Waiblingen. Aufregung im Ameisenbühl: In der Max-Eyth-Straße soll für 75 Menschen ein Asylbewerberheim entstehen. Für das derzeit als Büro und Lager genutzte Gebäude ist eine Nutzungsänderung beantragt, die Nachbarn haben dagegen Widerspruch eingelegt. Anderswo im Kreis gibt es mit vergleichbaren Unterkünften keine Probleme.
Bei diesem Artikel wollen auffallend viele Menschen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Der Gewerbetreibende zum Beispiel, der bei der Ansiedlung eines Wohnheims für Asylbewerber die Gefahr von Drogenkriminalität, Überfällen, Übergriffen und Vergewaltigungen sieht. Oder ein anderer, der den Anblick von Asylbewerbern seinen Kunden nicht zumuten will. Ein Mann aus der nahe gelegenen Moschee will sich lieber nicht zum Thema äußern und schon gar nicht mit seinem Namen. Auch Udo Frank, dessen Mutter Eigentümerin des Nachbargrundstücks ist, ist gegen die Ansiedlung eines Wohnheims, hat aber kein Problem, damit in der Zeitung zitiert zu werden: An diesem Heim müssten Berufsschüler und die Schüler vom BBW vorbeilaufen, die von den Asylbewerbern zum Drogenkonsum verleitet werden könnten: „Ich sehe eine Gefahr für die Jugendlichen“, sagt er. Und ist sich sicher: „Das ist eine Ansicht, die ich mit vielen teile.“
Hesky: Solche Vorurteile machen mich traurig
Mit Oberbürgermeister Andreas Hesky jedenfalls nicht. Wäre die Einrichtung in der Stadtmitte, wo er persönlich das Heim am liebsten unterbringen würde, würden auch Schüler vorbeilaufen – ohne, dass es ihnen schaden würde, ist er überzeugt. „Ich gehe davon aus, dass die Asylbewerber in ihren Ländern verfolgt wurden. Ein solches Heim ist nicht von vorneherein ein Pool des Bösen.“ Die Flüchtlinge seien Menschen wie andere auch: „Man sollte ihnen mit Toleranz und Gastfreundschaft begegnen. Solche Vorurteile passen nicht mehr in unsere Zeit und machen mich traurig.“ Die Flüchtlingszahlen in aller Welt steigen – da sei die Asylbewerbersituation eine Herausforderung für Bund, Land und die Stadt. Waiblingen habe derzeit kein Asylbewerberheim, fühle sich dazu aber genauso verpflichtet wie die anderen Großen Kreisstädte. „Das Gebäude ist eines der wenigen, wo man es hinnehmen kann, 75 Plätze zu schaffen. Wir gehen davon aus, dass es machbar und zulässig ist.“ Auch andere Städte hätten Flüchtlinge aufgenommen und gute Erfahrungen gemacht: „Asylbewerber gehören zu unserer Gesellschaft. Und sie müssen sozial integriert werden.“ Dies sei auch ein Thema für ehrenamtliches Engagement.
Darauf verweist auch Rainer Gaag, Geschäftsführer des Berufsbildungswerks (BBW) Waiblingen. Von den unmittelbaren Nachbarn sei er auf das Projekt angesprochen worden: „Wir sollten uns dagegen aussprechen, das habe ich aber abgelehnt.“ Die Frage sei aber, wie man mit den Flüchtlingen umgehe. Gaag: „Sie dürfen nicht arbeiten, sie bekommen keinen Sprachunterricht. Wenn das anders wäre, würden viele Probleme gar nicht entstehen.“ Sicher ist sich Gaag in einem Punkt: „Egal, wo Sie bauen, wird es Widerstand geben.“ Der Kreis müsse für eine ordentliche Betreuung sorgen, und das BBW werde seine Jugendlichen vorbereiten: „Wir blasen nicht zum Widerstand.“
Tatsächlich sind Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge Aufgabe des Kreises. Nach Auskunft von Harald Knitter, Pressesprecher des Landratsamts, hat der Eigentümer für das Gebäude in der Max-Eyth-Straße ein Baugesuch bei der Stadt eingereicht. Ob der Kreis das Gebäude tatsächlich mietet, stehe noch nicht fest. Die Frage sei, was der Umbau kostet und ob der Plan finanzierbar sei. Übrigens: 4,5 Quadratmeter sind vom Land pro Asylbewerber vorgesehen. Die Gemeinschaftsunterkünfte werden jeweils von einem Hausmeister für technische Dinge und einem Sozialarbeiter für persönliche Angelegenheiten betreut. An manchen Standorten im Kreis, so Knitter, seien im Vorfeld Bedenken geäußert worden. Diese hätten sich als unbegründet erwiesen. Zum Jahresende 2012 waren in fünf Gemeinschaftsunterkünften im Kreis insgesamt 586 Personen untergebracht. Mitte Februar kam Weinstadt hinzu.
Keine Probleme in den Sammelunterkünften
(jup/miko/bkl/gin). Der Landkreis ist verpflichtet, die Asylbewerber
unterzubringen. Dies, sagt Landratsamtssprecher Harald Knitter, könne
aber nicht über Liegenschaften des Landratsamts gewährleistet werden.
Deshalb mietet der Kreis auch Objekte an, teils von Kommunen, teils von
privat. Aufgrund der großen Zahl von Asylbewerbern, die der Kreis nach
dem Verteilungsschlüssel des Landes jeden Monat unterbringen muss, ist
er auf der Suche nach zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten. Dabei
sei der Kreis auf die Kooperation der Kommunen angewiesen.
In fünf der sechs Großen Kreisstädte – nämlich Backnang, Fellbach,
Schorndorf, Weinstadt und Winnenden – sind bereits Sammelunterkünfte in
Betrieb. In diesen Unterkünften gebe es keine Probleme.
Das bestätigen auch unsere Recherchen. Im Schorndorfer Übergangswohnheim
an der Wiesenstraße 30 leben derzeit 170 Personen. Damit ist die
Einrichtung auf den letzten Platz besetzt. Etwa 60 Prozent der Bewohner
sind zwischen 13 und 27 Jahren alt. 4,5 Quadratmeter stehen jedem
Asylbewerber zur Verfügung. Pro Person gibt’s ein Startpaket mit Topf,
Pfanne und Bettdecke. Dank Sprachkursen, die die Stadt Schorndorf
gemeinsam mit der evangelischen Stadtkirchengemeinde finanziert, lernen
die Flüchtlinge Deutsch. Ehrenamtliche Sprachhelfer vertiefen das
Gelernte und helfen ihnen, im Alltag klarzukommen: Zusammen werden
Zugticket-Automaten getestet, Apotheken und der Wochenmarkt besucht und
Amtsgänge erledigt. In einem Sprachcafé treffen sich Sprachhelfer und
Asylbewerber in lockerem Rahmen. Das Projekt „Sprachkurs und Sprachcafé
für asylsuchende Personen Schorndorf“ wurde für das Programm „Vielfalt
gefällt! 60 Orte der Integration“, das die Baden-Württemberg-Stiftung in
Kooperation mit dem Ministerium für Integration Baden-Württemberg
durchführt, ausgewählt. Damit verbunden ist eine Förderung von 15 000
Euro, verteilt auf drei Jahre.
Direkt gegenüber der Wohnungslosenunterkunft am Heuweg in
Weinstadt-Großheppach leben seit kurzem Asylbewerber. Das Landratsamt
mietet die Baracke seit Anfang des Jahres von der Stadt Weinstadt. 30
Menschen haben maximal Platz, aktuell leben 28 dort. Alles Männer, wie
auch in der Wohnungslosenunterkunft. Aber mit den 30 Plätzen kann der
Bedarf nicht gedeckt werden: Der Kreis hat deshalb eine freie Fläche bei
der Großheppacher Obdachlosenunterkunft gepachtet und wird dort eine
zweite Asylbewerberbleibe errichten, für weitere 30 Menschen. Dann
könnten maximal 60 Migranten am Ortsrand von Großheppach wohnen. Eine
Sozialarbeiterin und ein Hausmeister kümmern sich um die Asylbewerber.
Derzeit gibt es am Heuweg selbst noch keine Sprachkurse für die
Asylbewerber. Wollen die Männer dort Deutsch lernen, müssen sie zum
Beispiel nach Schorndorf fahren. Einige Bewohner wünschen sich
Rollläden, zum Schutz vor der Sonne und wegen der Privatsphäre. Das
Landratsamt hat angekündigt, nachzufragen, wer Gardinen benötigt.
In Winnenden hat der Kreis als Pächter Container für 152 Personen
aufgestellt. In der Vergangenheit habe es keine Nutzerkonflikte gegeben
mit dem Sportgelände und den Schulen.
Im Rems-Murr-Kreis leben derzeit rund 670 Asylbewerber. Die meisten
davon stammen aus Afghanistan, Pakistan, dem Iran und dem Irak. Seit
einigen Monaten nehmen die Zuweisungen von Menschen aus Syrien und
besonders aus Serbien und Mazedonien stark zu.
Zumutbar
Kommentar von Jutta Pöschko
Auch Jahre, nachdem die ersten Asylbewerber nach Deutschland kamen, Asyl erhalten und sich integriert haben oder längst abgewiesen wurden, sitzt die Angst vor dem Fremden tief. Seit mehr als 20 Jahren hat der Landkreis Erfahrung mit der Unterbringung von Asylbewerbern. Besondere Probleme gab’s im Umfeld dieser Unterkünfte nie. Übergriffe und Vergewaltigungen gehen auch nach den Erfahrungen von Polizeipressesprecher Klaus Hinderer keineswegs auffallend oft aufs Konto von Asylsuchenden. Dass ein reiches Land Flüchtlinge aufnehmen muss, bestreiten nur noch wenige, doch möglichst weit weg und unsichtbar sollten sie untergebracht werden. Das wird nicht funktionieren. Flüchtlinge sind zumutbar. Gerade und auch bei uns.