Wie die Investoren Kretschmer und Baer aus Artefakten der Vergangenheit neues Leben schaffen wollen ist eine Hommage am Mary Shelleys Frankenstein findet die Solidaritätskampagne Flora bleibt unverträglich in einer burlesquen Kampfansage. Für Donnerstag wird zu einer Vollversammlung in der Roten Flora mobilisiert um den weiteren Widerstand zu planen.
Kretschenstein vs. Flora
Das große Kino ist in der Krise. Noch nie gab es so viele mit millionenschwerem Aufwand produzierte Blockbuster, die gefloppt sind, wie in diesem Sommer. Bekannte Produzenten verweisen in diesem Zusammenhang auf die immer wichtiger werdende Rolle von Serien. Über mehrere Folgen können dort komplexe Figuren und verworrene moralische Abgründe erschaffen werden, die im abendfüllenden Leinwandformat kaum möglich erscheinen.
Wer oder welche sich nun um das ganz große Kino Sorgen macht, kann beruhigt werden.
In Hamburg wird derzeit ein Projekt gestartet, welches das große Drama mit der traumatischen Endlosigkeitserfahrung der Serienschleife verbinden soll: Die Flora-Investoren Klaus Martin Kretschmer und Gert Baer wollen mit einem reichen Onkel aus Amerika und einer Aktiengesellschaft aus der Roten Flora eine große Konzerthalle machen.
In dieser großartigen Konstellation wird jedes mögliche Klischee des Gründerzeitkapitalismus bemüht, um das Rad der Geschichte zurückdrehen zu einem Musical Phantom der Oper 2.0, das 1989 in seiner ersten Version an gleicher Stelle verhindert wurde. Dass auch dieser zweite Anlauf weder mit den kampferprobten Anwohner_innen, noch mit der Roten Flora und auch sicher nicht ohne militanten Widerstand und internationalen Widerspruch umzusetzen ist, schreckt die Visionäre nicht ab.
Es wird ein phantastischer Herbst, der eine herrliche Seifenoper mit Lüge, Verrat, Krawall und Remmidemmi in Dauerfortsetzung verspricht. Das Drehbuch handelt von einem verrückten Forscher und seinem Gehilfen, die einen totgeglaubten Plan mit zusammengesammelten Artefakten der Vergangenheit wieder zum Leben erwecken wollen.
Die Geschichte ist unzweifelhaft inspiriert von Mary Shelleys klassischer Frankenstein-Erzählung. Der Roman friert einen historischen Moment ein und zeichnet ein Bild der aufkommenden gesellschaftliche Skepsis vor der in die Katastrophe voranschreitenden Moderne. Der Zusammenbruch der alten Ordnung und die folgende große Depression wurden in dem visionären Werk vorweggenommen. Aber die Wucht der Erzählung und das Gewicht der Geschichte scheinen zu groß, als dass bei dem Versuch eines Remakes viel mehr herauskommen kann als das schaurige Ende der Protagonisten.
Doch Erzählstrukturen sind komplexer geworden und Figuren nicht mehr nur sklavisch Getriebene eines unveränderlichen Schicksals, welche in sysiphosscher Unbeirrbarkeit gegen die immer gleiche Abgründigkeit ankämpfen. Im Fokus steht nicht mehr der allmächtige Wissenschaftler als patriarchale Verkörperung überholter Männerideale, nicht austauschbare Investoren, sondern die Auseinandersetzung um Gesellschaft, um Stadt als gemeinsamen Raum und das Öffentliche als Gegenentwurf zum Privaten.
Die Krise der Moderne hat ein autoritäres und hierarchisches Denken befördert und zu den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt. Gesellschaftliche Prozesse haben sich verändert. Das Drehbuch wird heutzutage nicht mehr von Kretschmer, reichen Onkeln oder dem Hamburger Senat diktiert, sondern von allen, die sich daran beteiligen.
Die Ereignisse der nächsten Monate und Jahre sind keine bereits feststehende Erzählung und dies ist ein Aufruf an alle, sich zum Teil der Auseinandersetzungen zu machen. Die Rote Flora ist gut vorbereitet auf kommende Kämpfe. Eine autonome Modenschau mit Hasskappen, rosa Kaninchen und sonstiger Riot-Couture hat einen Blick in die Zukunft geworfen und Angst und Schrecken in Pöseldorf verbreitet. Mit der Kampagne „Flora bleibt unverträglich!“ ist eine Plattform für lokale und überregionale Vernetzung und die Entwicklung von Widerstand entstanden. Und es gibt weitere Vernetzungen, Orte und Konfliktfelder, in denen Aktivist_innen aktiv sind: Recht auf Stadt-Gruppen, Künstler_innen in Projekten wie dem Gängeviertel und Menschen, die im Schanzenviertel und anderswo von Vertreibung bedroht oder betroffen sind.
Achtet auf Ankündigungen in den nächsten Wochen!
Organisiert euch und werdet aktiv gegen kapitalistische Stadtentwicklung, nicht nur für die Unverträglichkeit der Roten Flora im Schanzenviertel, sondern auch für den Erhalt der Esso-Häuser und das Bleiberecht der Flüchtlinge nicht nur auf St. Pauli, für soziale Bewegungen und besetzte Häuser weltweit. Lasst es krachen, klaut die Drehbücher der Macht und tragt eure eigenen Erzählungen auf die Straße.
Solidaritäts-Kampagne „Flora bleibt unverträglich!“
http://florableibt.blogsport.de
Kontakt: flora-bleibt@nadir.org
Stellungnahme der Roten Flora
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/roteflora/news/20130057.html
Das Hamburger Abendblatt zu den Plänen von Kretschmer und Baer
Kommt alle zur Vollversammlung in der Roten Flora um den Widerstand zu organisieren
Donnerstag 10.10.2013 um 19:30 Uhr