Im Frühjahr 2011 eskalierten anlässlich einer Gerichtsverhandlung gegen eine Antimilitaristin (Ankettaktion anlässlich eines Militärtransportes http://husuma.nirgendwo.info/2008/02/21/militartransport-blockiert/ ) die eingesetzten BeamtInnen die Veranstaltung. Die BeamtInnen mischten das in einer schikanösen Eingangskontrolle wartende Publikum ordentlich auf. Mit dem Vorwurf des (angeblichen) Widerstandes wurden zwei UnterstützerInnen der Angeklagten mit massivem Gewalteinsatz verhaftet ( http://husuma.nirgendwo.info/2012/02/20/antimil-gleisblockade-polizei-sl... ). Ein weiterer Unterstützer steht nun am 20.3. wegen Beleidigung vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, den für den gewalttätigen Einsatz verantwortlichen Hauptkommissar Ralf Lohmeyer gefragt zu haben: „Mit soviel Sternen auf der Schulter sind Sie wohl hier der am höchsten bezahlte staatliche Gewalttäter, haben Sie den Polizeieinsatz zu verantworten?“
(Eine genaue Dokumentation des gewalttätigen Polizeieinsatzes, der die Bezeichnung „Gewalttäter“ definitiv rechtfertigt, findet sich anhand von aus der Akte entnommenen Selbstzeugnissen der PolizistInnen im dritten Teil der Doku:
http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/23/uben-polizistinnen-gewalt-aus-polizei-doku-3/ ).
Kriminalisierung von Kritiker_Innen
Wäre das Verfahren nicht einfach nur ein Vorwand zur Kriminalisierung von PolizeikritikerInnen, hätte das Gericht viel zu tun. Denn der Betroffene steht mit seiner Meinung nicht alleine. Unter anderen der Innenminister und der Landtagspräsident sind ähnlicher Ansicht. Darüber hinaus besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass das, was die Polizei tut, „Gewalt“ sei. Bei Kirchen, Polizistinnen, Polizeigewerkschaften, Politik und Wissenschaft lässt sich im Diskurs eine weit verbreitete Zustimmung zu Polizeigewalt feststellen ( http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/25/polizei-doku-teil-4-polizeigewal...).
Rainer Wendt DPolG: Polizeigewalt ein Teil der Demokratie?
Eine ganz andere Dimension des Phänomen „Polizeigewalt“ bringt Rainer Wendt, Vorsitzender der „Deutschen Polizeigewerkschaft“ (DpolG) u.a. zur Sprache. Nachdem zum Castor 2011 die Grüne Claudia Roth angesichts der massiven Polizeigewalt es sich anmaßte, diese auf gewohnt emotionale Weise zu kritisieren, schimpfte Wendt: “Wer einen rechtmäßigen Polizeieinsatz als Anschlag auf die Demokratie verunglimpft, hat unsere Demokratie nicht verstanden!“ ( Pressemitteilung DPolG, 28.11.2011 ). Damit macht Wendt richtigerweise deutlich, dass das demokratische Herrschaftsregime und polizeiliche Gewalt zusammen gehören - für Frau Roth warscheinlich ein schwer erträglicher Gedanke.
Herrschaft schafft Ungerechtigkeit
Um zu
verstehen, warum Demokratie und Polizeigewalt zusammengehören, muss
man sich vergegenwärtigen, dass auch das demokratische Regime eine
Herrschaftsform ist. Das deutet sich bereits im Propagandabegriff
„Volksherrschaft“ an, gerät aber gerade in einer linken
Bewegung, die bei jeder sich bietende Gelegenheit „Mehr
Demokratie!“ fordert, in Vergessenheit. Das im Seitenhieb verlegte
Buch „Herrschaftskritik. Analysen.Aktionen. Alternativen.“ bringt
dies folgendermaßen auf den Punkt: „Das Wirkungsprinzip von
Herrschaft ist es, Umstände zu schaffen, in denen es für eine
begrenzte Anzahl Privilegierter möglich wird, die Folgen ihres
Handelns auf andere abzuwälzen. Dies geschieht zum einen durch den
Zugriff auf Ressourcen, aber auch, um diesen abzusichern“.
Weder politische noch soziale Gleichheit
Dies gilt für
alle Herrschaftsformen, also auch für „die Demokratie“. Im
demokratischen Regime sind bei Weiten entgegen der Propaganda nicht
alle gleich. Es gibt wichtige Leute und weniger wichtige Leute. Dabei
wird der Wichtigkeitsgrad an vielen verschiedenen Parametern
festgelegt, die sich teilweise verstärken, widersprechen oder sogar
konkurrieren. Spezifisches Kennzeichen dieser gesellschaftlich als
„wichtig“ konstruierten Leute ist, dass sie mit höherer
Wahrscheinlichkeit in der Lage sind, gesellschaftliche Ressourcen zu
mobilisieren, um ihre Interessen ungefragt anderen Leuten
aufzudrücken. Im Großen zeigt sich dies z.B. am Bahnchef Grube, der
aufgrund informeller Vernetzung einfach nur Briefe an PolitikerInnen
schreiben muss, um bestimmte Ziele zu erreichen. Oder an den
Abgeordneten der Regierungskoalitionen, die Gesetze verabschieden,
deren Einhaltung dann im Zweifelsfall von Polizeibeamten
durchgeprügelt wird. Politikwissenschaftlich steht dies auch
überhaupt nicht zur Debatte. Dort ist es völlig akzeptiert, dass im
demokratischen Regime eine angebliche Mehrheit im Zweifelsfall ihre
Interessen gegen protestierende BürgerInnen durch die Polizei mit
Gewalt durchsetzen lassen kann.
Prügeltruppe pro Eigentum
Im Alltag zeigt
sich die Verknüpfung von Gewalt und Demokratie z.B. in Konflikten
ums Hausrecht. Wie das praktisch aussieht, sieht man u.a. bei den
Protesten gegen Zwangsräumungen in Berlin. Einfach nur, weil
bestimmte Leute einen angeblichen Besitztitel haben, können sie zur
Durchsetzung „ihres“ Hausrechts eine staatlich bezahlte
Prügeltruppe zur Durchsetzung desselben anfordern: Die Polizei.
Polizei schützt Eigentum
Um was es beim
Handeln der Polizei geht, zeigt u.a. ein Blick ins Strafgesetzbuch.
Schaut man nach, was dieses Gesetz schützt, so zeigt sich: Vieles
ist Selbstzweck und das Geld steht im Vordergrund, nicht die
Unversehrtheit von Menschen. Allein die Schutzparagraphen für Staat
und die öffentliche Gewalt sind mehr als alle „Gewaltparagraphen“
zusammen. Eigentum und Markt sind sogar durch dreimal mehr
Paragraphen geschützt als Menschen vor verschiedenen Formen von
Gewalt. Die meisten Paragraphen und definierte Straftatbestände im
Strafgesetzbuch haben nichts mit Gewalt zwischen Menschen zu tun. Es
geht um Handlungen mit wirtschaftlichem Hintergrund oder Ungehorsam
gegen den Staat.
Ungerechte Eigentumsverteilung
Das bedeutet,
dass hauptsächlich diejenigen Stress mit der Polizei bekommen, die
individuell oder kollektiv versuchen, etwas an den
Eigentumsstrukturen der Republik zu ändern. Dass Veränderungen
notwendig sind, zeigt u.a. ein Blick in die „Armutsberichte“ der
Bundesregierung. Diese belegen, dass das Vermögen in der Republik
absolut ungerecht verteilt ist. Seit mindestens 2005 und der
sogenannten „Agenda 2010“ steigen sowohl die hohen Gehälter, als
auch der Anteil der oberen gesellschaftlichen Milieus am Eigentum,
während die unteren Gehälter sinken und auch der Anteil der unteren
Milieus am Eigentum abschmilzt. Die Zahlen lassen erahnen, wie massiv
die Verarmungsprozesse in der Bundesrepublik zur Zeit auftreten.
Besaßen die unteren 50% der Bevölkerung beim Abtritt der
CDU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl 1998 noch 4,4% des privaten
Vermögens in der Bundesrepublik, so hatte die SPD/Grüne-Koalition
es bereits 2003 geschafft, den Vermögensanteil der unteren Hälfte
der Bevölkerung auf 4,0% zu reduzieren. Der aktuelle Bericht geht
von 1,6% Vermögensanteil für die unteren 40 Millionen
BundesbürgerInnen aus. In der selben Zeit steigert sich der Anteil
des Vermögens der oberen 10% der Bevölkerung 45% auf 52%.
Hierarchie auch in der Armut
Darüber hinaus
bildet sich die von Polizei und Gesetzen geschützte
gesellschaftliche Hierarchie auch im Besitz der unteren 50% aus. Das
unterste Zehntel der Bevölkerung hat von den 1,6% Vermögensanteil
gar nichts, sondern Schulden. Auch beim zweiten, dritten und vierten
Zehntel ist nichts davon zu finden: Der Kontostand dieser 30% der
Bevölkerung pendelt sich zum Monatsersten regelmäßig wieder bei
„Null“ ein, um den Dispo-Kredit auszugleichen. Erst das fünfte
Zehntel der Bevölkerung hat etwas von den 1,6% des Vermögensanteils,
der laut Armutsbericht auf die untere Hälfte der Bevölkerung
entfällt.
Polizei setzt Entscheidungen durch
Vor dieser
absolut ungleichen und ungerechten Verteilung des Zugriffes auf
gesellschaftliche Ressourcen laufen die Herrschaftsmechanismen im
demokratischen Regime ab. Wer sich einen Fernsehsender oder die
Herausgabe einer Zeitung leiten kann, hat mehr Einfluss auf den
gesellschaftlichen Diskurs als andere. Wer es sich leisten kann,
Wahlkampf zu betreiben, hat deutlich mehr Chance, in den Medien Gehör
zu finden als andere. Und aus diesem Gewurstel an
Partikularinteressen entstehen die gesellschaftlichen Entscheidungen,
die die Polizei dann angeblich im Namen einer Mehrheit gegen die
meistens nicht gefragte zahlenmäßig viel breitere „Minderheit“
durchsetzt.
Die demokratische Lebenslüge
Mit den
angeblich emanzipatorischen Zielen des demokratischen Regimes hat die
Realität nichts zu tun. Das ganze Blabla um Chancengleichheit,
Gleichberechtigung, Partizipation usw. dient in demokratischen
Regimen nur als propagandistischen Begleitmusik, um von einigen
Wenigen getroffenen Entscheidungen geräuschlos durchzusetzen. In dem
Moment, wo es bestimmte Leute eine Uniform anzuziehen, ihnen
„Mehrzweckeinsatzsstock (MES)“ und Knarre in die Hand gedrückt
werden und es ihnen erlaubt wird, damit zu schlagen und zu schießen,
ist es völlig absurd, anzunehmen, das sie diese nicht benutzen
würden. Im Gegenteil: Wer Gewalt anwenden darf, braucht nicht mehr
zu verhandeln. Er oder sie muss keine Kompromisse mehr machen. Er
oder sie kann seine Entscheidungen einfach durchprügeln – und tut
dies auch. Das gilt für die Beamt_Innen auf der Straße genauso wie
für den Hausrechtsinhaber, der sich der staatlich bezahlten
Gewalttäter im Rahmen des Hausrechts bedienen kann. Hier steckt auch
der Kurzschluss oppositioneller Politik im Parlament: Ein Parlament
ist im demokratischen Regime die gesetzgebende Gewalt. Diese
gesetzgebende Gewalt ist auf die ausführende Gewalt angewiesen, um
ihre Gesetze durchzusetzen.
Kann parlamentarische Opposition das ändern?
Diese systemimmanente Gewalttätigkeit ist auch für die Linkspartei und die Grünen nicht auflösbar. Sebastian beschreibt die parlamentarische Opposition auch als „Ersatzexekutive“, jederzeit bereit, die bisherigen Charaktermasken der ausführenden Gewalt zu ersetzen. Deshalb müsse eine Opposition ständig beweisen, im Grunde die „bessere“ ausführende Gewalt zu sein. Das führt dazu, dass ausgerechnet das „kleinere Übel“ regelmäßig in regelrechte Apologien der Staatsgewalt verfällt. Deutlich wird dies u.a. auch in der Landtagssitzung am 17.10.2010, in der der linke Abgeordnete Jezewski staatstragend erklärt: „In aller Regel ist an diesem Handeln gar nichts auszusetzen, auch wenn es ein Gewalthandeln ist, denn es erfolgt angemessen und im Rahmen der Gesetze“ . Alles klar? Als Problem erscheint hier nicht die Gewalt, sondern dass einige Gesetze leider mit Gewalt gegen die dummen BürgerInnen zu ihrem eigenen Wohl durchgesetzt werden müssten.
Staatliches Gewaltmonopol?
Aber ist das
staatliche Gewaltmonopol nicht eigentlich eine gute Sache? Das kommt
auf die Perspektive an: Für die Personen, die die staatliche Gewalt
nutzen können, ist es sicher eine gute Sache. Für alle anderen, die
dem staatlichen Gewaltmonopol ausgeliefert sind, sieht die Sache
anders aus. Auch die angebliche Zähmung des Gewaltmonopols durch den
angeblichen Rechtsstaat zeigt sich für alle Menschen, die schon
einmal einen Dienstaufsichtsbeschwerde ( wers noch nicht
hat:http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/18/die-sache-mit-der-dienstaufsichtsbeschwerde/
)geschrieben haben, in einem anderen Licht. Selbst die
Gewaltenteilung erscheint als Propaganda, wenn man sich ansieht, wie
Staatsanwälte wie Herr Truknus und Gerichte regelmäßig
polizeiliche Gewalttäter schützen. Selbst die angebliche
richterliche Unabhängigkeit ist zweifelhaft, da sehr viel
RichterInnen Parteimitglieder sind und bei ihren Beförderungen
außerdem von den jeweiligen Ministerien abhängig sind.
Herrschaft führt zu Gewalt
Darüber hinaus
zeigt sich, dass ausgerechnete die Orte, an denen am meisten
Herrschaft und Kontrolle durch das staatliche Gewaltmonopol etabliert
wurden, regelmäßig auch im demokratischen Regime offene
Gewaltverhältnisse herrschen, wie z.B. im Knast, nach Dienstschluss
in der Armee oder bei kasernierten Polizeieinheiten. Je mehr
Kontrolle, desto mehr Gewalt. Das lässt zumindest die frage zu, ob
das nicht auch in die andere Richtung funktioniert.
Emanzipatorische
Perspektiven?
Eine emanzipatorische Perspektive könnte dort
entstehen, wo dieser Mechanismus der Herrschaftssicherung nicht mehr
greift und gleichzeitig mit einer Kultur der freiwilligen
Vereinbarungen gefüllt wird. Nur wenn es für einige wenige nicht
möglich ist, ihre Interessen einfach mithilfe einer staatlich
bezahlten Prügeltruppe durchzusetzen, sind die beteiligten Parteien
zu Verhandlungen und dem Aushandeln von Kompromissen gezwungen. Denn
nur, wenn das Ergebnis für alle Beteiligten tragbar ist, hat es eine
Chance auf Umsetzung. Da man seine Mitmenschen nicht mehr zwingen
kann, muss das Ergebnis von den beteiligten aktiv umgesetzt werden.
Dazu muss die Entscheidung akzeptiert sein. Falls die Entscheidung
nicht akzeptiert wird, kann niemand gezwungen werden, weil die
Prügeltruppe fehlt. Der große Vorteil ist die hohe Stabilität, die
so ein System mit sich bringt. Da alle Betroffenen gefragt worden
sind, und das Ergebnis mitbestimmt haben und es nur umgesetzt wird,
wenn alle Betroffenen etwas davon haben, wird niemand diese Einigung
ohne gute Gründe wieder umstoßen.
Gerichtsprozess am 20.3.2013
Trotz der von allen Seiten bejahten und auch auch systemimanenten Rolle der Polizei als „staatlich bezahlte Gewalttäter“ wird das Amtsgericht Schleswig wie im Strafbefehl angedeutet sehr wahrscheinlich in der Hauptverhandlung am 20. 3 beschließen, dass genau diese von allen Seiten bejahte und für das demokratische Regime notwendige Gewalttätigkeit von PolizeibeamtInnen „verwerflich“ sei. Denn das ist der Kernbestand einer Verurteilung wegen einer Beleidigung…
Die Verhandlung ist öffentlich und beginnt um 9h.
Weitere Prozesse gegen damalige Prozessbesucher_Innen
Am
4.4. wird wegen angeblichen Widerstandes verhandelt. Am 17.4 geht es
um Widerstand, Beleidigung und „Verunglimpfung des Staates und
seiner Symbole“. „Mit der Kriminalisierung von Betroffenen von
Polizeigewalt versuchen die BeamtInnen regelmäßig, von ihren
eigenen Gewalttaten abzulenken!“ sagt einer der Betroffenen. Mehr
Infos dazu: http://husuma.nirgendwo.info/2012/02/
Schadensersatzklage gegen AntimilitaristInnen am 1.
März
Darüber hinaus wird auch wieder in der eigentliche
Hauptsache um die Gleisblockade gegen einen Militärtransport
verhandelt. Am 1.3. um 9:00 entscheidet das Amtsgericht Husum über
die Schadensersatzklage des Konzerns Veolia bzgl. Schadensersatz für
Schienenersatzverkehr (mehr Infos:
http://husuma.nirgendwo.info/2013/01/19/husum-1-marz-gerichtsprozess-weg...
).
Weitere Polizei-Dokus:
Teil 1: “Gilt die Pressefreiheit auch in Schleswig?”
http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/10/bilder/
Teil 2: “Die Sache mit der Dienstaufsichtsbeschwerde”
http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/18/die-sache-mit-der-dienstaufsicht...
Teil 3: „Üben PolizistInnen Gewalt aus?“
http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/23/uben-polizistinnen-gewalt-aus-polizei-doku-3/
Teil 4: „Polizeigewalt im Diskurs“: http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/25/polizei-doku-teil-4-polizeigewal...
Leseempfehlung:
Herrschaftskritik. Analysen.Aktionen.Alternativen. Seitenhieb-Verlag 2010. Rezension in der GWR: http://www.graswurzel.net/352/herrschaft.shtml