Beitrag der Initiative im Gedenken an Oury
Jalloh.
Was ist für uns institutioneller
Rassismus?
Institutioneller Rassismus ist für uns die rassistische Gewalt und Repression, die von den Institutionen dieser Gesellschaft ausgeht. Also Politik, Behörden, Gerichten und Polizei. Längst vor dem Pogrom zeigte der institutionelle Rassismus in Hoyerswerda seine hässliche Fratze: Der Alltag von Vertragsarbeitern und Geflüchteten war von Diskriminierung und Gewalt durch die Hoyerswerdaer geprägt. Bei Verletzungen durch Angriffe wurde den Betroffenen in Krankenhäusern die Behandlung verweigert. Und von Betroffenen erstatte Anzeigen wurden von der Polizei schlichtweg ignoriert.
Und auch während des Pogroms grassierte der institutionelle Rassismus. Geflüchtete berichten, dass die für sie zuständigen – sogenannten – Sozialarbeiter offenkundig von dem Pogrom im Vorfeld wussten. Sie teilten den Geflüchteten mit, wann die Angriffe erfolgen werden. Während des Pogroms standen sie dann in der Menge der Angreifer. Sie taten nichts. Sie schauten einfach zu.
Am nächsten Tag nahmen sie den Geflüchteten alles weg, was als Selbstverteidigung hätte dienen können, wie Flaschen und Steine. Groteskerweise versuchten sie auch, den Geflüchteten zu verbieten, sich zu verteidigen. Und schließlich setzten diese Sozialarbeiter alles daran, den Kontakt zu Solidarisierten, wie sie aus Berlin später kamen, zu verbieten. Damit lieferten sie die Geflüchteten dem rassistisch wütendem Mob gnadenlos aus und arbeiteten den Rassisten direkt in die Hände.
Auch die Evakuierung – oder Zwangsverteilung – der Opfer im
Anschluss an das Pogrom ist Ausdruck des institutionellen Rassismus. Den Vertragsarbeiter_innen
und Geflüchteten wurde das Fahrtziel nicht mitgeteilt. Die Busse irrten
teilweise stundenlang in Sachsen herum, um die Betroffenen zur Übernachtung in
Notunterkünften in nicht minder rassistischen Städten zu zwingen. Unfassbarer
weise wurden einige gezwungen, die Busse zu verlassen und ohne Schutz und Verpflegung im Freien die Nacht zu
verbringen. Sich somit weiterer Gefahr auszusetzen.
Ebenfalls unfassbares Beispiel für den institutionellen Rassismus sind die Abschiebungen von Opfern, noch während aber auch nach dem Pogrom. Anstelle sie vor dem mörderischen Rassismus der Angreifer zu schützen, wurden noch während des Pogroms 60 Mosambikaner abgeschoben und 39 weitere dann im November 1991. Im Oktober wurden zudem 17 Vietnames_innen abgeschoben, obwohl ihre Verträge noch nicht ausgelaufen waren. Ein perfides Ergebnis des Pogroms, bei dem die Nazis mit staatlicher Unterstützung das bekommen haben, was sie wollten!
Fokus Polizei
Besonders das Verhalten der Polizei vor, während und nach dem
Pogrom ist widerliches Beispiel für strukturell verankerten institutionellen
Rassismus. Bereits 1990 kam es zu mehreren Naziüberfällen in Hoyerswerda, bei
denen die Polizei sich besonders viel Zeit ließ, an den Tatort zu kommen. Die
Nazis konnten ungestört wüten und ungehindert entkommen. Zahlreiche Fälle sind
bekannt, bei denen die Polizei bei Naziangriffen nicht eingriff und absichtlich zu spät kam. Offensichtlich
unterstützten sie Nazis gern bei ihren alltäglichen Pogromen.
Wie stark die Verbundenheit ist, zeigt sich an der Zusammenarbeit der Polizei mit der Nazigruppe „Neue Deutsche Ordnung“. Diese 36-köpfige selbsternannte Bürgerwehr spielte über ein Jahr vor dem Pogrom Hilfssherrifs. Sie führte Passanten-Personen-Kontrollen v.a. gegen Roma und Schwarze durch. Sie verhafteten vermeintliche Verdächtige, um sie der Polizei zu übergeben. Diese offene Zusammenarbeit wurde erst beendet, als bei Wohnungsdurchsuchungen ein Waffenlager der Nazitruppe entdeckt wurde. Aus Dresden ist bekannt, dass Nazis im Sommer 1991 Menschen verfolgten, verprügelten, an Laternenmasten ketteten und dann die Polizei riefen. Getreu dem Motto des Nazis Freund und Helfer nahm die Polizei die Verfolgten fest und ließ die Nazis laufen. Und wieder dasselbe: Opfer werden kriminalisiert, die Täter bleiben unbehelligt, werden gar zum verlängerten Arm der Polizei.
Auch an den Pogromtagen in Hoyerswerda beweist die Polizei einen konsequenten Unwillen, das Pogrom zu stoppen. Zwei Tage ließen sie die Angreifer hetzen und wüten – sie taten nichts. Schauten zu. Zu einer Vielzahl von Festnahmen kam es bezeichnenderweise erst, als die Polizei selbst von den Nazis angegriffen wurde. Vorher hielten sie es nicht für nötig. Trotz hunderter Angreifer und Brandbomben. Als die Angriffe sich auf das Wohnheim der Geflüchteten verlagerten, taten sie wieder nichts. Schließlich wurden sie aktiv, und das mit brachialer Gewalt, aber nicht etwa gegen die Rassisten. Zielscheibe waren am letzten Pogromtag solidarisierte Antifaschisten aus Berlin, die versuchten einen Schutzwall vor dem Heim der Geflüchteten zu bilden.
Auch die antinazistische Demonstration 1 Woche später wurde
von der Polizei willkürlich sabotiert. Die Polizei weigerte sich, den von
Außerhalb Kommenden auf Anfrage den Weg zur Kundgebung zu beschreiben. Später
hielten sie es für angemessen, den Demonstrant_innen mit fünf Hundertschaften,
Wasserwerfern und einem Spezialkommando zu begegnen. Warum ein solches Aufgebot
gegen Menschen, die gerade gegen Rassismus und Naziterror demonstrieren? Ganz
einfach: Nazis und Rassisten sind der Polizei willkommen, und oftmals auch
dasselbe.
Fotos von der Antifaschistischen
Demonstration am 29. September 1991 (Umbruch Bildarchiv) hier
ansehen
Unüberraschend also auch die verhöhnende Einschätzung der Polizei über das Pogrom. Der Polizeisprecher kommentierte, die Stimmung habe zeitweise – Zitat – Volksfestcharakter gehabt.
(Rassistische)
Polizeimorde in Deutschland
Wir, die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, sind entsetzt über das Handeln – und Nichthandeln – der Polizei. Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass all das kein Einzelfall ist, sondern katastrophaler Normalzustand in Deutschland. Schwarze, Geflüchtete, Linke, Migrant_innen, People of Color – sie werden aus rechter Gesinnung schikaniert, gedemütigt, verfolgt, misshandelt, getötet. Entweder die Polizei schaut tatenlos zu. Lässt die Rassisten gewähren und entkommen. So geschehen beim Mord an Amadeu Antonio 1990 in Eberswalde. Bei Jorge Gomondai 1991 in Dresden. Oder die Polizei nimmt die Sache selbst in die Hand, wie bei Halim Dener, Mareame Sarr, Laye-Alama Condé, Dominique Koumadio, Mohammad Selah, Adem Özdamar, Dennis Jockel, Tennessee Eisenberg, Slieman Hamade, Oury Jalloh, Christy Schwundek – und so viele mehr, von deren Schicksal wir nichts erfahren, weil die Behörden es nahezu perfektioniert haben, ihre Verbrechen unter den Teppich zu kehren…
Kontinuitäten
Diese Pogrome, Rassismen und Morde stehen in einer langen
Kontinuität. Und sie werden sich solange wiederholen, wie die jahrhundertelange
Geschichte der Ausbeutung, der Gewalt
und des Mordes ausgeblendet wird. Deshalb kämpfen wir für eine aktive und
kontinuierliche Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Verbrechen
Deutschlands: angefangen beim immer wieder heruntergespielten deutschen
Kolonialismus, über den Nationalsozialismus, den Rassismen gegenüber Geflüchteten
und Arbeitsmigrant_innen in der BRD und Vertragsarbeiter_innen in der DDR, den
Pogromen und Rassismen der Nachwendezeit bis hin zu der neokolonialen
Ausbeutung der Länder Afrikas, Südamerikas und Asiens.
Wir
werden nicht aufhören zu kämpfen! Wir werden niemals schweigen! Wir werden nie
vergessen!
Wir fordern:
dass ALLE Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden!
Ein Ende des rassistischen Geschichtsrevisionismus!
Ein Ende des individuellen und Behördenrassismus!
Ein Ende der Polizeigewalt und der Schikane von Betroffenen von Rassismus!
Wahrheit, Gerechtigkeit und Aufklärung für alle Opfer von
Polizeibrutalität!
Für den 22. September mobilisieren die Kampagne „Rassismus tötet!“ und die Initiative „Pogrom 91“ zu einer
überregionalen Demonstration nach Hoyerswerda. Es gilt dieses Anliegen zu
unterstützen.
Aufruf lesen |
Mobilisierungsvideo ansehen
| Video-Kundgebungen (B, LE, DD) und
Zugtreffpunkte können hier
abgerufen werden.
- Der Text wurde als Redebeitrag am 17. September 2011 bei der Gedenkdemonstration
in Hoyerswerda gehalten. Er wurde für diese Veröffentlichung geringfügig
verändert.
- Bildquellen: Faksimiles aus dem
Spiegel, 22.09.2011