RECHTSanwälte und lahme Justiz

Erstveröffentlicht: 
19.11.2012

Der erste Prozess endete mit einem deutlichen Urteil: Zwei Jahre und fünf Monate ohne Bewährung für beide Angeklagte wegen ihrer Beteiligung an einer „Hetzjagd“ (haGalil berichtete). Der Vorsitzende Richter fand damals deutliche Worte für das Tatmotiv: „Mitten unter uns gibt es Menschen, die aus gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit schwere Straftaten begehen.“

 

In Winterbach, eine Gemeinde in der schwäbischen Provinz, war in der Nacht vom 9. auf den 10. April 2011 eine Nazi-Party mit etwa 70 BesucherInnen eskaliert. Die Teilnehmer einer Feier auf dem Nachbargrundstück, Jugendliche italienischer und türkischer Herkunft, wurden mehrfach angegriffen. Ein Gartenhaus, in das sich erst drei und später noch zwei weitere Jungen vor Angst geflüchtet hatten, wurde von den Angreifern in Brand gesteckt. Die Insassen entkamen in letzter Minute und das Häuschen brande bis auf die Grundmauern nieder. Zurück blieben in dieser Nacht neun an Leib und Seele verletzte junge Männer.

 

Nachdem zwei der Haupttäter am Landgericht Stuttgart verurteilt und später ihre Revision vom Bundesgerichtshof verworfen wurde, begann am 29. August 2012 am Stuttgarter Landgericht ein Folge-Prozess. Diesmal stehen gleich zwölf tatverdächtige Rechte vor Gericht. Elf Männern und einer Frau im Alter zwischen 18 und 37 Jahren wird gefährliche Körperverletzung, die Anstiftung dazu, Meineid und Falschaussage im ersten Winterbach-Prozess, sowie Strafvereitelung vorgeworfen. Das dem Gericht vorliegende Akten-Material umfasst inzwischen 94 Leitz-Ordner. Seit Ende Oktober sind nur noch sechs der zwölf Angeklagten in Haft, der Rest befindet sich auf freien Fuß. Vorerst.

 

Über RECHTSanwälte und Rechtsanwälte


Unter den zwölf Rechtsanwältinnen und -anwälten der Angeklagten befinden sich mindestens drei rechte Szene-Anwälte. Dabei führt die Spur zweimal sogar bis ins Umfeld der NSU.

 

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Alexander Heinig ist nicht nur Jurist, sondern musiziert seit 1996 als Sänger und Bassist bei der Rechtsrock-Band „Ultima Ratio“. Auf den „Skrewdriver“-Sänger und Gründer des “Blood & Honour”-Netzwerks Ian Stuart Donaldson dichtete „Ultima Ratio“ mit „So nah (Für Ian)“ eine Lied-Hymne. Gegen links ist „Ultima Ratio“ auch immer mit dabei, so heißt es in dem Stück „Rote Fahnen“: „So beschränkt kannst nur du sein, du kleines mieses Kommi-Schwein.“ Heinig führte bis 2011 zusammen mit Dr. Oswald Seitter eine Anwaltskanzlei. Seitter war der Rechtsvertreter der 2009 verbotenen nazistischen “Heimattreuen Deutschen Jugend”, als diese versuchte, 2010 beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Verbot aufheben zu lassen.

 

Nicole Schneiders (geborene Schäfer) wuchs in Öhringen (Hohenlohe) auf und machte 1998 ihr Abitur. Sie begann Anfang 2000 ihr Jurastudium in Thüringen und trat dort 2001 der NPD bei. Bis 2002 war sie stellvertretende Vorsitzende der NPD-Jena. Vorsitzender war Ralf Wohlleben, der heute als Beteiligter an den NSU-Morden inhaftiert ist. Im Jahr 2002 zog sie nach Baden-Württemberg zurück und beendete ihr Studium in Mannheim. Hier gab sie vermutlich Rechtshilfe-Schulungen für Neonazis, wie interne Nazi-Foren-Inhalte nahe legen. Als Rechtsanwältin war sie in der Rastatter Kanzlei von Klaus Harsch beschäftigt, mit dem sie seit 2005 zusammenarbeitete. An der Stuttgarter 3H-Kanzlei der Rechtsanwälte Harsch, Hammer und Heinig war sie als Advokatin für Urheberrecht auch beteiligt. Nach einer Skandalisierung der rechten Kanzlei in Medien und Öffentlichkeit, trennte sich der CDU-Parteibuchträger Harsch von den Anderen. Schneiders hat inzwischen in Karlsruhe eine eigene Kanzlei eröffnet und vertritt u.a. ihren alten Bekannten Ralf Wohlleben, zeitweise auch Florian Stech, einen Neonazi, der einen jungen Antifaschisten angefahren hatte.


Die Verteidigung Wohllebens wird wohl auch finanziert, durch den Verkauf von Tshirts („Freiheit für Wolle“) und einem Neonazi-Solisampler, wie Recherchen der Linkspartei-Abgeordneten Katharina König nahe legen.

 

Steffen Hammer, Jahrgang 1971, ist ein seit 2000 zugelassener Anwalt für Familien-, Erb- und Strafrecht. Von 1988 bis zu ihrer Auflösung 2011 war Hammer Sänger in der Rechtsrock-Band „Noie Werte“. Würde Steffen Hammer seine Hemdsärmel hochkrempeln, dann kämen seine tätowierten Arme zum Vorschein. Fotos von ihm auf der Konzertbühne mit nacktem Oberkörper lassen den Skinhead eindeutig erkennen. Auf der Bühne brüllte er Sätze wie „Du bist die Faust nicht wert, die deine Nase bricht“ ins Mikrofon. Hammer war auch beteiligt an „German-British-Friendship-Records/Hammer-Records“ (GBFR), ein führendes Label in Süddeutschland, was rechte Skinhead-Musik angeht. Experten vermuten hinter dem Label eine Kooperation von „Noie Werte“ und dem internationalen Neonazi-Musik-Netzwerk „Blood & Honour“. Dieses wurde von dem „Skrewdriver“-Sänger Ian Stuart Donaldson (1957-1993) gegründet, um Jugendliche mit Musik für braune Ideologie zu ködern. Hammer selbst erklärte in einem Interview mit dem Nazizine „Landser“ (8/2001): „Es ist wichtig mit Musik die Leute aufzuklären. Vor allem junge Menschen sollen dadurch angesprochen werden und ihnen soll ein besserer Weg aufgezeigt werden, als der USA-Fahne hinterherzulaufen.“ Mit dem Ex-Skrewdriver-Gitarristen „Stigger“ produzierte Hammer mehrere Tonträger. Schlagzeilen machte seine Band als bekannt wurde, dass die ersten Versionen der NSU-Bekenner-Videos mit Musik von „Noie Werte“ unterlegt war. Die Homepage der Band ist auch nach deren Auflösung online und auf eine Person aus dem Rems-Murr-Kreis angemeldet, die bei „Noie Werte“ Gitarre spielte und bei der es nach Angaben des Fachinformationsdienstes „Blick nach rechts“ eine Hausdurchsuchung wegen Verdachts der Zugehörigkeit zum NSU-Unterstützungs-Netzwerks gab. Zwar ist Hammer Anwalt für Familienrecht und auf Scheidungen spezialisiert, er tritt aber auch immer wieder als Anwalt der rechten Szene auf.

 

Die Justiz lahmt


Am 16. Oktober 2012 wurden zwei Opfer-Zeugen vernommen. Einer davon war Fatih A.; ohne, dass die Staatsanwaltschaft intervenierte, wurde er von den Anwälten der Täter mit bohrenden Fragen geradezu provoziert und gequält. Am Anfang gab er an: „Ich hatte so ne Angst wie noch nie“ und „ich wollte nicht mal heute hierherkommen“. Sein Mut wurde ihm durch das Gericht nicht gerade gedankt. Gegen ihn, wie auch andere Opfer, läuft derzeit ein Verfahren wegen Falschaussage und Körperverletzung. Angeblich war der „Hetzjagd“ eine Auseinandersetzung von mehreren Jugendlichen mit einem Nazi-Skin vorausgegangen. Unklar ist, wer hier angefangen hatte. Jedenfalls bekam ein italienischstämmiger Nazi-Skinhead dabei einen Faustschlag aufs Auge. Zuvor hatte er sein Gegenüber aber offenbar noch als „Kanacke“ bezeichnet. Der Faustschlag war aber nicht der auslösende Vorfall für die spätere Hetzjagd. Zwar berichtete der Verletzte seinen Nazi-Freunden von der erlittenen Schmach, aber diese interessierten sich zum Teil mehr für seine dadurch aufgedeckte italienische Herkunft. Er hatte nämlich in seiner Empörung verraten mit seinen Gegnern auf Italienisch gestritten zu haben. Wegen dieses Faustschlags, der laut Aussagen von Täter-ZeugInnen kaum erkennbare Spuren hinterließ, sind einige der eigentlichen Opfer auch wegen Körperverletzung angezeigt worden. Fatih A. fragte vor Gericht erst mehrmals nach, bevor er sich traute, das Wort „Nazis“ zu verwenden, weil er davon so verunsichert war („nicht dass ich noch eine Anzeige bekomme“).

 

Vor Gericht wurden an diesem Tag die beiden Opfer-Zeugen den Anwälten der Angeklagten quasi zum Fraß vorgeworfen. Die Anwälte stürzten sich dabei u.a. auf Detailfehler in den Aussagen der Opfer-Zeugen. Eineinhalb Jahre nach der Tat ist es nichts Ungewöhnliches, dass man sich nicht mehr genau an die Farbe der Hose seiner Peiniger erinnern kann. Die Vorsitzende Richterin und ihre beiden Kolleginnen sahen ungerührt zu, wie die Opfer provoziert wurden. Eine souveräne Prozessführung sieht anders aus.

 

Am 25. Oktober 2012 sagte Dominik F. als Zeuge aus. Er ist einer der beiden Verurteilten aus dem ersten Prozess. Der Tag versprach neue Erkenntnisse zu liefern, da Dominik F. nun Zeuge und nicht mehr Angeklagter war. Demzufolge konnte er seine Aussage auch nicht mehr verweigern. Doch was folgte war enttäuschend. F. gab an, dass er nur einen Kumpel hatte rächen wollen. Er beschrieb die rassistisch motivierte „Hetzjagd“ (Richter im ersten Prozess) als eine Art Spaziergang. Die Vorsitzende Richterin ging auf Unstimmigkeiten, auffällige Erinnerungslücken und Fehler des Täter-Zeugen nicht ein. Stattdessen lauschte sie einer Erzählung, die nach den Erkenntnissen aus dem ersten Prozess, nur als Märchen beschrieben werden kann. Zwar stellte die Vorsitzende Richterin auch Fragen, es waren aber für die Tat weitgehend irrelevante Fragen. Hier erinnerte sich der Täter-Zeuge auch wieder plötzlich ganz genau daran, wer mit wem im Auto was hatte. Dass er nach der Hetzjagd noch „1, 2 Bierchen“ getrunken hat, wusste Dominik F. auch noch gut. Nur wer zusammen mit ihm zum Nachbargrundstück gerannt war, wollte der vorgebliche Aussteiger überhaupt nicht mehr wissen. Die Richterin ließ ihm das unwidersprochen durchgehen. Beobachter blieben an diesem Tag fassungslos zurück. Dominik F. schien dagegen guter Laune zu sein.

 

Obwohl im ersten Prozess klar wurde, dass es Absprachen unter den Täter-Zeugen gab, fragt die Richterin nicht noch einmal nach. Erst ein Anwalt der Nebenklage thematisierte diesen Umstand, auch wenn Dominik F. hier nichts über seine Angaben im ersten Prozess hinaus verriet.

 

Dass die Opfer vor und während der Angriffe durchweg rassistisch beleidigt wurden, was das Motiv klar offenlegte, fiel ebenfalls weitgehend unter den Tisch. Im ersten Winterbach-Prozess war das noch deutlich herausgestellt worden. Die Täter hatten z.B. geschrien: „Bleib stehen Du Kanacke, ich bringe Dich um!“ Das Desinteresse von Gericht und Staatsanwalt am laut geäußerten Rassismus kam den Angeklagten und ihren AnwältInnen erkennbar entgegen. Diese versuchen nämlich ganz offensichtlich eine Art unpolitische Auseinandersetzung aus der Tat zu machen, bei der zufällig noch eine Hütte abbrannte. Dabei hatten die Opfer-Zeugen im ersten Prozess ausgesagt, dass ihnen die Angreifer mit dem Flammentod drohten und ein Opfer-Zeuge hatte sogar gesehen, wie eine Person einen Ast aus dem Feuer zog und zur Hütte ging.

 

Man konnte als Uneingeweihter an diesem Tag im Prozess-Saal nach den Aussagen von Dominik F. fast denken, es ginge nur um eine unpolitische Prügelei. Wäre da nicht z.B. der Angeklagte, der einen SS-Totenkopf im Nacken tätowiert hat.

 

Am 25. Oktober sagte auch noch Katharina Michaela B., Jahrgang 1987, aus. Sie ist die einzige weibliche Angeklagte und trägt im Gerichtssaal teilweise Szene-Klamotten von „Ansgar Aryan“ oder „Thor Steinar“. Danach fragte die Richterin aber nicht, stattdessen erfuhr man derart wichtige Sachen wie, dass sie sich 30 Kornnattern als Haustiere hält.

 

Es ist sehr enttäuschend, das sich die Richterinnen und der Staatsanwalt seit Prozessbeginn als derart lahm erweisen. Denn das muss nicht so sein, wie der Richter im ersten Prozess mit Kompetenz, Scharfsinn und Souveränität bewiesen hat. Die Opfer-Zeugen stehen im zweiten Prozess aber den zwölf Täter-AnwältInnen schutzlos gegenüber. Darauf könnte durch eine empörte und engagierte Öffentlichkeit aufmerksam gemacht werden. Doch der Gerichtssaal ist leer.

 

Schon nach einigen Prozesstagen sitzen mehr Personen auf den Anklage-Stühlen als im Publikum. Auch bei den Aussagen der Opfer sitzen fast nur die Familien mit im Saal. Die Presse, sofern überhaupt vor Ort, verlässt immer schon nach der ersten Hälfte eines Prozess-Tages das Gebäude. Offenbar drückt die täglich Deadline zur Textabgabe, was auf Kosten einer umfassenden Prozess-Berichterstattung geht. Auch die antifaschistischen Linken, die am Prozessanfang noch eine Kundgebung veranstalteten, fehlen. Sicher, bei weitem nicht jeder hat Zeit, den Prozessen vor Ort zu folgen. Trotzdem bleiben noch viele übrig, die könnten, wenn sie nur wollten. Wissen sie nicht davon? Ist es ihnen egal? Niemand scheint sich so wirklich für diesen Prozess zu interessieren. Und so sind auch die Opfer und ihre Familien wieder sich selbst überlassen.

 

Von Lucius Teidelbaum