JW: Irak-Veteranen in Freiburg: Vom Krieg die Schnauze voll

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Erstveröffentlicht: 
16.03.2009

Als am Samstag in dem zentral gelegenen Cafe Velo in Freiburg acht Veteranen und Soldaten der Kriege in Irak und Afghanistan über ihre Erfahrungen Auskunft gaben, war ihnen das Interesse einiger offizieller und sehr vieler Pressevertreter kleiner linker Medien gewiß. Schließlich handelte es sich um das erste europäische »Winter Soldier Hearing«, zu dem viele friedens- und antimilitaristische Gruppen aufgerufen hatten, wie das Freiburger Friedensforum, das Rüstungs-Informations-Büro und Connection e.V., die international mit Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren arbeiten. Eingeladen zu dem Hearing hatte die europäische Sektion der Iraq Veterans Against the War (IVAW), einer Vereinigung, der auch die meisten Anwesenden angehörten. Die Tradition der »Winter Soldier Investigation« führt zurück in das Jahr 1971, in dem die »Vietnam-Veteranen gegen den Krieg« die Kriegsverbrechen der eigenen Regierung anklagten.

Chris Arendt, Zack Baddorf, Chris Capps-Schubert, Dave Cortelyou, Eddie Falcon, Lee Kamara, André Shepherd und Martin Webster waren nun die aktuellen Ankläger, und sie hatten nicht einfach nur eine Story zu erzählen, sondern sie offenbarten sich. Sie sind zusammengekommen, so betonten sie immer wieder, um Zeugnis abzulegen. Der zivilreligiöse Beiklang von Zeugnis und Offenbarung soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Berichte von Kriegseinsätzen in Afghanistan und Irak, ihre Schilderungen des Soldatenlebens in Guantánamo in einem niederschmetternden Realismus gehalten und gleichzeitig Dokumente rascher Lern- und Läuterungsprozesse waren.

 

Die Sprache der ehemaligen Soldaten ist weitgehend entideologisiert. Alle gingen als Gläubige in die US Army, so meinten sie, daß Freiheit, Sicherheit, das Vaterland und die gesamte Menschheit gerettet werden, um schließlich zu erkennen, daß sie für eine Lügenregierung und die Interessen der Reichen als Besatzungsarmee fungieren. Vom Guten, das ihrer eigentlichen Mission anhaften würde und von dem sie ursprünglich überzeugt waren, haben sie reichlich die Schnauze voll, denn ihr ganzer Einsatz hat sich in eine Tortur verwandelt.

 

Chris Arendt beispielsweise, ein tätowierter eloquenter Redner, wollte sich in der Army das Geld fürs College verdienen. Das führte ihn direkt nach Guantánamo. Ausführlich schilderte er, wie er selbst aus Naivität, Angst und Unwissenheit die rassistische Entmenschlichung als Wärter mit vollzog und damit Teil des barbarischen Guantánamo-Systems wurde. Den verzweifelten Bitten eines Häftlings nach Klopapier konnte er schlicht nicht nachkommen, so weit hatte er internalisiert, daß sein Gegenüber ein gefährliches Wesen sei.

 

Der ehemalige US-GI André Shepherd zeichnete nach, wie er in einer Zeit von Obdachlosigkeit und Perspektivlosigkeit für die Armee rekrutiert wurde. Naiv glaubte er an die Versprechung, auch er könne die Welt retten. Als Hubschraubermechaniker fand er schnell heraus, daß man in der Armee jede Individualität aufzugeben habe und nur noch gehorchen müsse. Dazu trat noch die feindselige Reaktion der Bevölkerung, die ihn wissen ließ: Du bist hier unerwünscht. Schließlich sah er, daß der ganze »War on Terror« ein Krieg war, der mit Freiheit, Sicherheit in die Welt tragen und ähnlichem nichts zu tun habe, sondern einer imperialistischen Logik folge. 2004/2005 fiel er in eine tiefe Depression, wollte die Armee verlassen. Im April 2007 desertierte er. Höchststrafe bei Fahnenflucht kann sogar die Todesstrafe sein. Ende November 2008 beantragte der junge Exsoldat, der unlängst den Preis »Frieden aus Überzeugung« 2009 erhalten hatte, als erster Irak-Kriegsveteran der US-Army in Deutschland Asyl.

Shepherd ist nicht der einzige, der anfangs in einen vermeintlich gerechten Krieg zog, um mit erheblichen psychischen Schäden aus ihm herauszukommen. Morgens sprach die Psychologin Rose Kazma, die seit Jahren mit traumatisierten Soldaten arbeitet, über die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung, der man in früheren Zeiten lediglich andere Namen gegeben habe. Shell­shock hieß es im Ersten Weltkrieg, das Vietnamsyndrom wurde ab den 70er Jahren sprichwörtlich. Ein Fünftel der Afghanistan-Soldaten zeigen bereits deutlich die Symptome von Angst, anhaltenden Ohnmachtsgefühlen, Depressionen und haben Suizidgedanken.

 

Allerdings wollen die Referenten der IVAW bei dieser bitteren Bilanz nicht stehenbleiben, sie weigern sich, sich primär als Opfer zu sehen. Einige machen Kunst, Musik, geben Zeitschriften heraus. Und da ist noch der 61jährige schwarze Vietnam-Kriegsveteran und Filmemacher Darnell Stephan Summers mit seinen grau-schwarzen Dreadlocks: ihm merkt man die Politisierung in den Sechzigern an, er geht zuweilen über das Zeugnisablegen hinaus. Zum NATO-Treffen in Strasbourg befragt, sagt er: »Die NATO war schon immer ein Club von Gangstern und ist immer noch ein Club von Gangstern.« Und er schiebt vorsichtig nach, das sage er als Privatmann, nicht als Altvorderster der IVAW. Doch seine sehr viel jüngeren Mitaktivisten hatten bereits zustimmend genickt.

Gerhard Hanloser

 

Der grösste Teil der Beiträge der Veteranen und Soldaten ist auf Video aufgezeichnet worden über den “Winter Soldier Europa” youtube-channel verfügbar. Sie können ebenfalls als mp3 gehört werden.