Linksruck im Baskenland

Amnestie für alle politischen Gefangenen (Altstadt Donostia)

Die regierende spanische Volkspartei (PP) kann nach den Regionalwahlen in Galicien und dem Baskenland am Sonntag etwas aufatmen. Doch die Sozialdemokraten, die sich Sozialisten (PSOE) nennen, stürzen immer tiefer in die Krise. Die postfaschistische PP verlor zwar deutlich Stimmen in Galicien, konnte aber wegen eines ungerechten Wahlgesetzes die absolute Sitzmehrheit halten. Das wertet die Partei aber als Bestätigung für den Kurs von Ministerpräsident Mariano Rajoy und damit ist der Weg für einen Rettungsantrag über die Bankenrettung hinaus frei. Die PSOE ist aber im Galicien und im Baskenland regelrecht abgestürzt, weshalb nun ein parteiinterner Machtkampf ausbricht. Das Baskenland schält sich heraus, dass neben Katalonien eine zweite wichtige Region in Spanien auf Unabhängigkeitskurs geht. (Siehe Interview mit Bildu-Kandidat unten) 

 

 

Den Stresstest hat die spanische Regierung in Galicien einigermaßen überstanden. Ganz anders sah es für die PSOE au, die im vergangenen November schon in der Hauptstadt tief in die Opposition versenkt wurde. Ihre Hoffnung wurden enttäuscht, die PP in ihrer Hochburg Galicien abzulösen, weil die Konservativen alle Wahlversprechen gebrochen und einen massiven Sparkurs eingeschlagen haben, gegen den es am 14. November zu einem neuen Generalstreik kommen wird. Dafür hätte sich die PSOE behaupten müssen. Sie brach aber auch in Galicien um mehr als zehn Punkte auf 20,5% ein.

 

Die PP konnte so die absolute Sitzmehrheit behaupten, obwohl sie auf 45,7% abgesackt ist. Obwohl die PP gegenüber 2009 gut 100.000 Stimmen verlor, konnte sie ihre absolute Mehrheit sogar ausbauen. Statt 38 verfügt sie nun über 41 Sitze im Regionalparlament von Santiago de Compostela, weil das Wahlrecht kleine Parteien benachteiligt. Ein "ausgezeichnetes Ergebnis", wie PP‑Generalsekretärin María Dolores de Cospedal schwärmte, mit der die "realistische Politik" der Regierung anerkannt worden sei, sieht aber anders aus. Im vergangenen November holte die PP in Galicien noch fast 53%  und ist in 11 Monaten von 855.000 auf 653.000 Stimmen abgesackt.

 

 

Das ungerechte Wahlrecht hat der PP sogar eine bequemere absolute Mehrheit verschafft. Da sich Stimmen für die linken Parteien stärker aufgespalten haben, kann die PP die Heimatregion ihres Ministerpräsidenten halten. Aus dem Stehgreif kam dort die neue Linksalternative Galiciens (AGE) auf 14%. Die Koalition aus einer Abspaltung des Nationalistischen Block Galiciens (BNG), Grüne (Equo) und der Vereinten Linken (IU) kommt auf neun Sitze. Der BNG sackte von 16% auf 10,2% ab. Insgesamt wurden auch in Galicien linksnationalistische Tendenzen gestärkt.

 

Deutlich waren die Vorgänge im Baskenland. Die nationalistischen Parteien haben die Wahlen am Sonntag sehr klar gewonnen. Wahlsieger war die christdemokratische Baskisch‑Nationalistische Partei (PNV). Sie verlor leicht und kamen auf 34,6% und 27 Parlamentarier. 2009 waren es noch 38,6% und 30 Sitze. Ihr Spitzenkandidat Iñigo Urkullu wird neuer "Lehendakari" (Regierungschef). Die linke Unabhängigkeitsbewegung wurde erwartungsgemäß zweitstärkste Kraft. Die Koalition "Euskal Herria Bildu" (Baskenland Vereinen) kam aus dem Stehgreif auf 25% und wird nun mit 21 Sitzen ins Parlament von Gasteiz (spanisch Vitoria) einziehen. Die ganz große Überraschung, die PNV erstmals abzulösen, stellte sich nicht (noch) nicht ein. (Siehe Interview unten).

 

Die Parteien wurden belohnt, die sich in den letzten Jahren für eine Friedenslösung stark gemacht haben. Deshalb erzielte die baskische Linke ihr historisch bestes Ergebnis. 1998 kam sie mit der Koalition Euskal Herritarrok (EH/Baskische Bürger), hinter der federführend die 2003 verbotene Partei Batasuna (Einheit) stand, 14 Sitze mit knapp 18%. Das Wahlergebnis nannte die unabhängige Bildu‑Kandidatin Laura Mintegi "fabelhaft". Die Universitätsprofessorin und Präsidentin des baskischen Pen‑Clubs bot der PNV selbstbewusst eine Zusammenarbeit an. Mintegi unterstrich, dass nationalistische Parteien nun knapp zwei Drittel aller Parlamentarier stellen. In Richtung des designierten Regierungschefs erklärte sie: "Die Zeit ist gekommen, als eigenes Land zu denken". Die "Befehle aus Madrid" müssten abgewiesen werden. Sie verwies darauf, dass die spanischen Parteien im Baskenland eingebrochen sind. 

 

Die PSOE und die PP wurden auch dafür abgestraft, als "spanisch-nationalistische Front" seit 2009 das Baskenland regiert zu haben, obwohl sie dafür keine Mehrheit hatten. Die PNV konnte als stärkste Kraft nur über die Verbote der baskischen Linken abgelöst werden. Besonderheiten im Wahlrecht brachten für PSOE und PP eine Sitzmehrheit. Negativ wirkte sich für sie auch aus, dass sie den Friedensprozess nicht gefördert oder sogar untergraben haben. An der internationalen Friedenkonferenz unter Beteiligung des ehemaligen UN‑Generalsekretärs Kofi Annan vor einem Jahr nahmen sie nicht teil. Die internationalen Vermittler wurden abfällig behandelt und damit auch die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung.

 

Viele Wähler nahmen es der PSOE hier besonders übel, mit der PP regiert zu haben, die sich von einem Franco‑Minister gegründet wurde und sich vom Putsch 1936 und der Diktatur nie distanziert hat. Die Partei stürzte am Sonntag unter Patxi López sogar um 12 Punkte auf 19% ab. Die PP kam statt auf 14 noch auf 11,7%. In zwei von drei baskischen Provinzen wurde Bildu zweitstärkste Kraft hinter der PNV. Im industrialisierten Gipuzkoa mit seinen großen Kooperativen um das Seebad Donostia ‑ San Sebastian herum wurde Bildu stärkste Kraft. Die Provinz und die Stadt regiert Bildu schon seit Mai 2011.

 

Die Bildu‑Kandidatin richtete ihren Blick auch auf Katalonien. Während sich der PNV‑Kandidat zur Unabhängigkeit nicht klar positioniert hat, spricht sich die regierende Schwesterpartei der PNV in Katalonien klar dafür aus. Sie will die Katalanen über die Unabhängigkeit abstimmen lassen. Deshalb wird es auch dort am 25. November zu vorgezogenen Neuwahlen kommen ), wo den spanischen Parteien ein Debakel droht. In Madrid habe man "ein Problem, wenn zwei Nationen die Anerkennung des Selbstbestimmungsrecht" forderten, sagte Mintegi. Dies sei durch das internationale Recht abgedeckt und zeige sich im Umgang Großbritannien mit Schottland. 2014 werden die Schotten über die Unabhängigkeit vom Königreich abstimmen und somit könnten bald in Europa neue Staaten entstehen.

 

Bildu will sich der neoliberalen Politik und den Kürzungen entgegenstellen. Mit Blick auf den offenen Friedensprozess hat Mintegi am Montag angekündigt, Bildu werde sich für die politische Normalisierung einsetzen. Vor zwei Jahren hatte die ETA auf Druck der baskischen Linken eine Waffenruhe verkündet. Vor einem Jahr beendete sie den bewaffneten Kampf einseitig nach mehr als 50 Jahren,  wie es von ihr auch auf der Friedenskonferenz gefordert worden war.

 

Bildu will an den Prozess von 1998 anknüpfen. Unter schlechteren Bedingungen hatten alle baskischen Parteien, auch die PNV, den "Friedensplan von Lizarra" ausgearbeitet. Er wurde auch von der spanischen Vereinten Linken (IU) und von allen baskischen Gewerkschaften und sozialen Organisationen unterstützt. Der Plan stellte das Selbstbestimmungsrecht in den Mittelpunkt. Es sollte eine Konfliktlösung ausgehandelt werden, über dessen Ergebnis die Bevölkerung im Baskenland in Ausübung dieses Rechts abstimmen sollte.

 

Der Vorgang zielte auf die Unabhängigkeit ab. Das wurde dadurch deutlich, dass gemeinsame Institutionen wie die Versammlung der Gemeindevertreter (Udalbiltza) aufgebaut wurden. Gemeinderäte und Bürgermeister aus dem spanischen und französischen Baskenland tagten und Udalbiltza sollte der Embryo eines zukünftigen gesamtbaskischen Parlaments sein. Als die ETA die Waffenruhe abbrach, scheiterte der Plan. Ein Inhalt behielt aber auch Juan José Ibarretxe bei. Der PNV‑Regierungschef wollte die Beziehungen zu Spanien neu bestimmen, weil das Autonomiestatut nie wirklich umgesetzt wurde. In diesem Rahmen wollte er die Basken 2008 über den "freiwilligen Anschluss an Spanien" abstimmen lassen was Spanien verboten hat.

 

In der PSOE ist die Führungskrise wieder ausgebrochen, weil die Wähler Alfredo Pérez Rubalcaba die Rolle als Oppositionsführer nicht abnehmen. Vergessen ist nicht, dass er noch 2011 unter José Luis Rodriguez Zapatero als Innenminister und Vizeministerpräsident zentral für den Sparkurs mitverantwortlich war, den Rajoy nur verschärfte. Die Schuldenbremse wurde noch unter der PSOE in der Verfassung verankert. Er hat sich nicht vom Zapatero-Kurs distanziert.  Dass er nun gegen den Sparkurs wettert, ist unglaubhaft. Mehrere ehemalige Minister, wie Beatriz Corredor oder María Antonia Trujillo haben seinen Rücktritt gefordert. Sie fordern eine "wirkliche, tiefe" Neubestimmung, die mit Rubalcaba nicht glaubhaft vertreten werden kann. 

 

 

"Die Menschenrechte über alles stellen"

Der 40-jährige Anwalt und Menschenrechtsaktivist Julen Arzuaga ist unabhängiger Kandidat für die baskische Linkskoalition "Euskal Herria Bildu" (Baskenland Vereinen), die am Sonntag die Wahlen im Baskenland gewinnen könnte. Er stammt aus Laudio in der Provinz Araba und würde Minister für "Bürgerliche Freiheiten", in dem große Teile Justiz- und Innenministerium zusammengelegt werden sollen, um der Normalisierung im Friedensprozess mit Spanien Rechnung zu tragen.

 

Was hat es mit dem neuen Ministerium auf sich?

 

Wir wollen die Wahlen gewinnen und müssen uns auch auf schwierige Ämter einstellen. Klassisch gibt es eine Konfrontation zwischen Justiz-und Innenministerium. Während ersteres für die Einhaltung fundamentaler Rechte steht, können sie vom Zweiten beschnitten werden: durch Verbote, durch das gewaltsame Auflösen von Versammlungen, durch Repression allgemein. Es muss hier nach den langen Jahren des Konflikts zum Ausgleich kommen. Wir wollen die Menschenrechte, die auch bürgerliche Freiheiten sind, deshalb mit dieser Reform über alles stellen.

 

Haben Menschenrechte hier weiter eine besondere Bedeutung, obwohl praktisch am Jahrestag gewählt wird, an dem die ETA nach über 50 Jahren den bewaffneten Kampf eingestellt hat?

 

Ich habe nie angezweifelt, dass die ETA mit Anschlägen Menschenrechte verletzt hat. Sie wurden von den am Konflikt beteiligten Staaten Spanien oder Frankreich stets als rein kriminelle Akte behandelt, obwohl sie politisch motiviert waren. Es ist aber gut, dass wir nun diesen Jahrestag begehen können. Als Menschenrechtler, der auch vor den Vereinten Nationen oder in der EU Folter und Übergriffe angeprangert hat, muss ich feststellen, dass die Einhaltung der Menschenrechte nicht garantiert ist. Dazu hat sich Spanien mit der Unterzeichnung der Menschenrechtskonvention verpflichtet. Alle Opfer von Menschenrechtsverletzungen müssen anerkannt werden und es muss eine Wiedergutmachung geben. Es muss garantiert werden, dass sich Menschenrechtsverletzungen hier niemals wiederholen.

 

Das ist in der linken Unabhängigkeitsbewegung eine neuere Sichtweise, mit der sie die ETA vor drei Jahren zur Waffenruhe und danach zur Einstellung des Kampfs gezwungen hat. Wie sehen Sie die Lage auf der anderen Seite? Spanien wurde gerade erneut vom Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, weil auch Foltervorwürfe des Direktors einer baskischen Zeitung nicht untersucht wurden, die zudem illegal geschlossen wurde.

 

Es sagt viel, dass niemand wegen staatlicher Verbrechen im Knast sitzt. Das ist der herrschenden Straflosigkeit, die fehlenden Gerechtigkeit und willkürliche Justiz im spanischen Staat geschuldet. Wenn Mitglieder staatlicher Todesschwadrone oder Folterer verurteilt wurden, bekamen sie schnell Haftverschonung oder wurden begnadigt. Auf der anderen Seite sind 700 Menschen als Ergebnis des Konflikts inhaftiert. Deren Strafen werden nach Verbüßung willkürlich verlängert, was der Menschenrechtsgerichtshof im Juli ebenfalls verurteilt hat.

 

Wie könnte eine Versöhnung aussehen?

 

Die kann es erst dann wirklich geben, wenn alle Seiten das angerichtete Leid anerkennen, was zum Beispiel nach der Franco-Diktatur auch nicht geschah. Im Fall der gefolterten Journalisten wurde im Freispruch vor dem Nationalen Gerichtshof sogar anerkannt, dass Geständnisse erpresst wurden, angeblich zur ETA zu gehören. Deshalb wurden sie vom Gericht verworfen, doch gegen die Folterer wurde nicht ermittelt und sie wird weiter eingesetzt und versteckt.

 

Was erwartet im Friedensprozess?

 

Die ETA hat schon ihre Bereitschaft zur Entwaffnung und Auflösung geäußert. Dazu muss es Gespräche geben, um das wie in Nordirland in die Praxis zu übertragen. Es gibt eine internationale Vermittlergruppe, welche die Waffenruhe überwacht und bereit ist, sich mit beiden Seiten an einen Tisch zu setzen, um über die technischen Fragen zu sprechen. Die baskischen Parteien können sich über die politischen Fragen demnächst in einem Parlament verständigen, in dem nach Jahren der Verbote wieder die gesamte Gesellschaft vertreten ist.

 

Welches Ergebnis erwartet Bildu?

 

Die baskische Gesellschaft ist links, patriotisch, solidarisch und internationalistisch. Wir werden ein gutes Ergebnis erzielen und könnten für Überraschungen sorgen. Wenn es noch nicht zum Wahlsieg reicht, dann später.

 

Nachdem Schottland 2014 über Unabhängigkeit vom Vereinten Königreich abstimmen wird und sogar die katalanischen Konservativen ein Referendum darüber durchführen wollen, wird nun die Tür für das Baskenland geöffnet?

 

Der Brite David Cameron hat seinen konservativen Freunden in Spanien eine klare Lektion in Demokratie erteilt. Er ist dabei progressiver als spanische Sozialdemokraten, die kürzlich noch bis vor einem Jahr regierten. Klar ist, dass die Staaten immer weniger unabhängig sind. Wir wollen aber soweit über uns selbst bestimmen. Dazu brauchen wir entsprechende Instrumente. Entscheidungen werden in Europa immer zentralisierter getroffen. Wir wollen dort unsere eigene Stimme haben und nicht über Spanien oder Frankreich irgendwie dort vertreten werden. Wir wollen dort für unser Projekt werben und Alternativen gegen die neoliberale Politik der Rettung der Reichen und der Banken aufzeigen.

 

© Ralf Streck, den 19.10.2012