Bochum - Wenn Alltagsrassismus auf staatliche Entlastungsstrategien trifft

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Diese Woche bewies die Bochumer Justiz wieder ihren großzügigen Umgang mit rassistischen Taten und volksverhetzender Propaganda zu Gunsten rechter Straftäter. Am Dienstag den 22. Januar 2013 fand vor dem Bochumer Amtsgericht ein Prozess wegen Bedrohung gegen den 20 jährigen Marcel K. statt. Gleich mehrere rassistische Beleidigungen und Bedrohungen standen zur Anklage. Alle Anklagen wurden fallen gelassen.

Aktenzeichen: 28 Ls 33 Js 80/11 -112/11

 

Ein kleiner Prozess mit großer Aussage zum deutschen Rechtsstaat.

 

Zugetragen hatten sich die Straftaten Marcel K.s im Jahr 2011 in Bochum-Laer. Dem Stadtteil, in dem das große Opel Werk I liegt. Marcel K. wohnte dort mit seinem jüngeren Bruder und seiner Mutter in der Laerfeld Straße. Er selbst hat den Hauptschulabschluß der 9. Klasse, ist seit langem arbeitslos und hilft als Packer in einem Lager aus. Die Mutter ist geschieden und arbeitet als Putzkraft. Alle Drei leben als Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II zusammen. Der größere Bruder scheint nicht mit den anderen Familienangehörigen zusammen zu leben. Zum Vater soll wenig Kontakt bestehen.

Unter der Familie K. wohnte eine türkisch-stämmige Familie.

 

Zur Verhandlung standen mehrere Bedrohungen seitens Marcels gegen die türkisch-stämmige Familie.

So soll er laut Anklage im Februar 2011 mehrere Mitglieder der türkischen Familie mit „ich stech Euch alle ab Ihr Wichser“ bedroht haben.

Im Mai desselben Jahres beleidigte er einen Nachbarn mit „Scheiß Türken“ und äußerte „Ich hasse Ausländer“ und „Ich bin ausländerfeindlich“.

Im September soll er mit einem andersweit verfolgten Angeklagten eine junge Frau am Werner Hellweg zusammen getreten haben.

Zu dem stand zur Anklage, dass er am 28.03.2011 das Musikstück „Kanacke“ derart laut abgespielt haben soll, dass in den anliegenden Wohnungen und auf dem angrenzenden Spielplatz der Text gut zu verstehen war. Er soll Teile des Textes mitgegröhlt haben.

 

Erschienen war zum Prozess als Zeugen zwei Polizeibeamte, ein Beamter des Herner Staatsschutz und einige Mitglieder der türkischen Familie.

Sowie die Mutter Marcel K.s. Vertreten wurde Marcel K. von einem Bochumer Rechtsanwalt.

 

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Was dann passierte erinnerte an eine bittere Variante des Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich Kleist, bzw. dessen Kern eines analytischen Dramas.

 

- Zunächst verständigten sich Richterin und Staatsanwältin mit dem Verteidiger, dass nach bekannter Aktenlage eine lange „Familienfehde“ zwischen beiden Familien vorläge. „Gegenseitige“ Anzeigen würden bestehen. Der Anwalt bestätigte die Dauerpräsenz seines Mandanten in seiner Kanzlei. Seit dem Wegzugs der Familie aus der Laerfed Straße hätte es aber kein Anzeigenaufkommen mehr gegeben. Dies belege, dass es sich um eine „Familienfehde“ handeln würde. Die Richterin ergänzte, dass die türkische Mutter dem Prozess auch fernbleibe, um die alten Wunden nicht aufzufrischen. Allseits wurde der angebliche Wunsch der Betroffenen nach Beendigung des Konflikts und Einkehr von Ruhe hervorgehoben.

Bis dato war zwar noch keiner der Geschädigten dazu befragt worden, aber unisono befanden die Rechtsvertreter der Verteidigung, Anklage und Richterschaft auf Befriedung einer schon befriedeten Situation durch Nicht-Verhandlung der Tatvorwürfe und die Nicht-Sanktion von Straftaten des Angeklagten. Ergo wurde die Einstellung (fast) aller Anklagepunkte vorgeschlagen. Selbst die Körperverletzung zum Nachteil der jungen Frau wurde eingestellt, da der Prozess gegen den Mitangeklagten wegen mangelnder Beweislage eingestellt worden sei.

 

- Allein der Anklagepunkt des Abspielens der Rechtsrockmusik kam zur Sprache. Hier gab es neben Zeugenaussagen von Geschädigten noch ein Beweisdokument, einen Film.

Bevor aber die Beweisaufnahme begann, führte der Rechtsanwalt des Angeklagten noch aus, dass die Schwägerin seines Mandanten aus Polen stamme und er sogar einen dunkelhäutigen Freund hätte. Ergo könne dieser kein Rassist sein.

Nach dieser äußerst beweiskräftigen Argumentation des Verteidigers wurde auf einem Laptop das Handy-Video eines Zeugen abgespielt. Dies zeigte die Balkone eines Mehrfamilienhauses, aus dem lautstark dieser Song zu hören war:

 

Kanacke

„Ich stehe auf der Straße und hab meine Augen auf
Ich warte aufn Türken, denn dem hau ich eine Drauf
Und wenn ich einmal drann bin, dann tret ich auch mal rein
Ist ja nur ein Türke, Ein altes Kümmelschwein

Refrain:
Türke Türke, Was hast du getan?
Türke Türke, warum machen du mich an?
Türke Türke, Was hast du getan?
Türke Türke, warum machen du mich an?

Sie fressen ständig Knoblauch und stinken wie ne Sau
Sie kommen hier nach Deustchland und nehmen ihr Verlau
Sie bauen ihre Scheiße und machen hier nur Dreck
Man muss sie einfach töten, Alles andere hat kein Zewck

Refrain:


Alibaba Alibaba

Steckt sie in den Kerker oder schickt sie ins KZ
Von mir aus in die Muse, aber schickt sie endlich weg
Tötet ihre Kinder, schändet ihre Frauen
Vernichtet ihre Rasse und lernt Ihnen das Grauen

Refrain:

...

Hast du ne große Eiche in deinem Garten stehen
Dann will ich einen Türke daran hängen sehen
Hast du in deinem Keller ne große Folterbank
dann schnapp dir einen Türken und mach ihn wieder schlank

Refrain:

...

Siehst du einen Türken in einer Strassenbahn
schaut er dich irgendwie provozierend an
dann stehst du einfach auf und haust ihm eine rein
Du ziehst dein Messer und stichst 17 mal hinein

Refrain:

...

Sitz du mal im Kino und kannst den Film vor Dreck nicht sehen

dann wird ein Türke vor deinen Augen stehen
Du packst ihn an den Haaren und verprügelst ihn

schmeißt ihn auf die Strasse denn nur dort gehört er hin

Refrain:

...

Triffst du mal nen Türken mit einer deutschen Frau

dann ist es Rassenschande und das weißt du genau
Dann wartest du nur auf ihn an irgendeiner Ecke
schneidest seinen Schwanz ab auf das er dann verrecke

Refrain:

...

Denkt ihr so wie ich könnt ihr es nur verstehen
könnt ihr es nicht ertragen 1000 Türken hier zu sehen

Dann macht doch endlich Schluss ihr habt davon genug
Macht es so wie damals und steckt sie in den Zug

Refrain:

...

 

Die Staatsanwältin verlas noch einmal den (hier zur Dokumentation veröffentlichten) Text des Liedes.

 

Der Zeuge, der die Aufnahmen gefertigt hatte, wurde aufgerufen. Es handelte sich um den Sohn der türkischen Familie, der sich damals in den Garten begab, um diese Aufnahmen zu fertigen. Zu Dokumentationszwecken für die Polizei wie er angab. Nach der Handy-Aufnahme rief er die örtliche Wache an.

 

Im Anschluß dieser Aussage versuchte der Verteidiger des Angeklagten über diverse Fragen an den Zeugen dem Gericht zu suggerieren, die Handy-Aufnahmen wären manipuliert worden. Der junge Mann gab dazu nur an, die Aufnahme unverzüglich nach dem Eintreffen der Polizei und auf Wunsch dieser auf einen transportablen Datenträger transferiert zu haben.

Der anschließend aussagende Polizeibeamte, bestätigte diese Angaben. Zudem berichtete er davon, dass er mit seinem Kollegen die darüberliegende Wohnung des Angeklagten aufgesucht hätte. Dort seien nur die Mutter und der Bruder des Angeklagten angetroffen worden. Ein Blick auf die CDs hätten ihm eine große Anzahl gebrannter und nicht beschrifteter CDs präsentiert. Bei einer Rücksprache mit dem politischen Kommisariat in Herne, wäre die Weisung ergangen, keinerlei CDs zu konfiszieren.

 

Die anschließende Zeugenaussage des Staatsschützer aus Herne bestätigten dies und verwies auf eine Durchsuchung der Wohnung nach verdächtigen Tonträgern drei Wochen nach dem Anlass. Hier sei man nicht fündig geworden.

 

Im Anschluß wurde noch die Schwester des türkisch-stämmigen Zeugen vernommen. Danach beriet das Schöffengericht und stellte das Verfahren ein.

 

C'est ça. - Das war`s!

 

 

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Angesichts dieses Prozesses kann man sich nur verwundert die Augen reiben:

Qu'est-ce que c'est que ça? - Was zur Hölle ist das?“

 

- Es gibt Auseinandersetzungen zwischen einer autoton-deutschen und türkisch-stämmigen Familie. Das Gericht verwendet dafür das Stereotyp „Familienfehde“. Allein die Existenz gegenseitig erstellter Strafanzeigen dient zu dieser Definition. Charakter oder gar Ursache der Auseinandersetzungen, die über den Begriff „Fehde“ in den Bereich irrationaler Emotionen gerückt werden, wird nicht aufgezeigt. Das die Ursache der hochgradig gewalttätig aufgeladene Rassismus des Angeklagten sein kann, wird ausgeschlossen. Es wird so getan, als ob eine rationale und damit sanktionierbare Ursache und Fehlverhalten nicht bestände und eine Suche danach aus zeitlicher Distanz und jetziger räumlicher Trennung auch nicht mehr notwendig sei. Welch eine katastrophale Rechtspflege.

 

- In Bochum – Langendreer gab es um den Ewers Clan die gleichen Mechanismen. Sachbeschädigungen, rassistische Beleidigungen, sexuelle Bedrohungen von Frauen und Kindern und Körperverletzungen begegneten die Opfer der Nazis mit Strafanzeigen. Der Ewers-Clan bediente sich ebenfalls des Mittels der Strafanzeige und überhäufte seine Opfer mit polizeilichen Denunziationen. Darunter auch gerichtlich belegte Falschaussagen.

 

Funktion dieser Strategie ist es einerseits mittels der Anzeigen die Opfer ein weiteres Mal zu belasten.

Andererseits um nach außen das Bild einer unpolitischen „Familienfehde“ zu entwerfen.

Die gewünschten Reaktionen der Behörden bleiben nicht aus. Die herbeigerufenen Beamten kennen dem Konflikt teils nur aus den Akten und subsumieren ihn unter „Familienfehde“. Sie nehmen den rassistischen Charakter und die nationalsozialistischen Ursachen des Konflikts nicht wahr. Dies ungewollt wegen Arbeitsüberlastung. Aber auch gewollt wegen heimlicher Sympathien für rassistisch motivierte Taten.

Die Definition einer irrationalen und hoch-emotionalisierten „Fehde“ setzt sich in der mangelnden Ernsthaftigkeit der Ermittlungen und Strafverfolgungen fort, transportiert sich in die kaum vorhandene Qualität der Ermittlungen und Anklageerhebungen seitens der Staatsanwaltschaften und schließlich der laissez-fairen Einstellung der Richterschaft gegenüber der Rechtspflege in diesen Fällen.

Die Vorbehalte die viele Juristen aus der weißen Mittel- und Oberschicht oft gegenüber Menschen aus der Unterschicht und Menschen ausländischer/anderer kultureller Herkunft hegen, können das Ganze zusätzlich sozialdarwinistisch und latent kulturrassistisch einfärben.

 

Eine Klaviatur die Rechtsanwälte von Nazis und Rassisten bespielen.

Ermittlungen, Aussagen, Beweissicherungen hinsichtlich einer rassistischen oder volksverhetzenden Straftat sind nicht geführt worden und fließen so nicht in den Prozess ein. Was nicht zur Anklage kommt, kann auch nicht verhandelt und abgeurteilt werden. Die Definition „Familienfehde“ in der die Straftat einbettet ist, läßt Aussagen geschädigter Zeugen in einem unglaubwürdigen Licht erscheinen, dass der Anwalt nur durch gezielte Fragestellungen verschärfen muss. Eine Strategie zur „Befriedung“ des Konflikts erscheint der Kammer opportun. Einstellung heißt die Devise. Dies bedarf der anwaltlichen Strategie Milde für den Mandanten bei der Staatsanwaltschaft und Richterschaft zu erwirken. Angeblich oder tatsächliche Verwandte und Freunde ausländischer Herkunft sind dabei ein beliebter rhetorischer Beleg für angeblich demokratische Einstellungen.

 

- Über die gerade beschriebenen Prozesse ist klar, wie Rassismus aus Straftaten, bzw. rassistische Straftaten aus der Gesellschaft wegdefiniert werden.

- Allgemein kann man dies Vorgehen als Entlastungsstrategie gegenüber Kritikern der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nach rechts bezeichnen.

- Im konkreten Fall dient dies dem Image der Stadt Bochum. Für das Gemeinwesen ist es eine Katastrophe.

- Statistisch gesehen wurden in Bochum keine rassistischen Straftaten begangen. Was nicht zur Verurteilung kommt, hat es so auch nicht gegeben.

- Quantitativen und qualitativen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Verbreitung von rassistischer Gewalt ist somit zu misstrauen. Die allgemeine und staatlich produzierte Dunkelziffer für solche Taten dürfte weiter höher liegen als angenommen.

- Derart geschönte Zahlen reichen zur allgemeinen Beruhigung über rechte und rassistische Gewalt in der Gesellschaft. Notwendigkeiten der Prävention, Intervention und Verfolgung bestehen soweit nicht mehr.

 

 

Man muss sich den Fall aber noch einmal genauer ansehen.

 

Der Text mit dem Aufruf zu Mord, Vergewaltigung, Lynchjustiz und Völkermord ist der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Richterschaft bekannt. Er wurde für die Staatsanwaltschaft aufgeschrieben und von dieser im Prozess vorgelesen. Und es ist mit einem Film belegt, dass diese Musik gut hörbar für Nachbarn und Besucher des Spielplatz abgespielt wurde.

Der Titel des Liedes heißt „Alibaba Remix“ oder auch „Kanacke“. Es stammt von der CD „Skinheads“ der Naziband „Standarte“. Die Demoaufnahme von Aryan Tape Service wurde am 29. April 1995 von der Bundesprüfstelle indiziert (Anz. Nr. 82)

Das Lied 'Kanacke' ist strafbar nach §§ 130 StGB (Gewaltdarstellung) und §§ 131 StGB (Volksverhetzung) AG Ulm 6 Ds 11 498/98.

 

Man fragt sich nicht nur, warum die beiden Streifenbeamten von der politischen Polizei nicht zur Beschlagnahmung der Tonträger angehalten wurden um weiteres Beweismaterial sicher zu stellen. Sondern vor allem, warum die Staatsanwaltschaft in Kenntnis des Textes keine Anklage wegen Volksverhetzung erhoben hat.

 

Was für ein Signal mit solch einer Prozessführung und der Einstellung des Verfahrens rassistischen Tätern im Allgemeinen und Marcel K. und seiner gleichfalls eingestellten Familie im Speziellen gegeben wird, ist klar. Rassistische Bedrohung und Volksverhetzung sind Kavaliersdelikte und werden in Bochum nicht geahndet.

Welche Schlüsse Bochumer Antifaschisten und Demokraten im Allgemeinen und Migranten im Speziellen aus der Straffreiheit des Rassisten ziehen können auch. Die Bochumer Justiz, bzw. einige ihrer Mitglieder beweisen im Sinne Bertholt Brechts einen unaufhaltsamen Aufstieg des Rassismus: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

 

 

Marcel K. ist mittlerweile umgezogen.

Der junge Mann aus Bochum-Laer, der es vorzieht in schwarzen Kleidungsstücken und Handschuhen durch die Gegend zu laufen. Der der türkischen Familie mit seinen Ultra-Freunden drohte. Böller, Abfall und Eier auf deren Balkon schmiss. Von dem es heißt, dass nach seinem Wegzug keine Mülltonnen mehr brannten. Keine Autoreifen aufgeschlitzt wurden. Etc.p.p..

Marcel K. und seine Familie wohnt jetzt in Bochum-Langendreer.

 

 

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Standarte_%28Band%29