ETA-Gefangene kommen nach Menschenrechtsurteil frei

Ines del Rio nach der Freilassung auf dem Heimweg

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Spanien verurteilt viele Gefangene freizulassen, die illegal inhaftiert sind. Rechtsradikale drohen mit Selbstjustiz und denen mit Mord, die in dem Urteil eine "positive Nachricht" sehen.

 

Angehörige der Baskin Inés del Río haben sich am frühen Dienstag aus Tafalla auf den 700 Kilometer langen Weg zum Knast von Teixeiro in Galicien gemacht, um sie mit fünf Jahren Verspätung zu begrüßen. Gegen 16 Uhr 15 wurde die Frau aus Navarra schließlich freigelassen. Der Nationale Gerichtshof in Madrid hatte zuvor per Sondersitzung ihre Freilassung beschlossen. Dem Sondergericht blieb keine Wahl, als seine bisherige Praxis aufzugeben, nachdem Spanien am Montag vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg abgewatscht worden war. Schon am Mittwoch wird über weitere Fälle entschieden. 

 

Der spanische Widerspruch gegen ein EGMR-Urteil aus dem Vorjahr wurde vom Großen Senat abgelehnt. Auch für ihn ist es ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention, Haftstrafen rückwirkend zu verlängern. Spanien muss nun etliche ETA-Gefangene freilassen, sind sich hochrangige Juristen einig, auf die die sogenannte Parot-Doktrin des Nationalen Gerichtshofs angewendet wurde. Sie ist nach Henri Parot benannt, den als erste der Menschenrechtsverstoß des Sondergerichts traf. Nachdem der Oberste Gerichtshof das Vorgehen 2006 absegnete, traf sie zunächst weitere ETA-Gefangene und später auch mehre Dutzend andere Gefangene.

 

Die Zahlen, wie viele Gefangene betroffen sind, gehen auseinander. Bis zu 137 Gefangenen der ETA können betroffen sein, meint die große spanische Tageszeitung El País, fast ein Viertel aller in Spanien einsitzenden politischen. Klar ist, dass 56 schon gegen die Anwendung der Doktrin geklagt haben, für die die Anwälte die sofortige Freilassung gefordert haben. Auch in London wurde am Obersten Gerichtshof am Dienstag über den Basken Antonio Troitiño beraten. Er sollte sogar nach seiner Freilassung zurück in den Knast befördert werden. Er floh und saß seit 2012 in Großbritannien in Abschiebehaft. Die Abschiebung wurde nach einem Europäischen Haftbefehl genehmigt aber mit Blick auf das EGMR-Urteil ausgesetzt. Verschoben wurden die Beratungen vom Morgen auf den Nachmittag, weil die Staatsanwaltschaft keine Mitteilung der spanischen Regierung erhalten habe. Inzwischen hat das Gericht seine Freilassung angeordnet, weil über die Abschiebung noch nicht entschieden werden konnte, womit eine Vorentscheidung getroffen wurde.

 

Wie viele Basken ist auch Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter Der Linken überzeugt, dass es eine "positive Nachricht für den Friedensprozess", erklärte er. Das Urteil kam genau zwei Jahre, nachdem die ETA verkündete, den bewaffneten Kampf endgültig einzustellen. Auf einer internationalen Friedenskonferenz war das von ihr auch von der linken Unabhängigkeitsbewegung gefordert worden. Spanien müsse sofort die betroffenen Gefangenen freilassen. Er sieht ein "unrühmliches Beispiel dafür, wie Anti-Terror-Gesetzgebung die Rechtsstaatlichkeit aushöhlen kann."

 

Die Stimmung in Spanien ist regelrecht aufgeheizt. Die Präsidentin der Spanischen Opferorganisation AVT forderte dagegen die Regierung auf, das Urteil nicht umzusetzen. Ángeles Pedraza drohte: "Wir haben nie Selbstjustiz geübt, aber unsere Geduld ist begrenzt", drohte sie. Mitglieder der Jugendorganisation der regierenden Volkspartei (PP) beschimpften den Parlamentarier der Vereinten Linken (IU), weil der das Urteil als gute Nachricht für die Menschenrechte bezeichnet hatte. "Wenn ich es recht überlege, jemanden wie dich oder deine Brut umzulegen ist billig für uns. Vielleicht wäre das keine schlechte Idee… du Clown", verbreitete Jaime Mora über Twitter. Das erinnert an die PP-Mitglieder, die sich schon konkret auf Aktionen im Rahmen der faschistischen Falange vorbereitet haben, wie Bilder zeigen.

 

 © Ralf Streck, 22.10.2013