Ein weiterer Toter im NSU-Komplex

Erstveröffentlicht: 
17.02.2016

Der Verlobte der Ex-Freundin Florian Heiligs hat sich das Leben genommen. Seine Lebensgefährtin war im vergangenen Jahr verstorben.

 

Etwas mehr als eine Stunde war die Limousine unterwegs. Vom hügeligen Kraichgau ins Getümmel der Landeshauptstadt. Melisa M. war die einzige Zeugin des NSU-Untersuchungsausschusses, die im Dienstwagen des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexler nach Stuttgart chauffiert wurde. Von der Ex-Freundin des in seinem Auto verbrannten Ex-Neonazis Florian Heilig erhofften sich die Parlamentarier wichtige Hinweise. Ihre Ängste hätten „sich so zugespitzt“, dass er seinen Fahrer losgeschickt habe. So erklärte der Sozialdemokrat im März des vergangenen Jahres seinen Kollegen die außergewöhnliche Dienstfahrt. Und warum Melisa M. ihren Verlobten Sascha W. mit zur nichtöffentlichen Vernehmung brachte: „Sie hat sehr große Ängste.“ Jetzt sind beide tot.

 

 

Am Abend des 8. Februar wurde die Leiche von Sascha W. gefunden. Einzelheiten will Tobias Wagner von der Karlsruher Staatsanwaltschaft nicht nennen. Ein vorläufiges Obduktionsergebnis sichtete die Behörde bereits: „In der Gesamtschau deutet alles auf einen Suizid hin“, sagte Wagner den Stuttgarter Nachrichten. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden. W., aktiver Moto-Cross-Fahrer, habe eine elektronische Abschiedsnachricht versandt.

 

Hat den 31-Jährigen der überraschende Tod seiner Verlobten aus der Bahn geworfen? Wenige Wochen nach ihrer Aussage im NSU-Ausschuss war Melisa M. im März 2015 gestorben. Die 20-jährige Altenpflegeschülerin stürzte mit dem Motorrad und erlitt eine Thrombose. Trotz ärztlicher Behandlung verstopfte das Blutgerinnsel ein Gefäß in der Lunge. Die NSU-Rechercheure im Landtag schlossen aus, „dass die Lungenembolie künstlich herbeigeführt wurde.“

 

Trotzdem erscheint Melisa M.s Tod vielen rätselhaft. Im Internet kursieren Thesen über das „Zeugensterben“. Auch weil der Tod des Nazi-Aussteigers Florian Heilig weiter Fragen aufwirft. Der 21-jährige Eppinger starb im September 2013 in seinem brennenden Peugeot am Cannstatter Wasen. Am selben Tag wollte ihn das LKA vernehmen. Heilig hatte schon vor dem Bekanntwerden des NSU im November 2011 geprahlt, er kenne die Mörder der in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter. Kriminalbeamten gegenüber schlug er andere Töne an. Statt Insider-Wissen über die Heilbronner Bluttat berichtete er im Januar 2012 von einer ominösen „Neoschutzstaffel“ gewaltbereiter Neonazis.

„Der Untersuchungssauschuss sieht nach der umfangreichen Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“, heißt es im Abschlussbericht zum Brandgeschehen in Bad Cannstatt. Ob Heilig vor seinem mutmaßlichen Selbstmord von Rechtsextremen bedroht wurde, lassen die Abgeordneten offen. Zwar hätten sie keine Belege dafür gefunden. Ihrem „Aufklärungswillen“ sei aber eine Grenze gesetzt worden. Bis heute konnten ein Handy, ein Laptop und ein Camcoder aus dem Auto Heiligs nicht ausgewertet werden: Die Familie stellte die Zusammenarbeit mit den Behörden ein.

 

Auch Melisa M. lieferte dem Ausschuss keine Details über Heiligs Situation. Der habe sich in der Nacht vor seinem Tod per Handy von ihr getrennt, sagte M. am 2. März 2015. Kontakte zu Rechtsextremen verneinte die Kroatin: „Ich glaube, das wäre für mich der Untergang. Ich bin Ausländerin“. Heilig habe aber von Drohungen aus der Szene berichtet. „Aber so konkret, ob er mit jemandem Stress hatte, hat er mir gegenüber zumindest nicht erwähnt.“ Über den Kiesewetter-Mord habe Heilig nicht gesprochen.

 

Melisa M. erklärte den Ausschussmitgliedern, warum sie selbst Angst habe. Ihr Verlobter habe früher in einem Mehrfamilienhaus gewohnt, in dem auch „ein Nazi“ wohnte. Der sei mit einem ehemaligen Kumpanen von Heilig befreundet. Ihr Verlobter Sascha W. präsentierte den Abgeordneten einen Screenshot, um den Mann zu identifizieren. Das Bild zeigt Jörg K. aus Heilbronn. Den 43-Jährigen kennt die Polizei zwar als rechten Skinhead. K. bewegt sich aber seit Jahren in der lokalen Trinker- und Drogenszene. Kontakte zu militanten Neonazi-Netzwerken um den NSU sind nicht zu erkennen.