Neonazi-Auflauf: Hooligan-Rocker spielen für "SS-Siggi"

Siegfried Borchardt: Neonazi-Hooligan aus Dortmund
Erstveröffentlicht: 
17.11.2013

Von Christoph Ruf, Rheinmünster-Söllingen

Hooligan-Auflauf im Badischen: Im kleinen Söllingen spielte die Band Lunikoff Verschwörung zu Ehren der Dortmunder Neonazi-Größe Siegfried Borchardt. Die Polizei beobachtete das Konzert - in Borchardts Heimatstadt war eine ähnliche Veranstaltung zuvor untersagt worden.


Söllingen ist ein Dorf wie viele andere in Mittelbaden - und mit knapp 1300 Einwohnern nicht eben groß. Wenn an einem Samstagabend zwischen 150 und 200 Neonazis einfallen, um im einzig größeren Gasthof den 60. Geburtstag eines Neonazi-Veteranen zu feiern, ist die Polizei gut beraten, sich am Ortseingang zu postieren. "Aus dem Internet" habe man erfahren, dass das Konzert heute stattfinde, berichtet ein freundlicher Polizist aus dem Wageninneren seines Mercedes heraus. Und ja, das gleiche Konzert mit den gleichen Bands sei offenbar tags zuvor in Dortmund aus Sicherheitsgründen abgesagt worden. Nun findet es also hier, unweit der Grenze zu Frankreich, statt. Schließlich gilt es, den Geburtstag einer Szenegröße zu begehen.

Zwei Tage zuvor hatte Siegfried Borchardt Geburtstag, Deutschlands wohl bekanntester Neonazi-Hooligan, der als Gründer der Dortmunder "Borussenfront" schon in den Achtzigern zweifelhafte Berühmtheit erlangte. "SS-Siggi" ist eine feste Größe der deutschen Nazi-Szene; schon in der Vergangenheit waren seine Geburtstage ein nationales Ereignis mit Anwesenheitspflicht für alle, die in der Szene etwas auf sich halten.

Da wundert es nicht, dass zur Geburtstagsfeier ein Sänger aufspielt, der überall, wo er auftritt, die Hallen füllt. Michael "Luni" Regener wird in Söllingen kurz nach Mitternacht die Bühne entern, zu diesem Zeitpunkt haben schon drei andere Bands die Stimmung aufgeheizt. Auf dem Musikprogramm im "Rössle" standen auch die einschlägig bekannten Bands Sachsonia, Words of Anger und Klänge des Blutes.

"Terroristen mit E-Gitarre"

Hauptattraktion aber ist Regeners Band Lunikoff Verschwörung - sie ist die Nachfolgeband der Gruppe Landser, die 2003 vom Bundesinnenminister als "kriminelle Vereinigung" verboten wurde. Die selbsternannten "Terroristen mit E-Gitarre" haben unter anderem das "Afrika-Lied" ("Afrika für Affen, Europa für Weiße, steckt die Affen in ein Boot und schickt sie auf die Reise") im Programm, mit dem sich die Täter aufputschten, die im Juni 2000 der Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau ermordet haben.

Weil Regener im Gegensatz zu seinen Bandmitgliedern gegenüber der Staatsanwaltschaft keine Aussagen machte, gilt er als Märtyrer der Nazi-Szene. Regener wirbt auf seiner Homepage für die NPD, nennt die Bundesregierung "ZOG" ("zionist occupied governement", zionistisch besetzte Regierung) und trifft damit den Ton junger Rechtsradikaler. Zum ersten Konzert nach seiner Haftentlassung strömten 2009 fast 4000 Nazis nach Gera.

So viele sind es am Samstag nicht, die nach Söllingen gekommen sind - die Mobilisierung war wohl doch zu kurzfristig. Doch auffallend ist, wie viele Kennzeichen aus dem Westen der Republik auszumachen sind - besonders aus Dortmund. Schon unmittelbar nach der Absage des für 800 Personen geplanten Konzerts in Dortmund hatten die Veranstalter auf Facebook angekündigt, alle Bands "sollten auf jeden Fall" spielen. Möglicherweise müssten die "Gäste" aber "einen längeren Anfahrtsweg in Kauf nehmen". Per Telefon wurden die Nazis dann nach Baden gelotst.

Borchardt selbst war aber offenbar nicht vor Ort, zumindest beklagen das einige seiner Fans im Internet. Dem Dortmunder Kreisvorsitzenden der Partei Die Rechte, einem Auffangbecken für Mitglieder verbotener Neonazi-Kameradschaften, wurde dennoch kräftig gehuldigt. Hinter dem Schlagzeug prangte im "Rössle" eine Zeichnung von Borchardt mit Lorbeerkranz und Schriftzug "Alles für Dortmund". Und das selbst in der tiefsten badischen Provinz.

Dass das Ausweichrevier ausgerechnet dort gesucht wurde, ist indes kein Zufall. Seit Jahren hält die NS-Kameradschaftsszene im Ruhrgebiet beste Verbindungen zu sogenannten Autonomen Nationalisten in Karlsruhe und Rastatt. Als Ende Mai in Karlsruhe knapp 3000 Gegendemonstranten einen Aufmarsch von 200 Nazis verhinderten, waren bei den Rechten auffallend viele Aktivisten aus Dortmund angereist. Darunter auch Siegfried Borchardt.