Verbindung ins Jenseits

„Suevia sei´s Panier“. Unter ihrem schwarz-weiß-blauen Wappen üben die Studenten von Corps Suevia fünfmal die Woche Fechten. Erstmals durfte ein Fotograf dabei sein.
Erstveröffentlicht: 
10.12.2012

Treue für ein ganzes Leben, trinken bis in den Tod: Der Suff-Unfall in einem schlagenden Studentencorps gibt den Blick frei auf die Rituale in einer verschlossenen Männerwelt.

 

Seinen Gefallenen hat der Männerbund im Garten einen „Totentempel“ errichtet. Unweit des Pavillons flackert auf der Treppe zur Terrasse der Villa eine weiße Kerze. An dieser Stelle haben die trinkfesten Herren den Alkoholtoten zu beklagen – den allerersten in der 200-jährigen Historie von Corps Suevia überhaupt.

Eine Katastrophe, die sie am liebsten verschweigen würden. Doch mit den üblichen Methoden des Corpsgeistes – Zusammenstehen und Dichthalten – ist die peinliche Geschichte nicht aus der Welt zu schaffen. Denn im Garten des Bürgerhauses in München-Schwabing soff sich nicht irgendwer zu Tode, sondern Philip D., 22.

Der junge Mann entstammt einer prominenten Industriellenfamilie. Er war der Ururenkel eines großen deutschen Erfinders der Gründerzeit. Ein Ende von Buddenbrook´scher Tragik – im Vollrausch.

Der Herbstwind hat die schwarzweißblaue Flagge des Corps um den Fahnenmast gezaust. Am Samstagnachmittag vor vier Wochen klingelte der exzesswillige Sprössling an der Pforte des herrschaftlichen Anwesens am Englischen Garten. „Eigentlich hatte der hier nichts zu suchen“, sagt einer der Alten Herren der Suevia, Christoph Haußner. Bis vor Kurzem studierte D. noch Jura in Göttingen, wo er auch Mitglied beim Corps Bremensia war. Die ehemals schlagende Verbindung genießt unter ihresgleichen den miesen Ruf, statt der traditionellen Fechtmensuren nun stählerne altdeutsche Trinkrituale zu pflegen.

Da der junge Mann das rotgrünschwarze Band seiner Verbindung trug, ließen ihn die Bewohner ein. Bei sogenannten Couleur-Besuchen ist dies in der Welt der Korporierten selbst bei Fremden üblich. Völlig unbekannt war er im Corps Suevia allerdings nicht. Einer sagt, er habe ihn „oberflächlich gekannt“. Auf einer Party beim Corps Isaria tags zuvor hatte sich D. mit einem der „Schwaben“ angefreundet. Stramm forderte der Gast laut Polizeiprotokoll dann im Garten die anderen auf, mit ihm zu zechen. Einer seiner Begleiter willigte ein.

 

Bei dem nachmittäglichen Bierbesäufnis eignete sich D. einen Pegel von mehr als 2,0 Promille an – und kippt um. Der Notarzt musste ihn ins Klinikum Bogenhausen schaffen, wo ihm wenig später das offenbar von Alkohol- und Drogenmissbrauch vorgeschädigte Herz versagte.

Der tödliche Trinkunfall, bei dem sich die Kneipenrituale der Altvorderen mit der Komasauf-Mentalität der jüngsten Generation vermengen, gibt den Blick frei in einen streng nach außen abgeschotteten Kosmos. Nach dem Muster einer Geheimloge geht die Göttinger Bremensia in Deckung. Am Telefon behaupten Mitglieder, es würden „keine Angaben gemacht“, ob die gewählte Rufnummer überhaupt ihr Anschluss sei.

Die Münchner Suevia dagegen öffnet nochmals die Haustür. „Weil dieser Vorfall doch alle Vorurteile zu bestätigen scheint, die über uns kursieren“, sagt der Alte Herr Wolfgang Decker, der neben dem Haus seiner Verbindung eine Privatklinik betreibt. Alkohol und Testosteron, großes Geld und armselige Trinkspiele? Mit Offenheit wollen sie dem Imageschaden trotzen. So gelingt ein Blick in die Lebensrealität der Herren mit Schmiss, die sonst lieber unter sich bleiben.


Stolz führt Senior Martin Mayer, 24, Chef der „Aktiven“ im Männerclub, durch die „Harry Potter“-artige Immobilie. Vorbei an riesigen Ölbildern in die edel vertäfelte Kneipe, wo die Mitglieder dreimal pro Semester ihren Bier-Kommers abhalten. Unter den strengen Augen aller 2600 Corpsbrüder, die der Verbindung seit 1803 beitraten. Deren Porträts hängen hinter Glas an den Wänden, jeder mit Mütze und Band. „Anfangs fand ich das altertümlich und befremdlich“, gesteht Mathematikstudent Mayer, „Männer im Keller, die trinken und singen.“

Was einer dem anderen „vortrinkt“, muss dieser ihm „nachtrinken“. Eine Halbe für eine Halbe, so bestimmt es der „Allgemeine Deutsche Biercomment“ von 1900. Die 150 Paragrafen des Suff-Regulariums aus der Kaiserzeit wendet die Suevia zwar nicht buchstabengetreu an. Viele Bünde praktizieren den historischen Regelkatalog aber noch, hat die Gießener Politologin Alexandra Kurth, 41, herausgefunden. „Bei dieser Art der Geselligkeit geht es nicht um den Spaß am Rausch, sondern um Befehlstrinken“, erklärt die Expertin. Das Corps erhalte so „Zugriff auf den Körper des Einzelnen“.

Wer beim Prosit passt, den wirft die Runde nach der reinen Lehre von anno dunnemals in den „Bier-Verschiss“, aus dem er sich „herauspauken“ muss. Wiederum eine Halbe für jede verweigerte Halbe. Die Veteranen der Suevia behaupten, es gehe nur darum, „auch mal einen Streifen zu saufen und trotzdem die Contenance zu bewahren“. Erziehung der Studenten per Zapfhahn – zur Standfestigkeit.

Der Aktive Mayer, ein freundlicher Bursche im Pullover über dem Hemd, lobt an seinem Verein das liberale Klima, das sich erkennbar von den reaktionären Tendenzen im Milieu abhebt. Sonst gerät diese Welt eher wegen der nationalen Gesinnung vieler Bünde ins Zwielicht als durch ihr Trinkverhalten. Erst vor zehn Tagen vermied die Vereinigung „Deutsche Burschenschaft“ knapp die Spaltung, nachdem der Verbands-Chefredakteur Norbert Weidner in einer Postille die Hinrichtung des NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer als „juristisch gerechtfertigt“ bezeichnet hatte.

Schlagende Verbindungen wie die Suevia distanzieren sich von ultrarechten Umtrieben. Der Totentempel im Garten ist Mitgliedern gewidmet, die sich 1934 der Gleichschaltung im Dritten Reich widersetzten und später teils im KZ umkamen. Laut Mayer steht die Freundschaft mit den anderen sauber gescheitelten Aktiven im Vordergrund. Jedes der altgedienten 360 Mitglieder zahlt jährlich 500 Euro in die Corps-Kasse. Daraus finanzieren sie den Unterhalt der Villa, in der die Studenten günstig in kleinen Buden wohnen.

Eine lebenslange Verbundenheit, Netzwerk der Generationen. Beim Berufseinstieg nach dem Studium hilft schon mal einer der Alten Herren. Viele Unternehmer und Anwälte finden sich darunter, aber auch Exoten wie Christoph Haußner, 54. Der Maler und Grafiker erzählt, wie er einem arbeitslos gewordenen Bruder das Entree zu einer neuen Firma bereitete.

Den Alten Herren ist der Vorfall mit dem Biertoten aus ihrem Garten überaus unangenehm. „Dass das bei uns passiert ist, nimmt uns sehr mit“, betont Haußner. Bis auf Weiteres unterbindet die Suevia die „Couleur-Besuche“. Keine Fremden mehr im Haus. Eine Maßnahme, die den Zusammenhalt unter den Corps dauerhaft stören könnte. Heftig debattieren viele der mehr als 13 000 Korporierten im Verband „Kösener Senioren-Convent“ diesen Verstoß gegen die althergebrachte Regel.

Die Eltern von Philip D. haben ihr einziges Kind unterdessen zu Grabe getragen. Zur Beerdigung haben sie auch das Suevia-Mitglied eingeladen, das dem Sohn an jenem Nachmittag im November die Pforte öffnete. Keine Vorwürfe gegen die Gastgeber des Gelages. Auch die Münchner Staatsanwaltschaft, deren Todesermittlungsverfahren noch läuft, geht nicht von Fremdverschulden aus. Dass Trinkrituale nach Befehl und Gehorsam für das Ableben des Jura-Studenten verantwortlich seien, dafür gibt es laut Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch „derzeit keinen Anhaltspunkt“.


In Schutz nimmt den Schwabinger Herrenclub auch Matthias Strickler, Historiker an der Uni Würzburg und Spezialist für Studentenverbindungen: Die Suevia zähle zum sogenannten „schwarzen Kreis“ in der Corps-Welt, sagt er: „Solche Dinge passen nicht zum Charakter eines solchen Corps. Wahrscheinlich war D.s Tod ein tragischer Unfall.“ Jedoch einer, der diese sorgsam abgeschottete Welt in große Unruhe versetzt.

 


 

Schmissige Geheimlogen

 

Verbindungen, Corps, Burschenschaften in der Bundesrepublik

Geschlossene Gesellschaften: Viele der 900 Studentenverbindungen entstanden im 19. Jahrhundert. Corps pflegen häufig die Fechttradition. Burschenschaften sind stärker politisch ausgerichtet, meist stramm rechts. Hinzu kommen konfessionelle Bünde sowie einige Frauenvereinigungen.

 

Netzwerk aus der Uni-Zeit: Bis heute vernetzen sich rund 19 000 Aktive und 132 000 Alte Herren in den Bünden.

 

Prominente Alte Herren: TV-Entertainer Thomas Gottschalk (Tuiskonia), Verkehrsminister Peter Ramsauer (Franco-Bavaria), CDU-Veteran Heiner Geissler (Alamannia)