Aussteiger
Jahrelang war Peter V. Neonazi-Kader. Als er aussteigen wollte, drängte ihn der Verfassungsschutz zum Weitermachen. Aus stern Nr. 49/2002.
Er fühlte sich geschmeichelt, als die Herren vom Verfassungsschutz ihn zum ersten Mal ansprachen. Es sei doch nicht verkehrt, bei eventuellen Gesetzesverstößen der Jungen Nationaldemokraten (JN) eine "starke Hand" im Hintergrund zu haben. Peter V., JN-Aktivist im westfälischen Hamm, war zufrieden, dass sein Einsatz nun auch vom Gegner gewürdigt wurde. Das Ansinnen zu spitzeln, lehnte er aber ab: Zu sehr träumte er noch vom Vierten Reich. Monate später, Ende 1998, meldete er sich dann doch beim Dienst in Düsseldorf: Er wolle die Partei verlassen, fühle sich bedroht und brauche Hilfe.
Deckname "Taste"
Man verabredete sich auf einem Parkplatz und ging zum Jugoslawen. Peter V. erklärte seinen Sinneswandel mit der Hatz auf Homosexuelle. Seine Sexualität werde in der Partei nicht akzeptiert. Würde er sich outen, fürchte er Repressalien. Die Szene, organisiert wie eine Sekte, würde ihn nicht einfach freigeben. Er brauche Unterstützung beim Wohnortwechsel, vielleicht bei der Jobsuche. Die Herren vom Amt deuteten Hilfe an, zuerst aber müsse er sich erkenntlich zeigen. Er lieferte Mitgliederlisten und plauderte Interna aus. Beim vierten Treffen wurden die Düsseldorfer deutlicher. Sein "Ausstieg" würde wirksamer sein, wenn er drin bliebe. Als V-Mann könne er der Partei schaden und auch noch Geld verdienen. Man einigte sich auf den Decknamen "Taste".
Was die Beamten nicht ahnten: "Taste" hatte sich längst an den Kölner Publizisten Jörg Fischer gewandt. Der war Mitbegründer der rechtsradikalen DVU und langjähriger NPD-Funktionär, ehe er 1991 die Seiten wechselte. Seitdem beschreibt er in seinen Büchern die Struktur der rechten Szene und dokumentiert die Arbeit von V-Leuten. Fischer und Peter V. entschieden, die Spitzeljagd mitzumachen. "Wir wollten testen", sagt Fischer, "ob und wie weit der Dienst die Nazi-Szene aufbaut, alimentiert und steuert."
Für den Verfassungsschutz war er ein vielversprechender Partner: Seit 1986 in der rechten Szene aktiv, war er zuletzt für die Hetz-Postille "Der Ruhrstürmer" verantwortlich, in der man sich zum Beispiel über Konzentrationslager lustig machte.
Zu seinen Freunden zählte JN-Hardliner Achim Ezer, der gelegentlich schwadronierte, dass die Jungen Nationaldemokraten die toten SS-Soldaten verträten, die Maschinengewehre ergriffen und die Regierung "niedermähen". Damit endlich wieder "Ordnung, Zucht und Ehre in unserem Land herrschen".
200 V-Leute im Sold des Staates
Doch die JN waren am Boden. "Im Sommer 2000 glich der Landesverband einem Trümmerfeld", sagt Peter V.. Intrigen, Querelen, Austritte. "Taste" sollte als stellvertretender Landesvorsitzender kandidieren, um den Neuaufbau zu organisieren. Was denn der Verfassungsschutz davon halte, fragte er seine neuen Vorgesetzten: "Man sagte, eigentlich sei dies nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes; aber ich müsse für die Partei auch eine Leistung erbringen, damit man nicht misstrauisch wird." Das Engagement wurde gut honoriert: Mal gab es 500, mal 2500 Mark Honorar, bar auf die Hand. Der Dienst zahlte ein Fax, Telefon- und Reisekosten.
Mindestens 30 der bundesweit 200 NPD-Vorstandsmitglieder waren V-Leute im Sold des Staates. Auch NPD-Landesvorsitzender Udo Holtmann, in dessen Oberhausener Druckerei Peter V. kostenlos den "Ruhrstürmer" drucken konnte, war Spitzel. "Ich hatte mich schon damals gewundert, warum er aggressive Texte noch weiter zuspitzte", sagt er heute. So sehr, dass das Blättchen nun "Beweismaterial" im NPD-Verbotsverfahren ist.
Im April dieses Jahres, nach 41 Monaten als Staatsspitzel und über 40 000 Mark Spesen, wurde es ihm zu dumm. Er wusste immer weniger zu berichten, am Ende tauschte man Urlaubserlebnisse aus. "Taste" meldete sich ab. "Was ich weitergab, war größtenteils öffentlich zugänglich", sagt er. "Meine Informationen grenzten an Lächerlichkeit. Ich bin heute mehr denn je überzeugt, dass sich NPD und Verfassungsschutz gegenseitig am Leben erhalten."