Am 07.Oktober 2012 erschien folgendes Interview mit der baskischen Antifa-Organisation Sare Antifaxista in der Zeitung GARA. Für die Übersetzung ins Deutsche sorgten die Betreiber des Blog Baskinfo.
(Eine Weiterleitung)
Wann und mit welchen Absichten habt ihr Sare Antifaxista gegründet?
Der springende Punkt
war die Veröffentlichung eines Artikels in Kale Gorria (1)
im Jahr 2002: “Schmutziger Krieg, die Wiederkehr der Falangisten“.
Zehn Jahre vorher hatte der spanische Staat begonnen, mit Gründung
der Todessschwadrone GAL (2) das
Monopol politischer Gewalt zu übernehmen. Die faschistischen
Gruppen, die bis dahin agiert hatten, zogen sich aus den Straßen des
Baskenlands zurück. Gruppen wie die Guerrilleros Cristo Rey (3),
das Baskisch-Spanische Bataillon (4),
die Bewaffneten Spanischen Gruppen (5),
usw. begaben sich in Wartestellung. Erst Jahre später, nach der
öffentlichen Aufdeckung der GAL-Strukturen, riefen zu allem bereite
Aktivisten aus den Kloaken des Staats Elemente aus dem ultrarechten
spanischen Sumpf aus der Reserve. Seither ist die faschistische
Aktion wieder auf der Straße, in Form von Propaganda (Schriften,
Graffitis) Kampagnen gegen Abtreibung, Treffen in verschiedenen Orten
im Süden Euskal Herrias, Demonstrationen, usw. Was wir bis dahin nur
im spanischen Staat und an anderen Punkten Europas beobachteten,
geschah jetzt auch in unseren Straßen.
Die Morde an Josu Muguruza
in Madrid (6), Alejo Aznar
in Getxo-Romo (7) und
Aitor Zabaleta in Madrid (8)
durch Faschisten spielte ebenfalls eine große Rolle bei unserem
Schritt, kleinere Gruppen und Leute, die in eigener Initiative gegen
Faschismus aktiv waren, zu Sare Antifaxista zu vereinigen. 2005
begann dann das Projekt Antifaschistisches Netz.
Habt ihr Kontakt mit anderen
antifaschistischen Initiativen außerhalb Euskal Herrias?
Ja, im spanischen
Staat stehen wir in Kontakt mit einigen Plattformen und
Koordinationsgruppen. Generell verfolgen wir alle Aktivitäten das
ganze Jahr durch: Demos, Repressions-Anzeigen, Kampagnen. Die letzte
gemeinsame Aktion war mit Unitat contra el Feixisme y el Racisme (9)
in Katalonien. In Europa stehen wir in Kontakt mit verschiedenen
Gruppen und Einzelpersonen in Italien, Irland, Deutschland. Erst
vergangenen September führte uns eine internationalistische
Initiaive nach Deutschland. Mit einem Dutzend Genoss/innen
organisierten wir eine Antifa-Brigade, eine Woche lang besuchten wir
verschiedene Gedenkstätten und erfuhren von der Arbeit von
Kollektiven, die zu Antifa und Erinnerungspolitik arbeiten.
Ein kurzer Blick auf die
virtuelle Realität in Europa – welches politische und
gesellschaftliche Panorama zeigt sich da?
Ein sehr
beunruhigendes Panorama. Der Aufstieg von nazi-faschistischen Gruppen
oder solchen, die auf Identität und Populismus setzen, ist in ganz
Europa eine Realität, die niemand mehr in Frage stellt und die nicht
zu verheimlichen ist. Russland, Italien, Deutschland, Österreich,
Holland, Griechenland, England, Rumänien, spanischer und
französischer Staat, überall haben sie ihre politische Vertretung
in den Institutionen. Deren Summe im Europäischen Parlament beläuft
sich bereits auf einen Rückhalt von 80 Millionen Stimmen. Sie stehen
kurz davor, eine eigene parlamentarische Gruppe zu formieren. Die
griechische “Goldene Morgendämmerung“, der ultrarechte Breivig
in Norwegen, oder Deutschland mit der NPD und einer terroristischen
Zelle in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz, all das hat in den
vergangenen Monaten viele Medien beschäftigt. Dazu kommt die durch
neoliberale Politik, Finanzmärkte und Spekulation erzeugte brutale
Krise, nicht nur, dass wir darunter leiden, sie ist auch ein Biotop
für jene Parteien mit ihren rassistischen und xenophoben Botschaften
gegen die Schwächsten der Gesellschaft: Migrant/innen und ethnischen
Minderheiten.
An welchen Initiativen habt ihr
zuletzt mitgearbeitet?
Wir sind stark
verwurzelt in den sozialen und gegenkulturellen Bewegungen dieses
Landes. In den sieben Jahren Arbeit auf der Straße haben wir mit
mehr als hundert verschiedenen Gruppen zusammengearbeitet. Wir sind
verbunden mit der Erinnerung-Bewegung in Euskal Herria, daneben waren
wir mit Gruppen wie Euskal Memoria und Ahaztuak 1936-1977 aktiv. Seit
zwei Jahren sind wir in der Plattform Lau Haizetara Gogoan. Dabei
nehmen wir Teil an Gedenkveranstaltungen, bereiten Petitionen für
Rathäuser vor, haben zwei Vollversammlungen der baskischen
Gedenk-Organisationen durchgeführt, wir entfernen faschistische
Symbole aus den Straßen, zuletzt haben wir an der Klage Argentinien
gegen den Franquismus gearbeitet. In den vergangenen Monaten haben
wir gemeinsam mit anderen zu zwei Generalstreiks aufgerufen. Wir sind
Teil einer Plattform, die die für den Tod des Fussballfans Iñigo
Cabacas verantwortlichen Polizisten zur Rechenschaft zieht, und wir
haben das sozio-kulturelle Projekt Kukutza verteidigt.
Sicher habt ihr düstere Momente
erlebt …
Leider ja. Es gab
Momente, das erhielten wir alle Arten von Drohungen. Danach kamen die
Kriminalisierungsversuche wegen unserer Veranstaltungen, unserer
Nachrichten und wegen unserer Solidarität mit anderen. So gut es
ging haben wir all dem widerstanden. Mehr als hart war, als wir
Zeugenaussagen von Faschismus- Opfern von gestern und heute gesammelt
und sie niedergeschrieben haben: Soldaten, Milizionäre, politisch
Verfolgte, Gefolterte. Oder die Mutter und der Anwalt von Carlos
Palomino (10), heutige
Faschismusopfer; die Familie Zabaleta-Kortazar, oder von
faschistischen Gruppen wie Falange und Tradition Bedrohte. Oft haben
wir uns ohnmächtig gefühlt angesichts von Repression gegen Leute,
die an antifaschistischen Mobilisierungen in Bilbo, Gasteiz, Iruña,
Hernani, Lizarra teilgenommen haben. Weil wir keine Mittel hatten,
ihnen beizustehen. Das Härteste war, die Listen der Opfer des
faschistischen Aufstands von 1936 bis 1939 durchzugehen, der Opfer
der franquistischen Repression der 40er Jahre und der rechtsextremen
Gewalt der vergangenen drei Jahrzehnte. Das sind tausende Menschen,
engagierte Menschen, mit einem politischen Bewusstsein, mit einer
ganz persönlichen Erfahrung, die brutal ermordet wurden.
Gegenkultur von der virtuellen Barrikade aus
Veröffentlichungen,
CDs, Videos: Kultur wird zum politischen Werkzeug. Ein kurzer Blick
auf den Blog von Sare Antifaxista erlaubt den Besucher/innen
sinnliche Einblicke abseits der herrschenden Formen, wo die
Stimmlosen eine Stimme erhalten. Der verfluchte Poet Charles
Baudelaire klärte uns auf, dass “der größte Betrug des Teufels
darin besteht, uns glauben zu machen, dass er gar nicht existiert“.
Ähnlich ist es mit dem Faschismus, von vielen Regierungen
kontinuierlich ignoriert und gleichzeitig hinter den demokratischen
Kulissen gefördert. Wir finden Informationen über die Präsenz
dieser Ultrarechten, die nicht verschwindet weil wohlgenährt.
Gegenkultur zeigt sich als Arbeitsinstrument, wenn es darum geht, die
Gefahren aufzuzeigen, die von den großen Medienzentren gerne
verschwiegen werden. “In unseren Anfängen – so Sare Antifaxista
– haben wir vor allem informiert und geschult. Mit dem Blog wollten
wir die Gegeninformation stärken und und selbst zu ihrem Bestandteil
werden. Heute können wir mit Genugtuung sagen, dass wir unsere Ziele
übertroffen haben. Wir haben 18.122 Nachrichten, Mobilisierungen,
Artikel publiziert und wurden bestätigt von 1,6 Millionen Besuchen
auf unserer Seite. Die Berichterstattung über die Kukutza-Räumung,
antifaschistische Mobilisierungen, den Tod von Iñigo Cabacas und
verschiedene Generalstreiks gehören zu den meistbesuchten
Nachrichten.
Erklärungen:
(1) Kale
Gorria (baskisch: Rote Straße / Harte Straße): linke
Ermittlungszeitschrift, die aufgrund massiver Repression eingestellt
werden musste
(2) GAL - Grupos Antiterroristas de Liberación (dt:
antiterroristische Befreiungsgruppen) warenverdeckt agierende
paramilitärische Gruppen, die in der Zeit von 1983 bis 1987 als
Todesschwadronen in Spanienund Frankreich aktiv waren und die
Bekämpfung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung zum Ziel hatten.
Sie waren für die Morde an 28 mutmaßlichen ETA-Mitgliedern oder
Sympathisanten verantwortlich, von denen jedoch nachweislich etwa ein
Drittel keinerlei Beziehung zur ETA gehabt hatte. Die GAL-Gruppen
wurden illegal von hohen Funktionären der spanischen Regierung
während der Amtszeit des sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe
González ins Leben gerufen. Sie wurden vom Innenministerium geführt,
finanziert und protegiert. Nach Aufdeckung der Aktivitäten der GAL
wurden der verantwortliche Innenminister und mehrere hohe
Staatsbeamte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
(3)
Guerrilleros de Cristo Rey (dt: Krieger von König Christus):
paramilitärische spanische Gruppe ultrarechter Ideologie, Ende der
70er Jahre aktiv. An den beiden Morden am Montejurra-Berg in Navarra
beteiligt.
(4) Batallón Vasco Español (dt: Baskisch-Spanisches
Bataillon):
Rechtsextreme spanische Paramilitärs, vor allem im
frz. Baskenland aktiv von1975 bis 1981. Von den GAL als
Todesschwadrone abgelöst.
(5) Grupos Armados Españoles (dt.
Bewaffnete Spanische Gruppen): entstanden in den 50er Jahren, aktiv
vor allem nach Francos Tod 1975. 46 Morde zwischen 1976 und 1981.
(6)
Josu Muguruza: Für Herri Batasuna ins spanische Parlament gewählter
Abgeordneter. Wurde am 20.11.1989 (Francos Todestag), amVorabend der
konstituierenden Parlamentssitzung in einem Madrider Restaurant von
Faschisten erschossen.
(7) Alejo Aznar: Obdachloser, von einer
Gruppe von Neonazis am 24.4.1999 in Getxo/Bizkaia ermordet
(8)
Aitor Zabaleta: Anhänger des baskischen Fussballclubs Real Sociedad,
anlässlich eines Europacup-Spiels in Madrid von einer Gruppe von
Neonazis erstochen
(9) Unitat contra el Feixisme y el Racisme:
katalonische Plattform gegen Faschismus und Rassismus
(10) Carlos
Palomino: 16-jähriger Antifaschist aus Madrid, der am 11.11.2007 von
einem rechtsradikalen Soldaten umgebracht wurde.
(Quelle: www.gara.net/paperezkoa/20121007/366045/es/Sare-Antifaxista-siete-anos-linea-frente-contracultural)
(GARA – Koldo Landaluze - www.gara.net / Übersetzung: Baskinfo – www.baskinfo.blogspot.de)