lautet: "Du sollst keinen Holocaust neben mir haben."
Sechs Millionen tote Juden? Rekorde, schreibt Sieferle, sind da, um gebrochen zu werden.
Sieferle deutet das Alte Testament der Bibel als Verfahrensvorschlag, einen industriellen Massenmords aufzuarbeiten: Die Menschen hätten nach Adam und Evas Sündenfall wieder Gottes Gnade und Liebe empfangen. Gott erkor die Juden erst zum auserwählten Volk und verzieh ihnen später sogar, dass sie Jesus Christus kreuzigten. Der deutschen Erbsünde, dem Holocaust, dagegen fehle das "Element der Gnade und Liebe", schreibt Sieferle: "Der Deutsche ist der säkularisierte Teufel einer aufgeklärten Gegenwart". Er klagt, dass den Deutschen niemand Erlösung für die Endlösung anbietet: "Adam Hitler wird durch keinen Jesus aufgehoben." Erst wenn der letzte Deutsche verschwunden ist, werde das enden, was neurechte Autoren wie er den deutschen Schuldkult nennen.
Liest man sowas, denkt man, dass die Meinungsfreiheit ein Arschloch ist. Was Sieferle schreibt, ist nicht verboten, er leugnet nicht, dass die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden vergast haben – das wäre eine Straftat. Sieferle aber tut etwas Schlimmeres. Er macht sich mit abgespreiztem kleinem Finger und – natürlich – in der alten Rechtschreibung darüber lustig:
"Was kann man aus Auschwitz lernen? Daß in der technischen Moderne moderne Technik zum Massenmord eingesetzt wird? Wen dies überrascht, der möge es aus Auschwitz lernen. Oder ist es die schiere Zahl der Opfer, die ominösen sechs Millionen? Also etwas für das Guinessbuch der Rekorde? Aber Vorsicht, Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden."
Der rechte Blog Politically Incorrect behauptet, Finis Germania liefere "geistiges Rüstzeug", um Deutschland und Europa zu retten. Dies über ein Buch zu schreiben, das den Holocaust herunterspielt, bedient einen deutschen Reflex, der stärker wird: der Wunsch nach einem Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit. So antworteten in einer Bertelsmann-Studie von 2015 81 Prozent der Befragten, die Deutschen sollten die Geschichte der Judenverfolgung "hinter sich lassen", mehr als jeder Zweite möchten definitiv einen "Schlussstrich" ziehen.
Erzkonservative Intellektuelle wie Sieferle nehmen dieses Grundrauschen auf, bedienen die Sehnsucht nach einem Ende der Schuld und verdichten es zu völkischen Sudelheften. Bücher wie Finis Germania verbreiten publizistisch, was Frauke Petry fordert, wenn sie sagt, man müsse den Begriff "völkisch" wieder positiver besetzen. Sieferle zitiert ausführlich Schopenhauer und Nietzsche, um zu beklagen, dass die große deutsche Kulturnation sich heute selbst klein hält. Er hält den Holocaust für eine Bürde, die es loszuwerden gilt, damit Deutschland wieder groß werden kann.
Der Unterschied zu einer Landser-CD liegt weniger darin, was gesagt wird, als wie es gesagt wird. Sieferle nutzt eine wissenschaftlich-anmutende Sprache für sein unwissenschaftliches Gedresche vom "Mythos Vergangenheitsbewältigung". Das macht Bücher wie Finis Germania so gefährlich – und für viele so faszinierend. Wer das Buch derzeit in Berliner Buchhandlungen kaufen will, wird vertröstet. Nicht, weil es die Geschäfte aus dem Sortiment genommen hätten – sondern, weil es ausverkauft ist.