Unangemeldete Demonstrationen der linken Szene – in Freiburg sind sie
fast schon Normalität. Protestzüge wie jener am Samstag sind zwar
gesetzeswidrig, doch für Polizei und Staatsanwaltschaft ist dies ein
schwieriges Terrain.
Die Crux für die Ordnungshüter: Anrufe zu unangemeldeten Demos erfolgen
in aller Regel anonym. So wie in der vergangenen Woche: Im Internet –
etwa auf einem eigens eingerichteten Blog – und durch wild geklebte Plakate in ganz Freiburg wurde mächtig die Werbetrommel für den Protestzug
gerührt, auf dem am Samstagabend der G-8-Gipfel in Italien und der
Kapitalismus im Allgemeinen gegeißelt wurden. Die Demonstration verlief
zunächst friedlich, schlug dann aber doch noch in Gewalt um: Im Sedan-Viertel gingen unter anderem Fensterscheiben einer Bank und Sonnenschirme eines Restaurants zu Bruch.
Dass die Sachbeschädigungen eine Straftat darstellen, ist naheliegend –
auch wenn es der Polizei im allgemeinen Tohuwabohu nicht gelang, die
Täter dingfest zu machen. Doch wie verhält es sich mit den
friedfertigen Demonstranten? Ist es strafbar, an einer unangemeldeten
Demo mitzumachen? Nein. Die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung
ist maximal eine Ordnungswidrigkeit, wird aber gemeinhin nicht geahndet.
ANONYMES INTERNET: WER HAT WAS VERFASST?
Die Veranstalter unangemeldeter Demonstrationen machen
sich dagegen durchaus strafbar. Werden sie identifiziert, müssen sie
sich auf Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz
einstellen. Strafrechtliche Konsequenzen können aber nur "natürliche
Personen" betreffen, wie Pressesprecher Wolfgang Maier von der
Freiburger Staatsanwaltschaft erklärt: also kein Aktionsbündnis und
keinen Verein, sondern einen Menschen. Und ein solcher ist oft nur
schwer ausfindig zu machen. Maier: "Selbst wenn wir ermitteln können,
von welchem Computer aus ein Aufruf im Internet gestartet wurde,
bleiben noch viele Fragen offen: Wer ist zugangsberechtigt zum PC, wer
hat den Aufruf tatsächlich verfasst?" Ihm sei jedenfalls kein Fall
bekannt, in dem der oder die Verantwortliche einer unangemeldeten
Freiburger Demonstration ermittelt und strafrechtlich belangt wurde.
Die Anmeldung einer Demo dient vor allem dazu, dass sich Polizei darauf
vorbereiten kann – zum Beispiel mit Straßensperrungen und Umleitungen.
Doch auch ein unangemeldeter Demonstrationszug muss sich an Autos und
Straßenbahnen vorbeischlängeln – und hier führt dann auch für
Uniform-scheue Autonome kein Weg an einer Zusammenarbeit mit der
Polizei vorbei. Wie am Samstag. Da habe es Kooperationsgespräche mit
einer Frau mit einem Zugang zur linken Szene gegeben, erklärt
Karl-Heinz Schmid von der Freiburger Polizei. "Kurz vor und auch noch
während der Demo haben wir auf diese Art Kompromisslinien gesucht und
gefunden", blickt der Polizeisprecher zurück. Im Mittelpunkt solcher
Verhandlungen steht in der Regel die Route, die die Protestierenden
einschlagen wollen, können, sollen. "Es lief relativ problemlos und
sorgenfrei", sagt Schmid, "den Verkehr haben wir spontan angehalten und
umgeleitet."
DAS VERSAMMLUNGSRECHT GEHT INS DETAIL
Dass die Demo am Ende dann doch noch aus dem Ruder lief,
scheint den Mann vom Polizeipräsidium sehr zu enttäuschen: "Das ist die
Quittung für unsere Kooperation und Deeskalation", seufzt er. Die Frau,
die als Ansprechpartnerin für die Polizei fungierte, habe sich von der
anschließenden Randale distanziert – und sie habe, so Schmid, keine
negativen Konsequenzen zu befürchten. Nach Einschätzung des Freiburger
Anwalts Jens Janssen ist dies nicht immer so: "Es gab auch schon Fälle,
in die Polizei bei einer unangemeldeten Demonstration einen
Ansprechpartner suchte und aus einer Wortmeldung den Schluss gezogen
hat, dass dies auch der Veranstalter sein musste."
Janssen, der während des Nato-Gipfels im April Demonstranten in rechtlichen Fragen beriet,
sieht im baden-württembergischen Versammlungsrecht einen Grund dafür,
dass viele Demonstrationen nicht angemeldet werden: Vieles werde bis
ins kleinste Detail reglementiert – von der Benennung der Ordner bis
zur Richtung, in die Transparente weisen dürfen. So ist es kein Zufall,
dass die geplante Verschärfung des Versammlungsrechts den Stoff für neue Demos liefert – für unangemeldete Demos, versteht sich.
UNANGEMELDET: JA, GEHEIM: NEIN
"In Freiburg haben unangemeldete Demonstrationen der
linken Szene Tradition", sagt Polizeisprecher Schmid, "überall in
Deutschland werden Demonstrationen angemeldet, nur in Freiburg nicht."
Allein im zurückliegenden halben Jahr gab es drei große unangemeldete
Protestaktionen: Erst mitten im Weihnachts-Innenstadt-Trubel im Dezember, dann kurz vor dem Nato-Gipfel – und jetzt am Samstag
mit rund 700 Teilnehmern. Hinzu kommen mehrere kleinere Aktionen. Das
Nicht-Anmelden von Demonstrationen beschränkt sich übrigens auf die
linke Szene. Andere Protestzüge, wie zuletzt etwa von südbadischen Erzieherinnen oder Freiburger Eishockeyfans, gehen den vorgeschriebenen Weg.
Von Seiten der Freiburger Antifa wird das zumeist so begründet wie von
Jonas Spanier am Rande der Anti-Kapitalismus-Demo am Samstag: "Wir
haben die Demonstration bewusst nicht angemeldet, weil wir in der
Vergangenheit Repressalien der Polizei gegen die Verantwortlichen der
Demonstration erfahren haben." Die Rechnung, dass eine unangemeldete
Demo von weniger Polizei begleitet werden könnte, geht freilich nicht
auf – auch das hat der Samstag gezeigt. Und das ist ja auch logisch –
schließlich können nicht nur Sympathisanten der linken Szene lesen, was
in einschlägigen Blogs vor sich geht: Auch die Polizei hat Internet.