Polizeieinsatz gegen Waldbesetzer: Kaffee, Knüppel oder Schläge?

Erstveröffentlicht: 
12.06.2013

Von Nina Magoley

Neuer Vorfall im Hambacher Forst: Mit einer Hundertschaft, Hunden und Hubschraubern ist die Polizei am Dienstag (11.06.2013) gegen etwa zehn Umweltaktivisten vorgegangen, die dort Mitarbeiter der RWE Power AG bedroht haben sollen. Die Aktivisten werfen der Polizei massive Gewalt vor.

 

Der zähe Kampf um den Erhalt des alten Waldes in der Nähe von Kerpen geht weiter. Mitarbeiter der RWE-Forstabteilung waren am Dienstag (11.06.2013) mit schweren Fahrzeugen in den Hambacher Forst gefahren, um Barrikaden zu entfernen, die die seit Sommer letzten Jahres dort aktiven Umweltschützer errichtet hatten.


Auf einer Wegschranke seien dicke Holzstämme aufgestapelt gewesen, ein Graben sei quer über einen Waldweg ausgehoben worden, sagt RWE-Sprecher Lothar Lambertz. Die Forstleute seien mit Unimogs angerückt, als sich ihnen plötzlich etwa zehn Personen in den Weg stellten. "Sie waren teilweise vermummt und mit Stöcken bewaffnet und versuchten, vor und hinter den Schleppern Barrikaden zu errichten", schildert Lambertz die Situation, "sie haben unsere Leute massiv bedroht". Die RWE-Mitarbeiter riefen die Polizei.

Hundertschaft nimmt eine Person fest

Nach Angaben der Dürener Polizei, die kurz darauf im Wald eintraf, wurden drei Personen im Alter von 22, 28 und 38 Jahren festgenommen. Da offenbar weitere Aktivisten in den Wald geflüchtet waren, forderten die Dürener Polizisten Verstärkung aus Köln und dem Rhein-Erft-Kreis an. Eine Hundertschaft, so der Dürener Polizeisprecher Willi Jörres, habe schließlich den kleinen Wald umstellt und durchkämmt, zusätzlich seien eine Hundestaffel und ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera im Einsatz gewesen. "Dabei wurde eine weitere verdächtige Person im Alter von 45 Jahren angetroffen." Wieviele Beamte an dem Einsatz genau beteiligt waren, will Jörres "aus taktischen Gründen" nicht sagen.

Schließlich wandten sich die Polizisten dem Wiesengrundstück am Waldrand zu, auf dem die verbliebenen Waldbesetzer seit der Räumung ihres Protestcamps im Wald im November letzten Jahres (WDR.de berichtete) campieren. "Es bestand der Verdacht, dass sich ein weiterer Tatbeteiligter in einen Wohnwagen auf dem besetzten Wiesengelände zurückgezogen hatte", sagt der Polizeisprecher. Mittels eines noch am selben Tag erwirkten richterlichen Beschlusses seien Polizeibeamte am frühen Abend in den Wohnwagen eingedrungen und hätten die betreffende Person festgenommen.

"Den RWE-Leuten Kaffee angeboten"

Aus Sicht der Aktivisten stellt sich die Aktion anders dar: "Als die RWE-Leute in den Wald kamen, sind wir dorthin und haben ihnen Kaffee angeboten", sagt einer von ihnen, der sich Lasse nennt. Man habe "einen Dialog" gesucht, keiner von ihnen sei mit Stöcken bewaffnet gewesen. Dann sei die Polizei aufgetaucht und habe "wahllos" Leute festgenommen, auch auf der Wiese. Als der Mann im Wohnwagen die Polizeibeamten aufforderte, den richterlichen Beschluss zu zeigen, sei der nicht auffindbar gewesen. Der Beschluss sei "fernmündlich durch eine Richterin am Aachener Amstgericht" erteilt worden, räumt Polizeisprecher Jörres auf Nachfrage ein. Die schriftliche Fassung würde vom Gericht später nachgereicht - das sei ein übliches Verfahren.

Gewalt auf der Polizeiwache Düren?

Schließich erhebt "Lasse" noch einen weiteren schweren Vorwurf gegen die Dürener Polizei: Einer der festgenommenen Aktivisten, der sich auf der Polizeiwache weigerte, seinen Fingerabdruck abzugeben, sei von Polizisten erst gewürgt und dann durch einen Hieb in den Solarplexus bewusstlos geschlagen geworden. Polizeisprecher Jörres weist diesen Vorwurf zurück. Ein solcher Vorfall sei ihm nicht bekannt, sagt er kurz. "Wir werden Fotos und eine Dokumenation zu diesem Übergriff veröffentlichen", kündigt Aktivistenvertreter "Lasse" an.

"Der ganze Polizeieinsatz wirkte absolut überdimensioniert", staunt Hubert Perschke am Tag danach noch immer. Als Fotograf, der den Protest gegen den Braunkohletagebau im Hambacher Forst seit langem dokumentiert, war der Kerpener auch am Dienstag vor Ort und hat den Vorfall miterlebt. "Es war definitiv keine Hundertschaft nötig wegen dieser paar Leute", meint er. Perschke sah mit an, wie die im Wald Festgenommenen mit auf dem Rücken gefesselten Händen zum Polizeiauto geführt wurden. "Die Polizisten wandten dabei massive Gewalt an", sagt er. Auch wundere ihn der richterliche Beschluss, den die Polizei, die ohne Zögern das private Wiesengrundstück betreten hatte, angeblich anforderte, um den fraglichen Aktivisten aus seinem Wohnwagen zu holen. "Der Mann war den ganzen Nachmittag frei dort herumgelaufen und hatte Gespräche geführt." Womöglich, meint Perschke, steckten noch andere Motive dahinter.

Kreis Düren will Privatgrundstück räumen

Das vermutet auch Kurt Claßen, der Eigentümer der Wiese, auf der die Umweltaktivisten seit vergangenem Herbst campieren. Im November 2012 hatte die Polizei das Camp räumen wollen, und als Claßen als Grundstücksbesitzer dort auftauchte um klarzustellen, dass die jungen Leute sich mit seinem Einverständnis dort aufhielten, war er kurzerhand selber festgenommen worden. Die Dürener Polizei hatte zwar später Bedauern über diesen Vorfall geäußert, dennoch führt Claßen seitdem einen zähen Kampf mit der Dürener Kreisverwaltung. Die besteht nämlich darauf, dass die Hütten der Camper auf der Wiese illegal seien und hat Claßen bereits eine Zwangsräumung angedroht. Weil er die erste Frist zur Räumung verstreichen ließ, musste der streitbare Anwohner außerdem ein Zwangsgeld von 2.000 Euro zahlen.

Claßen, der in Kerpen ein Steuerberatungsbüro betreibt, argumentiert dagegen mit dem Recht auf Meinungsäußerung und dem auf Versammlungsfreiheit. Zusammen ergebe das einen völlig legalen Aufenthalt der Camper auf seinem Privatgrundstück - solange ihnen dabei keine Straftat nachzuweisen sei. "Man versucht jetzt, hier einen Straftatbestand zu schaffen" - das sei der Hintergrund für den richterlichen Beschluss gewesen, vermutet Claßen. Die Festgenommenen wurden nach Angaben der Dürener Polizei im Lauf des Abends wieder freigelassen. "Es besteht der Verdacht der Bedrohung, der Nötigung und des Landfriedensbruchs", sagt Sprecher Jörres. RWE beabsichtige nicht, so Sprecher Lambertz, eine eigene Anzeige gegen die Protestler zu erstatten.

Räumung kostet Steuerzahler 230.000 Euro

Jahres hatte eine Gruppe junger Umweltaktivisten ein Camp zwischen den Bäumen errichtet. Ihr Protest richtet sich gegen den Braunkohletagebau des Energieriesen RWE. In tagelangem Polizeieinsatz war das Waldbesetzercamp im November 2012 geräumt worden. Die Umweltaktivisten hatten daraufhin ihr Lager auf dem privaten Wiesengrundstück von Kurt Claßen errichtet. Die Kosten für die Räumung des Protestcamps trägt der Steuerzahler. Ein von der Polizei in Auftrag gegebenes Gutachten komme zu dem Schluss, dass es keine Voraussetzung für eine Kostenerstattung gebe, teilte die Polizei am Mittwoch (12.06.2013) mit. Die Kosten für den Einsatz beliefen sich auf rund 230.000 Euro.

Braunkohle Klimakiller Nummer eins

Dem Tagebau mussten bereits mehrere Dörfer rund um Kerpen weichen, Anwohner leiden unter der starken Feinstaubbelastung und den massiven Schäden, die mit dem Tagebau verbundene Erdbewegungen an ihren Häusern hinterlassen. Braunkohlekraftwerke gelten längst als die klimaschädlichste Art der Energiegewinnung. Um den Braunkohleabbau dennoch fortsetzen zu können, will RWE - neben weiteren Dörfern - auch den Hambacher Forst komplett roden. Die Umweltaktivisten protestieren dagegen. Sie werden unterstützt und versorgt von Anwohnern der umliegenden Gemeinden.