Erst verbrennen Akten, dann Zeugen ... im NSU-VS-Komplex

Auto Feuerwehr Stuttgart

Eine Zeuge, den es nicht geben darf

Mit geradezu halsbrecherischer Absicht halten deutsche Behörden daran fest, dass für den Mordanschlag auf die beiden Polizisten die toten NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verantwortlich seien, obwohl kein einziger Beleg dafür angeführt werden kann. Und gegen alle vorliegenden Fakten wird behauptet, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Mordanschlag „ohne Mithilfe ortskundiger Dritter verübt haben“.

 

Fakt ist, dass die Spuren und Hinweise, die es zuhauf gibt, zu anderen/weiteren Tätern führen.

 

Warum will man noch lebende Täter schützen? Muss man sie schützen? Würden die Täter Verbindungen zu staatlichen Behörden bloßlegen, zu Tatbeteiligten, die auch V-Leute waren?

Auf welche Gratwanderung begeben sich Ermittlungsbehörden, wenn staatliche Stellen Täterwissen haben, dessen Offenlegung staatliche Behörden mehr fürchten als der NSU?

Und welche institutionellen Spannungen nimmt man in Kauf, wenn die Aufklärung des Mordanschlages auf Polizisten zum Schutz ›höherer Interessen‹ verhindert wird?

 

Erst verbrennen Akten, dann Zeugen

Am 16. September 2013 leiht sich Florian H. das Auto seines Vaters. Er hat einen Termin um 17 Uhr beim Landeskriminalamt in Stuttgart. Dort soll er weitere Aussagen zum Mordfall Heilbronn machen. Er wohnt im Landkreis Heilbronn und fährt über die Autobahn nach Stuttgart. Er legt ca. 50 Kilometer zurück, ist fast am Ziel, in Stuttgart-Cannstatt. Anstatt die eineinhalb Kilometer zum LKA in der Taubenstraße 85 zu fahren, hält er auf dem Cannstatter Wasen an, »auf der Zufahrt zum dortigen Campingplatz – einem Ort, an dem sich die der Zwickauer Terrorzelle zugerechneten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aufgehalten hatten.« (Kontext/Thomas Moser vom25.09.2013).

Dort parkt er sein Auto. Wohin er geht, ist bislang unbekannt. Ebenso unklar ist, wie lange die Unterbrechung dauerte. Florian H. kehrt zurück zu seinem Auto. Zeugen zufolge kam es zu einer Explosion, »kurz nachdem der Mann nahe dem Cannstatter Wasen in Stuttgart in sein Auto eingestiegen war. Erst danach habe das Fahrzeug Feuer gefangen und sei ausgebrannt, sagen diese Zeugen.« (Berliner Zeitung vom 1.10.2013)

Florian H. verbrennt im Auto. Der Zeuge ist tot.

 

Die BILD-Zeitung veröffentlichte ein Tatortbild: Auf diesem sieht man Umrisse einer Gestalt, nach hinten gebeugt, fast überstreckt. Der Körper ist eng an die Rückenlehne des Fahrersitzes gepresst. Eine Körperhaltung, die ein Toter einnimmt, wenn er von Gurten gehalten wird. Ob diese Annahme berechtigt ist, ist leicht zu überprüfen: Nicht nur der Fotograf, auch Feuerwehr und Polizei sind in Besitz zahlreicher Tatortfotos, die auch den Augenblick festhalten, als das Brandauto von der Feuerwehr gelöscht worden war.

Bemerkenswert ist dabei der Umstand, dass das Foto, das die BILD-Zeitung abgedruckt hatte, nicht mehr verfügbar ist.

Nach Angaben von Thomas Ulmer, Pressesprecher der Stuttgarter Polizei, fanden die Ermittler einen geschmolzenen Plastikbehälter. »Der Brandschutt wird auf Rückstände von Brandbeschleuniger untersucht«, sagt Ulmer. Das Ergebnis der Untersuchung stehe noch aus.

So langwierig eine Spurensuche und vor allem eine Spurenauswertung auch – normalerweise – ist: Der Pressesprecher im Innenministerium Rüdiger Felber hat schon das Ergebnis: »Wie bei jedem anderen Suizid wurde auch hier gewissenhaft geprüft, ob eine Fremdeinwirkung vorliegen könnte. Das ist eindeutig zu verneinen

Auch das Motiv ist schnell erkannt: Florian H. habe »wegen Beziehungsproblemen« Selbstmord begangen.

 

Im Rahmen dieser Recherche bat ich die Pressstelle der Polizei darum, Tatortfotos zur Verfügung zu stellen. Das wurde aus »datenschutzrechtlichen Gründen« abgelehnt.

Zugleich bat ich darum, die Behauptung zu belegen, dass Florian H. »Beziehungsprobleme« hatte, die ihn in den Selbstmord getrieben haben sollen. Alle Anfragen und Fragen blieben bis heute unbeantwortet.

Auch die Feuerwehr Stuttgart bat ich darum, Fotos zuzusenden, die das Auto nach dem Löschen des Brandes zeigen, mit der Bitte, mir mitzuteilen, in welcher Lage sie den Toten vorfanden, bevor sie aus dem Auto herausgenommen wurde. Die Feuerwehr verwies auf die Polizei.

Damit schließt sich der Kreis des Schweigens.

Sind das nicht genug Gründe, an der Selbstmordthese zu zweifeln? Und ist es nicht Aufgabe der Ermittlungsbehörden, gegenüber Behörden misstrauisch zu sein, die jahrelang und fortgesetzt Beweismittel unterschlagen und vernichtet haben, die Falschaussagen gemacht haben und Spuren für irrelevant erklärt hatten, die heißer nicht sein konnten (wie die 1998 gefundene Garagenliste in Jena z.B.).

Man muss kein Tatort-Fan sein, um über zahlreiche Ungereimtheiten zu stolpern, denen erst nachgegangen werden müsste, bevor man ein Ermittlungsergebnis festschreibt.

 

Warum handelt Florian H. erst genau wie ein Zeuge, der zu einem Vorladungstermin erscheinen will, um im letzten Moment aus Liebeskummer Selbstmord zu begehen?

Welchen Grund hatte die Unterbrechung auf dem Cannstatter Wasen?

Warum hält er direkt vor dem Campingplatz, wo auch NSU-Mitglieder 2007 ihren Campingwagen abgestellt hatten?

Was hat die Auswertung der Handydaten von Florian H. ergeben? Wen hat er angerufen, mit wem hatte er Kontakt?

Wenn die Zeugenaussagen zutreffen, dann liegt der Verdacht nahe, dass Florian H. nicht Selbstmord begangen hat, sondern Opfer eines (zwischenzeitlich) manipulierten Autos geworden ist.

Wenn das BILD-Zeitungsfoto die Möglichkeit nahelegt, dass Florian H. angeschnallt war, als sich die Explosion ereignete, dann wollte Florian H. nicht sterben, sondern seine Fahrt fortsetzen.

 

Bis heute haben weder Polizei noch Staatsanwaltschaft einen einzigen Beleg für das ins Feld geführte Selbstmordmotiv vorgelegt. Ein sehr massives Indiz dafür, dass das Selbstmordmotiv erfunden ist, liefert die Mutter von Florian Heilig. Sie kommentierte dem Kontext-Beitrag ›Ungeklärter Todesfall‹ vom 25.9.2013 wie folgt:

»Legislative, Judikative, Exekutive, ausführende Gewaltteilung des Staates, dies habe ich mehrmals in der Schule und in all meinen Weiterbildungen gelernt. Inzwischen haben diese Formen einen sehr negativen Beigeschmack. Florian war ein sehr lebenslustiger und kritischer Mensch. Er hatte so viele Träume Wünsche und Ziele. Wer ihn gekannt hat, geht nicht von einem Suizid aus.« (Heike Heilig, 06.10.2013 14:29)

Der erste Satz klingt merkwürdig abstrakt. Vielleicht wollte sie damit andeuten, dass sich ihr Sohn »im Ausstiegsprogramm ›Big Rex‹ für Rechtsextreme befand« (VS .. BND .. FBI .. DIA. Und ein Zeuge verbrennt sich aus Liebeskummer, annalist.noblogs.org), etwas, was sie so nicht sagen wollte oder durfte. Damit machte sich ihr Sohn jedenfalls viele Feinde: nicht nur unter Neonazis, sondern auch in Kreisen von »Legislative, Judikative, Exekutive«, die an der Legende vom Zwickauer Terrortrio genauso festhalten, wie an der Behauptung, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Schützen in Heilbronn waren.

 

Sicherlich gibt es Selbstmorde. Aber es gibt auch ›Selbstmorde‹, die sich vor allem jene herbeiwünschen, die berechtigte Angst vor dem haben, wofür sich die Lebenden entschieden hatten, nämlich Aussagen zu machen. Wie ein Uwe Barschel zum Beispiel, der öffentlich angekündigt hatte, umfänglich auszupacken und dann Selbstmord begangen hat oder Heinz Lembke, Neonazi und Gladio-Mitglied, der Aussagen zu dem neonazistischen Mordanschlag auf das Oktoberfest in München 1980 machen wollte und sich tags zuvor in der Zelle erhängte …

Obwohl weder Ort und Zeit, noch die erklärte Absicht des Opfers einen Selbstmord plausibel machen, ist das Ermittlungsergebnis der Polizei in Stein gemeißelt. Ein Ergebnis, das so schnell feststeht wie bei den vorangegangenen NSU-Morden, bei denen in atemberaubender Geschwindigkeit, also faktenfrei, ausgeschlossen wurde, dass es sich um neonazistische Mordanschläge handelte.

Florian Heilig ist ein Neonazi und den Ermittlungsbehörden seit Langem bekannt. Bereits im Januar 2012 hat er Aussagen gemacht. In dieser Vernehmung gab er an, dass es neben dem NSU noch eine weitere neonazistische Terrorgruppe gibt. Ihr Name: ›Neoschutzstaffel‹ (NSS): »Diese NSS sei von H. als ›zweite radikalste Gruppe‹ neben dem NSU bezeichnet worden. Den Aussagen des Zeugen zufolge hätten sich auch Aktivisten beider Gruppierungen einmal in Öhringen, etwa 25 Kilometer östlich von Heilbronn gelegen, getroffen.« (s.o.)

Dass diese Verbindungen nicht aus der Luft gegriffen sind, belegt auch eine sichergestellte SMS auf dem Handy von Beate Zschäpe: »Im Oktober 2011 erhielt Zschäpe eine SMS von einem Handy, das in Stuttgart zugelassen war. Ein Mitläufer der rechten Szene soll ein gemeinsames Treffen von NSU und einer Gruppierung namens ›Neoschutzstaffel‹ (NSS) in Öhringen erwähnt haben.« (Moser/Kontext vom 28.8.2013)

Die Ermittlungsbehörden ordneten diese Aussagen dennoch als zu vage und nicht verifizierbar ein. Wenn man weiß, dass dieselben Ermittlungsbehörden dreizehn Jahre zahlreiche Spuren für wertlos und irrelevant erklärten, weil sie ihre ›Aufklärung‹ störten, kann und muss man auch in diesem Fall von einer gewollten Irreführung ausgehen.

Selbstverständlich wissen die Ermittler heute mehr denn je: Würde ein Zeuge, ein nicht mehr aus der Welt zu schaffender Beweis belegen, dass der NSU noch nie aus drei Mitgliedern bestand, dass der Mordanschlag auf die Polizisten in Heilbronn von weiteren Neonazis begangen wurde, würde nicht nur die Fiktion vom ›Zwickauer Terrortrio‹ in sich zusammenstürzen, sondern auch die Anklage im Münchner NSU-Prozess.

 

Wolf Wetzel

Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund, wo hört der Staat auf, Unrast Verlag 2013, 2. Auflage