Sachsen: Pogrom - Übergriffe - Widerstand.

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Vor 21 Jahren ereignete sich das erste Pogrom nach 1945 im sächsischen Hoyerswerda. In ein paar Wochen soll an dieses Pogrom erinnert und der noch heute andauernden Verharmlosung seitens der Stadtgesellschaft auf die Füße getreten werden. Aber auch nach so vielen Jahren hat sich nichts an den krassen Zuständen in Sachsen geändert, dies belegen aktuell Übergriffe in Zwickau oder vor ein paar Monaten in Delitzsch. Dieser Artikel soll zeigen, dass es notwendig ist am 15.September nach Delitzsch und am 22.September nach Hoyerswerda zu fahren.

 

Hoyerswerda


Im September 1991 griffen Neonazis unter Mithilfe und Applaus vieler Bürger_innen zwei Wohnheime von Vertragsarbeiter_innen und Asylsuchenden im ostsächsischen Hoyerswerda an (Videos). Mehrere hundert Menschen belagerten die Unterkünfte fünf Tage lang, bis schließlich alle Heimbewohner_innen aus der Stadt gebracht wurden. Nationale und internationale Medien berichteten über die Geschehnisse. Die „Evakuierung“ aller Bewohner_innen der Heime wurde nicht nur in Hoyerswerda selbst von vielen als „Erfolg“ gewertet. Die Angriffe bildeten damit den Startschuss für eine jahrelang anhaltende Welle der rassistischen Gewalt im wiedervereinigten Deutschland, die neben hunderten Verletzten zahlreiche Todesopfer forderte.

Anlässlich des zwanzigsten Jahrentages gründete sich im Jahr 2011 die Initiative Pogrom91, um sich für eine kritische Aufarbeitung der Pogrome einzusetzen. Auch 20 Jahre nach dem rassistischen Pogrom schienen nur die Wenigsten in Hoyerswerda bereit zu sein, sich offensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Auf kritische Berichterstattung und Interventionen reagiert die Stadtpolitik seit jeher vor allem mit medialer Hetze und Geschichtsverdrehung. Ihren Höhepunkt fand diese Art der „Vergangenheitsbewältigung“ während eines Besuches ehemaliger Vertragsarbeiter_innen und Asylsuchender im vergangenen Herbst. Bei der Besichtigung eines der damaligen Wohnheime kam es wiederholt zu rassistischen Pöbeleien und schließlich zu einem Übergriff durch Nazis und Anwohner_innen, obwohl der amtierende Bürgermeister Stefan Skora auf Anfrage im Vorfeld keine Bedenken hinsichtlich eines Besuches geäußert hatte. Im Nachgang wurde dieser Angriff von lokalen Medien und dem Oberbürgermeister wahlweise verharmlost oder gänzlich in Frage gestellt.

Auf einer Demonstration von antifaschistischen Initiativen, die sich unter anderem für ein dauerhaften Denkmal zur Erinnerung an das Pogrom von 1991 eingesetzt hatten, reagierte die Stadt mit einem massiven Polizeiaufgebot und der in Sachsen üblichen Warnung vor „gewaltbereiten Extremisten von außerhalb“. Als überaus gewalttätig zeigten sich am 20ten Jahrestag der Anschläge jedoch wiederum nur örtliche Neonazis, die unter den Augen der Polizei stundenlang in Gruppen durch die Stadt patroulierten, Autos von Demonstrationsteilnehmer_innen beschädigten und schließlich eine Schweigeminute für die Mordopfer rassistischer und rechter Gewalt mit Parolen und Drohungen störten. Zeitgleich „gedachten“ Vertreter_innen der Stadt ausgerechnet zusammen mit dem „Bund der Vertriebenen“ beim eigens ausgerufenen „Tag der Heimat“ der „extremistischen Ausschreitungen“ von Hoyerswerda.
Wie schon 1991 stellte die Polizei unter Beweis, dass sie sehr wohl in der Lage ist zu handeln, so lange es gegen Antifaschist_innen geht. So müssen sich demnächst Teilnehmer_innen der Demonstration vor Gericht verantworten. Sie hatten sich die Hand vors Gesicht gehalten, um von den Neonazis, die die Demo umlagerten, nicht fotografiert zu werden. Der Vorwurf durch die Behörden: „Vermummung“.

Auch nach dem Abklingen der medialen Aufmerksam hat sich nichts am offen zur Schau gestellten Geschichtsrevisionismus seitens der Stadt, ihrer Initiativen und vieler Bürger_innen geändert. Die Forderungen für ein dauerhaftes Denkmal für die Betroffenen des Pogroms steht nach wie vor im Raum. Tätig wurden die Behörden hingegen gegen Teilnehmer_innen der Gedenkdemonstration.

Die Initiative Pogrom91 und die Kampagne „Rassismus tötet!“ wollen in diesem Jahr noch einmal nach Hoyerswerda fahren und auf die Ereignisse von 1991 und aus dem letzten Jahr aufmerksam machen. Desweiteren rufen sie dazu auf, bundesweit am 17. September in verschiedenen Städten Videokundgebungen und öffentliche Filmvorführungen stattfinden zu lassen, um die Geschichte des Pogroms, als auch die heutigen Zustände in Hoyerswerda zu thematisieren.


Delitzsch


In der nordsächsischen Stadt Delitzsch hat der Naziübergriff vom 18.3., bei dem ein Mensch als Folge wohl auf einem Auge blind bleiben wird, einiges ausgelöst. Auf Abwehrreflexe und Opfer-Täter-Verdrehung von Seiten der offiziellen Stadtpolitik folgte so massive Kritik, dass diese sich eifrig im Zurückrudern übte. An dieser Stelle seien ein Radiobeitrag, Presseartikel, der Redebeitrag der Ska-Band “Tornados” und Bilder der antifaschistischen Demonstration am 25.3.12 dokumentiert. Dass die Demonstration wie eine Nazidemo behandelt wurde, ist dabei nur noch eine Provinzposse am Rande. In Sachsen gleichen sich die Reaktionen von politisch Verantwortlichen auf Naziübergriffe und rechte Hegemonie immer wieder: Abwehrreflexe, Bagatellisierung, Entpolitisierung von Gewalt, Verdrehung von Opfer- und Täterrolle oder die Extremismuskeule. Maßstäbe dafür hat der Mügelner Bürgermeister Gotthard Deuse gesetzt: eine regelrechte Hetzjagd auf MigrantInnen während des Stadtfestes 2007 wurde von ihm bagatellisiert. Zuförderst verwahrte er sich gegen die Denunzierung seiner Stadt. Inzwischen gibt es einen neuen Anwärter für den nicht dotierten Preis „Deuse des Jahres“: den Oberbürgermeister der nordsächsischen Stadt Delitzsch, Dr. Manfred Wilde.

Im Nachgang eines schweren Übergriffes von Nazis auf OrganisatorInnen und BesucherInnen eines Ska-Konzertes in Delitzsch am 18.3.2012 verurteilte dieser zwar die „Gewalttat“, vermied es allerdings den Hintergrund des Übergriffes zu benennen und diesen in Beziehung zum Normalzustand zu setzen. Mehr noch, machte er den Veranstalter des Konzertes dafür verantwortlich, dass es dazu gekommen ist, denn der Ausschluss von Nazis von Konzertveranstaltungen, würde diese (die Nazis) provozieren und den „sozialen Frieden“ stören.

Als Reaktion auf den Naziübergriff und das Verhalten der lokalen Politik zog am 25.3. eine antifaschistische Demonstration "Naziterror entgegentreten – immer und überall" mit ungefähr 250 Teilnehmer_Innen durch Delitzsch. Die Menschen, die sich an diesem Sonntag mit den Betroffenen solidarisierten, ließen sich auch durch die massive Präsenz von Nazis nicht einschüchtern, die sich in der Stadt versammelt hatten und immer wieder versuchten, die antifaschistische Demonstration zu stören. Die Nazis versuchten einen Gegendemo anzumelden, was ihnen jedoch untersagt wurde. In verschiedenen Redebeiträgen wurde diese rechte Hegemonie thematisiert. Die Ska-Band „Die Tornados“ forderte von der Stadtverwaltung endlich tätig zu werden, indem sie beispielsweise alternative, nicht rechte Jugendkulturen fördern solle, statt diese auch noch zu behindern.

Am Ende der Demonstration kam es zu einem skandalösen Zwischenfall. Ein Polizeibeamter, der auch bei anderen Gelegenheiten schon durch gewaltsame Übergriffe aufgefallen ist, ging brutal gegen einen der Ordner der Demonstration vor. Es handelte sich hierbei um den Veranstalter des Ska-Konzertes in Delitzsch. Er wurde in ein Polizeiauto gebracht, welches dann sehr eilig davon raste. Für den Grund der vorläufigen Festnahme gibt es unterschiedliche Aussagen. Dem Betroffenen wurde mitgeteilt, er sei wegen Beleidigung mitgenommen worden.

Was hat sich getan?

Nachdem Übergriff im März haben die Menschen in Delitzsch und Umgebung sich nicht einschüchtern lassen, so plant die Initiative “NoDancingWithNazis!” für den 15.September eine Demonstration und ein Konzert in Delitzsch zu veranstalten. Damit soll in Delitzsch ein klares antifaschistisches Signal gesetzt und ein Raum für alle die geboten werden, die keinen Bock auf Nazis haben. Wie schon bei der Demonstration am 25.3. ist mit einer massiven Nazipräsenz und behördlichen Gängelungen zu rechnen.


Zwickau


In der Nacht zum Sonntag wurden in Zwickau zwei Asylsuchende aus der Türkei und Iran vor einer Diskothek von einer Gruppe von sechs bis zehn Deutschen angegriffen (Interview mit einem Betroffenen). Mit „Heil Hitler“-Rufen und anderen rassistischen Parolen visierten sie nach Angaben von Augenzeugen gezielt die beiden Betroffenen an, die schwere Verletzungen erlitten. Eine Augenzeugin sprach von einem „eingetretenen Auge“. Einer der beiden Betroffenen schwebte für mehrere Tage in Lebensgefahr, ist jetzt jedoch wieder ansprechbar und nicht mehr auf der Intensivstation. Die Täter flüchteten unerkannt. Bereits am Wochenende zuvor attackierten und verletzten zwei Nazis einen 25-Jährigen nachdem sie ihn als „Zecke“ beschimpft hatten.

Ein Kommentar beim MDR-Artikel dazu:

"Das ist doch nichts neues in Zwickau. Erst am Donnerstag des Stadtfestes wurde ein linker Jugendlicher von 2 Neonazis in der Sparkasse am Hauptmarkt zusammengeschlagen, am Freitag gab es diverse Rangeleien und am Samstag des Stadtfestes haben sich 20 Neonazis mit Baseballschlägern bewaffnet am Georgenplatz versammelt. Die Polizei konnte da ausnahmsweise (es ist kaum zu glauben) schlimmeres verhindern. Und die Frau Findeiß ignoriert es immer noch..."

Beachtung finden die Angriffe bisher kaum. Eine routinierte dpa-Kurzmeldung hier, ein Fernsehbericht dort – ansonsten Schweigen in Zwickau. In der Stadt, die im November letzten Jahres noch gänzlich überrascht tat, als der NSU aufflog und eine städtische Bundestagsabgeordnete eiligst kundtat: „Mit Zwi­ckau hat das Ganze nichts zu tun!“ Für Nazis ist Zwickau eine ausgezeichnete Adresse, die neuerlichen Angriffe bestätigen das eindrücklich. Wer in Zwickau genauer hinschaut, wird das leicht erkennen, gilt jedoch schnell als linksextremistischer Nestbeschmutzer.

Eine Gruppe die genauer hinschaut ist das "Antifa Recherche Team Zwickau"




 

weitere Informationen:


Berichte zur Situation in Delitzsch und dem Umland:

Kühe, Schweine, Hinterland…

Einige Berichte von Gamma:

Schein und Sein: Ein Blick hinter die “Erfolgsmeldungen” der NPD in Leipzig und Nordsachsen

Oschatz: JN-Sympathisant ermordet Obdachlosen

Maik Scheffler: neue “Nummer Zwei” der Sachsen-NPD

Paul Rzehaczek: Razzia beim “Anführer” der nordsächsischen NPD-Jugend

“Freies Netz”: Internes Forum belegt Aufbau einer NS-Elite-Organisation

NPD und “Freies Netz”: Der Narrensaum

Sachsen: “Interne Differenzen” zwischen NPD und “Freies Netz” eskalieren

Chronik:

Unvollständige Chronik von faschistischen, rassistischen und diskriminierenden Übergriffen und Ereignissen in Delitzsch:

finden sich hier

Eine ältere Chronik findet sich hier

Video: Der alltägliche rechte Terror und das Versagen der Justiz