Der BND ist nicht viel besser als die NSA

Erstveröffentlicht: 
01.10.2013

Die NSA überwacht grenzenlos und aufgrund geheimer, unkontrollierter Befehle? Ja, aber das tun BND und GCHQ auch, sagen zwei Forscher und fordern eine Reform der Gesetze. VON KAI BIERMANN

 

In den vergangenen Wochen gab es viel Kritik am amerikanischen Geheimdienst NSA. Ohne Ansehen spioniere er Menschen aus, auch Bürger seiner europäischen Verbündeten, lautet der wütende und offensichtlich berechtigte Vorwurf. Politiker in Deutschland und der Europäischen Union haben die USA dafür mehrfach kritisiert. Allerdings sitzen sie dabei in einem ziemlich großen Glashaus.

 

Der Bundesnachrichtendienst, um das lokale Beispiel zu nehmen, tut genau das gleiche in anderen Ländern, und er tut es in einem ziemlich ähnlichen rechtlichen Rahmen. "Die Unterschiede zwischen BND und NSA sind viel geringer, als in der Öffentlichkeit gemeinhin angenommen wird", schreiben Stefan Heumann und Ben Scott in einer Studie zu den rechtlichen Grundlagen von Internet-Überwachungsprogrammen in den USA, Großbritannien und Deutschland.

 

Heumann arbeitet bei dem Think Tank namens Stiftung Neue Verantwortung, Ben Scott beriet Außenministerin Hillary Clinton und ist derzeit Politikberater beim Open Technology Institute, das zum amerikanischen Think Tank New America Foundation gehört. In ihrer Studie haben beide die Rechtsgrundlagen, die Ausrichtung und die demokratische Überwachung von Spionageprogrammen verglichen. 

 

Ihr Ergebnis: Die NSA unterhält das größte Spionageprogramm und sie hat einige Vorteile, da ihre Ziele – die Internetprovider – vor allem in den USA sitzen; im Kern aber unterscheidet sich die Überwachung der NSA nicht von der des britischen GCHQ und der des BND. Die zugrunde liegenden Gesetze haben die gleiche Struktur, schreiben Heumann und Scott, auch wenn "ihre Auslegung abweichen kann".

 

Ausländer sind überall "vogelfrei"

 

Heumann und Scott sind nicht die ersten, die diese Ansicht vertreten. Der Anwalt Nico Härting beispielsweise hat die Rechtsgrundlagen der Arbeit von NSA und BND verglichen. Und auch er kommt zu dem Ergebnis, dass alle das gleiche machen und jeden, der außerhalb ihres Hoheitsgebietes lebt, als "vogelfrei" betrachten, wie er einen Text von Georg Mascolo in der F.A.Z. zitiert. Sprich: Die Geheimdienste bespitzeln Ausländer ungehindert. Härting weist darauf hin, dass es geradezu die Aufgabe von Auslandsnachrichtendiensten sei, alle anderen zu überwachen.

 

Heumann und Scott aber gehen weiter und beklagen die viel zu geringe Kontrolle der Dienste. Zitat: "In allen drei Ländern genießen die Dienste beim Sammeln von Informationen über das Ausland große Geheimhaltung und Unabhängigkeit. Gesetzliche Grenzen und Kontrollmechanismen beziehen sich nur auf die Bürger des eigenen Landes. Und in den meisten Fällen kommen diese Beschränkungen auch nur nachträglich zum Tragen, wenn die entsprechenden Kommunikationsdaten bereits abgefangen sind." Alle drei hätten keine vernünftigen juristischen Mittel (robust systems), um Bürger vor ungerechtfertigter Überwachung zu schützen.

 

Von den drei untersuchten Ländern sei die Kontrolle in Großbritannien am schwächsten. Weder Parlament noch Gerichte seien in die Überprüfung und Genehmigung von Überwachungsprogrammen eingebunden. Kontrolle fände ausschließlich innerhalb der Dienste statt.

 

Interessant auch ihr Vergleich zwischen den USA und Deutschland in diesem Punkt. Die Fisa-Courts, die geheimen Gerichte, die in den USA Überwachung genehmigen und prüfen, wurden viel kritisiert – eben weil sie geheim tagen. In Deutschland sei das nicht anders, schreiben Heumann und Scott. Die Sitzungen der dafür zuständigen G-10-Kommission des Bundestages seien ebenfalls geheim. "Da die G-10 Kommission im Geheimen tagt, wissen wir nicht, ob und in welchem Umfang die G-10 Kommission ihre rechtlichen Kontrollbefugnisse überhaupt wahrnimmt," schreibt Heumann.

 

Die gesetzlichen Grundlagen seien in allen drei Ländern grundsätzlich viel zu schwammig und zu weit gefasst. In den USA ist das vor allem der Foreign Intelligence Surveillance Act (Fisa), insbesondere die Abschnitte 215 und 702; in Großbritannien der Intelligence Service Act (Isa) und der Regulation of Investigory Powers Act (Ripa); in Deutschland das BND-Gesetz und, wenn es um das Abfangen von Kommunikation geht, das sogenannte G-10-Gesetz.

 

Zum G-10-Gesetz merken die Autoren der Studie an, dass es – genau wie die Regeln in den USA – nur jene schützt, die sich in Deutschland aufhalten. Geht es aber um Kommunikation mit Menschen, die sich im Ausland befinden, sei diese von dem Gesetz nicht gedeckt und könne abgehört werden. Gespräche und Botschaften, die ins Ausland gehen, würden daher überwacht, ohne dass es eine Kontrolle gebe. Praktisch ist es ein rechtsfreier Raum, in dem sich der BND dort bewegt. 

 

Zuständig für die Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes ist außerdem das Bundeskanzleramt. Das Vertrauen in dessen Willen, dem Dienst Beschränkungen aufzuerlegen, dürfte allerdings erschüttert sein. Immerhin sieht man dort nicht einmal eine Affäre, die untersucht werden müsste.

 

Erst einmal wird alles gesammelt

 

Heumann schreibt in einer Zusammenfassung der Ergebnisse: "In den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland stammen die meisten gesetzlichen Grundlagen für geheimdienstliche Überwachungsmaßnahmen aus einer Zeit, als das Internet für die Kommunikation noch eine untergeordnete Rolle spielte. Die Gesetze sind meistens so allgemein formuliert, dass sie den Geheimdiensten große Handlungsspielräume in der Interpretation ihres Mandats lassen. Wie die Geheimdienste ihre Befugnisse auslegen, ist in allen drei Ländern oftmals als 'geheim' eingestuft und daher für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar."

 

Die Technik schafft die Basis dafür, dass sehr viel überwacht wird. Weil es bei der Echtzeitfilterung von Internetdaten kaum möglich sei, sofort Inlands- und Auslandsdaten klar zu unterscheiden, werde erst einmal mitgeschnitten und dann erst sortiert, was ausgewertet werden darf und was nicht. "In anderen Worten: Jede Kommunikation im Netz, die für die Aufklärung von Bedeutung sein könnte, wird gespeichert und verteilt, unabhängig davon, welche gesetzlichen Regeln für die Überwachung des Datensammelns gelten."

 

Die beiden Autoren wollen mit ihrer Studie eine Grundlage für eine internationale Debatte um Überwachung schaffen. Sie wollen Vorschläge machen, wie sich die Dienste und die Gesetze reformieren lassen, um das Recht auf Privatsphäre zu stärken. Eine solche Reform, so ihr Urteil, sei dringend nötig.