Neonazistische Verkettungen

Erstveröffentlicht: 
03.07.2013

Neue Fakten über den NSU stützen immer mehr die These, dass es nicht bloß eine Zelle, sondern ein  Unterstützer-Netzwerk gibt.

 

Von Andrea Röpke

 

Nach den neuesten Erkenntnissen könnte das Bundeskriminalamt inzwischen doch wieder davon ausgehen, dass unter den 15 verteilten Bekenner-DVDs des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) mindestens eine war, die persönlich eingesteckt wurde. So heißt es in einer internen Feststellung zu der bei den „Nürnberger Nachrichten“ eingeworfenenen DVD: „Lt. Abschl.Vermerk RegEA BA Bao Bosporus sehr wahrscheinlich keine Zustellung durch Deutsche Post“. Zwei Redaktionsmitarbeiter hatten darauf beharrt, dass der Umschlag mit dem grausamen Tonträger weder Poststempel noch Briefmarke trug. (bnr.de berichtete) Insgesamt ist die Verteilung von acht Tonträgern demzufolge nicht mehr rekonstruierbar, sechs wurden wohl von Beate Zschäpe auf ihrer Flucht im November 2011 im Briefzentrum Leipzig-Schkeuditz eingeworfen. Wer in Nürnberg geholfen haben könnte, scheint unklar – Zschäpe war zu dem Zeitpunkt nicht in Franken.

Ungewöhnlich ist auch, dass der bislang einzige Empfänger des NSU-Videos aus dem rechtsextremen Spektrum ausgerechnet der in Bayern ansässige „Patria“-Versand war. Den Versand hatte ein Chemnitzer als „Wotan-Versand“ gegründet. Der Oberpfälzer Immobilienhändler Franz Ludwig Glasauer übernahm ihn, kurz nach der Versendung der NSU-DVD gab er „Patria“ dann weiter an eine Frau aus Heilbronn. Interessant auch die Verbindung des „Patria“-Versands zum einschlägigen Musiklabel PC Records in Chemnitz, das für die Verbreitung des „Dönerkiller-Songs“ von der Neonazi-Band „Gigi & die braunen Stadtmusikanten“ verantwortlich gemacht wird. Bereits 2010 beschlagnahmten Beamte bei einer Hausdurchsuchung in Glasauers Geschäftsräumen zwei Exemplare der indizierten CD „Adolf Hitler lebt“ mit diesem Song.

 

Bei „Fest der Völker“-Veranstaltungen geworben

Der jetzige Chef von PC Records hatte in der Vergangenheit „Panzerbär Records“ betrieben und 2004 eine CD unter dem Titel „Hier tobt der Bär“ veröffentlicht. Der Text des „Loblieds auf Herrn Polizeidirektor Knape“ sei laut Behördeninfo mit einer Tonfolge des „Pink Panther“-Motivs kombiniert gewesen. Dies sei damals als Verstoß gegen das Urheberrecht bewertet worden. PC Records-Gründer Hendrik Lasch kannte Uwe Mundlos seit den 1990er Jahren, traf ihn noch im Chemnitzer Untergrund, wie er einräumte. Sein Nachfolger bei PC Records stand in telefonischem Kontakt zu Ralf Wohlleben und warb mit der Firma bei dessen „Fest der Völker“-Veranstaltungen. Enge Bande, die sich immer deutlicher offenbaren.

Der vor dem Oberlandesgericht in München mitangeklagte mutmaßliche NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben scheint entgegen einiger Medienberichte jedoch kein Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes gewesen zu sein. Zwar habe es zwischen 1998 und 1999 den Versuch des Landesamts in Erfurt gegeben, und Wohlleben sei 2003 noch auf einer Liste als möglicher Forschungsfall des Landesamtes gehandelt worden – doch ohne Erfolg, wie es scheint. Auch könnte es inzwischen Hinweise darauf geben, dass sich der  Mitangeklagte André E. aus Zwickau und Wohlleben bereits seit den 90er Jahren kannten. So sollen mehrere sächsische und thüringische Neonazis, die dem Helferkreis der NSU zugerechnet werden, und teils zu den Verdächtigen der Generalbundesanwaltschaft (GBA) zählen, ein Jenaer Auto benutzt haben.

 

Reinhaltung der Rasse stand im Vordergrund

 

Neue Informationen, die dem BKA vorliegen, darunter Nachvernehmungen auch von engen politischen Weggefährten, erweitern zudem das Bild des Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. So berichtete der ehemalige Sänger der Jenaer Neonazi-Skinband „Vergeltung“ über die gemeinsamen politischen Anfänge mit Beate Zschäpe als 14- bis 15-Jährige in der „Zilinsky-Clique“. Man habe sich auf der Straße aufgehalten, im Winter in Kellern und Trockenräumen. Später wechelten die Jugendlichen in den betreuten „Winzer-Club“. Mundlos und Böhnhardt stießen hinzu. Der Zeuge erinnert sich: „Meine Ansichten haben sich von Monat zu Monat radikalisiert“.

Für Uwe Mundlos habe man damals nicht automatisch dazugehört, Springerstiefel, Glatze und Bomberjacke reichten ihm nicht. Die eigene politische Meinung sei wichtig gewesen, für Mundlos gab es „Null-Toleranz und Kompromisse“. Die Reinhaltung der Rasse stand im Vordergrund ebenso der Nationalsozialismus, und der Akademikersohn hasste den „Multikulti-Schmelztiegel in Deutschland“. Der Zeuge betonte wohl: Der ehemalige Kamerad habe von der ersten bis zur letzten Minute daran geglaubt.  Demnach habe es bei Böhnhardt auch am längsten gedauert, „bis er akzeptiert wurde“. In seiner Vernehmung äußerte sich der Mann, der erst vor kurzem aus der Schweiz zurückkehrte, anscheinend auch zur Bezeichnung „NSU“, so sei es ihm vorgekommen, als habe er davon schon früher gehört.

 

„Vorbild“ für die Jenaer Bombenbastler

Auch der in Bayern lebende, ehemals führende Szene-Funktionär Kai Dalek, inzwischen von den Medien als Ex-V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz in München geoutet, äußerte sich zu den frühen Thüringer Szene-Verhältnissen. Waffen seien demnach beim „Thüringer Heimatschutz“ (THS) immer im Gespräch gewesen. Ein militärischer Flügel habe sich um den Rudolstädter Sven Rosemann herauskristallisiert. 1997 wurden tatsächlich kurzzeitig Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen den THS-Ableger „Anti-Antifa Ostthüringen“ eingeleitet.

Rosemann, der für sich in Anspruch nehmen soll, den Namen „Thüringer Heimatschutz“ erfunden zu haben, lernte Uwe Böhnhardt bereits als Jugendlichen kennen – im Knast. Auch ein weiterer – heute als mutmaßliches Glied in der Waffenbeschaffungskette verdächtigter Kamerad – saß damals ein. Der junge Böhnhardt habe „Knastrituale“ wie das „Fahrradfahren“ über sich ergehen lassen sollen. Brennendes Papier wurde  Neuzugängen dabei zwischen die Zehen gesteckt. Böhnhardt jedoch habe sich gewehrt, berichtete der ehemalige Kamerad wohl nicht ohne Stolz. Der ehemalige Ostthüringer Drahtzieher Rosemann, der heute auch mit frühen Bombenattrappen in Verbindung gebracht wird, soll sich sogar als „Vorbild“  für die  Jenaer Bombenbastler gesehen haben.


„Sonnenbanner“ empfiehlt „penetranten Legalismus“

Ideologisch könnte auch ein weiterer Thüringer den mörderischen braunen NSU frühzeitig geprägt haben. Die Behörden schließen den Kontakt zwischen dem ehemaligen Neonazi Michael See aus Leinefelde und insbesondere Uwe Mundlos nicht aus. See soll als Gründungsmitglied des „Freundeskreises Nationaler Sozialisten/Aktion Volksfront“ für die Publikation „Sonnenbanner“ mitverantwortlich gewesen sein. Das Ideologie-Pamphlet wurde 1998 bei der Flucht des Bombentrios aus Jena in deren geheimen Garage aufgefunden. In dem scheinbar wegweisenden Artikel „Strategien der Zukunft“ heißt es: „Dass man uns sofort erkennt, wenn wir uns uniformieren oder in Skinheadklamotten rumrennen, dürfte jedem von Euch einleuchten. Logische Konsequenz ist also, dass wir unsere Kleidung so neutral wie möglich gestalten.“ Tatsächlich waren Mundlos und Böhnhard vorher in Thüringen durch SA-Uniformen und aggressives Outfit aufgefallen.

Später im Untergrund vermieden die beiden Neonazis Auffälligkeit, trugen nur Sportkleidung oder unbedruckte Sweatshirts. Auch scheint die nächste Empfehlung aus dem „Sonnenbanner“ zu passen: „Enthalte Dich in der Öffentlichkeit prinzipiell jeder politischen Äußerung zu Themen, die durch die Medienhetze negativ belastet sind“. Zahlreiche Urlaubsbekanntschaften und Nachbarn bezeugten, dass sich die beiden NSU-Terroristen nicht zu rassistischen Sprüchen hätten hinreißen lassen. Dem Staat, so der „Sonnenbanner“, solle die Verfolgung möglichst schwer gemacht werden, durch einen „penetranten Legalismus“. Spannend bleibt nach wie vor die Frage, ob Strategen wie der frühzeitig ideologisch radikalisierte Mundlos auch einen weiteren „Sonnenbanner“-Ratschlag beherzigten: „Bilde Zellen durch Zusammenschluss einiger Personen ... Knüpfe Verbindungen zu anderen Zellen. Fasse mehrere Zellen unter einem Leiter zusammen.“