Berlin 2009 – ein weiteres Hausprojekt steht vor dem Abgrund
Den Vermietern der Liebig14 ist es gelungen, die Mietverträge zu kündigen, was gerichtlich bei allen neun Wohnungen in der ersten Instanz, bei vieren davon nun auch schon in der zweiten Instanz bestätigt wurde. Damit sieht es so aus, als ob die Vermieter am Ziel ihrer Wünsche angekommen sind, und die Räumung nur noch eine Frage der Zeit ist.
Für das seit 19 Jahren bestehende Hausprojekt sieht es düster aus.
Wer sind wir?
27 Menschen zwischen 9 Monaten und 40 Jahren, von echten Ickes bis Menschen aus Peru oder dem Sudan, die sich alle dafür entschieden haben kollektiv, mit offenen Türen zusammen zu wohnen. Die Entscheidungsfindung wird möglichst im Konsens geschlossen, so dass jede_r ein Mitspracherecht hat, unabhängig vom Status. Über das reine Zusammen- wohnen hinaus organisieren wir auch kulturelle Veranstaltungen und versuchen in die (Stadt)politik einzugreifen – z.B. über unsere Beteiligung an der „Wir Bleiben Alle“ – Kampagne gegen die Verdrängung bezahlbaren Wohnraumes und linker Freiräume aus der Innenstadt.
Die Liebig 14 und ihre Geschichte
Die Liebig14 wurde 1990 besetzt und 1992 durch Einzelmietverträge mit der WBF legalisiert. Der heutige Konflikt war damals schon vorprogrammiert, weil die WBF unsere gemeinschaftliche Wohnform, die mit der Besetzung entstanden war, nicht anerkannte. So gab es zwar Einzelmietverträge für jede Wohnung, aber keine Rahmenmietverträge, die der Realität entsprochen hätten und von Seiten der Besetzer_innen immer wieder gefordert wurden. Versuche der Bewohner_innen, das Haus mittels einer Genossenschaft zu kaufen und damit dem profitorientierten Wohnungsmarkt zu entziehen, scheiterten. Stattdessen wurde die Liebigstr. 14 im Jahr1999 an die LiLa GbR mit den Gesellschaftern Suitbert Beulker und Edwin Thöne verkauft. Versuchten die neuen Eigentümer anfangs noch, sich mit den Bewohner_innen, die zum Zeitpunkt des Kaufes ja schon da waren, zu arrangieren, kam es recht schnell zu ersten Konflikten, da die LiLa GbR schon bald versuchte, lediglich ihre Interessen durchzusetzen. Das wäre u.a. Modernisierung gewesen und in der Folge höhere Mieten, die wir nicht hätten bezahlen können. Doch ein Hausprojekt, in welchem die Mieter_innen eine gemeinsame Linie verfolgen, ist in dieser Hinsicht schwerer zu knacken, als einzelne, auf sich gestellte Mieter_innen. So griffen die Eigentümer bald auch die gemeinschaftliche Wohnform an, ließen Gemeinschaftsräume im Erdgeschoß räumen und bauten 2007 eine Zwischentür im Treppenhaus ab und zerstörten alle Türschlösser. Der Wiedereinbau dieser Tür und der Schlösser, welche für unsere Wohnform nicht ohne Bedeutung sind, lieferte schließlich die Begründung für die fristlose Kündigung aller Wohnungen.
Die Vermieter
Als Suitbert Beulker (bei uns in Gestalt der Lila GbR) die Rigaer Str. 94, 95, 96 und die Liebigstr. 14 kaufte, versuchte er sich zunächst als umgänglicher Vermieter, als ein „guter König“ zu präsentieren. Aber wie das so ist mit „guten Königen“ – sie werden schnell zu Tyrannen, wenn die Untertanen ihre Gnade nicht zu schätzen wissen und sich gegen einige der Wohltaten wie eine Sanierung, die die Miete stark erhöht hätte, zu wehren beginnen.
Dies passierte recht schnell in der Rigaer 94, deren Bewohner_innen sogleich mit vielfältigen Schikanen und fristlosen Kündigungen überzogen wurden, welche in den meisten Fällen vor Gericht keinen Bestand hatten. Allerdings verlor die dortige Hausgemeinschaft auch einige Prozesse, was in einer groß angelegten Räumung mit hunderten Polizisten mündete.
Beulker arbeitete allerdings nicht nur mit legalen Mitteln. Er war sich auch nicht zu schade, Schlägertrupps zu entsenden und – laut den Aussagen seiner damaligen Sekretärin – anzuordnen, den Hausstrom an den Starkstrom anzuschließen. Beulker installierte nach der Räumung einen Wachschutz, der nur die Mietvertragsinhaber_innen ins Haus ließ. Dummerweise zahlte Beulker dem Wachschutz kein Gehalt, genau wie den Bauarbeitern und der Sekretärin, welche sich anschließend mit einem Stapel Akten in der Hand gegen ihren ehemaligen Chef stellte. Nachdem die Sekretärin sich mit Details der Firmenvorgehensweise an die Presse wandte, versuchte Herr Beulker sie per Unterlassungsklage mundtot zu machen. Dies scheiterte vor Gericht und ist unter http://tinyurl.com/n7b2wv nachzulesen. Im Laufe des Konfliktes wurde es für Beulker regelrecht zur Obsession, die Projekte, die ja schon lange bevor er die Häuser kaufte, bestanden, herauszuschmeißen, weshalb jegliche Verhandlungsversuche scheitern mussten. Es gab sowohl zur Rigaer 94 wie auch zur Liebig 14 diverse runde Tische unter Vermittlung der Asum, der Bezirkspolitik und anderer. All dies scheiterte an Beulkers Verhandlungsresistenz.. Auch unser Versuch, über eine Stiftung das Haus zu kaufen, kam wegen der nicht ernst zu nehmenden Kaufangebote von Beulker über das Planungsstadium nicht hinaus. Vom letzten Prozess gegen uns stammt das schöne Zitat: „Mit so Leuten, die nach Heiligendamm fahren, will ich nix zu tun haben“.
Weniger schillernd als sein Compagnon kommt der andere Gesellschafter der LILA GbR, Edwin Thöne, daher. Er ist Teilhaber und im wirklichen Leben Vorsitzender des Kinderschutzbundes im Nordrhein-Westfälischen Unna. Wie er sein soziales Engagement mit der geplanten Räumung von u.a. zwei Kleinkindern zusammenbringt, bleibt sein Geheimnis. Und auch seine unglaubwürdige Behauptung, von nichts zu wissen, entbindet ihn nicht aus der Verantwortung.
Blick übern Tellerrand
Was uns passiert ist – von der speziellen persönlichen Note Beulkers abgesehen – kein Einzelfall. Die Verdrängung von Mieter_innen oder Hausgemeinschaften aus bezahlbarem Wohnraum passierte und passiert weiterhin in tausenden Mietshäusern, nicht nur in (Ost)berlin. Verbunden damit steigt der Anteil am Einkommen, der für die Miete aufgebracht werden muss, ständig an – eine Sache, die vor allem kleine Einkommen am härtesten trifft. Grade in den innerstädtischen Bezirken wie Prenzlauer Berg, Mitte, Kreuzberg, Nordneukölln und Friedrichshain wird es immer schwerer, bezahlbare Wohnungen zu finden.
Der Grund für all die Probleme, mit denen sich Mieter_innen tagtäglich auseinandersetzen müssen, liegt letztlich nicht darin, dass ein einzelner Vermieter besonders böse ist. Das kann verschlimmernd hinzukommen. Das Hauptproblem ist jedoch die kapitalistische Organisation des Wohnungsmarktes, welche nicht auf die Bedürfnisse der Bewohner_innen, sondern auf den Profit der Eigentümer ausgerichtet ist. Kombiniert mit einer Politik und einer Gesetzgebung sowie Rechtssprechung, die sich immer stärker am Vermieterinteresse orientieren, wirkt sich das besonders fatal aus.
Doch es gibt auch Gegenwind. Seit Anfang 90er gab es viele Bewegungen, vor allem auch in Ostberlin, die sich gegen das Recht der Vermieter_innen zum uneingeschränkten Profit gestellt haben. Z.B. die damalige „Wir Bleiben Alle“ – Bewegung Anfang der 90er in Ost-Berlin, aber auch die Besetzer_innenbewegung. Die meiste Kontinuität hat allerdings die Berliner Mieter_innen Gemeinschaft, die seit vielen Jahren kontinuierlich für Mieter_innenrechte eintritt.
Auf die Barrikaden!
Wir wissen, dass unsere drohende Räumung nur ein kleiner Teil eines Ganzen ist. Wir wissen, dass das, was uns droht nur ein Stückchen kapitalistische Normalität ist. Aber wir wissen auch, dass es wichtig ist, uns grade da wo wir leben gegen diese kapitalistische Normalität zu stellen. Wir hoffen, damit nicht allein zu sein, sondern Teil einer entstehenden breiteren Bewegung gegen die Zumutungen, die der kapitalistische Wohnungsmarkt für uns und andere bereithält. Und wir hoffen darauf, dass gegenseitige Hilfe und Solidarität letztlich stärker sein werden als Profitinteressen.
In diesem Sinne:
Liebig 14 forever!
Solidarität mit allen Mieter_innen, die sich wehren und den anderen bedrohten Hausprojekten!
WIR BLEIBEN ALLE!
Freund_innen der Liebig 14