Neoliberalismus und Antisemitismus

Vortrag und Diskussion mit Gerhard Stapelfeldt (Hamburg)


Der Neoliberalismus tritt nicht antisemitisch auf; offen antisemitische Äußerungen wird man im Werk des Hauptes der neoliberalen Theorie, Friedrich August von Hayek (1899-1992), nicht finden. Aber der Antisemitismus ist kein Bewußtes, sondern ein Gesellschaftlich-Unbewußtes. Darum ist der Antisemitismus allererst nicht in Rücksicht auf das Judentum zu erklären, sondern als unbewußte gesellschaftliche Projektion. Diese freilich benötigt eine Projektionsfläche, die der unbewußten Übertragung Plausibilität verleiht: nicht jeder Mensch, nicht jede soziale Gruppe ist als eine solche Fläche geeignet. So ist der Antisemitismus gesellschaftlich unbewußt, zugleich keine pure Willkür: „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“ (Adorno)

Der Antisemitismus bedurfte der Juden, aber er vermag sich auch zu erhalten, ohne daß empirisch auf Juden verwiesen werden könnte. Umgekehrt ist der Antisemitismus auch ohne offen antisemitische Charaktere möglich. Der Neoliberalismus nun ist die Apologie des unbewußten Allgemeinen. Daraus folgt sein kategorischer Imperativ: Anpassung an die undurchschauten Mächte der Tradition; daraus folgt seine Negation und Diffamierung aller Gestalten gesellschaftlicher Utopien; daraus folgt seine Individualisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. In dieser Konstellation von neoliberalen Basisdogmen besteht eine Wahlverwandtschaft zwischen dem neuen Liberalismus und dem Antisemitismus. Vor allem in Zeiten der Krise droht diese Nähe in einer manifesten Praxis zu erscheinen. Die Aufklärung dieses Zusammenhangs hat sich vor einem allzu umstandslosen Vergleich des Neoliberalismus mit dem Nationalsozialismus, vor einer Verhöhnung der Opfer des nationalsozialistischen Staatsterrors zu hüten. Sie hat aber ebenso die neoliberale Verdrängung des Terrors zurückzuweisen, die schon kurz nach 1945 im Dogma von der ‚Stunde Null’ einsetzte. Seit Freud ist bewußt, daß jede Verdrängung die „Wiederkehr des Verdrängten“ impliziert; die „Wiederkehr“ ist jedoch keine Wiederholung, sondern die Erscheinung des Verdrängten unter veränderten Verhältnissen.

 

Gerhard Stapelfeldt lehrte von 1979 bis 2009 am Institut für Soziologie der Universität Hamburg.

Veröffentlichungen u.a.: Kritik der ökonomischen Rationalität, 4 Bände, 1998-2009; Theorie der Gesellschaft und empirische Sozialforschung. Zur Logik der Aufklärung des Unbewussten, 2004; Zur deutschen Ideologie. Soziologische Theorie und gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik, 2005; Neoliberalismus – Autoritarismus – Strukturelle Gewalt. Aufsätze und Vorträge zur Kritik der ökonomischen Rationalität, 2010

 

Donnerstag, 4. April 2013
20 Uhr
Hörsaal 8 (Hauptgebäude der Universität Bonn)


Veranstaltet vom AStA-Referat für politische Bildung im Rahmen der Vortragsreihe "Zur Kritik des Antisemitismus".

http://www.antisemitismuskritik.wordpress.com

 


HINWEIS ZUR EINLADUNG: Gemäß § 6 Abs. 1 VersG sind Personen, die rechtsextremen (u.a. „Freie Kameradschaften“, Graue Wölfe) oder antisemitischen (wie NPD, Milli Görüs) bzw. antizionistischen (z.B. Institut für Palästinakunde e.V. Bonn, Antikapitalistische Aktion Bonn, Rotfront Köln, Rote Antifa NRW) Organisationen oder Parteien angehören, den jeweiligen Szenen zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch antisemitische bzw. antizionistische, fremdenfeindliche, gewaltverherrlichende und andere menschenverachtende Äußerungen oder Handlungen in Erscheinung getreten sind, von der Versammlung ausgeschlossen. Der Veranstalter behält sich vor, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und den genannten Personenkreisen den Zutritt zur Versammlung zu verwehren.