Der braune Fleck verschwindet

Erstveröffentlicht: 
29.08.2013

"Wir sind fit fürs Reich" - Auftritte mit solchen T-Shirts gehören in der Sächsischen Schweiz der Vergangenheit an. Die NPD kämpft in ihrer Hochburg ums Überleben. Da, wo angeblich der Hass wohnen soll, haben sich Bürgermeister und Initiativen zusammengetan und die Partei zurückgedrängt.


Eine Reportage von Antonie Rietzschel, Sächsische Schweiz

 

 Die NPD war mal wieder die Erste. Bereits Mitte August hat sie in der Sächsischen Schweiz großflächig plakatiert. Ob links oder rechts der Elbe, überall wurden die Plakate um Laternenmasten geschnürt. Sie tragen die Slogans "Natürlich deutsch" oder "Grenzkriminalität stoppen" und hängen so weit oben, dass es schon eine sehr lange Leiter braucht, um sie herunterzuholen.

 

Die Flut der Plakate soll dem Vorbeifahrenden vorgaukeln, was längst nicht mehr ist. Zwar ist die Sächsische Schweiz immer noch NPD-Hochburg - zur Bundestagswahl 2009 erzielte sie hier bundesweit die höchsten Wahlergebnisse, bei Kommunalwahlen erreichte die NPD teilweise mehr als 20 Prozent. Aber die Partei hat schon vor Jahren ihren Einfluss in der Region verloren.

 

"Der Schwung ist raus", sagt Olaf Ehlrich. Er ist ehrenamtlicher Bürgermeister von Reinhardtsdorf-Schöna. Während der vergangenen Wahlen konnte die NPD hier die meisten Stimmen holen. 2008 wählte jeder Vierte der 1400 Einwohner die rechtsextreme Partei. Drei NPD-Anhänger sitzen im Gemeinderat. Reinhardtsdorf-Schöna hat das den Ruf gekostet. "Ich erschoss einen Faschisten in Schöna", singt die Band Tomte. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung ließ schon 2006 für eine Geschichte über No-Go-Areas eines der Fachwerkhäuser im Ort fotografieren. Spießbürgerliche Dorfidylle, verbunden mit der Zeile "Hier wohnt der Hass".

 

Ehrlich haben diese Schlagzeilen "fuchsig" gemacht. Vor sieben Jahren war er mit dem Versprechen angetreten, anders als sein Vorgänger klare Kante gegen die NPD zu zeigen. "Das hier ist mein Heimatdorf. Es gefällt mir nicht, wenn die geballte Weltpresse über uns herfällt", sagt er und klingt immer noch empört. Der 45-Jährige sitzt im leeren Schankraum seines Gasthauses. Erst zur Mittagszeit trudeln hungrige Wanderer aus Richtung Zirkelstein ein. Der Sandsteinfels liegt wie der Kopf eines Riesen mitten in der Landschaft.

 

Öffentliche Auftritte der NPD gibt es nicht mehr. Im Gemeinderat verhalten sie sich ruhig. Doch für Ehrlich wählen immer noch zu viele im Ort NPD. "Es gibt immer Leute, die zum Beispiel wegen der Eurokrise frustriert sind. Die sehen dann die NPD-Plakate und wählen die", sagt er und zuckt mit den Schultern. "Das ist so", wiederholt Ehrlich immer wieder, als müsse er sich selbst ins Gedächtnis rufen, dass er bestimmte Dinge nicht ändern kann.

Ehrlich liebt sein Dorf - wegziehen kam für ihn nie in Frage. Deswegen setzt er sich ein.

 

Doch was soll er gegen Michael Jacobi, seinen Sohn Matthias und Mario Viehrig machen? Sie sitzen für die NPD im Gemeinderat und sind wie der Bürgermeister Alteingesessene. Der Installateur Michael Jacobi hat bei den meisten Anwohnern die Heizung eingebaut. Wenn jemand im Ort Geburtstag hat, kommt er mit einem Blumenstrauß vorbei. Mario Viehrig ist Mitbegründer des Heimatvereins. Das sind im Ort die Identifikationsfiguren der NPD und Gift für Ehrlichs Bemühungen. Die seien doch nett, muss er sich immer wieder anhören. Manche befürchteten, der Jacobi würde ihnen nicht mehr mit der Heizung helfen, wenn sie nicht entsprechend wählen. "So funktioniert halt ein kleines Dorf", sagt Ehrlich.

 

Die NPD als Witz


Auch die NPD weiß, wie ein Dorf funktioniert und hat es deswegen zu ihrer Strategie gemacht, kommunale Strukturen zu besetzen. So hat es die NPD in den vergangen Jahren geschafft, sich nicht nur in Reinhardtsdorf-Schöna fest zu verankern. Die Partei sitzt auch im benachbarten Rathmannsorf im Gemeinderat. In Pirna, dem Tor zur Sächsischen Schweiz, sitzen zwei NPD-Anhänger im Stadtrat.

 

"Doch die wilden Zeiten sind in der gesamten Sächsischen Schweiz vorbei, sagt Sebastian Reißig. Er sitzt in seinem Büro in der Pirnaer Altstadt. Vor ihm liegt eine Terminübersicht des NPD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz aus dem Jahr 1998: Spanienfahrt mit den Kameraden Mitte November oder ein Kegelnachmittag als Alternative für die Daheimgebliebenen. 2006 lud die NPD immerhin noch zum Heldengedenken und nur wenige Tage später zum nationalen Stammtisch ein. "Mittlerweile fällt die NPD durch gar keine Aktion mehr auf, nicht einmal störend", sagt Reißig. Das ist auch ihm zu verdanken.

 

Die Geschichte, wie er 1997 mit Freunden die "Aktion Zivilcourage" und damit eine der ersten Initiativen gegen Rechts in der Region gründete, erzählt er nur widerwillig. Zu oft hat er sie schon aufsagen müssen. Dann setzt er doch an: Dreimal hatten ihn Rechtsextreme überfallen - und er war nicht das einzige Opfer. Doch weder Behörden noch Anwohner wollten sich damals eingestehen, dass es in der Region ein Problem mit Rechtsextremismus gibt. Auch nicht, als die NPD bei den Europa-und Kommunalwahlen erschreckend hohe Wahlergebnisse erreichte. In Reißig und seinen Freunden sahen sie Nestbeschmutzer.

 

Heute ist der 33-Jährige Geschäftsführer der "Aktion Zivilcourage". Sechs Angestellte arbeiten für den Verein, der mittlerweile 111 Mitglieder hat. Dank dem früheren Bürgermeister Markus Ulbig (CDU) gibt es eine enge Vernetzung zwischen den verschiedenen Initiativen, der Stadt und der Polizei. "Das läuft alles gut", sagt er zufrieden. Pirna ist in der Sächsischen Schweiz zur Trutzburg gegen den Einfluss der NPD geworden.

 

In den Erzählungen von Reißig klingt die Partei wie ein einziger großer Witz, über den er an diesem Nachmittag oft lachen muss. Darüber, wie die beiden Stadträte Olaf Rose und Mirko Liebscher manchmal nicht wissen, wie sie jetzt eigentlich über einzelne Anträge abstimmen sollen - der eine hebt den Arm dafür, der andere dagegen. "Putzig", nennt Reißig die beiden und grinst.

 

Und noch eine Geschichte erzählt er: Als die Jugendorganisation der NPD im März dieses Jahres vor einer Mittelschule die neue Schulhof-CD verteilen wollte, waren die meisten Schüler nicht da. Die Aktion Zivilcourage hatte die Schulleitung informiert, die schickte mehrere Klassen auf Exkursion. Sebastian Reißig freut sich jetzt noch wie ein kleiner Junge über einen Lausbubenstreich. Ist die NPD also nicht mehr ernst zu nehmen? Reißig wird ernst und überlegt kurz. Dann sagt er. "Es ist wichtig, die im Auge zu behalten - gleichzeitig sollte man sie nicht unter-, aber auch nicht überschätzen."

 

Auf die Frage, warum sich die NPD ausgerechnet in der Sächsischen Schweiz fest setzte, hat er keine eindeutige Antwort. Gab es hier besonders viele Arbeitslose nach dem Mauerfall? "Nein." Mangelte es an Perspektiven? "Nein." Die NPD habe sich bereits sehr früh überlegt, wie sie nach der Wende im Osten andocken könne. "Sachsen wurde als Musterland ausgewählt", sagt Reißig. Eine wichtige Rolle spielte dabei Uwe Leichsenring.

 

Dieser war ein Glücksfall für die Partei: Leichsenring lebte in Königstein, war damit ein Alteingesessener und im Ort gut vernetzt - er spielte im Tischtennisverein und betrieb die einzige Fahrschule im Ort. Bereits 1990 war er in die Partei eingetreten. Als er neun Jahre später das erste Mal zur Kommunalwahl antrat, bekam er die zweithöchste Stimmenzahl überhaupt. "Ob Ordnung, Disziplin, Sauberkeit, Pünktlichkeit - ich lebe den Leuten eben meine Ideale glaubhaft vor", kommentierte er seinen Wahlerfolg.

 

Es geht darum zu überleben


Leichsenring baute in den neunziger Jahren ein rechtsextremes Netzwerk aus freien Kräften und NPD-Anhängern auf. Die meist jungen Mitglieder der militanten Vereinigung Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) arbeiteten bei Veranstaltungen der NPD als Ordner. Die Behörden ignorierten lange das Problem. Erst 2001 wurde die SSS verboten. Leichsenring, damals NPD-Stadtrat in Königstein, integrierte die Neonazis in die Partei. Als Fahrlehrer hatte er außerdem engen Kontakt zu politisch unbedarften Jugendlichen. Unter ihm wurde der Kreisverband Sächsische Schweiz mit mehr als 1000 Anhängern der größte in ganz Sachsen. Dass die NPD 2004 den Einzug in den sächsischen Landtag schaffte, war auch sein Verdienst. Zwei Jahre später starb Leichsenring bei einem Autounfall.

 

Seitdem geht es für die Partei langsam bergab. Erreichte sie zur Bundestagswahl 2005 noch 7,1 Prozent, waren es vier Jahre später 1,5 Prozent weniger. In Leichsenrings Heimatort Königstein konnte sie das zweistellige Ergebnis von 12,2 Prozent nicht halten und verlor sechs Prozent. Von einst 150 Aktiven sind nur noch 30 übrig. "Früher steckte eine ganze Subkultur dahinter, eine richtige Jugendbewegung", sagt Sebastian Reißig.

 

Die Partei versucht, wieder an die alten Erfolge anzuknüpfen. Auf der anderen Elbseite im Stadtteil Pirna-Copitz, nur wenige Gehminuten vom Zentrum entfernt, hat ein norwegischer Neonazi ein Haus für die Partei gekauft. Olaf Rose, Landtagsabgeordneter und Stadtrat, bietet ein Treffen an. "Wir machen nichts Verbotenes. Es hängen auch keine Hitler-Bilder an der Wand", sagt er lächelnd beim Hineingehen. In dem großen Hauptraum steht ein langer Holztisch mit Stühlen.

 

Die Wände sind noch recht kahl, über einem anderen Tisch hängt die Deutschlandflagge. Die Verblüffung darüber, wie weit die Bauarbeiten schon vorangeschritten sind, nimmt Rose mit einem stolzen Lächeln entgegen. Vor den Fenstern ist bereits eine Schutzverkleidung, damit niemand die Scheiben einschlagen kann.

 

Rose setzt sich in der Küche vor ein Poster, das eine stilisierte Schildkröte mit eisernem Kreuz auf dem Panzer zeigt. Das Symbol der CasaPound, einer rechtsextremen Gruppierung in Italien. Neben ihm sitzt Julian Monaco, Bundesgeschäftsführer der NPD-Jugendorganisation JN. Es spricht nur Rose. Was sofort auffällt, ist seine gewählte Ausdrucksweise, die weit von dem großkotzigen Gebrabbel eines Holger Apfel und den polternden Ausfällen eines Udo Pastörs entfernt ist. Auf die Frage, was denn die NPD für die Menschen in der Region erreicht hat, antwortet Rose mit leichtem Spott in der Stimme: "Ich bitte Sie, was soll denn eine Partei erreichen, die vom System ausgebremst wird?" Mit dem Bürgerbüro wolle man zeigen, dass man sich nicht abschrecken lasse.

 

Auch Sitzungen des Kreis-und Landesverbandes seien geplant, sagt Rose. "Man kann natürlich noch darüber nachdenken, hier Nachhilfe anzubieten." In der Nähe des neuen NPD-Standortes befindet sich eine Schule. So ein Satz löst bei Eltern und Lehrern Unruhe aus, deswegen spricht Rose ihn mit Genuss aus. Er will eine Schlagzeile platzieren, damit seine Partei wieder Aufmerksamkeit bekommt - denn mittlerweile geht es in der Hochburg darum, zu überleben.

 

Im nächsten Jahr ist Landtagswahl und der Wiedereinzug steht auf der Kippe. Ein Prozent weniger reicht und die NPD ist raus. Damit würde dem sächsischen Landesverband Geld fehlen, viele Kader wären arbeitslos - es geht um viel für die Partei. Sebastian Reißig von der Aktion Zivilcourage glaubt, dass die NPD dann nochmal alle Kräfte mobilisieren wird. Eine Plakatflut reicht da nicht: "Sie werden alles tun, um wieder reinzukommen."