Ende der "Aachen Ultras"

Erstveröffentlicht: 
13.01.2013

Kapitulation im Kampf gegen Rechts

Die "Aachen Ultras" wurden bedroht, gejagt und verprügelt - nun haben sie sich aufgelöst. Der Alemannia-Fanclub fühlte sich vom Verein im Stich gelassen und hilflos den rechtsorientierten Aachen-Anhängern "Karlsbande Ultras" ausgesetzt. Ein deutschlandweit einmaliger Vorgang.

 

In der 60. Spielminute erklingt ihr letztes Lied. Einmal noch schwenken sie die schwarz-gelben Fahnen, einmal noch singen sie mit all ihrer Leidenschaft. Dann ist es vorbei. Die "Aachen Ultras" (ACU), seit 1999 ständiger Begleiter der Alemannia, hören auf. Von diesem Tag an werden sie die Spiele ihres Vereins nicht mehr besuchen. Herausgedrängt aus der Fanszene des insolventen Fußball-Drittligisten, alleingelassen im Kampf gegen die Rechtsextremisten in der Kurve.

 

Es hätte aufregendere Orte für den finalen Akt dieses zweieinhalbjährigen Schauspiels geben können als das Kölner Flughafenstadion an einem kalten Januartag. Nicht einmal 3000 Zuschauer sind gekommen, um das Zweitrundenspiel im Mittelrheinpokal der heimischen Viktoria gegen die Alemannia (2:5 nach Elfmeterschießen) zu sehen. Doch bis zum ersten Ligaspiel im neuen Jahr in zwei Wochen wollte der antifaschistische Teil der Aachener Ultraszene nicht mehr warten. Zu oft wurden die ACU wegen ihrer Ideale körperlich angegriffen, zu selten bekamen sie Unterstützung vom Verein, dem Fanprojekt und den übrigen Fans.

 

Der Konflikt schwelt bereits seit Jahren. Deutlich sichtbar wurde er erstmals im Juli 2010, als sich ein Großteil der ACU abspaltete und die "Karlsbande Ultras" (KBU) gründete. Während sich die alte Gruppe strikt antifaschistisch orientiert, finden bei der neuen Gruppe auch rechtsoffene bis offen rechtsextreme Fans ein Zuhause. Und die gibt es in Aachen zuhauf. NPD-Kader wie Sascha Wagner gehören ebenso selbstverständlich zur Fanszene wie Teile der verbotenen "Kameradschaft Aachener Land".

 

Für die Karlsbande ist das kein Problem, sie selbst versteht sich als unpolitisch. So lange sie beim Fußball den Mund halten, sei es egal, welche politische Einstellung die Mitglieder hätten. Was zähle, sei die Liebe zum Verein. Dass diese auch über homophobe und antisemitische Entgleisungen gelebt wird, stört sie nicht. Stattdessen kämpfen die KBU gegen die "Parasiten" und deren "Linksradikalismus" - gemeint sind die ACU und ihre Arbeit gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus.

 

ACU beklagt "unfassbar bedeutungslose Worthülsen" des Clubs

 

Schnell wurde der Konflikt auch körperlich ausgetragen. Mitglieder der ACU landeten reihenweise im Krankenhaus. Bei jedem Spiel musste die Polizei die Gruppen trennen, wie es sonst mit den Fans verschiedener Clubs geschieht. Trotzdem kam es zu Angriffen in Stadien, die für bundesweites Aufsehen sorgten. Wie beispielsweise die Massenschlägerei mit zahlreichen Verletzten nach dem Auswärtsspiel in Saarbrücken Anfang August 2012.

 

Weil der meist nur kurze öffentliche Aufschrei nie zu einer Verbesserung der Situation beitrug, macht die ACU nun Schluss. Die Antifaschisten beugen sich der Gewalt von rechts. Im Verhältnis zur Größe und Geschichte der Gruppe ein einmaliger Fall im deutschen Fußball.

 

Doch die ACU gehen nicht leise, sie nutzen ihren Abgang für eine Generalabrechnung. Eine 24-seitige Sonderausgabe ihrer Kurvenzeitung "Mullejan" haben sie ebenso vorbereitet wie zahlreiche Transparente, die sie ab der 60. Spielminute zeigen. "Lieber Parasit als Antisemit" ist zu lesen. Oder: "Nazis Am Tivoli? Nie gesehen." Und auch "Politik und Religion haben in den Stadien keinen Zutritt". Der Satz stammt von Sportdirektor Uwe Scherr und stehe stellvertretend für die laut "Mullejan" "schwammigen und teils unfassbar bedeutungslosen Worthülsen" seitens des Vereins.

 

Lutz van Hasselt, Fanbeauftragter der Alemannia, sieht das anders: "Alemannia Aachen hat sich sowohl in der Vergangenheit als auch aktuell immer wieder klar gegen Rechtsextremismus und Rassismus positioniert, außerdem wurden Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund konsequent unter anderem mit Stadionverboten bestraft." In der Tat wurde der Karlsbande nach den Vorfällen in Saarbrücken untersagt, am heimischen Tivoli ihre Fahnen aufzuhängen. Doch obwohl das Verbot bis heute gilt, hing die Zaunfahne zwei Monate später wieder.

 

"Schwarzer Tag für die demokratischen Verhältnisse"

 

Auf einem weiteren Transparent der ACU steht "Sozialarbeit ist Fleißarbeit". Ein Zitat der Fanprojektleiterin Kristina Walther, die in den Augen der linken Ultras zu wenig "gegen den braunen Sumpf" tue und immer dann weggucke, wenn es ernst werde. Walther selbst will sich zu dem Konflikt nicht äußern. Vor Ort ist sie auch nicht, sie ist im Urlaub.

 

Dafür sind andere gekommen. Etwa 250 Ultras aus ganz Deutschland zeigen sich solidarisch und schaffen ein bizarres Szenario. Während das Spiel läuft, liegen sich einige Ultras traurig in den Armen, andere starren mit leerem Blick auf das Spielfeld.

 

Kurz vor dem Elfmeterschießen des Pokalspiels droht die Lage zu eskalieren. Mitglieder der Karlsbande stürmen wegen der Vielzahl an Transparenten, die auch gegen sie gerichtet sind, zum Trennzaun zwischen den beiden Gruppen und werfen Böller auf die ACU, deren Leute ebenfalls Richtung Zaun rennen. Doch binnen Sekunden hat die Polizei die Lage unter Kontrolle.

 

Fanforscher Gerd Dembowski steht am Rand des Blocks und spricht von "einem schwarzen Tag für die demokratischen Verhältnisse". Martin Endemann vom "Bündnis Aktiver Fußball-Fans" (BAFF) wählt ähnliche Worte. Am Beispiel Aachen könne man gut sehen, was passiert, wenn einer Gruppe, die sich offen gegen rechts positioniert, niemand zur Hilfe kommt. "Sie geben auf, und das kann ich gut verstehen", sagt Endemann, der kritisch in die Zukunft blickt: "Hier wird ein erschreckendes Signal gesendet: Es lohnt sich, andere Fans zu bedrohen, zu jagen und zu verprügeln."